t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeWirtschaft & FinanzenAktuellesWirtschaft

Nord Stream 2: Nach der ausgesetzten Zertifizierung – so geht es jetzt weiter


Zertifizierung ausgesetzt
So geht es mit Nord Stream 2 weiter

Von Frederike Holewik

18.11.2021Lesedauer: 4 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Gaskompressor am Startpunkt der Nord Stream 2 (Symbolbild): Noch kann durch die Pipeline kein Gas nach Deutschland befördert werden.Vergrößern des Bildes
Gaskompressor am Startpunkt der Nord Stream 2 (Symbolbild): Noch kann durch die Pipeline kein Gas nach Deutschland befördert werden. (Quelle: imago-images-bilder)

Die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 sollte diese Woche freigegeben werden. Doch die Bundesnetzagentur hat Einwände. t-online erklärt, warum und was das für den Gasmarkt bedeutet.

Die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 ist fertig, doch Gas fließt keins. Denn die Bundesnetzagentur hat das nach EU-Recht vorgeschriebene Verfahren zur Zertifizierung der umstrittenen Röhre vorläufig komplett ausgesetzt.

Damit wird sich die Genehmigung aller Voraussicht nach um mehrere Monate nach hinten verschieben. t-online erklärt die Hintergründe und wie Politik und Wirtschaft auf die Verzögerungen reagieren.

Warum konnte Nord Stream 2 nicht starten?

Bereits im September gab Gazprom die Fertigstellung der Pipeline bekannt. Doch bislang fehlt die Genehmigung. Das kann nun allerdings noch dauern, denn die Bundesnetzagentur hat ihr Verfahren zur Zertifizierung am Dienstag vorläufig ausgesetzt – ohne darf Nord Stream 2 nicht in Betrieb genommen werden.

Die deutsche Wirtschaft wartet auf den Start. "Wir bedauern, dass es beim Zertifizierungsprozess für Nord Stream 2 zu Verzögerungen kommt, vertrauen aber auf die Bundesnetzagentur und ihre unabhängige Expertise", so Oliver Hermes, Vorsitzender des Ost-Ausschusses. Der Ost-Ausschuss wird von sechs Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft getragen und vertritt über 300 Mitgliedsunternehmen, die vor allem in Osteuropa tätig sind oder hier Wirtschaftsbeziehungen pflegen.

"Es liegt sowohl im Interesse der Erdgaskunden in Deutschland und der EU wie auch im Interesse der Betreiber, dass diese Milliardeninvestition juristisch unangreifbar genehmigt wird und dann verlässlich und sicher Energie nach Europa liefern kann", so Hermes weiter.

Das Projekt ist schon seit längerem umstritten. Die 1.200 Kilometer lange Pipeline gehört zum russischen Konzern Gazprom und soll Erdgas von Russland nach Deutschland und in weitere Länder transportieren.

Woran ist die Zertifizierung gescheitert?

Die EU-Kommission hat in den Gasmarktrichtlinien festgelegt, dass Lieferung und Betrieb der Leitung nicht vom gleichen Konzern bereitgestellt werden sollen und dass auch andere Lieferanten die Pipeline nutzen können müssen. Ursprünglich galten diese Regeln nur innerhalb der EU, doch 2017 wurden sie ausgeweitet. Damit steht die neue Pipeline unter anderen Vorzeichen als der Vorgänger Nord Stream 1. Das Unternehmen ging dagegen vor, scheiterte aber vor Gericht.

Bei ihrer Überprüfung kritisierte die Bundesnetzagentur nun den Sitz der Nord Stream 2 AG in der Schweiz. Mit einer Tochtergesellschaft in Deutschland soll das nun gelöst werden.

Grünen-Politiker Oliver Krischer ist erklärter Kritiker von Nord Stream 2. In den vergangenen Jahren sprach er sich immer wieder gegen das Projekt aus.

Der aktuelle Rechtsstreit hat für ihn auch eine politische Komponente. "Gazprom will mit dem Kopf durch die deutsche und europäische Rechtswand und am Ende auch nicht in Deutschland, sondern in der Schweiz, die deutlich niedrigeren Steuern zahlen", sagte Krischer zu t-online. "Die Bundesnetzagentur hat einen Strich durch diese Rechnung gemacht."

Wie geht es jetzt weiter?

Die Nord Stream 2 AG hat angekündigt, sich an die deutschen Gesetze halten und die bürokratischen Voraussetzungen erfüllen zu wollen. Die Betreibergesellschaft Nord Stream 2 AG mit Sitz in der Schweiz will eine Tochtergesellschaft nach deutschem Recht nur für den deutschen Teil der Leitung gründen.

"Damit wird sich die Inbetriebnahme der Pipeline deutlich verschieben und in diesem Winter voraussichtlich keine Rolle mehr spielen. Eine neue Rechtsform setzt man nicht mal innerhalb von zwei Wochen auf", so Grünen-Politiker Krischer. Insider gehen davon aus, dass es mit der Freigabe der Pipeline noch bis mindestens Sommer 2022 dauert.

Das liegt an einer Reihe von Fristen: Die Frist für die Veränderungen bei Nord Stream läuft bis Januar. Anschließend ist eine Überprüfung durch die Europäische Kommission vorgesehen, die dafür wiederum vier Monate Zeit hat. Danach geht es zurück an die Bundesnetzagentur. Diese hat dann zwei Monate Zeit für eine mögliche endgültige Zertifizierung.

Könnte die Pipeline auch ohne Zertifizierung Gas fördern?

Theoretisch ja. Ohne Zertifizierung Gas zu transportieren, verstößt zwar gegen die Richtlinien, die Strafe darauf liegt mit rund einer Million Euro im Verhältnis zu den Gesamtkosten des Projekts aber nicht besonders hoch.

Allerdings ist ein solcher Schritt nach den Reaktionen auf die ausgesetzte Zertifizierung zunächst unwahrscheinlich.

Was bedeutet der Stopp für die deutsche Gasversorgung?

Hier gehen die Meinungen weit auseinander. Aus Wirtschaftskreisen heißt es zwar, dass eine schnelle Fertigstellung wünschenswert sei, mit einer Freigabe in diesem Jahr der Großteil aber sowieso nicht gerechnet hätte. Allein werde die neue Pipeline auch die Gaspreiskrise nicht lösen, so die einhellige Meinung. Sie könne aber ein Baustein sein, um insgesamt die Liste der Zulieferer zu erweitern.

Auch für die Übergangsphase der Energiewende sei Erdgas ein wichtiger Faktor. Gerade die modernste Pipeline nicht ans Netz nehmen zu wollen, sei sowohl aus Versorgungs- als auch aus Umweltgesichtspunkten unsinnig.

Auf der anderen Seite gibt es eine lange Liste an Kritikern. Grünen-Politiker Krischer sagt: "Die Nord Stream 2 wird nicht gebraucht, deswegen müssen Gazprom und Gerhard Schröder auch so viel tricksen." Das Verhalten von Gazprom vermittle darüber hinaus den Eindruck, dass das Unternehmen die deutsche und europäische Gesetzgebung nicht ernst nehme.

Zuletzt warnte der britische Premierminister, Boris Johnson, vor schweren sicherheitspolitischen Folgen der Pipeline (t-online berichtete). Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki fordert unlängst einen sofortigen Stopp. Auf polnischer Seite spielen da auch eigene Interessen in Form der Jamal-Pipeline eine Rolle.

Noch besorgter schaut die Wirtschaft aber in die USA. Bisher steht noch eine Vereinbarung, dass die Regierung von Präsident Joe Biden gegen Nord Stream 2 keine Sanktionen verhängt. Doch diese Abmachung könnte kippen und Deutschland damit in eine schwierige Lage bringen.

Was bedeutet das für Verbraucher?

An den Märkten wurde die Verzögerung unruhig aufgenommen. Der Gaspreis stieg teilweise um zehn Prozent an, erreichte aber kein neues Hoch.

Insgesamt sind die Rohstoffpreise aktuell hoch, Nord Stream 2 ist dabei nur ein kleiner Faktor. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte dazu, die Pipeline sei eine Infrastruktur zur Energieversorgung, deren Inbetriebnahme "auf Sicht" ermöglicht werden solle. Er halte aber mehr Wettbewerb im Gasbereich für wichtig. So sollte der Anteil von US-Flüssiggas deutlich erhöht werden.

Diese Forderungen nutzen den Verbrauchern auf die Schnelle wenig. Laut dem Vergleichsportal Verivox haben mindestens 191 Gasversorger bereits ihre Tarife erhöht oder dies ankündigt. Eine durchschnittliche Steigerung von 21,8 Prozent bedeutet für eine Familie mit einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden Mehrkosten von 316 Euro im Jahr.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Tagesschau: "Zertifizierung für Nord Stream 2 vorerst ausgesetzt"
  • Spiegel: "Was bedeutet der Stopp von Nord Stream 2 für unsere Gasversorgung?"
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Nord-Stream-2-Genehmigung womöglich erst im Sommer"
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen Reuters und dpa
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website