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Darum können Union und SPD die große Koalition nicht ausschließen


Spieltheorie gibt Erklärung
Darum schließt niemand eine weitere große Koalition aus

Von Mauritius Kloft

Aktualisiert am 29.09.2021Lesedauer: 4 Min.
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Wahlplakate von Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (CDU): Wer wird der neue Bundeskanzler?Vergrößern des Bildes
Wahlplakate von Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (CDU): Wer wird der neue Bundeskanzler? (Quelle: Eckhard Stengel/imago-images-bilder)

Wer wird der neue Bundeskanzler? Eine neue Studie zeigt, wie die aktuellen Verhandlungen als soziales Spiel funktionieren – und welche Drohkulisse Union und SPD verlieren, wenn sie eine weitere große Koalition ausschließen.

Nach der Wahlschlappe für die Union stehen in den nächsten Wochen Koalitionsverhandlungen an. Die Fragen im politischen Machtpoker lauten: Wer wird neuer Kanzler? Olaf Scholz, dessen SPD am meisten Stimmen holte – oder doch Armin Laschet, der mit der Union auf Platz zwei landete? Und in welcher Koalition wird der eine oder andere regieren?

Derzeit wird vor allem über die Ampel-Koalition, also einem Bündnis aus SPD, Grünen und FDP diskutiert sowie über ein Jamaika-Bündnis unter Führung von Laschet. Wenig besprochen, aber rechnerisch genauso möglich ist derweil jedoch auch die Fortsetzung der großen Koalition aus SPD und Union. Denn: Keine der beiden Parteien hat eine solche Regierung bislang ausgeschlossen.

Spieltheorie in den Koalitionsverhandlungen

Eine neue Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die t-online exklusiv vorliegt, zeigt jetzt: Das sollten sie auch nicht. Denn eine solche Groko-Absage würde die Verhandlungspositionen der einstigen Volksparteien deutlich schwächen.

Knut Bergmann, Leiter des IW-Hauptstadtbüros, und der Wettbewerbsökonom Christian Rusche greifen für diesen Schluss auf die Spieltheorie zurück, ein Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft. Mit der Spieltheorie lassen sich Verhandlungen und soziale Konfliktsituationen rechnerisch analysieren und mögliche Handlungen und Ausgänge vorhersagen.

Dabei gilt: Das Verhalten eines Verhandlungspartners, eines Spielers, hängt immer von den Handlungen der anderen Spieler ab. Bei jeder Aktion müssen alle Akteure also die Reaktion der Gegenseite antizipieren und mit einer Reaktion rechnen.

Was das Gefangenendilemma mit der Wahl zu tun hat

Bekannt ist die Spieltheorie vielen Menschen durch das sogenannte Gefangenendilemma: In dieser experimentellen Situation geht es um zwei Gefangene, denen die Polizei einen Bankraub vorwirft. Im Verhör sollen sie unabhängig voneinander aussagen, ohne dass sie sich miteinander absprechen können.

Leugnen beide das Verbrechen, erhalten sie eine geringe Haftstrafe von einem Jahr für den Besitz von Waffen. Wenn sie beide den Raub gestehen, wirkt sich das strafmildernd aus, sie müssen für jeweils acht Jahre ins Gefängnis. Wenn jedoch nur einer der beiden Gefangenen aussagt und seinen Komplizen verpfeift, erhält der Geständige einen Freispruch, während der Schweigsame zur Höchststrafe von zehn Jahren in den Bau muss. Die zwei Gefangene stecken also in einem sozialen Dilemma, weil sie nicht wissen, wie der andere reagieren wird.

Parteipolitiker stecken in sozialem Dilemma

Zwar ist diese Situation nicht gänzlich mit der der Parteien vergleichbar. Jedoch stehen auch Union, SPD, Grüne und FDP vor einem Dilemma. Denn jede Politikerin und jeder Politiker versucht das jeweils beste für sich herauszuschlagen.

Dabei ist allen Teilnehmern klar, dass sich gewisse Positionen und Ankündigungen gegenseitig ausschließen. Das ist etwa der Fall, wenn Christian Lindner (FDP) es zur Bedingung für eine Koalition machte, dass es keine Steuererhöhungen geben darf, während Olaf Scholz genau darin aber die Voraussetzung für ein Regierungsbündnis sähe.

Wer das "Zünglein an der Waage" sein kann

In einem ersten Schritt analysierten die IW-Wissenschaftler, wie die Verhandlungsposition der Parteien nach der Wahl ist. Dazu nahmen sie den sogenannten Shapley-Wert zur Hilfe. Was kompliziert klingt, meint einfach nur ein rechnerisches Verfahren, um zu erfassen, in welcher Reihenfolge die Parteien einen imaginären Verhandlungssaal betreten, um die erforderliche absolute Mehrheit im Parlament zu ermöglichen.

Je nachdem, wie viele Möglichkeiten eine Partei hat, erhält sie einen anderen Shapley-Wert. Die Idee: Je höher Zahl, desto öfter ist sie das "Zünglein an der Waage", kann also entscheiden, zu welcher Koalition es kommt. Ein Wert von eins würde eine Partei bekommen, wenn sie allein die absolute Mehrheit erreichen würde, einen Wert von null bekommt eine Partei, die für die Koalitionsbildung nicht erheblich ist. Im aktuellen Fall sind das die Linkspartei, die AfD und der Südschleswigsche Wählerverband (SSW).

In der aktuellen Ausgangslage kommen CDU/CSU und SPD jeweils auf einen Shapley-Wert von 0,33; FDP und Grüne dagegen nur einen Wert von 0,17. Die großen Parteien sind also gleich wichtig für die Bildung einer Koalition; die kleinen Parteien untereinander ebenfalls. Gleichzeitig gilt: Union und SPD sind beide wichtiger – weil sie eine große Koalition eingehen könnten.

Wie gut ist Verhandlungsposition während Koalitionsgesprächen?

Um jedoch zu analysieren, wie gut eine Position tatsächlich in den Koalitionsverhandlungen ist, gehen die Wissenschaftler noch einen Schritt weiter – und nutzen den sogenannten Außenoptionswert. Dieser bezieht noch die möglichen anderen Optionen der Parteien an, was bei Koalitionsverhandlungen von enormer Bedeutung ist.

Beispiel: Verhandelten SPD, Grüne und FDP über eine Ampel-Koalition, haben alle drei Parteien noch eine zusätzliche Möglichkeit, eine sogenannte Außenoption. Die SPD könnte theoretisch noch eine große Koalition eingehen, die Liberalen und die Grünen könnten sich noch mit der Union zusammentun.

Hier aber liegt der Casus knacksus: Schließen Union oder SPD eine große Koalition nicht aus, haben sie jeweils eine Drohkulisse, die sie gegen FDP oder Grüne einsetzen können. Komplett anders sähe es derweil aus, wenn die große Koalition keine Option mehr für Union und SPD wäre. Die Verhandlungsposition der großen Partei wäre dann deutlich schwächer.

FDP und Grüne spielen wichtige Rolle

Schließen die Konservativen und die Sozialdemokraten also eine Neuauflage der Groko aus, könnte der Koalitionsvertrag deutlich von den kleineren Parteien geprägt sein – Olaf Scholz oder Armin Laschet würden sich erpressbar machen.

Ob die Spitzenpolitiker das alles im Detail wissen und berücksichtigen? Wahrscheinlich nicht. Denn offen ist, ob eine große Koalition politisch überhaupt gewollt wäre. Unlängst hatte etwa Vize-SPD-Chef Kevin Kühnert angekündigt, im Falle einer großen Koalition zurückzutreten. Klar ist aber: Die Koalitionsverhandlungen dürften noch spannend werden. Und in jedem Fall spielen FDP und Grüne eine entscheidende Rolle für ihren Ausgang.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • IW-Kurzbericht: "Koalitionsverhandlungen spieltheoretisch"
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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