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Ökonom Lars Feld: "Ich halte die Schuldenbremse weiter für richtig" | Ampel


Top-Ökonom Lars Feld
"Das wäre totaler Wahnsinn"

  • Florian Schmidt
InterviewVon Florian Schmidt

Aktualisiert am 22.11.2023Lesedauer: 6 Min.
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Verfechter der Schuldenbremse: Bis 2020 war der Ökonom Lars Feld Chef der Wirtschaftsweisen, heute berät er Finanzminister Christian Lindner. (Quelle: IMAGO/imago-images-bilder)

Die Schuldenbremse steht in der Kritik: Lässt sich mit ihr überhaupt noch Staat machen? Der Ökonom Lars Feld verteidigt sie – und erklärt, wo die Ampel jetzt sparen sollte.

Die Bundesregierung ist in schwerer Geldnot. Nach der Grundsatzentscheidung des Verfassungsgerichts zur Schuldenbremse wackelt sowohl der Bundeshaushalt 2023 als auch der fürs kommende Jahr.

SPD und Grüne würden die Schuldenbremse deshalb gerne reformieren, großzügig lockern, um jetzt nicht im großen Stil sparen zu müssen. Die FDP ist dagegen – und bekommt Unterstützung von Lars Feld. Im Interview mit t-online erklärt der Ökonom – früher Chef der Wirtschaftsweisen, heute Berater von Finanzminister Christian Lindner –, warum er an dem Instrument weiter festhält und wie die Ampel die Haushaltskrise lösen könnte.

t-online: Herr Feld, wie viele Male pro Tag telefonieren Sie gerade mit Christian Lindner?

Lars Feld: Der Minister hat derzeit so viele Nachtsitzungen zu absolvieren, dass er kaum zu Telefonaten kommt.

Sie sind einer der letzten Ökonomen, die vehement an der Schuldenbremse festhalten. Warum?

Ach, es gibt noch einige andere, zum Beispiel Thiess Büttner, den Chef des Stabilitätsrates. Aber Sie haben recht: Ich halte die Schuldenbremse weiter für richtig. Und zwar aus guten Gründen.

Nämlich?

Die Schuldenbremse soll das staatliche Schuldenmachen klarer einschränken als der frühere Grundgesetz-Artikel 115. Und das hat sie auch geschafft. Sie zwingt den Staat dazu, künftigen Generationen nicht einen Berg an Schulden zu überlassen, die sie finanziell stark einschränkt. Das ist gut so. Und zugleich bietet sie Flexibilität, sowohl in normalen Zeiten, über die Konjunkturkomponente, als auch in Krisensituationen wie zuletzt, indem sie Ausnahmen zulässt.

Kritiker sagen: Mit der Schuldenbremse in ihrer aktuellen Form werden staatliche Investitionen, etwa zum Erreichen der Klimaneutralität, fast unmöglich. Ist das so?

Das stimmt nicht. Seit der Einführung der Schuldenbremse im Jahr 2009 sind die staatlichen Investitionen stärker gestiegen als das Bruttoinlandsprodukt. Das heißt also: Investitionen sind möglich, sogar mehr als man erwarten mag.

Aber?

In demselben Zeitraum sind die staatlichen Transfers, etwa durch Leistungen wie die Mütterrente, noch stärker angestiegen als die Investitionen. Überspitzt ließe sich sagen: Wir haben die goldenen Jahre niedriger Zinsen und steigender Steuereinnahmen nicht gut genutzt, damit Deutschland fit wird für die Zukunft.

Was sich jetzt rächt. Der Ökonom Jens Südekum plädierte deshalb im t-online-Interview für die Rückkehr zur "goldenen Regel": Investitionen zum Beispiel für den Klimaschutz sollten von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Was halten Sie davon?

Wenig. In der Debatte herrscht eine Begriffsverwirrung vor: Diejenigen, die jetzt nach "Investitionen" rufen, meinen nämlich eigentlich "Subventionen". Schauen Sie sich den Klima- und Transformationsfonds (KTF) an, den jetzt das Verfassungsgericht ins Visier genommen hat: Der sollte unter anderem die Kostenübernahme der EEG-Umlage finanzieren und die Standortförderung für die Mikrochipfabrik von Intel. Das sind alles staatliche Subventionen, aber keine staatlichen Investitionen für mehr Klimaschutz. Das Einzige, was im KTF als Infrastrukturinvestition durchgeht, sind die Gelder für den Schienenausbau der Bahn.

Die es wirklich nötig hat …

Absolut. Aber diese Mittel ließen sich auch aus dem Haushalt finanzieren. Wir brauchen weder ein Sondervermögen noch ein Aufweichen der Schuldenbremse, nur damit noch mehr Subventionen fließen, wie es sich Grüne und SPD wünschen.

Aber andere Länder fördern ihre Wirtschaft doch auch im großen Stil, zum Beispiel die USA. Wenn Intel seine Fabrik deshalb jetzt in New Jersey statt in Magdeburg baut, kann das doch auch nicht im Sinne der Wirtschaft sein, oder?

Ich habe kein Problem damit, wenn Intel nicht wegen solcher Anreize nach Deutschland kommt. Der EU-Kommissar für Wirtschaft, Paolo Gentiloni, hat zu diesem Subventionswettlauf unlängst gesagt: "Wenn alle Fleischfresser sind, ergibt es keinen Sinn, Pflanzenfresser zu sein." Das ist in meinen Augen völlig falsch. Gerade dann ergibt es Sinn, Pflanzenfresser zu sein, weil pflanzliche Produkte billiger sind. Die Analogie ist: Wenn Firmen des Fördergeldes wegen lieber in den USA investieren als bei uns, dann sollten wir lieber versuchen, mit anderen Anreizen für uns zu werben. Etwa durch weniger Regulierung, niedrigere Steuern oder durch einen Abbau der Bürokratie.

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(Quelle: IMAGO/imago-images-bilder)

Der Ökonom Lars P. Feld, Jahrgang 1966, zählt zu den einflussreichsten Wirtschaftsexperten des Landes. Bis 2021 war er zehn Jahre lang Teil der fünf Wirtschaftsweisen, heute berät der Professor für Wirtschaftspolitik (Universität Freiburg) Finanzminister Christian Lindner. Feld gilt als Vertreter des Ordoliberalismus, setzt sich also für die soziale Marktwirtschaft und einen möglichst schlanken Staat ein, für niedrige Steuern und einen Abbau staatlicher Subventionen.

Das hilft allerdings nicht bei allen derzeitigen Herausforderungen, etwa im Gebäudesektor, wo für den Klimaschutz Millionen Heizungen ausgetauscht werden müssen. Wie stehen Sie zu der Idee, immerhin dafür einen Sondertopf ähnlich dem für die Bundeswehr im Grundgesetz zu verankern?

Ich würde auch dafür kein Sondervermögen aufsetzen. Ja, es ist sinnvoll, im Gebäudesektor nicht nur auf eine höhere CO2-Bepreisung zu setzen, weil Deutschland ein Land der Mieter ist und die Vermieter die höheren Kosten dann einfach weiterreichen könnten. Eine Förderung für den Heizungstausch ist deshalb schon richtig. Aber die können wir auch im regulären Haushalt abbilden.

Das Loch in den Bundesfinanzen ist inzwischen rund 100 Milliarden Euro groß. Was passiert, wenn die Bundesregierung es nicht gestopft bekommt?

Ich wäre bei dieser Zahl vorsichtig. Wir sollten erst einmal den endgültigen Kassensturz für 2024 und die folgenden Jahre abwarten, dann wissen wir, um wie viel Geld es wirklich geht.


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Die Klimakrise kann für die Ausnahme von der Schuldenbremse nicht herhalten.


Lars Feld


Für das laufende Jahr 2023 ist aber schon sicher, dass rund 37 Milliarden Euro fehlen, die aus dem Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds (WSF) geflossen sind – obwohl das, wie wir jetzt wissen, gegen die Schuldenbremse verstieß.

Deshalb muss jetzt ein Nachtragshaushalt her. Sonst kann der Bund das Haushaltsjahr 2023 nicht verfassungskonform abschließen. Und weil der Bund diese 37 Milliarden Euro nicht hat, dafür also neue Schulden aufnehmen muss, führt kein Weg daran vorbei: Der Bundestag muss die Schuldenbremse für 2023 jetzt noch einmal aussetzen.

Dafür muss die Regierung wiederum nachträglich eine Notlage erklären. Wie ließe die sich begründen?

Das ist tatsächlich gar nicht so einfach. Denn die Regeln, die das Verfassungsgericht dafür jetzt gesetzt hat, sind sehr eng. Klar ist: Der Ukraine-Krieg und seine Folgen, auch die steigenden Energiepreise, sind inzwischen weit entfernt. Gleichwohl war die Energiekrise zu Beginn dieses Jahres noch sehr spürbar. Hier besteht eine besondere Begründungspflicht. Die Klimakrise kann dafür hingegen nicht herhalten, denn das Gericht urteilt: Eine solche große Krise ist keine plötzlich aufgetretene Naturkatastrophe, das konnte man schon lange vorhersehen, das ist keine akute Notlage.

Und was ist es dann?

Ich denke, die Regierung könnte als Grund angeben, dass sie bis zum Urteil aus Karlsruhe vergangene Woche nicht wusste, dass ihre bisherige Buchhaltungspraxis nicht verfassungskonform war. Das Finanzministerium nahm bis zuletzt an, dass alles seine Richtigkeit hatte, dass es die Folgen von Krieg und Energiekrise mit der Einrichtung von Sondervermögen abmildern darf. Die zur Abwendung der Energiekrise eingesetzten Mittel lassen sich daher durchaus zur Bewältigung einer Notlage einsetzen.

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Die 37 Milliarden Euro, die für 2023 fehlen, kamen in weiten Teilen für die Energiepreisbremsen zum Einsatz. Kann der Bund sich dieses Geld nicht einfach zurückholen?

Das wird nicht passieren. Das wäre ja totaler Wahnsinn. Dann müssten Millionen Deutsche ihren Stromanbietern nachträglich extrem hohe Rechnungen bezahlen.

Und wie sieht es mit der Strom- und Gaspreisbremse für Verbraucher im nächsten Jahr aus?

Den Verbrauchern droht nach allem, was wir derzeit wissen, keine große Gefahr, auch dann nicht, wenn es für die Preisbremsen kein Geld mehr aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds gibt. Die allermeisten Beobachter gehen nicht davon aus, dass die Preise noch einmal so stark steigen.

Blicken wir aufs kommende Jahr und den Haushalt 2024, dessen Beschluss die Ampel jetzt noch einmal verschoben hat. Erwarten Sie, dass der Bund dann noch einmal eine irgendwie geartete Notlage ausrufen kann, um die Schuldenbremse dann möglicherweise zum fünften Mal in Folge zu umgehen?

Eine weitere Notlage, um die Schuldenbremse auch 2024 auszusetzen, halte ich für nur schwer begründbar. Dafür bräuchte es als Erklärung entweder eine neuerliche Naturkatastrophe oder eine dramatisch verschlechterte Wirtschaftslage. All das ist aktuell nicht erkennbar.

Aber die Wirtschaft könnte nicht zuletzt wegen der geringeren Staatsausgaben stärker schrumpfen als erwartet.

Wenn der Staat weniger Geld ausgibt, sinkt zwar das Wirtschaftswachstum. Allerdings würde die Konjunktur deshalb nicht einbrechen. Schlimmstenfalls landen wir in einer Stagnation; statt 0,8 Prozent sind es dann 0,4 Prozent Wachstum. Das aber rechtfertigt keine Notlage. Nach dem heutigen Stand gibt es keinen Anlass, die Schuldenbremse noch einmal auszusetzen.

Was zur Folge hat: Der Bund muss bei seinen Ausgaben stark priorisieren, will er nicht – wie von Finanzminister Lindner ausgeschlossen – die Steuern erhöhen. Wo sollte die Ampel den Rotstift ansetzen?

Ich würde stark bei den Subventionen streichen. Die Mittel, die der Bund über die CO2-Bepreisung einnimmt, sollten zügig über das Klimageld an die Bürger wieder ausgezahlt werden. Das wäre ein echter und ein guter Sozialausgleich. Es gibt aber noch einige andere Förderungen und Steuervergünstigungen, die weg können.

Zum Beispiel?

Etwa der sogenannte Handwerker-Bonus, also das Absetzen der Maler-Rechnung von der Einkommensteuer. Dieser Vorteil für die Handwerkerleistungen wurde eingeführt, um die Schwarzarbeit zu bekämpfen. Mehrere Studien aber zeigen: Dieser Steuerbonus hat keinerlei Auswirkungen auf die Schwarzarbeit, das kann man sich also schenken. Und damit einen nennenswerten Konsolidierungsbeitrag erzielen. Gleiches gilt für eine Reihe von ermäßigten Mehrwertsteuersätzen von 7 Prozent. Das ließe sich ebenfalls revidieren.

Das wird die FDP, deren Minister Sie beraten, kaum gerne hören.

Womöglich, ja. Am Ende aber braucht es ja einen Kompromiss zwischen den Koalitionären. Auch die SPD muss sich bewegen, beispielsweise beim Bürgergeld. Alle müssen auf etwas verzichten.

Herr Feld, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Lars Feld am 22. November 2023
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