Traditionsbrennerei sucht Schnaps-Alternative
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr fΓΌr Sie ΓΌber das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Einen Obstler nach dem Essen gibt es nur noch selten. Immer mehr Leute greifen zu alkoholfreien Alternativen. Die Traditionsbrennerei Ziegler will sich deshalb neu aufstellen.
"Einen Ouzo?", fragt der griechische Wirt nach dem Essen. "Einen Limoncello, einen Grappa?", der italienische. Das deutsche Pendant, der klassische Obstler, wird in GaststΓ€tten dagegen nur noch selten angeboten β was fΓΌr traditionelle Schnapsbrenner zunehmend zum Problem wird.
Eines der betroffenen Unternehmen ist die Brennerei Ziegler aus dem nordbadischen Freudenberg. Seit Jahrzehnten ist Ziegler vor allem fΓΌr ihren Kirschschnaps in der ungewΓΆhnlichen Vierkant-Flasche bekannt.
FΓΌr Chef Andreas Rock heiΓt es jetzt umdenken. "Der Markt fΓΌr Digestifs ist leicht rΓΌcklΓ€ufig. Ziegler hat Jahrzehnte nur nach dem Essen stattgefunden, nun wollen wir auch der Auftakt eines tollen Abends werden und bei den Aperitifs mitmischen", sagte er t-online bei einer WerksfΓΌhrung.
Vom frisch renovierten Schankraum, der mit verschiedenen Flaschen aus der ΓΌber 150-jΓ€hrigen Geschichte dekoriert und mit einer Holztafel und 16 SamtstΓΌhlen ausgestattet ist, geht es durch eine abgerundete dunkle HolztΓΌr. Die glΓ€nzend polierten Brennkessel dahinter sind ungewΓΆhnlich ruhig β aktuell herrscht Brennpause, erst im Herbst geht es mit neuem Obst weiter. In einem kleinen Verkaufsraum dahinter werden die klassischen Schnapsflaschen, der Hauswhiskey und seit Kurzem auch ein neuer Aperitif auf dunklen Holzregalen prΓ€sentiert.
Deutsche trinken weniger Alkohol
Rock und sein Team reagieren mit dem neuen Produkt auf einen sich verΓ€ndernden Markt. Nicht nur der Konsum von Digestifs sinkt. Die Deutschen trinken insgesamt weniger Alkohol als noch vor einigen Jahren. Lag im Jahr 1990 der Pro-Kopf-Verbrauch von reinem Alkohol bei Personen ab 15 Jahren in Deutschland noch bei 13,4 Litern pro Jahr, so sank dieser Wert bis 2020 auf durchschnittlich 10 Liter.
Besonders deutlich ist dabei der Bierkonsum zurΓΌckgegangen. Der Pro-Kopf-Verbrauch von jΓ€hrlich 142,7 Litern (1990) sank auf 94,6 Liter (2020) β ein Minus von mehr als 33 Prozent. Aber auch bei Spirituosen ist ein RΓΌckgang zu verzeichnen. Im Jahr 1990 tranken die Deutschen im Schnitt 6,2 Liter an BrΓ€nden und SchnΓ€psen pro Jahr. 2020 waren es noch 5,2 Liter.
Vor allem Jugendliche trinken deutlich weniger Alkohol. In der sogenannten Alkoholsurvey der Bundeszentrale fΓΌr gesundheitliche AufklΓ€rung gaben im Jahr 2021 nur noch 8,7 Prozent der 12- bis 17-JΓ€hrigen an, regelmΓ€Γig, also mindestens einmal wΓΆchentlich, Alkohol zu trinken. Im Jahr 2004 lag der Wert noch bei 21,2 Prozent der Jugendlichen. Und ein erheblicher Anteil junger Menschen trinkt gar nicht: In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov gaben 2022 mit 49 Prozent fast die HΓ€lfte der 18- bis 24-JΓ€hrigen an, gar keinen Alkohol zu konsumieren.
Mit Ringelblume und ApfelblΓΌte zur neuen Zielgruppe
Diesen verΓ€nderten Trinkgewohnheiten wollen immer mehr Marken gerecht werden. War vor einigen Jahren noch kaum ein alkoholfreier Sekt zu finden, stehen in vielen SupermΓ€rkten mittlerweile gleich mehrere zur Auswahl β darunter groΓe Namen wie RotkΓ€ppchen und Freixenet. Und selbst Spirituosen gibt es mittlerweile alkoholfrei. Im Onlineshop "NΓΌchtern Berlin" finden sich so mehr als 200 alkoholfreie Ersatzprodukte.
Ganz alkoholfrei will man bei Ziegler in Freudenberg noch nicht durchstarten. Ob auch solche Produkte in Planung sind, dazu hΓ€lt sich Rock bedeckt. ZunΓ€chst einmal soll eine Variante mit niedrigerem Alkoholgehalt dem Traditionsbetrieb eine neue Zielgruppe erschlieΓen.
Wenn es nach ihm geht, schmeckt der Sommer kΓΌnftig nach Stachelbeere, Kirsche, Ringelblume und ApfelblΓΌte. Denn all das steckt im Wildwiesen-Aperitif "Zeitgeist". Elf Monate wurde daran getΓΌftelt, dann sollte es im Sommer 2022 losgehen: einfach mit Tonic Water oder Sekt aufgieΓen, mit BlΓΌte garnieren, fertig. Eigentlich.
Doch der Ukraine-Krieg fΓΌhrte zu EngpΓ€ssen in der Glasindustrie und verzΓΆgerte die Auslieferung. Das ist nun ΓΌberwunden und Rock hofft auf eine erfolgreiche erste Saison. Der Anspruch ist dabei groΓ. "Wir wollen den Aperol auf der Terrasse mit unserem Sommer-Drink herausfordern", so Rock.
Γber 150 Jahre Geschichte und lokale Verbundenheit
Die Ambitionen hΓ€ngen auch mit der Geschichte des Unternehmens zusammen. 1865 begann die Familie Ziegler ihr GeschΓ€ft zunΓ€chst als Brauerei mit Brennrecht. Der groΓe Durchbruch kam in den 1980er-Jahren, als der damalige GeschΓ€ftsfΓΌhrer Thomas Ziegler den Wildkirsch-Schnaps in der Sternegastronomie platzierte. Danach landete er schnell auf der GetrΓ€nkekarte der ersten Klasse bei Lufthansa. Sogar der frΓΌhere Bundeskanzler Helmut Kohl lobte den Obstbrand.
"Der Name Ziegler ist grΓΆΓer als die Brennerei", sagt Destillateurmeister Paul Maier. Denn trotz der namhaften Kooperationen sitzt das Unternehmen weiterhin im beschaulichen Freudenberg am Main und beschΓ€ftigt etwa 30 Mitarbeiter. Maier kommt gebΓΌrtig aus der knapp 4.000-Einwohner-Stadt und arbeitet mittlerweile seit 16 Jahren bei Ziegler, sein Meisterbrief hΓ€ngt neben dem Brennkessel.
Die anstehenden VerΓ€nderungen machen ihm keine Sorgen, vielmehr freue er sich ΓΌber den Erfolg der neuen Kreationen. "Die neuen Produkte werden gerne genommen, die Gastronomen freuen sich ΓΌber ErgΓ€nzungen fΓΌr ihre Karte", berichtet Maier beim Gang zum FΓ€sselager. Er selbst trinkt den neuen Zeitgeist-Aperitif am liebsten mit Tonic.
1.500 FΓ€sser im Lager
Denn fΓΌr seine BrΓ€nde verarbeitet Ziegler jΓ€hrlich zwischen 600 und 800 Tonnen Obst. Im sogenannten Doppelbrandverfahren werden diese in die bekannten SchnΓ€pse der Firma verwandelt. "80 Prozent der QualitΓ€t liegt am Obst", sagt Maier, daher sei es wichtig, das Obst nach dem Eintreffen ausgiebig zu sichten und auszusortieren.
Fast alle Obstsorten kΓ€men aus dem direkten Umkreis, berichtet Maier. Ausnahmen wΓΌrden nur fΓΌr Sorten gemacht, die in Franken nicht wachsen, wie etwa die Williams-Christ-Birne. Dann muss der Schnaps je nach Sorte drei bis sechs Jahre lagern. Insgesamt umfasst das Lager von Ziegler so rund 1.500 FΓ€sser.
Im Felsenkeller stehen die RaritΓ€ten
Die lange Tradition kΓΆnnen Kunden nicht nur in den aktuellen JahrgΓ€ngen schmecken. Nur wenige Meter von der Brennerei entfernt liegt das Felsenlager des Unternehmens. Dort befindet sich das trinkbare Archiv. Oder wie Rock in Anspielung auf den durch James Bond bekannt gewordenen US-amerikanischen ArmeestΓΌtzpunkt sagt: Fort Knox.
In bauchigen 25-Liter-GefΓ€Γen werden hier die SchΓ€tze der vergangenen Hundert Jahre gelagert. Der Γ€lteste Schnaps stammt aus dem Jahr 1924. Wer von diesen jahrzehntealten BrΓ€nden eine Flasche erwerben mΓΆchte, muss mit mehreren Hundert bis sogar Tausend Euro, je nach Jahrgang, rechnen.
"Tradition allein reicht auf Dauer nicht"
"BrΓ€nde verbinden und haben immer noch viele Fans, die sich etwas Besonderes gΓΆnnen mΓΆchten wie einen guten Wein oder eine edle Zigarre. Aber Tradition allein reicht auf Dauer nicht", sagt GeschΓ€ftsfΓΌhrer Rock. FΓΌr den neuen Wind ist er nun verantwortlich.
Rock ist seit zweieinhalb Jahren in Freudenberg. Der gebΓΌrtige Γsterreicher hat in Wien Wirtschaftswissenschaften studiert, er hat fΓΌr Red Bull gearbeitet und das Unternehmen "Taste & Tech" gegrΓΌndet. Die MΓΆglichkeit, eine Traditionsmarke neu zu denken und zukunftsfΓ€hig zu machen, lockte ihn nach Baden-WΓΌrttemberg. Ein Familienbetrieb war Ziegler schon seit der Γbernahme durch die Handelsgesellschaft Hawesko 1989 nicht mehr.
Im ersten Schritt verkleinerte Rock 2022 die Produktpalette und vereinheitlichte die Designs. "Wir begreifen uns als 158-jΓ€hriges Start-up", sagt er β nicht ohne zugleich wie ein Unternehmensberater zu klingen. Nicht nur eine verΓ€nderte Nachfrage hΓ€lt ihn dabei auf Trab, auch der Klimawandel spiele eine immer grΓΆΓere Rolle fΓΌr die Unternehmensentscheidungen.
Auch hier hat das Unternehmen groΓe Ziele: Sie wollen die erste klimaneutrale Brennerei werden. DafΓΌr wurden bereits die Verpackungskartons abgeschafft, die Korken geΓ€ndert, das Glas der Flaschen wurde dΓΌnner. Zudem arbeitet die Firma mit dem Naturschutzbund (Nabu) beim sogenannten Wildwiesen-Fonds zusammen.
Doch das allein wird nicht reichen. "Wir kΓΆnnen Klimaprobleme nicht ignorieren, da es auch unsere GeschΓ€ftsgrundlage betrifft", sagt Rock. Und die Grundlage braucht es, denn wenn es nach ihm geht, soll in Freudenberg noch viele weitere Jahrzehnte gebrannt werden.
- Besuch in Freudenberg bei der Firma Ziegler
- GesprΓ€ch mit Andreas Rock
- Deutsche Hauptstelle fΓΌr Suchtfragen e.V.: Alkohol - Zahlen, Daten, Fakten
- faz.net: "Fast die HΓ€lfte der jungen Erwachsenen trinkt keinen Alkohol"
- lebensmittelzeitung.net: "Hawesko stΓΆΓt Ziegler ab"