Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Finanzmärkte elektrisiert Holt Donald Trump Europa aus der Kiste?

"Sell in May and go away" lautet eine gängige Börsenweisheit. Viele Anleger glauben, dass sie 2025 nicht gilt, weil Trump europäische Aktien sexy macht.
Bei einem Blick auf die App-Liste ihres Smartphones dürfte es sich bei vielen Nutzern noch nicht nach Zeitenwende anfühlen. Airbnb, booking.com, Amazon, Netflix, Google, Uber, Paypal und YouTube dürften bei sehr vielen Lesern auf der Smartphone-Oberfläche präsent sein. Made in Germany sind die Angebote eher nicht, sondern vielmehr born in the USA.
Trotzdem scheint sich unter Investoren etwas zu ändern. Denn was wie das Comeback eines alternden Boxchampions klingt, ist tatsächlich ein Ereignis, das die Finanzmärkte seit Monaten elektrisiert: Europas Aktienmärkte lassen die lange dominierenden US-Börsen deutlich hinter sich – und das nicht leise, sondern mit Stil und Abstand.
"Der Euro Stoxx 50 beendete das erste Quartal mit einem Plus von acht Prozent, während der S&P 500 fünf Prozent verlor", rechnet Stefan Riße von Acatis vor. Erfahrene Börsianer fühlen sich an die Jahrtausendwende erinnert, als Europas Aktienmärkte Ende 1999 kräftig zulegten und die Wall Street ins Hintertreffen geriet. Damals galt AOL als Inbegriff der Moderne und Yahoo als Zukunftshoffnung – Zeiten, die zeigen, wie schnell sich Dominanzen verschieben können.

Zur Person
Daniel Saurenz ist Finanzjournalist, Börsianer aus Leidenschaft und Gründer von Feingold Research. Mit seinem Team hat er insgesamt mehr als 150 Jahre Börsenerfahrung und bündelt Börsenpsychologie, technische Analyse, Produkt- und Marktexpertise. Bei t-online schreibt er über Investments und die Lage an den Märkten. Sie erreichen ihn auf seinem Portal www.feingoldresearch.de. Alle Gastbeiträge von Daniel Saurenz lesen Sie hier.
Der Anfang vom Ende der amerikanischen Unfehlbarkeit
Dass US-Aktien irgendwann in Schwierigkeiten geraten würden, war absehbar. Seit 2014 hatten sie dank Tech-Euphorie eine fast ununterbrochene Hausse erlebt und dabei immense Erwartungen eingepreist. Mit Donald Trump als US-Präsident, der wie ein unberechenbarer Überraschungsgast das politische Parkett betrat, endete die Phase relativer Marktstabilität jedoch abrupt. Niemand brauchte eine Glaskugel, um zu erkennen, dass Trumps erratische Politik die Volatilität an den Märkten erhöhen würde.
Was seine Regierung zusammen mit schillernden Persönlichkeiten wie Elon Musk anrichtet, gleicht eher einem chaotischen Start-up als einer durchdachten Wirtschaftspolitik. Das Vertrauen in die politische Verlässlichkeit der USA, ein jahrzehntelanges Fundament der Weltwirtschaft, erleidet derzeit nachhaltige Schäden.
Europa? Der Underdog mit neuem Rückenwind
"Abzulesen ist dies am internationalen Währungsmarkt. Währungspaare verhalten sich eigentlich wie Tanker – behäbig und langsam im Dreh. Der abrupte Anstieg von Euro oder Franken zum US-Dollar ist daher so bemerkenswert wie selten", findet Vanyo Walter von RoboMarkets. Das Vertrauen in die Amerikaner sinkt. Es ist aber – so erinnert ein alter Werbeslogan – der Anfang von allem.
Unterdessen bewiesen Europas Unternehmen Schlagkraft: Adidas lässt Nike in puncto Börsenentwicklung weit hinter sich, SAP setzte die KI-Revolution strategisch und gewinnbringend um. Deutsche Blue Chips, lange als schwerfällig verschrien, wandelten sich dynamisch. Auch Bankaktien wie Deutsche Bank, Santander oder BNP Paribas liegen geschlossen am oder nahe dem Zehnjahreshoch. Noch vor fünf Jahren wollte kaum jemand diese Titel anpacken. Siemens Energy etwa vervielfachte seinen Kurs binnen weniger Jahre um über 1.000 Prozent, Rheinmetall legte allein seit Jahresbeginn um mehr als 100 Prozent zu – beeindruckende Zeichen neuer Stärke.
Die neue Stabilität des Euro Stoxx 50
Ein wesentlicher Vorteil Europas ist die breitere Aufstellung seiner Leitindizes. Während in den USA der Technologiesektor die Indizes dominiert – eine Stärke in Boomzeiten, aber ein Risiko in unsicheren Phasen –, sind Europas Märkte diversifizierter. Im Euro Stoxx 50 etwa tragen Finanzen, Industrie, Konsum und Technologie jeweils rund 20 Prozent zur Indexgewichtung bei. Dieses Gleichgewicht bietet mehr Stabilität in turbulenten Zeiten.
Schaut man sich die jüngsten zehn Jahre an, so sieht man aber auch, dass Europa bisher nur einen dicken Rückstand wettmacht. "In den vergangenen zehn Jahren ließ sich mit einer Investition in den S&P 500 eine stolze Wertsteigerung erzielen: Aus 50.000 Euro wurden etwa 150.000 Euro. Im Euro Stoxx 50 hingegen waren es rund 90.000 Euro", so rechnen die Experten vom Lynx-Broker vor. Doch Märkte übertreiben in beide Richtungen – und kehren über die Zeit zum Gleichgewicht zurück. Donald Trump hat die Europäer aus dem komatösen Tiefschlaf geholt und war sowohl Auslöser als auch Grund für eine Neubewertung.
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