Strack-Zimmermann "Wir hätten schon den Bau der Berliner Mauer verhindern können"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Will Wladimir Putin Krieg? Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann drängt auf eine härtere Gangart gegenüber Russland. Sie glaubt: Jede Schwäche rächt sich.
Etwa 120.000 russische Soldaten stehen an der Grenze zur Ukraine. Nato-Generalsekretär Stoltenberg warnt, er sehe eine "echte Gefahr für neue militärische Konflikte in Europa". Droht nun also ein Krieg mit Russland? Welches Ziel verfolgt Wladimir Putin überhaupt? Und warum tritt die SPD im Umgang mit dem Kreml so zurückhaltend auf?
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Ein Gespräch mit der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag, der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann.
t-online: Frau Strack-Zimmermann, Außenministerin Annalena Baerbock droht Wladimir Putin bei einer Invasion der Ukraine mit einem "hohen Preis", schließt Waffenlieferungen an die Ukraine aber aus. Sie selbst sagten kürzlich über den russischen Präsidenten: "Den Dialog verlacht er, wenn keine reale Stärke und Entschiedenheit dahinterstehen." Hat Putin im Moment also viel zu lachen?
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Da bin ich mir nicht so sicher. Wir erleben eine massive Eskalation, weil Putin ein Feuer gelegt hat. Und wir ...
... schauen hilflos zu.
Na, das hoffe ich doch nicht. Noch hat das russische Feuer nicht übergegriffen, weil Russland bisher seine Drohungen nicht wahr gemacht hat, die Ukraine anzugreifen. Die Argumentation Putins – die Nato beziehungsweise die EU sollten schnellstmöglich etwas unternehmen, damit sich niemand die Finger verbrennt – ist skurril. Der Brandstifter nötigt uns ab, das Feuer zu löschen. Sein Kalkül dabei ist klar: Er will nicht, dass die Ukraine in die Nato aufgenommen wird – und schon gar nicht, dass möglicherweise später andere Staaten wie der Grenznachbar Finnland oder Schweden folgen.
Ein Nato-Beitritt der Ukraine steht aber doch gar nicht ernsthaft zur Debatte.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat erneut betont, dass die europäische Sicherheitsstruktur nicht verhandelbar ist und sich jedes Land selbst aussuchen kann, welchem Bündnis es sich anschließen möchte. Das sorgt bei Putin offenbar für viel Unruhe. Dabei ist der Beitritt der Ukraine in der Tat momentan kein Thema. Mit seinem aggressiven Auftritt erreicht er nun das Gegenteil dessen, was er wollte: Finnland war bislang kein Nato-Mitglied, diskutiert nun auch darüber.
Was ist nach Ihrer Analyse Putins Antrieb?
Der russische Präsident lebt in der Vergangenheit – und will auch dorthin zurück. Er träumt gewissermaßen von einer Sowjetunion 2.0. Wir sind ja nicht wirklich mit einer neuen Entwicklung konfrontiert: Bereits vor 15 Jahren sprach er von den USA und Russland als einzig dominierenden Kräften in der Welt. 2014 zeigte er mit der Krim-Annexion und dem Angriff auf die Ostukraine, wozu er fähig ist. Und trotzdem schockieren mich die aktuellen Ereignisse.
Inwiefern?
Ich bin 1958 geboren, habe den Kalten Krieg miterlebt und jetzt ein heftiges Déjà-vu. Ich hätte es ernsthaft nicht für möglich gehalten, dass wir noch mal in eine so konfrontative Situation kommen könnten. Aber es zeigt sich eben auch einmal mehr: Schwäche gegenüber Russland rächt sich. Ich bin überzeugt davon, wir hätten schon den Bau der Berliner Mauer verhindern können, wenn die westlichen Alliierten damals entschiedener aufgetreten wären.
Aber wirklich entschieden treten wir Deutschen auch jetzt noch nicht auf. Unsere Botschaft an die Ukraine lautet: Waffen gibt es nicht, aber wir können ja bei Gelegenheit über Wasserstoff reden.
Über eine mögliche Waffenlieferung an die Ukraine wird doch bereits öffentlich diskutiert.
Auch in der Bundesregierung?
Wir haben in unserem Koalitionsvertrag vereinbart, dass keine Waffen in Krisengebiete geliefert werden sollen. Angesichts der aktuellen Lage und Betroffenheit unseres Kontinents sollten wir das im konkreten Fall überdenken: Die Lieferung von Defensivwaffen könnte eine Möglichkeit zur Unterstützung der Ukraine sein. Die gilt es dann aber zu definieren.
So viel Zeit bleibt aber vielleicht nicht. Was können Deutschland und die Nato jetzt konkret tun?
Die Ukraine ist zwar kein Mitglied der Nato. Aber unser westliches Bündnis darf nicht dabei zusehen, wie das Land von Putin mit seinen Panzern überrollt wird. Als Nato müssen wir an der Seite der Ukraine stehen.
Der SPD fällt es schwer, sich so klar gegenüber Russland zu positionieren.
Die Meinung der SPD zu Russland ist bekannt. Gerade deshalb ist es mir so wichtig, dass wir dem russischen Narrativ nicht auf den Leim gehen, wir müssten uns jetzt etwas einfallen lassen, damit Putin wieder freundlich zu uns ist. Das wäre wirklich naiv. Aber klar ist leider auch: Er wird so lange den Druck auf den Westen erhöhen, bis wir reagieren. Denn er weiß, dass Europa und die USA null Interesse an einem Krieg haben.
Ist Nord Stream 2 eigentlich ein privatwirtschaftliches Projekt, ein politisches – oder beides?
Angela Merkel hat immer – und ich behaupte mal wider besseres Wissen – erklärt, dass es sich um ein privatwirtschaftliches Projekt handelt. Das ist Nord Stream 2 natürlich nicht.
Es ist also ein politisches Projekt?
Hochpolitisch, denn es hat eine geostrategische Bedeutung. Und, um Ihre Nachfrage vorwegzunehmen: Ich teile die Auffassung von Annalena Baerbock, dass es ein Fehler wäre, dieses Projekt an den Start gehen zu lassen. Das wäre momentan wirklich das völlig falsche Signal.
Ist das denn eine Kompromisslinie in der Koalition, die auch die SPD mittragen kann: Wenn Putin einen Krieg anfängt, war es das mit Nord Stream 2?
Ich gehe davon aus.
Ist der Verlust von Deviseneinnahmen das wirksamste Druckmittel gegenüber Putin?
Russland hat mit mehr als 140 Millionen Einwohnern gerade die Wirtschaftskraft von Italien mit rund 60 Millionen Einwohnern. Deshalb hat Putin natürlich ein großes Interesse, möglichst viel Gas an den Westen zu verkaufen. Zumal es vielen Menschen in Russland wirklich schlecht geht. Der russische Präsident sollte sich um sein Volk kümmern, anstatt seinen Großmachtfantasien nachzurennen.
Das klingt, als käme jetzt ein "Aber".
Es läuft eben immer wieder wie schon im Mittelalter: Wenn es innerhalb einer Ritterburg Probleme gab, hat man eine andere Burg angegriffen, damit alle Burgbewohner sich wieder zusammenfinden. Ablenkung von eigenen Problemen durch Aggression gegenüber Dritten ist bedauerlicherweise ein trauriges, leider oft funktionierendes Mittel.
Nach der Annexion der Krim und der Wahl von Donald Trump waren die Europäer sich eigentlich einig, dass sie endlich in der Lage sein müssten, sich auch selbst zu verteidigen. Weitergekommen sind wir bei dem Vorhaben aber nicht, oder?
Der Wille ist da, die Umsetzung schwächelt. Die aktuelle Krise zeigt uns allerdings einmal mehr, wie sehr es an der Zeit ist, dass wir Europäer uns endlich mehr um unseren eigenen Kontinent kümmern müssen. Wir müssen nicht nur verteidigungsfähig, sondern auch verteidigungswillig sein.
Was folgt daraus denn konkret?
Zunächst einmal ein Mentalitätswechsel: Das Interesse an der eigenen geografischen Lage dominiert die meisten Länder. Wer etwa in Nordeuropa lebt, hat weniger den afrikanischen Kontinent im Blick als die europäischen Anrainer des Mittelmeers. Und die Westeuropäer fühlen sich nicht derart von Russland bedroht wie die baltischen Staaten in Osteuropa. Wir müssen aber in der Lage sein, immer die Perspektive des anderen einzunehmen, sodass ein Angriff auf ein EU-Mitglied, egal woher er kommt, immer ein Angriff auf ganz Europa ist – und damit auf unsere Werte und unsere Freiheit. Nur solange das nicht der Fall ist, können die Putins dieser Welt doch überhaupt nur versuchen, uns zu spalten.
Und was braucht es jenseits dieses Mentalitätswechsels?
Wir haben viele gute Formen der Zusammenarbeit zwischen einzelnen Armeen in Europa, aber das reicht nicht. Wir müssen ernsthaft an einer europäischen Armee arbeiten. Voraussetzung dafür ist allerdings eine gemeinsame und stringente EU-Außen- und Verteidigungspolitik.
In Deutschland sind höhere Militärausgaben nicht besonders populär. Ist die aktuelle Krise für eine Verteidigungspolitikerin wie Sie auch eine Chance, die Bundeswehr besser auszustatten?
Wir müssen in der Tat noch viel mehr Menschen davon überzeugen, dass mehr Mittel für die Bundeswehr gut investiertes Geld sind. Die aktuelle Situation führt uns doch dramatisch vor Augen, was geschieht, wenn wir das nicht tun. Jedem in Deutschland muss klar sein, dass unsere Freiheit eben keine Selbstverständlichkeit ist.
Frau Strack-Zimmermann, vielen Dank für das Gespräch.
- Telefonisches Interview mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann