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Bahnstreik: Deutschlands Gewerkschaften winden sich im Überlebenskampf


Lokführer-Streik
Deutschlands Gewerkschaften haben Todesangst

  • Florian Schmidt
MeinungVon Florian Schmidt

Aktualisiert am 01.09.2021Lesedauer: 3 Min.
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Züge im Depot: Ab Mittwochabend streiken die Lokführer zunächst im Güterverkehr, ab Donnerstagfrüh auch im Personenverkehr.Vergrößern des Bildes
Züge im Depot: Ab Mittwochabend streiken die Lokführer zunächst im Güterverkehr, ab Donnerstagfrüh auch im Personenverkehr. (Quelle: imago-images-bilder)

Der Bahnstreik ist ein Vorbote für das Leiden vieler deutscher Gewerkschaften. Es geht nicht länger nur ums Geld, sondern immer mehr um Macht, Status, Funktionärsjobs. Leicht zu gewinnen ist der Kampf nicht.

Es werden fünf harte Tage für Deutschland. Fünf Tage, in denen bundesweit Zehntausende Züge ausfallen, Millionen Reisende ihr Ziel nicht erreichen, Tausende Unternehmen wegen Lieferschwierigkeiten Probleme bekommen. Alles, weil die Lokführergewerkschaft GDL im Konflikt mit der Deutschen Bahn weiter die Konfrontation sucht und von Donnerstag bis Dienstag zum bislang längsten Streik auf der Schiene aufgerufen hat.

Nun, was hilft's, ließe sich fatalistisch einwenden. Streiks gehören in der sozialen Marktwirtschaft eben dazu. Im Kampf um mehr Lohn sind sie ein probates, ja ein gesetzlich verbrieftes Recht von Arbeitnehmern und Gewerkschaften. Wie sonst könnten sie ihren Chefs klarmachen, dass es ohne sie nicht geht, dass die Arbeitgeber sich einen funktionierenden Betrieb etwas kosten lassen müssen.

Doch ist das überhaupt der Punkt? Es drängen sich Zweifel auf. Vielmehr, so wird es nicht erst durch den Bahnstreik deutlich, erleben und erleiden wir alle gerade etwas anderes: die Schlacht ums Überleben einer Interessengemeinschaft, einer gesellschaftlichen Institution, die für immer mehr Menschen ausgedient hat.

Es geht auch um die Jobs der Gewerkschaftsfunktionäre

Deutschlands Gewerkschaften haben buchstäblich Todesangst, und das zu Recht. Sie winden sich im Kampf um das eigene Erbe, das sie mit aller Macht von der Vergangenheit in die Zukunft retten wollen. Es geht um gesellschaftlichen Status, um Einfluss in den Betrieben – nicht zuletzt um die Jobs Tausender Gewerkschaftsfunktionäre.

Um das zu verstehen, reicht ein Blick in die Statistik. Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder ist in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gesunken. Waren 1991 noch rund 11,8 Millionen Arbeitnehmer in Deutschland Mitglied einer Gewerkschaft des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), sind es heute knapp 5,8 Millionen Menschen. Würde sich diese Entwicklung fortsetzen, zählten Verdi, IG Metall und Co. in nicht einmal 20 Jahren kaum mehr drei Millionen Mitglieder und damit weniger als zehn Prozent der Arbeitnehmerschaft in Deutschland.

Wer wiederum so wenige Menschen hinter sich vereint, kann schlecht von sich behaupten, für das Gros der Angestellten zu sprechen. Früher oder später stellt sich dadurch die Frage einer funktionierenden Sozialpartnerschaft neu: Können und sollten Arbeitgeber und Gewerkschaften überhaupt noch Tarifverträge für ganze Branchen aushandeln? Oder wäre es nicht besser, jeder Betrieb macht das für sich selbst und stellt etwa eigene Haustarifverträge auf?

Wir werden verdammt noch mal gebraucht!

Genau das wollen, nein, müssen die Gewerkschaften verhindern. Und nicht nur GDL-Chef Claus Weselsky, auch andere Gewerkschaftsbosse wissen genau: Der kritische Zeitpunkt ist womöglich früher erreicht als befürchtet. Dann nämlich, wenn der Organisationsgrad innerhalb einzelner Unternehmen so gering ist, dass die Zahl der Streikenden nicht mehr ausreichte, um die Firmenchefs in die Knie zu zwingen.

Entsprechend geht es jetzt und in den kommenden Jahren für die Gewerkschaften um alles und zugleich um noch so viel mehr. Um alles, wofür sie seit jeher kämpfen, also Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen. Viel mehr jedoch auch um Symbole und Signale des Aufbäumens, darum, der Gesellschaft zu zeigen: Wir sind noch da, wir können noch was und wir werden verdammt noch mal weiterhin gebraucht.

Ein Bahnstreik fürs Schaufenster

Die GDL ist für dieses Phänomen ein Vorbote, der Bahnstreik lediglich ein Symptom dieser Entwicklung, die sich künftig auch bei anderen Gewerkschaften zeigen dürfte. Verstärkt durch den bahninternen Wettstreit mit der Konkurrenzgewerkschaft EVG geht es der GDL nur zum Teil und vordergründig um mehr Geld für die Lokführer. Fast noch wichtiger sind für die Gewerkschaft die Bilder und Schlagzeilen, die in den kommenden fünf Streiktagen entstehen – und die die GDL beim Werben um neue Mitglieder ins Schaufenster stellen kann: Seht her, das waren wir! Werde Teil unserer Gruppe und Du erlangst die Macht, ein ganzes Land lahmzulegen.

Ob diese Rechnung aufgeht, ist jedoch fraglich. Das Verständnis der Deutschen für den Bahnstreik sinkt, die Wut auf die Lokführer wächst. Zudem hat sich die Bundesrepublik grundsätzlich wie fast alle westlichen Länder in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Aktueller SPD-Aufschwung hin oder her – es ist unwahrscheinlich, dass sich die zunehmend individualisierte Gesellschaft zurückentwickelt, hin zu mehr Kollektivismus, der auch stärkere Gewerkschaften rechtfertigen würde. Daran wird auch der Bahnstreik kaum etwas ändern.

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