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Schwarz-rote Koalition: Halten CDU und SPD zusammen?


Schwarz-Rot
Am seidenen Faden


27.05.2025 - 16:24 UhrLesedauer: 6 Min.
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Kanzler Merz (r.) und Vizekanzler Klingbeil (l.): außerordentlich bemüht, die Koalition zusammenzuhalten. (Quelle: Nadja Wohlleben/imago-images-bilder)
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Schwarz-Rot will aus den Fehlern der Ampel lernen und Dauerzoff in der Regierung unbedingt vermeiden. Doch schon jetzt zeigen sich erste Risse im Regierungsbündnis.

Wenn Friedrich Merz (CDU) sich am Mittwochvormittag mit seinen Ministerinnen und Ministern im Kanzleramt zur Kabinettssitzung zusammensetzt, dann wird Schwarz-Rot für einen Moment wie eine gut geschmierte Regierungsmaschine wirken: Ein Gesetzentwurf nach dem anderen wird dann abgenickt, verabschiedet und ans Parlament überwiesen.

Kein Wunder: Die Kabinettssitzung ist für gewöhnlich nicht der Ort, wo in der Sache über Vorhaben diskutiert wird, die in der Regierung noch wirklich umstritten sind. Auf der Tagesordnung landet, was "geeint" ist, wie es im Berliner Politikdeutsch heißt, wo die hohe Kunst des politischen Kompromisses also schon zu Ergebnissen geführt hat.

Das aber kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sie gibt: die höchst umstrittenen Projekte, über die Union und SPD seit Wochen streiten, auch öffentlich. Und das, obwohl sie sich vorgenommen hatten, das nicht mehr zu tun. Sich nicht mehr so zu zanken wie die Ampelregierung. Denn das hat Schwarz-Rot als eines der größten Probleme ihrer Vorgänger ausgemacht. Ihnen selbst soll das nicht passieren.

Für die ersten Wochen kann man bilanzieren: Sie waren stets bemüht. Aber so ganz klappt es eben nicht mit der Streitlosigkeit. Dafür denken und fühlen Union und SPD in entscheidenden Fragen wohl einfach zu unterschiedlich. Und nicht nur das macht weitere Konflikte wahrscheinlich.

Minenfeld Mindestlohn

Die Koalition steht noch gar nicht richtig, da geht es schon los mit dem Streit. Ende April – da läuft noch das SPD-Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag – prescht der damalige SPD-Generalsekretär und heutige Fraktionschef Matthias Miersch vor. Er droht mit einer gesetzlichen Regelung, sollte der Mindestlohn im nächsten Jahr nicht auf 15 Euro steigen.

Miersch wird die Drohung auch Wochen später mehrfach wiederholen und will damit signalisieren: Der 15-Euro-Mindestlohn ist für die SPD ein Herzensthema und zentrales Wahlkampfversprechen, für das sie notfalls auch kämpfen wird.

Das Problem: Eigentlich ist in Deutschland eine Kommission dafür zuständig, die Höhe des Mindestlohns festzulegen. Die Politik, so die Idee, soll sich heraushalten. Nur hat sie ihn aus Sicht der SPD in den vergangenen Jahren viel zu zögerlich erhöht, gerade in Zeiten steigender Preise. Zwar hat die Kommission im Januar ihre Geschäftsordnung geändert, was zu einer Erhöhung des Mindestlohns von knapp 15 Euro führen könnte. Doch die SPD bleibt skeptisch – und will weiter politisch Druck machen.

In der Union löst das regelmäßig Kopfschmerzen aus. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann schließt einen "politischen Mindestlohn" aus – und hat in der Sache recht: Denn im schwarz-roten Koalitionsvertrag steht nur, dass ein Mindestlohn von 15 Euro "erreichbar" sei. Von einer politischen Festlegung per Gesetz ist ausdrücklich nicht die Rede.

Die SPD versucht also in gewissem Sinne jetzt nachzuverhandeln, was ihr in den Koalitionsverhandlungen nicht gelungen ist. Für die Stabilität von Schwarz-Rot verheißt das nichts Gutes.

Dobrindts "Asylwende" – Brodeln unter der Oberfläche

Einen Tag, nachdem Friedrich Merz im zweiten Versuch zum Kanzler gewählt worden ist, stellt sich sein Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) vor die Presse. Er verkündet, dass Deutschland die Kontrollen an seinen Grenzen ausweiten und dort mehr Migranten zurückweisen will. Die Union feiert die "Asylwende" – auch wenn europäische Partner wie die Polen auch öffentlich Kritik üben.

In der SPD ist man von der Migrationsoffensive wenig begeistert. Obwohl auch die frühere SPD-Innenministerin Nancy Faeser temporäre Grenzkontrollen durchgesetzt hat, halten viele in der SPD den Zustand für nicht länger tragbar.

Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger ist eine der größten Skeptikerinnnen auf SPD-Seite: Es sei nicht "das schlauste Konzept", die Grenze mit tausenden Bundespolizisten an festen Punkten zu kontrollieren, so Rehlinger kürzlich. Auch belasteten die Grenzkontrollen den "wirtschaftlich wichtigen Grenzverkehr" mit den Nachbarländern. Sie hoffe, "schnellstmöglich zu besseren Lösungen" zu kommen.

Es ist eine sanfte, aber deutliche Kritik, die die großen Vorbehalte der SPD zeigt. Ihr Dilemma: Sie weiß, dass die Union in der Migrationspolitik punkten muss. Das ist eines der ungeschriebenen Gesetze dieser Koalition.

Gleichwohl ist auch die Geduld der Genossen endlich. Vor allem der linke Flügel der Partei sieht Dobrindts Vorhaben kritisch. Die Haltelinie der SPD bei den Zurückweisungen ist das Europarecht. Sollte ein Gericht entscheiden, dass sie rechtswidrig sind, wäre für die SPD wohl eine Grenze überschritten – und ein offener Konflikt kaum mehr vermeidbar.

Die Sache mit der Rente

Es ist nicht zufällig die Arbeits- und Sozialpolitik, die nur wenige Tage später wieder Streit auslöst. Hier gehen die Vorstellungen von Union und SPD besonders weit auseinander. Anlass ist dieses Mal ein Interview der neuen Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD). Sie schlägt vor, dass auch Beamte, Abgeordnete und Selbstständige in die Rentenversicherung einzahlen sollten.

Bas schiebt zwar hinterher, dass über die Ausgestaltung nun eine Rentenkommission beraten werde, wie im Koalitionsvertrag vereinbart. Aber es ist natürlich eine Positionierung – die prompte Reaktionen auslöst. "Es ist kein Vorschlag, der uns kurzfristig etwas bringt, er löst aber viel Verunsicherung aus", sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Steffen Bilger, nur wenige Tage später.

Und Bilger belässt es nicht dabei. Die Forderungen von Bas hätten "schon für Irritationen in unserer Fraktion gesorgt", sagt Bilger. "Insbesondere Regierungsmitglieder sollten sich an dem orientieren, was im Koalitionsvertrag vereinbart ist." Es ist klare Kritik am Koalitionspartner und ein deutlicher Appell.

Und was ist mit den Lieferketten?

Nur wenige Minuten später fällt Bilger seine Kritik sprichwörtlich auf die Füße. Ein Journalist fragt ihn, ob sich sein Appell zur Vertragstreue auch an den Bundeskanzler richte. Der hatte die EU gerade bei seinem ersten Besuch in Brüssel dazu aufgefordert, die Lieferkettenrichtlinie abzuschaffen. Es ist eine Forderung, die auch nicht im Koalitionsvertrag steht. Die SPD lehnt sie deutlich ab.

Bilger antwortet, sein Appell richte sich grundsätzlich an alle. Merz' Vorstoß findet er trotzdem nicht so schlimm. Immerhin habe man im Koalitionsvertrag vereinbart, sich für Entbürokratisierung einzusetzen. "Da passt das schon auch gut dazu." Was insofern stimmt, als es eine Idee sein könnte, wie das gelingen kann. Eine Idee jedoch, die nicht Konsens in der Koalition ist – genau wie Bas' Rentenvorstoß.

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Es ist eine Episode, die exemplarisch zeigt, wie schwierig das mit der Streitvermeidung ist, wenn es konkret wird. Dann, wenn allgemeine Absichtserklärungen aus dem Koalitionsvertrag in konkrete Politik verwandelt werden müssen.

Streiten, aber "zielgerichtet"?

Doch die Angst davor, sich im Streit zu zerreiben, treibt nicht jeden gleichermaßen um. SPD-Fraktionschef Miersch sagte etwa vergangene Woche: "Streit per se ist nichts Schlechtes und gehört zur Demokratie dazu."

Eine Warnung an den Koalitionspartner, der SPD nicht zu viel zuzumuten? Oder Ausdruck von Mierschs fester Überzeugung, dass gute Politik im Ringen um die beste Lösung besteht? Wahrscheinlich beides. Der SPD-Politiker hat auch gleich einen Vorschlag parat, wie das gelingen kann: Der Streit müsse "immer zielgerichtet" sein, so Miersch.

Also streiten wie die Ampel, nur eben besser? Was der SPD-Fraktionschef genau meint und wie man einen politischen Streit beherrschbar macht, ohne dass er ausartet, ist schwer zu sagen. In der Union lösen Mierschs Äußerungen jedenfalls einmal mehr Irritationen und Sorgen aus.

Und dann ist da noch die Welt da draußen

Das Problem ist, dass Streit in Regierungskoalitionen auf viele Arten entstehen kann. Er kann aber auch allein dadurch entstehen, dass die Welt sich ändert. Und das tut sie im Moment oft und heftig und ziemlich unvorhersehbar. Schon weil im Westen ein US-Präsident Donald Trump regiert und im Osten ein Kremlchef Wladimir Putin.

Die Eskalationen Putins auf der einen Seite und die Wirrnisse Trumps auf der anderen haben die Bundesregierung in ihrer kurzen Regierungszeit bereits mehrfach dazu gebraucht, ihren Kurs zu korrigieren. Etwa bei ihrer Haltung zum Fünfprozentziel der Nato.

Eigentlich wollte man darüber erst beim Nato-Gipfel Ende Juni sprechen. Doch dann spricht sich Außenminister Johann Wadephul (CDU) vor zwei Wochen spontan dafür aus, bald 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung und weitere 1,5 Prozent für militärisch nutzbare Infrastruktur auszugeben.

Das Kanzleramt rudert zunächst zurück und verweist auf den Nato-Gipfel. Doch schon wenig später, als er in Litauen an der Ostflanke der Nato steht, spricht sich auch Kanzler Merz für das Fünfprozentziel aus. Das missratene Telefonat Trumps mit Putin hatte in der Zwischenzeit die vage Aussicht auf einen Schulterschluss mit den USA und einen baldigen Waffenstillstand zunichtegemacht. Merz will also ein Zeichen setzen. Und bringt damit prompt wieder weite Teile der SPD gegen sich auf.

Nun ist es so, dass die Weltlage kompliziert bleiben dürfte, vielleicht noch deutlich komplizierter wird. Wenn es schlecht läuft, führt schon das in der Bundesregierung zu weiterem Streit. Denkbar ist aber auch, dass der Druck von außen die Koalition im Inneren zusammenrücken lässt. Es wäre das Szenario Zuversicht – ganz so, wie Schwarz-Rot es sich vorgestellt hatte.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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