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Dehoga-Chefin Hartges: "Viele Betriebe haben Angst vor dem Winter"


Dehoga-Chefin Hartges
"Die Existenz von 70.000 Unternehmen ist bedroht"

  • Florian Schmidt
InterviewVon Florian Schmidt

27.07.2020Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Hotels am Ostseestrand in Scharbeutz: Das Geschäft der Gastwirte könnte im Winter stark einbrechen.Vergrößern des Bildes
Hotels am Ostseestrand in Scharbeutz: Das Geschäft der Gastwirte könnte im Winter stark einbrechen. (Quelle: Christian Ohde/imago-images-bilder)

Die Bundeschefin des Hotel- und Gaststättenverbandes schlägt Alarm: Jedes dritte Unternehmen der Branche könnte wegen Corona pleitegehen – trotz brummendem Deutschland-Tourismus im Sommer.

Es ist das Jahr des Heimaturlaubes: Statt am Strand in der Türkei, in Griechenland oder auf Mallorca zu liegen, verreisen Hunderttausende diesen Sommer innerhalb Deutschlands. Mit Bayern und Baden-Württemberg haben nun auch die beiden letzten Bundesländer Sommerferien bekommen. Noch einmal dürften deshalb in den kommenden Wochen potenziell 20 Millionen Menschen in die Ferien an der Nord- und Ostsee, in der Lüneburger Heide oder in der sächsischen Schweiz aufbrechen.

Für die Hoteliers und Restaurantbetreiber in Deutschland ist das eine gute Nachricht. Nachdem das Gastgewerbe durch die Corona-Lockdowns zuletzt Umsatzeinbrüche von bis zu 75 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichnete, können sich viele Betriebe nun wieder über eine größere Auslastung freuen.

Doch sieht die Situation in allen Regionen gleich aus? Wie viele Hotels, Kneipen und Restaurants gehen womöglich trotzdem pleite – und was bringt der Gastronomie eigentlich die geringere Mehrwertsteuer? t-online.de hat darüber mit der Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), Ingrid Hartges, gesprochen.

t-online.de: Frau Hartges, Sie kommen gerade aus dem Urlaub zurück – wo in Deutschland waren Sie?

Ingrid Hartges: An der Nordsee. Es war wunderbar!

Und wie voll war es dort?

Es war schon gut voll, allerdings waren die Hotels nicht zu 100 Prozent ausgebucht. Vor Ort habe ich den Eindruck bekommen, den uns auch viele Verbandsmitglieder schildern: Die Deutschen entdecken diesen Sommer ihr Heimatland, sie lernen Deutschland von einer neuen Seite kennen. Und vor allem: Sie haben Spaß daran. Wo sonst das Ausland auf dem Programm stand, nutzen viele Menschen jetzt die Möglichkeit zu Reisen in Städte und Regionen, die sie schon immer mal besuchen wollten. Das ist eine sehr schöne Entwicklung, die den Deutschland-Tourismus-Trend der vergangenen Jahre noch verstärkt.

Das klingt, als sei die Situation der Hotels in Deutschland besser als gedacht. Werden sie womöglich sogar noch zum Krisengewinner?

Nein, davon sind wir weit entfernt, allen ermutigenden Signalen zum Trotz. Fakt ist: Die meisten Betriebe waren im Frühjahr zehn Wochen geschlossen und haben gar keine Umsätze generiert. Diese entgangenen Umsätze lassen sich nicht mehr aufholen. Schon jetzt klaffen bei vielen Hoteliers und Gastronomen riesige Löcher in der Bilanz. Das Hotel- und Gaststättengewerbe wird bis zum Jahresende definitiv große Verluste einfahren. Unserer Branche geht es weiterhin sehr schlecht.

Was heißt das in konkreten Zahlen?

Das lässt sich momentan noch schwer sagen. Es hängt, wie in allen Wirtschaftszweigen, stark davon ab, ob es zu einer zweiten Welle kommt oder nicht. Zudem können Sie nicht alle Unternehmen über einen Kamm scheren: Während die Restaurants und Hotels in den touristischen Destinationen, also zum Beispiel an Nord- und Ostsee, momentan 70 bis 80 Prozent des Vorjahresumsatzes erzielen, schaffen die Betriebe in Großstädten wie Berlin oft gerade einmal 30 bis 50 Prozent des Umsatzes im vergleichbaren Vorjahreszeitraum – weil es an Touristen aus dem Ausland, vor allem aber auch an Besuchern von Messen, Kongressen und Tagungen fehlt.

Der Umsatz-Ausfall aus dem Frühjahr aber lässt sich doch hochrechnen. Wie groß wird das Minus für das gesamte Jahr ausfallen – wie viele Pleiten drohen?

Ich befürchte, dass die Existenz von 70.000 Unternehmen im Hotel- und Gaststättengewerbe bedroht ist, also fast jeder dritte Betrieb in Deutschland. Bei den Umsätzen fällt die Hochrechnung wegen der genannten Gründe, wie gesagt, sehr schwer. Unter der Prämisse, dass es keine weiteren Lockdowns gibt, würde ich über den Daumen gepeilt aber sagen: Die gesamte Branche wird im Schnitt dieses Jahr rund 30 bis 40 Prozent weniger Umsatz erwirtschaften. Das ist aber eine sehr grobe Prognose. Gerade in der Gastronomie hängt der Umsatz auch sehr stark vom Wetter ab. Je länger die Restaurants, Kneipen und Cafés ihre Gäste draußen bewirten können, desto besser für sie. Umgekehrt gilt: Wird es früher kalt, sieht es schlechter aus. Viele Betriebe haben deshalb große Angst vor dem Winter.

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Was muss die Politik tun, um eine solche Pleitewelle abzuwenden?

Die Politik hat schon sehr viel getan, was nicht nur uns, sondern der gesamten Wirtschaft geholfen hat. Mit Blick auf die vielen Hoteliers und Gastronomen, die derzeit weniger verdienen, sollten wir im nächsten Schritt aber das Miet- und Pachtrecht anpassen. Es kann nicht sein, dass ein Hotel, das keine Umsätze hat oder nur zu 15 Prozent ausgelastet ist, unverändert die Pacht entrichten muss. Hier plädieren wir für eine angemessene Risikoverteilung zwischen Verpächter und Pächter. Konkret wünschen wir uns dazu eine gesetzliche Regelung in Form eines Pachtminderungsanspruchs aufgrund der Corona-Pandemie. Besonders für die Betriebe in den Großstädten, wo 20 bis 30 Prozent als Umsatzpacht anfallen, wäre das eine große Entlastung. Aufgrund der Corona-Pandemie ist die Geschäftsgrundlage weggefallen. Außerdem erwarten wir eine Verlängerung der Überbrückungshilfen – insbesondere für die Unternehmen, die noch immer keine Perspektive auf eine Wiedereröffnung haben, also Discotheken, Clubs, mancherorts aber auch Kneipen und Bars. Dramatisch stellt sich die Situation auch bei den Eventcaterern dar.

Dass es aktuell noch nicht zu allzu vielen Pleiten gekommen ist, liegt auch daran, dass Unternehmen bis Ende September nicht verpflichtet sind, Insolvenz zu beantragen. Sollte die Ausnahmeregelung verlängert werden?

Keine Frage, auch darüber muss jetzt zu reden sein. Klar ist: Das wahre Ausmaß der Krise wird erst im späten Herbst sichtbar werden.

Die Bundesregierung wollte der Branche auch mit der Mehrwertsteuersenkung unter die Arme greifen. Wie sehr hilft diese Maßnahme den Betrieben?

Die Mehrwertsteuersenkung für Speisen ist von elementarer Bedeutung. Wir haben eine solche Absenkung ja schon immer gefordert. In der Krise aber ist es natürlich noch einmal umso wichtiger, mit dieser Maßnahme die Betriebe zu stärken und sie hilft mittelfristig, die Kredite zu tilgen. Die Restaurants sind dafür dankbar.

Die Gäste sind es nicht unbedingt: Viele Restaurants und Hotels geben die gesenkte Steuer bewusst nicht weiter.

Das stimmt. Aber das war ja auch genau der Plan der Politik. Bundesfinanzminister Olaf Scholz sagte ausdrücklich, dass diese Maßnahme der Stärkung der Gastronomie dienen soll. Wir sind die am stärksten von der Corona-Krise betroffene Branche. Fast alle Hotels und Restaurants haben zehn Wochen lang nicht einen Euro Umsatz gemacht, auch jetzt ist die Situation wegen der Abstandsregeln längst nicht wieder so gut wie vor der Krise. Wir brauchen deshalb jeden Euro, den wir durch die Steuersenkung sparen können. Mein Eindruck aber ist auch: Die Gäste haben dafür großes Verständnis.

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Noch einmal zurück zur zweiten Welle: Wie bereiten sich die Restaurants, Kneipen und Hotels auf ein weiteres Lockdown-Szenario vor?

Das ist eine schwierige Frage, die stark davon abhängt, wann sie kommt und welche Ursachen sie hat. Was ich jedoch wahrnehme ist, dass viele Betriebe momentan konsequent in Hygiene- und Schutzmaßnahmen investieren und darauf achten, dass die Regeln eingehalten werden. Das ist auch wichtig. Denn Abstand- und Maskenpflicht werden wir noch eine ganze Weile so umsetzen müssen, um Corona so weit einzudämmen, bis ein Impfstoff gefunden ist.

Das heißt, Sie rechnen absehbar mit keiner weiteren Normalisierung?

Wir begrüßen es, dass die Bundesländer sukzessive in begrenztem Umfang wieder Familienfeiern und Tagungen zulassen. Wir müssen jedoch Corona erst besiegen, ehe es wieder normale Geselligkeit, das Miteinander, das Feiern geben kann.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Hartges.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges
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