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Schnapsbrenner in der Krise: So reagiert die Traditions-Brennerei Ziegler


"Wollen Aperol auf Terrasse herausfordern"
Traditionsbrennerei sucht Schnaps-Alternative

Von Frederike Holewik

Aktualisiert am 06.06.2023Lesedauer: 5 Min.
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Tablett mit Getränken (Symbolbild): Grade an warmen Tagen sind Aperitifs beliebt, da will auch die Brennerei Ziegler mitmischen. (Quelle: IMAGO/Silas Stein)

Einen Obstler nach dem Essen gibt es nur noch selten. Immer mehr Leute greifen zu alkoholfreien Alternativen. Die Traditionsbrennerei Ziegler will sich deshalb neu aufstellen.

"Einen Ouzo?", fragt der griechische Wirt nach dem Essen. "Einen Limoncello, einen Grappa?", der italienische. Das deutsche Pendant, der klassische Obstler, wird in Gaststätten dagegen nur noch selten angeboten – was für traditionelle Schnapsbrenner zunehmend zum Problem wird.

Eines der betroffenen Unternehmen ist die Brennerei Ziegler aus dem nordbadischen Freudenberg. Seit Jahrzehnten ist Ziegler vor allem für ihren Kirschschnaps in der ungewöhnlichen Vierkant-Flasche bekannt.

Für Chef Andreas Rock heißt es jetzt umdenken. "Der Markt für Digestifs ist leicht rückläufig. Ziegler hat Jahrzehnte nur nach dem Essen stattgefunden, nun wollen wir auch der Auftakt eines tollen Abends werden und bei den Aperitifs mitmischen", sagte er t-online bei einer Werksführung.

Vom frisch renovierten Schankraum, der mit verschiedenen Flaschen aus der über 150-jährigen Geschichte dekoriert und mit einer Holztafel und 16 Samtstühlen ausgestattet ist, geht es durch eine abgerundete dunkle Holztür. Die glänzend polierten Brennkessel dahinter sind ungewöhnlich ruhig – aktuell herrscht Brennpause, erst im Herbst geht es mit neuem Obst weiter. In einem kleinen Verkaufsraum dahinter werden die klassischen Schnapsflaschen, der Hauswhiskey und seit Kurzem auch ein neuer Aperitif auf dunklen Holzregalen präsentiert.

Deutsche trinken weniger Alkohol

Rock und sein Team reagieren mit dem neuen Produkt auf einen sich verändernden Markt. Nicht nur der Konsum von Digestifs sinkt. Die Deutschen trinken insgesamt weniger Alkohol als noch vor einigen Jahren. Lag im Jahr 1990 der Pro-Kopf-Verbrauch von reinem Alkohol bei Personen ab 15 Jahren in Deutschland noch bei 13,4 Litern pro Jahr, so sank dieser Wert bis 2020 auf durchschnittlich 10 Liter.

Besonders deutlich ist dabei der Bierkonsum zurückgegangen. Der Pro-Kopf-Verbrauch von jährlich 142,7 Litern (1990) sank auf 94,6 Liter (2020) – ein Minus von mehr als 33 Prozent. Aber auch bei Spirituosen ist ein Rückgang zu verzeichnen. Im Jahr 1990 tranken die Deutschen im Schnitt 6,2 Liter an Bränden und Schnäpsen pro Jahr. 2020 waren es noch 5,2 Liter.

Vor allem Jugendliche trinken deutlich weniger Alkohol. In der sogenannten Alkoholsurvey der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gaben im Jahr 2021 nur noch 8,7 Prozent der 12- bis 17-Jährigen an, regelmäßig, also mindestens einmal wöchentlich, Alkohol zu trinken. Im Jahr 2004 lag der Wert noch bei 21,2 Prozent der Jugendlichen. Und ein erheblicher Anteil junger Menschen trinkt gar nicht: In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov gaben 2022 mit 49 Prozent fast die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen an, gar keinen Alkohol zu konsumieren.

Mit Ringelblume und Apfelblüte zur neuen Zielgruppe

Diesen veränderten Trinkgewohnheiten wollen immer mehr Marken gerecht werden. War vor einigen Jahren noch kaum ein alkoholfreier Sekt zu finden, stehen in vielen Supermärkten mittlerweile gleich mehrere zur Auswahl – darunter große Namen wie Rotkäppchen und Freixenet. Und selbst Spirituosen gibt es mittlerweile alkoholfrei. Im Onlineshop "Nüchtern Berlin" finden sich so mehr als 200 alkoholfreie Ersatzprodukte.

Ganz alkoholfrei will man bei Ziegler in Freudenberg noch nicht durchstarten. Ob auch solche Produkte in Planung sind, dazu hält sich Rock bedeckt. Zunächst einmal soll eine Variante mit niedrigerem Alkoholgehalt dem Traditionsbetrieb eine neue Zielgruppe erschließen.

Wenn es nach ihm geht, schmeckt der Sommer künftig nach Stachelbeere, Kirsche, Ringelblume und Apfelblüte. Denn all das steckt im Wildwiesen-Aperitif "Zeitgeist". Elf Monate wurde daran getüftelt, dann sollte es im Sommer 2022 losgehen: einfach mit Tonic Water oder Sekt aufgießen, mit Blüte garnieren, fertig. Eigentlich.

Doch der Ukraine-Krieg führte zu Engpässen in der Glasindustrie und verzögerte die Auslieferung. Das ist nun überwunden und Rock hofft auf eine erfolgreiche erste Saison. Der Anspruch ist dabei groß. "Wir wollen den Aperol auf der Terrasse mit unserem Sommer-Drink herausfordern", so Rock.

Über 150 Jahre Geschichte und lokale Verbundenheit

Die Ambitionen hängen auch mit der Geschichte des Unternehmens zusammen. 1865 begann die Familie Ziegler ihr Geschäft zunächst als Brauerei mit Brennrecht. Der große Durchbruch kam in den 1980er-Jahren, als der damalige Geschäftsführer Thomas Ziegler den Wildkirsch-Schnaps in der Sternegastronomie platzierte. Danach landete er schnell auf der Getränkekarte der ersten Klasse bei Lufthansa. Sogar der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl lobte den Obstbrand.

"Der Name Ziegler ist größer als die Brennerei", sagt Destillateurmeister Paul Maier. Denn trotz der namhaften Kooperationen sitzt das Unternehmen weiterhin im beschaulichen Freudenberg am Main und beschäftigt etwa 30 Mitarbeiter. Maier kommt gebürtig aus der knapp 4.000-Einwohner-Stadt und arbeitet mittlerweile seit 16 Jahren bei Ziegler, sein Meisterbrief hängt neben dem Brennkessel.

Die anstehenden Veränderungen machen ihm keine Sorgen, vielmehr freue er sich über den Erfolg der neuen Kreationen. "Die neuen Produkte werden gerne genommen, die Gastronomen freuen sich über Ergänzungen für ihre Karte", berichtet Maier beim Gang zum Fässelager. Er selbst trinkt den neuen Zeitgeist-Aperitif am liebsten mit Tonic.

1.500 Fässer im Lager

Denn für seine Brände verarbeitet Ziegler jährlich zwischen 600 und 800 Tonnen Obst. Im sogenannten Doppelbrandverfahren werden diese in die bekannten Schnäpse der Firma verwandelt. "80 Prozent der Qualität liegt am Obst", sagt Maier, daher sei es wichtig, das Obst nach dem Eintreffen ausgiebig zu sichten und auszusortieren.

Fast alle Obstsorten kämen aus dem direkten Umkreis, berichtet Maier. Ausnahmen würden nur für Sorten gemacht, die in Franken nicht wachsen, wie etwa die Williams-Christ-Birne. Dann muss der Schnaps je nach Sorte drei bis sechs Jahre lagern. Insgesamt umfasst das Lager von Ziegler so rund 1.500 Fässer.

Im Felsenkeller stehen die Raritäten

Die lange Tradition können Kunden nicht nur in den aktuellen Jahrgängen schmecken. Nur wenige Meter von der Brennerei entfernt liegt das Felsenlager des Unternehmens. Dort befindet sich das trinkbare Archiv. Oder wie Rock in Anspielung auf den durch James Bond bekannt gewordenen US-amerikanischen Armeestützpunkt sagt: Fort Knox.

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In bauchigen 25-Liter-Gefäßen werden hier die Schätze der vergangenen Hundert Jahre gelagert. Der älteste Schnaps stammt aus dem Jahr 1924. Wer von diesen jahrzehntealten Bränden eine Flasche erwerben möchte, muss mit mehreren Hundert bis sogar Tausend Euro, je nach Jahrgang, rechnen.

"Tradition allein reicht auf Dauer nicht"

"Brände verbinden und haben immer noch viele Fans, die sich etwas Besonderes gönnen möchten wie einen guten Wein oder eine edle Zigarre. Aber Tradition allein reicht auf Dauer nicht", sagt Geschäftsführer Rock. Für den neuen Wind ist er nun verantwortlich.

Rock ist seit zweieinhalb Jahren in Freudenberg. Der gebürtige Österreicher hat in Wien Wirtschaftswissenschaften studiert, er hat für Red Bull gearbeitet und das Unternehmen "Taste & Tech" gegründet. Die Möglichkeit, eine Traditionsmarke neu zu denken und zukunftsfähig zu machen, lockte ihn nach Baden-Württemberg. Ein Familienbetrieb war Ziegler schon seit der Übernahme durch die Handelsgesellschaft Hawesko 1989 nicht mehr.

Im ersten Schritt verkleinerte Rock 2022 die Produktpalette und vereinheitlichte die Designs. "Wir begreifen uns als 158-jähriges Start-up", sagt er – nicht ohne zugleich wie ein Unternehmensberater zu klingen. Nicht nur eine veränderte Nachfrage hält ihn dabei auf Trab, auch der Klimawandel spiele eine immer größere Rolle für die Unternehmensentscheidungen.

Auch hier hat das Unternehmen große Ziele: Sie wollen die erste klimaneutrale Brennerei werden. Dafür wurden bereits die Verpackungskartons abgeschafft, die Korken geändert, das Glas der Flaschen wurde dünner. Zudem arbeitet die Firma mit dem Naturschutzbund (Nabu) beim sogenannten Wildwiesen-Fonds zusammen.

Doch das allein wird nicht reichen. "Wir können Klimaprobleme nicht ignorieren, da es auch unsere Geschäftsgrundlage betrifft", sagt Rock. Und die Grundlage braucht es, denn wenn es nach ihm geht, soll in Freudenberg noch viele weitere Jahrzehnte gebrannt werden.

Verwendete Quellen
  • Besuch in Freudenberg bei der Firma Ziegler
  • Gespräch mit Andreas Rock
  • Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V.: Alkohol - Zahlen, Daten, Fakten
  • faz.net: "Fast die Hälfte der jungen Erwachsenen trinkt keinen Alkohol"
  • lebensmittelzeitung.net: "Hawesko stößt Ziegler ab"
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