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Darum kollidiert Herbert Diess immer wieder mit dem System VW


Wolfsburgs Besonderheiten
Herbert Diess kollidiert immer wieder mit dem System VW


Aktualisiert am 04.11.2021Lesedauer: 5 Min.
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VW-Chef Herbert Diess: Der CEO gerät immer wieder in Konflikte – denn VW hat eine besondere Kultur.Vergrößern des Bildes
VW-Chef Herbert Diess: Der CEO gerät immer wieder in Konflikte – denn VW hat eine besondere Kultur. (Quelle: Sean Gallup/getty-images-bilder)

In Wolfsburg tobt ein Machtkampf. VW-Chef Herbert Diess will das Unternehmen umbauen – und stößt dabei auf Gegenwehr seitens des Betriebsrates. Der wiederum hat in der Politik einen starken Freund.

Dicke Luft im Wolfsburger VW-Stammwerk, mal wieder. Zwischen dem Betriebsrat, dem Land Niedersachsen, einigen Managern und Konzern-Chef Herbert Diess treten die Konflikte immer deutlicher zutage. Anlass für die aktuellen Streitereien: Diess' Äußerungen zu einem möglichen Stellenabbau sowie sein Gebaren gegenüber den Mitarbeitern.

Ob und wie schnell sich die Konflikte ausräumen lassen, ist offen. Doch warum musste es überhaupt so weit kommen – wieso hängt der Haussegen bei Volkswagen immer wieder schief?

Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort, vielmehr eine ganze Reihe von Gründen. Einer der wichtigsten jedoch lautet: Volkswagen ist kein Unternehmen wie jedes andere. Die Besonderheiten bei Europas größtem Autobauer liegen in seiner Aktienstruktur – und in der Machtverteilung, die sich daraus im Aufsichtsrat ergibt.

Die meisten Stimmrechte hat die Porsche SE mit 53,3 Prozent der Unternehmensanteile. An zweiter Stelle folgt mit 20 Prozent bereits das Land Niedersachsen. 17 Prozent gehen an die Qatar Holding und 9,7 Prozent an übrige Aktionäre der Stammaktie.

Carvallo bringt keine Ruhe – im Gegenteil

Das Land Niedersachsen spielt in dieser Aufzählung eine besondere Rolle, denn die Interessen der Politiker liegen häufiger gleichauf mit den Wünschen des Betriebsrates. Volkswagen ist daher stark durch die Arbeitnehmervertretungen geprägt, die auch gegenüber Topmanagern selbstbewusst und fordernd auftreten.

Das bewies die neue Konzern-Betriebsratschefin Daniella Cavallo am Donnerstag auf der ersten Betriebsversammlung seit knapp zwei Jahren: "Den Wandel gibt es nur mit VW-Kultur", sagte sie. Diese Aussage lässt nur wenig Interpretationsspielraum zu: Diess soll sich endlich an das System VW anpassen – und nicht andersherum.

Nach dem Abgang des langjährigen Konzern-Betriebsratschefs Bernd Osterloh hatten viele Beobachter auf eine Entspannung der Verhältnisse zwischen der Belegschaft und Diess gehofft. Carvallo sollte Ruhe in den Laden bringen – tatsächlich verschärft sie den Konflikt mit dem VW-Chef nun aber noch weiter.

Misstrauensvotum gegen Diess

Laut Berichten des "Handelsblatt" soll sie am Mittwoch Diess im Aufsichtsrat das Misstrauen ausgesprochen haben. Schärfere Munition kann ein Betriebsrat nicht mehr auffahren. Sie dürfte sich dabei von der IG Metall und dem Land Niedersachsen unterstützt fühlen – denn bei beiden Akteuren hatte Diess unlängst viel Porzellan zerbrochen.

Ohne Vorwarnung hatte Diess Mitte Oktober im Aufsichtsrat die Kürzung von 30.000 Jobs ins Spiel gebracht, jede vierte Stelle bei der Kernmarke müsste hinterfragt werden. Damit provozierte der VW-Chef den Betriebsrat gleich doppelt.

Denn um seine Kürzungen zu untermauern, verwies er auf seine Erfahrungen als BMW-Manager im englischen Birmingham. Hier hätten sich Manager vor Entscheidungen gedrückt und ein Betriebsrat jeglichen Wandel blockiert. Am Ende sei der Standort von der Landkarte verschwunden.

Immer wieder Provokationen gegen den Betriebsrat

Ein Betriebsrat als Schuldiger für Jobverluste? Geschichten vom Konkurrenten BMW, noch dazu aus England? Nach dem Ende der Ära Osterloh, den viele Experten als Gewinn des VW-Chefs sahen, kann der Betriebsrat solche Äußerungen nur als Angriff auf seine Stellung im Konzern wahrnehmen.

Dass Diess jetzt, statt zur Betriebsversammlung zu kommen, eigentlich lieber Investoren in den USA treffen wollte, dürfte kaum zur Entspannung beigetragen haben. Der scharfe Ton, der nun seitens der Mitarbeiter ertönt, verwundert kaum.

Doch mit seinen ambitionierten Kürzungen traf der VW-Manager auch in die Achillessehne des Landes Niedersachsen. Denn die Politik ist auf den Konzern dringend angewiesen – vor allem wegen der Jobsicherheit, die VW dem Land bietet.

Volkswagen und seine Tochterunternehmen sind nicht nur für die Stadt Wolfsburg unerlässlich, die gesamte Region um das VW-Stammwerk ist von dem Konzern geprägt. Neben dem Stammwerk in Wolfsburg hat VW noch Produktionsstätten in Braunschweig, Hannover, Salzgitter und Emden. Allein in der unmittelbaren Umgebung von Wolfsburg leben knapp 1,1 Millionen Menschen, die direkt oder indirekt von Volkswagen abhängig sind.

Niedersachsen ist von VW abhängig

Fielen bei der Kernmarke Tausende, vielleicht gar Zehntausende Jobs weg, würde das für die Region und das gesamte Bundesland zur Belastung – die Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) vor der Landtagswahl im kommenden Jahr nicht gebrauchen kann. Seinen Unmut über Diess soll er laut "Handelsblatt" im Aufsichtsrat deshalb schon mehrfach geäußert haben, obwohl er nach außen bislang stets Contenance wahrte.

Inzwischen hat Diess seine Aussagen zum Jobabbau relativiert. Dennoch gibt er in der Sache nicht nach. Am Donnerstag betonte er bei der Betriebsversammlung erneut: "Die heute bestehenden Jobs werden innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre sicher weniger – vor allem in der Verwaltung auf Konzernebene, aber auch in der Produktion und in der Entwicklung."

"Hier ist nicht ein Mensch zu viel"

Gleichzeitig komme neue und andere Arbeit hinzu. Doch die konkrete Bedrohung, Stellen zu verlieren, wiegt für den Betriebsrat schwerer als mögliche neue Jobprofile. "Hier ist nicht ein Mensch zu viel an Bord. Nicht eine Stelle können Sie zusätzlich mit uns verhandeln", sagte Cavallo am Donnerstag. Seine Kürzungspläne seien "inhaltlicher Unfug". Sie erinnerte den Manager an die persönlichen Schicksale hinter den Mitarbeitern im Betrieb. Die Menschen hätten "Angst um ihre Arbeit, ihre Familien, ihre Existenz".

Diess verwies dagegen immer wieder auf die schnell voranschreitende Konkurrenz in der E-Mobilität, insbesondere im Form des US-Autobauers Tesla. Das autonome E-Auto Trinity sei die Hoffnung des Konzerns und des Standortes. Es soll ab 2026 in Produktion gehen – und müsse unbedingt ein Erfolg werden, so Diess. Auch die mangelnde Produktivität im Werk kritisierte der VW-Chef erneut. Der Betriebsrat hatte die Vorwürfe bereits vor der Versammlung zurückgewiesen.

Die ständigen Vergleiche mit Tesla am Donnerstag provozierten den Betriebsrat abermals. Cavallo warf Diess einen Elan und eine Faszination für Elon Musk vor, die ihm gegenüber seinem eigenen Unternehmen fehlten.

Tesla führt Mitarbeiter deutlich anders

Die Stiche gegen Tesla vom Konzernbetriebsrat sind nicht verwunderlich. Denn Elon Musk ist dafür bekannt, sich gegen Gewerkschaftsbewegungen bei Tesla zu wehren. Auch in Grünheide soll Musk negativ gegenüber einer Gewerkschaft eingestellt sein. Ein Wetteifern, sich immer weiter an Tesla anzugleichen, ist daher nicht im Interesse des Konzernbetriebsrates.

Doch Diess' Visionen und Tatendrang zur E-Mobilität haben auch viele Unterstützer bei Volkswagen, etwa den Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch. Vielen im Management ist klar, dass VW nur überlebt, wenn der Konzern den Wandel zur E-Mobilität schnellstmöglich forciert. Doch die zuletzt ernüchternden Zahlen im China-Geschäft stärken Diess' Befürwortern im aktuellen Konflikt nicht den Rücken.

Mit den scharfen Angriffen bei der Betriebsversammlung, fällt Cavallo aus dem Muster, das der Konzern bisher im Konflikt verfolgt. Von diesem hieß es auf Rückfragen zum Streit lediglich, es würden derzeit "konstruktive und vertrauliche Gespräche geführt". Berichte zu einem Vermittlungsausschuss, der über die Zukunft des Konzernvorstandes entscheiden soll, dementierte am Donnerstagmorgen eine Quelle sogar.

Einer wird geschwächt hervorgehen

Die Frage ist, wie lange der Konzern noch schweigen kann. Cavallos Aussagen beweisen: Die Belegschaft ist wütend auf Diess. Der VW-Chef verteilt am Donnerstag zwar warme Worte, aber bleibt in der Sache stets hart. Eine Taktik, die er bereits in der Vergangenheit mit Erfolg gefahren ist. Beide Seiten treiben damit den Konflikt voran.

Nur eine Seite dürfte aus ihm gestärkt hervorgehen. Verliert Cavallo zu Beginn ihrer Amtszeit das Kräftemessen, das sie nun ins Leben gerufen hat, dürfte der Betriebsrat für Jahre geschwächt sein und Diess hätte es leichter, in seinem Stil "durchzuregieren". Gewinnt der Betriebsrat, könnte die Transformation in Wolfsburg deutlich an Schwung verlieren. Das könnte bei der wachsenden Konkurrenz eine Gefahr für den Konzern sein.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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