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Sahm und Rastal: Der Kampf der Glasgiganten


Sahm und Rastal
Der Kampf der Glasgiganten

Von Mauritius Kloft

24.07.2022Lesedauer: 7 Min.
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Coca-Cola-Glas von Rastal und Budweiser-Budvar-Glas von Sahm: Die beiden Glasveredler kämpfen um die Marktführerschaft.Vergrößern des Bildes
Coca-Cola-Glas von Rastal und Budweiser-Budvar-Glas von Sahm: Die beiden Glasveredler kämpfen um die Marktführerschaft. (Quelle: Adrian Röger/T-Online-bilder)

In einer Kneipe werden Bier, Likör oder Wasser meist in einem Glas von Sahm oder Rastal serviert. Das Kuriose: Die Firmen stammen aus einer Familie – und bekämpfen sich.

Wer im Westerwald von der Autobahn 48 abfährt und der Straße nach Höhr-Grenzhausen folgt, muss sich entscheiden: Zur Firma Rastal führt die erste der beiden Kreiselausfahrten, vorbei an der Baustelle für das Einkaufscenter mit dem Namen Rastal.

Die zweite Ausfahrt des Kreisels dagegen leitet zu Sahm. Auf der rechten Seite sind Tonkrüge auf einer Mauer aufgereiht. Sie deuten auf den wichtigsten Wirtschaftszweig der kleinen Stadt im Westerwald: die Keramikindustrie.

Mit letzterer haben Sahm und Rastal zwar nichts mehr zu tun, dennoch sind sie die Aushängeschilder des Städtchens: Beide Firmen sind "Glasveredler", stellen sogenannte Exklusivgläser her. Gefäße also, die durch ihre Form und das Design für eine Getränkemarke stehen.

Vergleich zu Adidas und Puma

Was abseits der 9.000-Einwohner-Stadt nur wenige wissen: Beide Unternehmen stammen ursprünglich aus einer Familie, die Gründer waren Brüder. Heute kämpfen sie um die globale Marktführerschaft – obwohl sie gerade mal einen Kilometer entfernt voneinander sitzen.

In Höhr-Grenzhausen ist das natürlich bekannt. Schnell fällt im Gespräch mit Ortsansässigen der Vergleich zu Adidas und Puma, zu Aldi Süd und Aldi Nord. Auch hier waren es jeweils Brüder, die sich im Streit um die Ausrichtung und Strategie entzweit und ihre Firmen jeweils getrennt voneinander weitergeführt haben.

Bei Sahm und Rastal ist der Fall jedoch etwas anders gelagert. Denn Eugen und Emil Sahm haben niemals zusammen eine Firma geführt, es lief von vorneherein getrennt.

Zwei Brüder, eine Idee

Ein Blick zurück.

Emil und Eugen werden 1878 und 1887 als zweites und drittes Kind der Familie Sahm geboren. Der ältere Bruder der beiden, Arnold, ist Glashändler, Familienvater Johann Heinrich Adolf ist Töpfer.

Im Alter von 22 Jahren gründet Emil eine Zinngießerei, in der er Deckel für Bierkrüge herstellt. Sein jüngerer Bruder Eugen geht bei ihm 1901 in die Lehre – doch bleibt nicht lange:

Nach dem Ersten Weltkrieg, im Alter von 32 Jahren, macht sich Eugen selbstständig und legt den Grundstein für sein eigenes Unternehmen, die heutige Firma Rastal. Damals heißt sie noch Sahm-Merkelbach GmbH, benannt nach seinem Schwiegervater, der bei der Finanzierung half.

1964 entsteht das Exklusivglas

Zunächst handelt er noch mit Bierkrügen und Kohlen. Erst Anfang der 1930er-Jahre konzentriert sich Eugen Sahm ausschließlich auf die Krug- und Glasveredlung – nachdem sein Bruder Emil schon zuvor auf das Bemalen und Dekorieren von Gläsern umgeschwenkt war.

In der Sahm-Firmenchronik heißt es dazu: "Nachdem der Unternehmensgründer Emil Sahm als einer der ersten den lukrativen Markt der Bierglasveredelung und Bierglasmalerei entdeckt hat, sind ihm andere gefolgt und bieten ähnliche Dienstleistungen für ihre Kunden an." Ob mit dieser Spitze das Unternehmen seines jüngeren Bruders gemeint ist, lässt sich nicht sicher sagen. Ohnehin wird in der Chronik nur einmal überhaupt Rastal, die Firma Eugen Sahms, erwähnt.

Fakt ist: Die beiden Unternehmen verzieren neben Gläsern bald auch Aschenbecher, Leuchten oder Wandteller. Um Verwechslungen mit der Firma Sahm zu verhindern, benennt sich Sahm-Merkelbach 1959 schließlich um – in Rastal, einem Kunstbegriff aus Rastertechnik und Kristall.

Sechs Jahre später, 1964, entwickelt Rastal dann das Marken-Exklusivglas. "Kleider machen Leute, Gläser machen Bier" lautet der damalige Slogan von Rastal. Bitburger ist die erste Brauerei mit einem solchen exklusiven Trinkgefäß, dem Bit-Pokal. Auch Sahm dekoriert solche Exklusivgläser, nennt sie aber anders. Hier heißen sie Markengläser.

Bis heute glänzt das Exklusivglas

"Das Exklusivglas war eine revolutionäre Idee", sagt Raymond Sahm-Rastal, Inhaber von Rastal, im Gespräch mit t-online. Eigentlich heißt er nur Sahm, tritt im Regelfall mit dem Nachnamen Sahm-Rastal auf.

"Für die wirtschaftliche Entwicklung von Rastal als auch für die deutsche Trinkkultur war es ein Wahnsinnsmotor." Heutzutage seien die Deutschen zwar gewohnt, dass man zu jedem Bier ein anderes Glas bekomme. "Für uns ist das Exklusivglas immer noch sehr wichtig, allein wegen unserer Reputation als Erfinder."

Bis heute zehrt Rastal von der Idee. Und Sahm ebenfalls.

Wer in einer Kneipe ein Bier bestellt, wird mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ein Glas von einem der Sahm-Brüder erwischen. Ganz egal ob Pils, Alt, Kölsch oder Weizen: Unter der Eichmarkierung, für gewöhnlich ein dünner Strich am oberen Rand, oder am Boden des Glases findet man im Regelfall einen der beiden Firmennamen. Auch Gläser für Wein, Likör, Schnaps, Cocktails, Saft oder Wasser verzieren die Firmen.

Sahm und Rastal beliefern die großen deutschen Bierbrauer: Bitburger, Krombacher, Veltins, Radeberger, Paulaner, Erdinger, Gaffel oder Früh Kölsch – um nur einige zu nennen. Daneben gestalten sie aber auch Gläser für internationale Marken wie Guinness, Heineken, Coca-Cola, Pepsi, Campari, Aperol oder Jim Beam.

Die Idee des Exklusivglases ist dabei nicht geschützt. "Es wäre schön, wenn es ein Patent auf die Idee des Exklusivglases gegeben hätte. Wir schützen nur das jeweilige Design, das geht aber nur für 25 Jahre", erklärt Sahm-Rastal. Daher stellt auch die Firma Sahm etwa Gläser für Bitburger her. Klar sei, so der Rastal-Chef: "Wir können nicht jedes Design verteidigen." Denn in Asien würden ebenfalls Designs kopiert, moniert er.

Wer zieht den gewichtigeren Kunden ans Land?

Bis zu 120 Millionen Gläser verziert Rastal jedes Jahr. Damit erwirtschaftet das Unternehmen einen Umsatz von etwa 50 Millionen Euro. Bei Sahm ist die Größenordnung ungefähr die gleiche.

Dafür arbeiten die beiden Unternehmen mit eigenen als auch externen Designern zusammen. Die Fragen, die die Konkurrenz untereinander prägt, lauten: Wer schafft die besseren Designs? Wer gewinnt mehr Preise? Und vor allem: Wer zieht den gewichtigeren Kunden, den bekannteren Bierbrauer an Land?

Einer, der beide Firmen schon seit Jahrzehnten kennt, ist Jürgen Johannsen. Er war zwischen 1991 und 2009 Bürgermeister der Gemeinde, ist Erster Vorsitzender der örtlichen Gesellschaft für Stadtgeschichte und Kultur. "Es wird hart gekämpft", sagt er t-online. Die Zusammenarbeit mit den Unternehmen sei jedoch stets gut gewesen: So treten beide Firmen immer wieder als Sponsor für Anschaffungen in der Stadt auf, Sahm etwa bezahlte den gleichnamigen Kreisverkehr.

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Annette Zeischka-Kenzler fühlt sich, wie viele andere in Höhr-Grenzhausen, bei den Unternehmen an Adidas und Puma erinnert. Die stellvertretende Leiterin des ansässigen Keramikmuseums hat die Ausstellung zum 100-Jahr-Jubiläum von Rastal kuratiert. "Beide stellen Spitzenprodukte her. Sie werden keine Bar finden, die nicht Glasdesign von einem der beiden oder sogar von beiden verwendet", so Zeischka-Kenzler. Die beiden grüßten sich dennoch, "wenn man sich im Ort begegnet".

"Der Stachel sitzt tief"

In der Getränkebranche ist der Wettbewerb der beiden Firmen allen bekannt. Sämtliche Hersteller, mit denen t-online gesprochen hat, bestätigen den Eindruck, der sich aufdrängt: Die Mittelständler schenken sich wenig.

"Sahm und Rastal sind sich nicht grün", sagt ein Kenner der Unternehmen, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will. "Sie sind die Hauptwettbewerber, kämpfen knallhart ums Geschäft."

Auch der Manager eines großen Bierbrauers, der schon seit Jahren mit den beiden Firmen zusammenarbeitet, sagt: "Der Stachel sitzt tief." Letztlich sei es aber nicht schlecht, da Wettbewerb das Geschäft belebe – und die Preise für die Getränkeproduzenten drückt.

"Es liegt kein Fokus auf der Bekämpfung der Firma Sahm"

Spricht man Raymond Sahm-Rastal auf die Konkurrenz zu Sahm an, wiegelt er ab. Er möchte nichts zum Wettbewerber aus dem Ort sagen, lediglich ein Satz geht ihm dann doch über die Lippen: "Ich muss betonen: Es liegt kein Fokus auf der Bekämpfung der Firma Sahm. Wir treten nicht offensiv gegenüber Sahm auf und wollen keinen Wettbewerber schlechtmachen."

Doch Sahm-Rastal gibt zu, dass es für Geschäftspartner "verwirrend" sein könne, "dass wir denselben Namen tragen und im selben Ort sitzen", sagt er. "Auch deshalb habe ich mich Sahm-Rastal genannt."

Bei der Firma Sahm hingegen gibt man sich gänzlich verschwiegen. Michael Sahm, Inhaber des gleichnamigen Unternehmens, schrieb t-online auf eine Interviewanfrage: Man solle "vielleicht im kommenden Jahr noch einmal auf uns zu zukommen". Weitere konkrete Fragen ließ Sahm bislang unbeantwortet.

Im Kannenbäckerland, einer Kulturlandschaft im nördlichen Rheinland-Pfalz, liegen die größten Tonverkommen Europas. Seit dem 16. Jahrhundert wird hier Steinzeug hergestellt – bis heute. Vor allem die Städte Höhr-Grenzhausen und Ransbach-Baumbach gelten als Zentren der Keramik. Neben dem Keramikmuseum Westerwald zeugt davon auch etwa ein Campus der Hochschule Koblenz mit speziellem Keramik-Fachbereich, auch eine Fachschule für Keramiktechnik sitzt hier. In Höhr-Grenzhausen ist neben Sahm und Rastal auch das Unternehmen Steuler ansässig, das Spezialkeramik für die Industrie produziert. Aus Ransbach-Baumbach stammt etwa der weltbekannte Römertopf.

Zugegeben: Zwar tragen die beiden Inhaber, Raymond und Michael Sahm, denselben Namen. Die Verwandtschaft ist mittlerweile aber nur noch marginal. Michael ist der Neffe dritten Grades von Raymond. Anders gesagt: Michael ist der Sohn von Raymonds Großcousine.

Großer Knall? Wohl eher nicht

Warum sich die Unternehmen in Schweigen hüllen, was ihre Herkunft angeht, ist nicht bekannt. Aus Kreisen der beiden Unternehmen heißt es aber, man wolle sich weder positiv noch negativ über den jeweils anderen äußeren. Wohl auch, um keine alten Wunden aufzureißen.

Die Frage nach einem möglichen Streit zwischen den Brüdern verneinte Sahm-Rastal indes. Zeischka-Kenzler vom Keramikmuseum bestätigt, es gehe aus den Unterlagen nicht hervor, ob überhaupt ein Konflikt vorgefallen sei. "Der Grund, warum sich die Brüder vor über 100 Jahren trennten, ist nicht bekannt", sagt die gelernte Archäologin. So etwas sei auch nicht ungewöhnlich.

"So unterschiedlich sie auch vielleicht waren, beide waren innovativ und zielstrebig. Beiden gelang es, ihre Firmen international so auszubauen, dass sie heute noch existieren", sagt sie.

"Stück Westerwald auf dem Tisch"

Konkrete Pläne oder Gespräche über eine Fusion gibt es wohl nicht, heißt es aus dem Umfeld der Firmen. Auch hier wiegelt Sahm-Rastal ab, sagt lediglich, es müsse passen.

"In der aktuellen Zeit haben wir genug mit uns selbst zu tun", so der Rastal-Inhaber. Damit meint er die Folgen der Corona-Pandemie, die die Gastronomie und somit auch Sahm und Rastal schwer getroffen hat.

Aktuell stehen der energieintensiven Glasindustrie ohnehin harte Zeiten bevor. Es ließe sich kaum absehen, was in der Gaskrise auf das Unternehmen zukomme, so Sahm-Rastal, geschweige denn "wie es in einem Jahr aussieht". Die Mittelständler haben also zunächst andere Probleme.

Der frühere Bürgermeister Johannsen freut sich jedenfalls, dass die beiden Firmen miteinander konkurrieren. Denn: Sollten sich bei einem Zusammenschluss "Synergieeffekte" ergeben, wie er es nennt, würden auch Arbeitsplätze wegfallen.

"Es ist gar nicht so unbequem, wenn beide Firmen in gesundem Wettbewerb agieren", so Johannsen. "Im Gegenteil: Für Höhr-Grenzhausen war und ist das ein Glücksfall." Und letztlich sei es doch egal: "In der Kneipe steht so oder so ein Stück Westerwald auf dem Tisch."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche vor Ort
  • Gespräch mit Annette Zeischka-Kenzler
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