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Interview mit SPD-Generalsekräter Miersch: "Taschenspielertrick von Merz"


Interview
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SPD-Generalsekretär Matthias Miersch
"Friedrich Merz traut sich nicht, das auszusprechen"

  • Daniel Mützel
InterviewVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 29.11.2024Lesedauer: 9 Min.
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Seit Anfang Oktober im Amt: SPD-Generalsekretär Matthias Miersch. (Quelle: Sebastian Rau/t-online)

Die Kanzlerpartei liegt in Umfragen weit abgeschlagen hinter der Union. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch zeigt sich im Interview trotzdem optimistisch – und verrät, wo die Hauptkampflinie der Genossen liegt.

Die Ausgangslage war schon einmal schlecht, im Jahr 2021, als die SPD lange auf verlorenem Posten war. Erst kurz vor der Wahl drehten die Genossen die Stimmung im Land – Olaf Scholz zog ins Kanzleramt ein. Doch an eine Kopie des Siegs von damals glauben nicht einmal die SPD-Strategen. Das sozialdemokratische Schlagwort der Stunde heißt daher: kämpfen (und wird gerade republikweit auf Plakate gedruckt).

Hauptamtlich dafür zuständig ist der Generalsekretär der SPD, Matthias Miersch. Bis zur Neuwahl am 23. Februar steht Miersch vor einer gewaltigen Aufgabe: Er muss neue Wähler gewinnen, ohne alte zu verschrecken, die politische Konkurrenz attackieren, ohne sie zu dämonisieren – und dabei 15 Prozent gutmachen. Schafft er das? Im Interview mit t-online gibt sich der 55-Jährige selbstbewusst. Miersch erklärt, ob sich Reiche vor den Steuerplänen der SPD fürchten müssen, warum Robert Habeck nicht die Wahrheit sagt – und warum er sich von der FDP persönlich betrogen fühlt.

t-online: Herr Miersch, die FDP hat lange bestritten, den Bruch der Ampel intern als "D-Day" bezeichnet wochenlang geplant zu haben, trotz gegenteiliger Recherchen, etwa in der "Zeit". Nun hat die FDP den Ablaufplan selbst veröffentlicht – um einer Medien-Veröffentlichung zuvorzukommen. Wie bewerten Sie das?

Matthias Miersch: Zu erfahren, dass die FDP wochenlang plante, die Regierung platzen zu lassen, hat mich geschockt. Ich habe mich auch persönlich betrogen gefühlt.

Von wem genau?

Nur ein Beispiel: Ich hatte mit dem FDP-Fraktionschef Christian Dürr, den ich menschlich sehr schätzte, 2023 nächtelang das Heizungsgesetz verhandelt. Die Zusammenarbeit war immer konstruktiv – wir haben sehr viel gemeinsam hinbekommen. Zu erfahren, dass die FDP-Spitze in den letzten Wochen insgeheim den Bruch der Regierung vorbereitete, hat mich tief getroffen.

Die FDP wirft ihrerseits der SPD vor, die FDP "zerstören" zu wollen.

Das ist absurd, ein hilfloser Schmähversuch der FDP. Nicht wir haben die geheimen Pläne aufgedeckt, sondern Journalisten. Ich erwarte von Christian Lindner, dass er sich entschuldigt. Auch wenn ich glaube, dass er nicht die Größe dazu hat. Auch von den anderen erwarte ich eine Entschuldigung.

Könnten Sie damit leben, wenn die FDP aus dem Bundestag fliegt?

Mein Eindruck ist, dass zumindest viele Wähler damit leben könnten.

Nach einer quälenden Debatte hat die SPD Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten gekürt. Zuvor musste aber Boris Pistorius seinen Verzicht erklären. War es ein Fehler, so lange zu warten?

Natürlich müssen wir uns auch immer selbst hinterfragen. Aber wir hatten einen internen Zeitplan verabredet und den zerreißen wir nicht einfach in der Luft, weil wir mit einem Basta eine Debatte beenden wollen.


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Olaf Scholz wirkt manchmal sehr kühl, aber er registriert die Dinge sehr genau.


SPD-GEneralsekretär Matthias Miersch


Befürchten Sie, dass die Rufe nach Boris Pistorius wieder lauter werden, wenn die SPD im Umfragekeller bleibt?

Nein, das glaube ich nicht. Auch die, die sich kritisch geäußert haben, stehen jetzt eindeutig hinter Olaf Scholz. Der Parteivorstand hat ihn einstimmig nominiert.

Scholz tat lange so, als hätte er die Kanzlerkandidatur sicher. Nun hat er erstmals öffentlich zugegeben, dass die K-Frage der SPD offen war. Die Partei habe kurz innegehalten, sagte er in einer Rede. War das ein Anflug von Demut?

Olaf Scholz wirkt manchmal sehr kühl, aber er registriert die Dinge sehr genau und wägt sie sorgfältig für sich ab. Das ist eine Form von Demut – vor der Partei und auch vor den Wählerinnen und Wählern.

Sollte er im Wahlkampf mehr davon zeigen? Viele Menschen empfinden Scholz als abgehoben und unnahbar.

Olaf Scholz kann starke Emotionen zeigen. In internen Runden tut er das, auch manchmal in Regierungserklärungen. Aber ja, auch ich wünsche mir manchmal einen emotionaleren Olaf Scholz.

Sie wünschen oder erwarten das?

Die gesamte Partei erwartet das. Wir müssen jetzt maximal brennen für unsere Sache. Unser Land steht vor einer Richtungsentscheidung: Friedrich Merz will unser Land gesellschaftspolitisch in die 50er- und 60er-Jahre zurückwerfen. Mit Merz droht ein Hitzkopf Verantwortung übertragen zu bekommen, der null Regierungserfahrung hat. Es geht um ganz viel.

Die SPD will die Einkommenssteuer für Topverdiener erhöhen, große Vermögen und Erbschaften stärker belasten. Müssen sich die Reichen jetzt fürchten im Land?

Reiche Menschen müssen sich nicht fürchten, aber sie werden mehr dazu beitragen müssen, dass dieser Staat funktioniert und die arbeitende Mitte entlastet wird. Viele Vermögende sagen mir, dass sie dafür auch gerne bereitstehen. Denn auch sie sehen die Herausforderungen: Wir müssen mehr in unsere Infrastruktur, Bildung, Sicherheit und unsere Zukunft investieren, wollen dafür aber nicht die Menschen schröpfen, die jeden Tag hart arbeiten. Friedrich Merz fordert mehr Respekt für das obere ein Prozent, wir konzentrieren uns auf die 95 Prozent der Menschen im Land.

Aber auch die Union sagt, sie wolle die Mitte entlasten. Ist das nicht ein Wahlkampfslogan, den jede Partei nach Belieben einsetzt?

Wenn Merz beispielsweise die Abschaffung des Rest-Solis propagiert, dann reißt er damit ein Milliardenloch in den Haushalt, was zulasten genau dieser arbeitenden Mitte und auch der Rentner geht. Das ist kein Slogan, sondern zeigt, für wen im Land wir kämpfen.


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Robert Habeck sagt hier nicht die Wahrheit.


SPD-Generalsekretär Matthias Miersch


Merz wiederum wirft der SPD vor, mit dem Festhalten am Soli Sozialneid zu schüren.

Das hat nichts mit Neid zu tun, sondern mit Verantwortung. Aus der Sicht von Friedrich Merz mag das logisch sein: Er sieht vor allem die Besserverdiener als Leistungsträger der Gesellschaft. Ich habe ein völlig anderes Menschenbild. Wer hart arbeitet und wenig verdient, gehört zu den Leistungsträgern genauso wie der Einkommensmillionär.

Was genau plant die SPD mit ihrer Steuerreform?

Mein Ziel ist es, unser Wahlprogramm Mitte Dezember zu beschließen. Dann werden wir die Details präsentieren. Fest steht: Wir wollen 95 Prozent der Steuerzahler entlasten und dafür das obere ein Prozent mehr in die Verantwortung nehmen.

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In einer internen Wahlkampfpräsentation der SPD steht, die CDU würde die Rente mit 70 anstreben. Merz hatte das bei einem Treffen der Jungen Union (JU) allerdings ausgeschlossen. Verbreiten Sie bewusst falsche Behauptungen?

Merz sagte auf dem "Deutschlandtag" der JU, er wolle das Thema nicht im Wahlkampf haben, um der SPD nicht das Feld zu überlassen. Merz ist also anderer Auffassung als wir, verheimlicht aber aus taktischen Gründen, was genau die CDU bei der Rente vorhat. Das werden wir ihm nicht durchgehen lassen. Der Oppositionsführer will Rentenkürzungen.

Auch das hat er öffentlich ausgeschlossen.

Das ist ein Taschenspielertrick von Merz. Wenn das Rentenniveau nicht gesetzlich abgesichert wird, führt das zwangsläufig zu einer Rentenkürzung. Wir kennen auch Aussagen von Jens Spahn, der die beitragsfreie Rente für Menschen, die 45 Jahre gearbeitet haben, abschaffen will, oder Gitta Connemann, die das Renteneintrittsalter anheben will. Die Union wackelt bei der Rente, und Friedrich Merz traut sich nicht, das auszusprechen.

Bei aller Kritik an Merz: Gibt es auch etwas, was Sie an ihm schätzen?

Er ist ein Demokrat mit Grundüberzeugungen. Er hat den Job des Oppositionsführers gut erledigt und den soll er auch weitermachen.

In einer Umfrage vergangene Woche landete die SPD gleichauf mit den Grünen – auf 14 Prozent. Machen Sie sich Sorgen, dass Habeck an Scholz vorbeizieht?

Das war eine Umfrage, andere zeichnen ein anderes Bild. Es wird ein Zweikampf Merz gegen Scholz. Die Grünen haben ihre eigenen Probleme. Habecks Entwurf eines Heizungsgesetzes hat doch gezeigt, dass die Grünen dazu neigen, Klimaschutz nicht sozial gerecht auszugestalten. Die SPD denkt die soziale und die ökologische Frage zusammen.

Robert Habeck präsentierte bei "Caren Miosga" eine eigene Version, wie es zum Streit über das Heizungsgesetz kam: Er hätte gerne früher die Pläne zur sozialen Förderung mit veröffentlicht, aber FDP und SPD hätten das verhindert.

Das ist eine Behauptung, die überhaupt keine Grundlage hat. Robert Habeck setzt sich gerade an die Küchentische der Republik, um sich ein Image als verständnisvoller Zuhörer zu geben. Soll er machen. Aber er sollte bitte keine Unwahrheiten verbreiten, sonst erschüttert das seine Glaubwürdigkeit.

Habeck lügt?

Robert Habeck sagt hier nicht die Wahrheit. Er hat ein Heizungsgesetz vorgelegt, das keinen sozialen Ausgleich vorsah und völlig chaotisch strukturiert war. Sein Haus war sich der sozialen Sprengkraft überhaupt nicht bewusst. Daher war sein Gesetzentwurf von Anfang an verhetzungsfähig. Nicht mal die vorgeschaltete kommunale Wärmeplanung war vorgesehen. Wir haben es dann im parlamentarischen Verfahren gerettet.

Sie haben von einem Zweikampf Merz gegen Scholz gesprochen. Die SPD steht in Umfragen bei 14 bis 16 Prozent, die Union konstant bei über 30 Prozent. Wie wollen Sie das in drei Monaten aufholen?

Die SPD kann Wahlkampf. Es stehen zwei sehr unterschiedliche Kandidaten zur Wahl: Olaf Scholz mit einer langjährigen Regierungserfahrung, der bewiesen hat, dass er dieses Land in unsicheren Zeiten führen kann. Auf der anderen Seite steht Friedrich Merz, der mit 69 Jahren noch kein einziges Regierungsamt innehatte. Das Kanzleramt ist eine Nummer zu groß für Merz.

Und für Scholz? Der hatte Führung versprochen, aber eine geplatzte Koalition geliefert. Konterkariert das nicht die Scholz-Erzählung vom guten, verlässlichen Regieren?

Über das destruktive Verhalten der FDP haben wir bereits gesprochen. Es geht aber auch um inhaltliche Fragen. Merz steht für eine andere Republik, ein Land im Stil der 60er-Jahre. Dafür greift er tief in alte Mottenkisten: Nebulöses "mehr Kapitalismus wagen" statt eines handlungsfähigen Staates, Respekt für das obere ein Prozent statt für die arbeitende Mitte, soziale Kälte statt gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wenn wir diese Punkte im Wahlkampf zuspitzen, werden sich die Bürger sehr genau überlegen, ob sie einen Merz im Kanzleramt sehen wollen.

Müssen Sie nicht aufpassen, Merz zu sehr zu dämonisieren? Sollte es nach der Wahl auf eine neue GroKo hinauslaufen – eine wahrscheinliche Option –, sollten Sie es sich mit der Union besser nicht allzu sehr verscherzen.

Wir dämonisieren nicht, wir benennen klar, wer Merz ist und was er vorhat. Wenn der Oppositionsführer Windräder "hässlich" nennt und davon träumt, sie wieder abzureißen, stellt er sich fast schon selbst ein Bein. Da müssen wir kaum nachhelfen.

Sprechen wir über den Ukraine-Krieg. Herr Miersch, hat Olaf Scholz gerade den Dritten Weltkrieg verhindert?

Ich finde, wir sollten hier nicht leichtfertig mit solchen Begriffen jonglieren. Vielen Menschen macht Krieg in Europa große Angst. Ich weiß, dass der Bundeskanzler seine Entscheidungen genau abwägt.

Scholz sagte vergangenen Freitag, als größter Unterstützer der Ukraine komme es auch darauf an, einen Krieg zwischen Russland und der Nato zu verhindern. Der Kanzler wörtlich: "Und ich bekenne mich dazu: Das habe ich getan." Gemeint war sein Nein zu den Taurus-Lieferungen. Eine ziemlich steile These, oder?

Der Kanzler verfügt auch über nachrichtendienstliche Erkenntnisse, die er in seine Entscheidungen einbezieht. Wir müssen sehr besonnen abwägen, welche Waffen wir liefern, um nicht zur Kriegspartei zu werden.

Mit nachrichtendienstlichen Erkenntnissen meinen Sie, dass Putin mit einer Eskalation gedroht hat, wenn Deutschland die Marschflugkörper liefert?

Das weiß ich nicht. Aber der Bundeskanzler hat einen Eid darauf geschworen, Schaden vom Volk abzuwenden. Das ist eine sehr große Verantwortung, auch für ihn persönlich.

Russland schießt die Ukraine gerade sturmreif, Trump könnte der Ukraine wichtige Hilfen entziehen. Welche Strategie verfolgt Deutschland gerade in der Ukraine?

Mit der Wahl von Donald Trump müssen wir genau hinschauen und die Lage neu bewerten. Auf Europa und Deutschland kommt womöglich mehr Verantwortung zu. Übrigens war es FDP-Chef Christian Lindner, der nicht bereit war, die Ukraine-Hilfen über einen Notlagenbeschluss aus dem Haushalt herauszunehmen. Damit hätten wir mehr Luft für die Unterstützung bekommen. Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen. Ob so etwas wie ein Waffenstillstand mit Putin möglich ist und zu welchem Preis, müssen wir sehen.


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"Wir unterstützen die Ukraine, solange wie nötig, und nach allen Möglichkeiten."


SPD-Generalsekretär Matthias miersch


Aber zu welchem Preis? Das BSW und die AfD würden auch Teile der Ukraine aufgeben, um den Kreml zu einer Waffenruhe zu ermutigen.

Es kann keinen Diktatfrieden geben. Jede Art von Waffenstillstand oder Friedensvertrag muss eine souveräne Entscheidung der Ukraine sein.

Aus der SPD kommen seit Langem Rufe nach mehr Diplomatie. Aber hat das Scholz-Telefonat mit Putin nicht gezeigt, wie wenig das bringt?

Gespräche, auch mit Diktatoren, sind nie sinnlos. Ich halte die Karikierung eines Telefonats auch für ziemlich problematisch. Natürlich bringt ein Telefongespräch nicht den Frieden, aber diese Erwartung hatte auch niemand, der sich seriös mit Diplomatie beschäftigt. Wir müssen die Kanäle nutzen, die wir haben.

Sie haben neulich Altkanzler Gerhard Schröder einen Platz in der Sozialdemokratie eingeräumt. Kritiker warfen Ihnen daraufhin vor, nicht nur Schröder als Person rehabilitieren zu wollen, sondern auch seine Russland-Positionen. Was erwidern Sie?

Dieser Vorwurf ist infam. Ich habe immer gesagt, für wie falsch ich Schröders Russlandkurs halte. Und solange der Kreml imperialistische Ziele in Europa verfolgt, ist nicht über eine Normalisierung der Beziehungen mit Moskau in irgendeiner Form nachzudenken. Wir unterstützen die Ukraine, solange wie nötig, und nach allen Möglichkeiten. Aber immer mit der Maxime, keine Kriegspartei zu werden.

Herr Miersch, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Matthias Miersch
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