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MV Werften und Llyod-Werft: Folgen der Corona-Pandemie für den Schiffbau


Rettung gescheitert
So kam es zur Mega-Pleite der MV Werften

Von Frederike Holewik

Aktualisiert am 11.01.2022Lesedauer: 6 Min.
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Die "Global Dream One" in einem Dock der MV Werften: Das Schiff sollte als schwimmendes Casino chinesische Kundschaft anlocken, nun könnte es verschrottet werden.Vergrößern des Bildes
Die "Global Dream One" in einem Dock der MV Werften: Das Schiff sollte als schwimmendes Casino chinesische Kundschaft anlocken, nun könnte es verschrottet werden. (Quelle: Frank Hormann/nordlicht/imago-images-bilder)

Die Insolvenzen der MV Werften und der Lloyd Werft zeigen die gravierenden Folgen der Corona-Pandemie für den Schiffbau in Deutschland. Wie es mit der Branche weitergeht.

Für Deutschlands Küstenregionen gleicht es einem Erdbeben: Zum Wochenstart gaben zunächst die MV Werften aus Mecklenburg-Vorpommern bekannt, dass sie einen Insolvenzantrag gestellt haben. Kurz darauf erklärte auch die deutlich kleinere Lloyd Werft in Bremerhaven ihre Zahlungsunfähigkeit (t-online berichtete).

Mehr als 2.000 Arbeitsplätze stehen damit auf der Kippe. Beide Unternehmen gehören zum Hongkonger Konzern Genting, der gerade vor Gericht mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern über eine sofortige Auszahlung eines Darlehens von 88 Millionen US-Dollar (78 Millionen Euro) streitet.

Die Fälle zeigen dabei, in welch schwieriger Lage sich Deutschlands Schiffbauer befinden. Das liegt zum einen an der Corona-Pandemie, doch einige Probleme schwelen schon deutlich länger. t-online erklärt, wie es zu der Pleite von MV Werften kommen konnte – und was die Insolvenz für den Schiffbau-Standort Deutschland bedeutet.

Wie kam es zur Insolvenz der MV Werften?

Auf den ersten Blick liegt die Antwort nahe. Die Corona-Krise hat die Schiffbau-Branche schwer getroffen, und das weltweit. Der Grund: In der Pandemie liefen deutlich weniger Kreuzfahrtschiffe aus den Häfen aus, viele Reedereien kamen in Zahlungsschwierigkeiten – und bestellten ihre Schiffe wieder ab. Das ging auch den MV Werften so.

Gleichzeitig sind die Probleme bei dem Unternehmen von der Ostseeküste vielschichtiger. Das hängt damit zusammen, dass die MV Werften seit 2016 zum Hongkonger Unternehmen Genting gehören – das sich bis zuletzt mit der Landesregierung in Schwerin sowie mit der Bundesregierung um Hilfszahlungen stritt.

Das asiatische Tourismusunternehmen ist spezialisiert auf Kreuzfahrten. Mit der "Global Dream I", das aktuell in Wismar und Warnemünde gebaut wird, sollte das größte Kreuzfahrtschiff der Welt entstehen: 342 Meter lang, 57 Meter hoch, Platz für 9.500 Passagiere und 2.500 Crew-Mitglieder.

Auf 20 Decks sollte neben einem Vergnügungspark, einer Wasserrutsche und einer Achterbahn auch ein Casino Platz finden. Ein spezielles Schiff, produziert für den chinesischen Markt, denn auf dem Festland darf dort kein Glücksspiel betrieben werden – auf See jedoch schon.

Casino könnte zu spät kommen

Mittlerweile ist das 1,5 Milliarden Euro teure Schiff zu 75 Prozent fertiggestellt. Doch sei Baubeginn haben sich die Regeln in China geändert. Inzwischen versucht die Regierung, das Zocken auch auf Schiffen zu verbieten.

Die Genting-Gruppe dürfte sich deshalb überlegen, wie viel Sinn es ergibt, das Schiff überhaupt noch fertigzustellen. Fest steht: Wegen der Corona-Pandemie fehlen den MV Werften nun angeblich 700 Millionen Euro, um das Schiff zu Ende zu bauen.

  • Aktueller Kurs: Wo steht die Genting-Aktie gerade?

Reinhard Lüken ist entsprechend wenig überrascht, dass es nun zu der Pleite der Werften kommt. Er ist Hauptgeschäftsführer des Verbands für Schiffbau und Meerestechnik (VSM). "Die Problemanalyse und auch mögliche Lösungen diskutieren wir bereits seit Beginn der Pandemie", sagte er t-online. "Die Pandemie hatte die größten Auswirkungen auf die erfolgsverwöhnte Kreuzfahrtbranche. Im Vergleich zur Luftfahrt fielen hier auch ohne Kunden noch sehr hohe Betriebskosten an."

Zukunft der Mitarbeiter unklar

Genting Hongkong hatte die Werften in Rostock, Wismar und Stralsund 2016 als Reaktion auf den damals boomenden Kreuzfahrt-Markt übernommen. In den Werften sollten dann die Schiffe für die eigenen Reedereien gebaut werden. Der Konzern steckte zwei Milliarden Euro in die Werke, schuf viele neue Stellen. Von einem "Job-Wunder" für die sonst strukturschwache Region war damals die Rede.

Heute, knapp fünf Jahre später, dann die Pleite. Was das für die rund 1.900 Mitarbeiter bedeutet, ist noch unklar. Für viele von ihnen besonders ärgerlich: Sie warten noch auf ihre Löhne für den Dezember. Eigentlich hätten die am 5. Januar gezahlt werden müssen.

"Jetzt müssen wir darauf warten, dass ein Insolvenzberater bestimmt wird", sagt Heiko Messerschmidt, Sprecher der Gewerkschaft IG Metall Küste, zu t-online. Sollte es auf einen Insolvenzgeldbezug hinauslaufen, müssten sich die Mitarbeiter noch einige Tage länger gedulden.

Welche Rolle spielt Minister Habeck?

Kurz nachdem bekannt wurde, dass MV Werften einen Insolvenzantrag gestellt hat, äußerte sich auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu dem Fall – und gab dem Eigentümer die Schuld an der Pleite. "Als Bundesregierung haben wir alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Insolvenz der MV Werften zu vermeiden und so die Arbeitsplätze zu retten", sagte er. Ein Hilfsangebot sei ausgeschlagen worden.

Was damit gemeint ist: Der Bund hatte immer wieder versichert, rund 600 Millionen Euro aus dem staatlichen Wirtschaftsstabilisierungsfonds zur Verfügung stellen zu wollen. Doch der malaysische Milliardär Lim Kok Thai, Chef des Genting-Konzerns, wollte den dafür geforderten Eigenbetrag von 60 Millionen Euro offenbar nicht aufbringen.

Hat er das Geld etwa nicht? Lässt er die MV Werften deshalb pleitegehen? Unwahrscheinlich. Vielmehr mutmaßen Beobachter, dass Lim Kok Thai erst auf die Auszahlung eines Hilfsdarlehens der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern an Genting warten will.

Insgesamt geht es dabei um eine Summe von 78 Millionen Euro. Der Betrag war dem Konzern im Juni zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen zugesagt worden. Doch das Land kündigte den Vertrag am Montagabend. Genting bezweifelt, dass das rechtens ist – und zog umgehend vor Gericht. Dort warf der Anwalt von Genting der Landesregierung am Dienstag vor, "eine politische Motivation kaschieren" zu wollen.

Ein Anwalt des Landes Mecklenburg-Vorpommern wies den Vorwurf der politischen Motivation zurück. Das Gericht will Anfang kommender Woche über die Sache entscheiden.

Bricht nun der deutsche Schiffsmarkt ein?

Das lässt sich derzeit noch nicht abschließend sagen. Mit MV Werften in Wismar, Stralsund und Rostock sowie der Lloyd Werft Bremerhaven stehen erst einmal zwei große Arbeitgeber in ihren jeweiligen Regionen vor dem Aus. Doch das Problem geht noch darüber hinaus.

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Bereits im Juli 2021 musste Deutschland älteste Werft, die Pella Siestas in Hamburg, Insolvenz anmelden (t-online berichtete). Nach 386 Jahren könnte es das Ende für das Unternehmen sein. Der Kreuzfahrtschiff-Bauer Meyer Werft in Papenburg musste zur Kostensenkung Hunderte Jobs kündigen. Einen ähnlichen Schritt kündigte vor Kurzem die Werft Blohm + Voss aus Hamburg an. Hier sollen 133 Stellen eingespart werden.

Laut IG Metall waren im September 2021 zuletzt 16.653 Menschen im Schiffbau beschäftigt – 1.500 Arbeitsplätze weniger als noch im Vorjahr. Besonders hart trifft es demnach die Schiffbauer in Mecklenburg-Vorpommern. 2021 ging die Zahl der Werft-Beschäftigten in Mecklenburg-Vorpommern im Vorjahresvergleich um über 23 Prozent zurück – deutschlandweit waren es im Schnitt minus 8 Prozent.

Breit gefächerter Markt macht Hoffnung

Und das sind nur die direkten Angestellten in den Werften. "Bei unseren komplexen Schiffen gilt die Faustregel: Auf einen Werft-Mitarbeiter kommen 10 weitere Arbeitsplätze bei Zulieferern", so Verbandschef Lüken.

Die Schwierigkeit, aber auch die Chance sieht Lüken darin, dass das Produkt Kreuzfahrt nichts an Attraktivität verloren habe. Doch die Reeder müssten erst wieder Geld verdienen, um neue Schiffe zu ordern. Noch ist das für den breit gefächerten Markt mit 130 Werften abzufedern.

"Der Marine-Schiffbau und der Yachten-Markt sind weniger betroffen. Das Problem ist aber die mittelfristige Perspektive und dafür muss die ganze Wertschöpfungskette bedacht werden", sagt Lüken. Das heißt: Die Nachfrage ist nicht in allen Bereichen eingebrochen, aber damit sich der Schiffbau weiter lohnt, braucht es die Nachfrage nach Kreuzfahrtschiffen.

Im Zuge der Finanzkrise 2008 gaben viele deutsche Werften den serienmäßigen Bau von Standardschiffen auf und begannen, sich auf eine Nischenposition in Hightech-Segmenten zu konzentrieren. Trotz einer massiv abnehmenden Zahl der jährlich ausgelieferten Schiffe von rund 200 in den 1980er-Jahren auf unter 20 im Jahr 2020 konnten die deutschen Werften so in den vergangenen Jahren Gesamtumsätze von um die fünf Milliarden Euro jährlich erwirtschaften.

Diesen Wirtschaftszweig zu verlieren, könne Europa sich nicht leisten. "Eine komplette Abhängigkeit von China wäre eine strategische Katastrophe für Europa", so Lüken.

Lüken: 2022 müssen Änderungen kommen

Dafür stellt er eine klare Forderung: "2022 müssen politische Änderungen kommen. Die Insolvenz von MV Werften macht diese Dringlichkeit klar." Die neue Bundesregierung sieht er dafür gut aufgestellt. "Ein Bundeskanzler aus Hamburg und ein Wirtschaftsminister mit Flensburger Wahlkreis stimmen dabei optimistisch", sagt Lüken.

In Bremen und an den Standorten der MV Werften wird unterdessen nach Käufern gesucht. Die Bremerhavener Stahl- und Schiffbaugruppe Rönner hatte schon 2021 Interesse an Lloyd bekundet, Verhandlungen mit Genting brachten damals aber kein Ergebnis.

Auch für die Standorte der MV Werften in Bremerhaven und Stralsund habe es bereits vor der Insolvenz Interessenten gegeben, heißt es von der Gewerkschaft IG Metall.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer VSM
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