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Corona-Lockerungen: Deutschlands Nachbarn verlieren die Geduld


Umstrittene Corona-Lockerungen
Deutschlands Nachbarn verlieren die Geduld

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 27.04.2021Lesedauer: 7 Min.
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"Endlich fühlen wir uns wieder frei": So lockert Italien gerade seine Corona-Maßnahmen – wie auch andere Nachbarländer Deutschlands. (Quelle: Reuters)

Die bislang schlimmste Corona-Welle hat Europa fest im Griff. Doch obwohl die Zahl der Neuinfektionen unverändert hoch ist, lockern viele Länder die Maßnahmen. Was steckt dahinter? Ein Überblick.

Deutschland hat die Notbremse in der Corona-Pandemie gezogen. In weiten Teilen des Landes gilt ein harter Lockdown, es gibt nächtliche Ausgangssperren und verschärfte Kontaktbeschränkungen. Durch die dritte Viruswelle und die Ausbreitung der Mutation B.1.1.7 haben sich die Fallzahlen auf einem hohen Niveau stabilisiert.

Am Dienstag meldete das Robert Koch-Institut (RKI) 10.976 Neuinfektionen, die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner liegt momentan bei 167,6. Dagegen stieg das Impftempo zwar zuletzt rasant an, aber mit einer Quote von 23,9 Prozent bei den Erstimpfungen ist auch Deutschland noch weit von der nötigen Herdenimmunität entfernt.

Deutschland verschärft, andere Länder lockern

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verteidigte die in Kraft getretene bundesweite Corona-Notbremse als "dringend nötig". Von Ärzten und Pflegepersonal kämen "wahre Hilferufe", sagte Merkel am Samstag. Die Bundesregierung möchte ein Szenario um jeden Preis verhindern: eine Überlastung des deutschen Gesundheitssystems.

Viele europäische Staaten verzeichnen ähnliche Entwicklungen, die Inzidenzwerte sind teilweise sogar deutlich höher als in der Bundesrepublik. Trotzdem lockern Länder wie Österreich, Italien oder die Niederlande die Corona-Maßnahmen.

Was steckt hinter den verschiedenen Lockdown-Strategien in Europa? Die pandemische Lage in fünf Ländern im Überblick:

1. Österreich (Sieben-Tage-Inzidenz: 172,7; Quote bei Erstimpfungen: 22,7 Prozent)

Lockerungen: Nach mehr als einem halben Jahr und trotz der weiterhin hohen Corona-Infektionszahlen will Österreich schon im Mai den strikten Lockdown beenden. Ab dem 19. Mai sollen viele Bereiche wieder öffnen und auch der Tourismus soll wieder starten, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz am Freitag mitteilte. Begleitet werden die Lockerungen von strikten Auflagen, Bundesländer können an strengeren Beschränkungen festhalten.

Neben Restaurants, Cafés und Hotels können laut Kurz auch Theater und andere Kulturinstitutionen sowie Messen und Kongresse wieder öffnen. Indoorsport ist dann ebenso wieder erlaubt wie Mannschafts- und Kontaktsportarten. Bereits ab dem 17. Mai soll wieder durchgehend Präsenzunterricht in den Schulen stattfinden.

Voraussetzung ist ein negativer Corona-Test oder der Nachweis, dass man geimpft wurde oder innerhalb des vergangenen halben Jahres von Covid-19 genesen ist. In vielen Fällen wird auch eine Registrierung verlangt. Zwischen 22 und 5 Uhr dürfen sich jedoch nicht mehr als vier Erwachsene treffen.

Bei Veranstaltungen im Sport- und Kulturbereich darf maximal die Hälfte der Plätze besetzt sein. Drinnen ist die Zahl der Teilnehmer auf 1.500 begrenzt, im Freien auf 3.000. Für fast alle Bereiche gilt die Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken.

Das steckt dahinter: Österreich setzt bei seinen Lockerungen vor allem auf den Impfeffekt. Rund zwei Millionen der knapp neun Millionen Einwohner sind bislang mindestens einmal geimpft, bis Mitte Mai soll die Zahl auf drei Millionen steigen. Mit der Immunisierung der Hochrisikogruppen dürfte dem Kanzler zufolge auch die Zahl der Krankenhauseinweisungen fallen – selbst wenn die Zahl der Infektionsfälle wieder steigen sollte.

Hinzu kommen jedoch auch politische Beweggründe. In Österreich gibt es vermehrt Proteste gegen die Maßnahmen; die Regierung braucht dringend positive Nachrichten. Die Beliebtheitswerte von Kanzler Kurz sinken. Auch deshalb braucht er Erfolge im Kampf gegen die Pandemie. Ein riskantes Spiel.

2. Frankreich (Sieben-Tage-Inzidenz: 305; Quote bei Erstimpfungen: 20,6 Prozent)

Lockerungen: In Frankreich sind erste Schulen nach dreiwöchiger Corona-Pause wieder geöffnet. Präsident Emmanuel Macron wünschte den Kindern und Pädagogen in Kitas und Grundschulen am Montag auf Twitter einen "guten Unterrichtsbeginn". Präsenzunterricht sei wichtig, um "gegen soziale und schicksalhafte Ungleichheiten zu kämpfen", betonte Macron, der eine Grundschule in Melun südlich von Paris besuchte. In Kitas und Grundschulen sollen wöchentlich mindestens 400.000 Corona-Speicheltests eingesetzt werden.

Ab Mai soll es in Frankreich weitere Lockerungen unter anderem bei den landesweiten Ausgangsbeschränkungen geben. Die Gastronomie dringt auf eine rasche Öffnung aller Cafés und Restaurants, die seit sechs Monaten geschlossen sind. Die Regierung will eine Öffnung ab Mitte Mai zunächst nur für die Außengastronomie unter Auflagen erlauben.

Das steckt dahinter: Die Infektionslage in Frankreich ist weiter sehr angespannt. Auf den Intensivstationen des Landes werden immer noch fast 6.000 Corona-Patienten behandelt, rund tausend mehr als auf dem Höhepunkt der zweiten Welle im November.

Dennoch ist Premierminister Jean Castex zuversichtlich. "Der Höhepunkt der dritten Welle scheint hinter uns zu liegen", sagte er vergangene Woche. Die Situation verbessere sich langsam, die Zahl der Menschen auf den Intensivstationen habe seit einigen Tagen ein Plateau erreicht.

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Die Anstrengungen, die man unternommen habe, würden ihre Wirkung zeigen, wenn man wachsam bleibe und nicht zu früh aufgebe, betonte Castex. Man sei auf dem besten Weg, das Ziel zu erreichen, dass bis Mitte Mai 20 Millionen Menschen und bis Mitte Juni 30 Millionen eine erste Impfung erhalten haben.

Auch die französische Regierung fürchtet den zunehmenden Missmut in der Bevölkerung und möchte zu großen Schaden vom wichtigen Tourismussektor abwenden. Außerdem priorisiert das Land Bildung über den Infektionsschutz. Schulen und Kitas blieben die meiste Zeit geöffnet, die Schüler mussten lediglich vor den Osterferien ab dem 3. April für eine Woche in Distanzunterricht.

3. Tschechien (Sieben-Tage-Inzidenz: 163,4; Quote bei Erstimpfungen: 17,9 Prozent)

Lockerungen: Tschechien hat den Corona-Notstand nicht verlängert. Premierminister Andrej Babis kündigte am 11. April an, dass die Reisebeschränkungen zwischen den Regionen des Landes und die nächtliche Ausgangssperre aufgehoben werden. In der Hauptstadt Prag sind Schulen und Geschäfte wieder geöffnet.

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Der Notstand gab der Regierung mehr Vollmachten und ermöglichte es, Grundrechte auszusetzen. Die Regierung wollte ihn bis zum 27. April verlängern, doch das Parlament stimmte nur einer Verlängerung bis zum 11. April zu.

Das steckt dahinter: Ähnlich wie Portugal ist Tschechien ein Beispiel, wie ein Land durch einen harten Lockdown in vergleichsweise kurzer Zeit die Sieben-Tage-Inzidenz verringern kann. Anfang März stand das Land noch bei über 800 Infektionen pro 100.000 Einwohner, Tschechien war das Sorgenkind Europas. Inzwischen hat sich die Lage deutlich entspannt, das zeigt sich auch im deutschen Grenzgebiet.

Doch nun ging die Regierung das Risiko ein, die Maßnahmen früh zu lockern. In Prag regiert das "Prinzip Hoffnung", Premierminister Andrej Babis will vor allem innenpolitisch die hitzige Stimmung entschärfen. Auch in Tschechien gab es trotz der dramatischen Lage wütende Proteste gegen die Maßnahmen.

Das politische Chaos im Land ist auch weiterhin ein Risiko: Die Bevölkerung bekommt Ausfälle durch Corona kaum vom Staat kompensiert, viele Menschen verheimlichen deshalb ihre Erkrankungen. Außerdem trat der ehemalige Staatspräsident Vaclav Klaus öffentlich mit Corona-Leugnern auf, das Misstrauen in das Krisenmanagement der Regierung ist allgemein groß.

4. Niederlande (Sieben-Tage-Inzidenz: 337,1; Quote bei Erstimpfungen: 21,2 Prozent)

Lockerungen: Die niederländische Regierung hebt die umstrittene nächtliche Ausgangssperre in der Corona-Pandemie am 28. April auf. Auch Cafés dürften dann von 12 bis 18 Uhr ihre Außenbereiche für maximal 50 Menschen wieder öffnen, teilte Ministerpräsident Mark Rutte mit. Auch dürfen die Niederländer dann zu Hause zwei Besucher pro Tag statt nur einen wie bislang empfangen. Geschäfte dürfen Kunden wieder ohne Termin einlassen.

"Wir sind natürlich froh, dass dies wieder möglich ist, denn die Gesellschaft sehnt sich nach mehr Freiheit", sagte Rutte. Er fügte hinzu, dass es ein "sehr vorsichtiger und behutsamer Schritt" sei, da die Infektionen immer noch Woche für Woche stiegen.

Das steckt dahinter: Die Zahl der Neuinfektionen in den Niederlanden steigt weiter. Die Regierung ging davon aus, dass der Scheitelpunkt der dritten Welle vergangene Woche erreicht wurde, aber das bestätigte sich nicht. Trotzdem hält sie an den Lockerungen fest.

Das hat unterschiedliche Gründe: Die Bevölkerung in den Niederlanden ist mehrheitlich weniger bereit, Freiheiten aufzugeben. Angesichts der Ausgangssperren gab es im Februar massive Proteste, Plünderungen und Straßenschlachten. Es ist dagegen in der Bevölkerung akzeptiert, dass die Politik ein höheres Risiko bei der Pandemie-Bekämpfung eingeht.

Rutte und seine konservative "Volkspartij voor Vrijheid en Democratie" werden außerdem politisch von linken Parteien – die schärfere Maßnahmen möchten – und rechtsradikalen Parteien – die eine Aufhebung der Beschränkungen fordern – in die Zange genommen. Die politische Spaltung des Landes lähmt deshalb ein Stück weit die konsequente Bekämpfung der Pandemie.

5. Italien (Sieben-Tage-Inzidenz: 153,1; Quote bei Erstimpfungen: 20,8 Prozent)

Lockerungen: Restaurants und Bars in vielen Regionen Italiens dürfen seit dieser Woche ihre Außengastronomie öffnen und Kulturstätten wieder Besucher empfangen. In Rom öffnen zahlreiche Museen wie der Palazzo Barberini mit seiner bedeutenden Kunstsammlung, die Trajansmärkte und der berühmte Circus Maximus, wie die Stadt mitteilte. Auch Venedigs Oper La Fenice empfängt wieder Zuschauer. Aktuelle Bilder aus Rom sehen Sie auch hier im Videobeitrag.

Die Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi hatte in der vergangenen Woche einen Fahrplan für schrittweise Lockerungen beschlossen. Die Öffnungen in Gastronomie und Kulturbereich gelten demnach in den Gelben Zonen mit einem moderaten Infektionsgeschehen. Dazu zählen in dieser Woche insgesamt 15, darunter die Lombardei mit der Metropole Mailand, Latium mit der Hauptstadt Rom, die Autonome Provinz Bozen-Südtirol und die Urlaubsregion Toskana.

Mit den Lockerungen können mehr Kinder zum Präsenzunterricht kommen. Außerdem ist in den Gelben Zonen Sport im Freien in Gruppen wieder erlaubt.

Das steckt dahinter: In Italien hat sich die Sieben-Tage-Inzidenz stabilisiert, aber die Lockerungen sind trotzdem nicht ohne Risiko. Auch die italienische Regierung steht unter Druck – einerseits durch Maßnahmen-Gegner in der Bevölkerung, andererseits durch heftigen Streit in der Regierung.

Der Chef der mitregierenden rechten Lega, Matteo Salvini, hatte angekündigt, dass seine Kabinettsmitglieder wegen der Ausgangssperre dem Öffnungsplan nicht zustimmen, sondern sich enthalten würden. Danach legte Salvini mit Kritik an den gerade abgesegneten Zuschauer-Obergrenzen für die Kultur nach. Der frühere Innenminister verlangte stärkere Lockerungen. Man müsse den Bürgern "mehr vertrauen", Leben und Arbeit müssten "drinnen und draußen" erlaubt sein. Konkret verlangte Salvini das Ende der Ausgangssperre, die von 22 bis 5 Uhr gilt oder zumindest einen Beginn erst ab 23 Uhr.

Ministerpräsident Draghi muss zeitgleich zur Pandemiebekämpfung also ein ein Zerbrechen der Regierung verhindern. Sonst würde Italien in die nächste politische Krise schlittern.

Letztlich zeigt der internationale Vergleich, dass die dritte Corona-Welle auch in Deutschlands Nachbarländern nicht besiegt ist, im Gegenteil. Es gibt zwar positive Signale aus Tschechien, aber die wurden durch einen scharfen Lockdown erkämpft. Die Lockerungen in diesen Ländern sind oft das Ergebnis des immensen politischen Drucks auf die Regierungen. Deutschland hält derweil an der "Notbremse" fest. Die kommenden Wochen werden zeigen, welcher Weg erfolgreicher ist.

Verwendete Quellen
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