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Diese Folgen hätte der Nato-Beitritt von Finnland und Schweden


Veto bei der Norderweiterung
Könnte die Nato die Türkei rauswerfen?


Aktualisiert am 28.06.2022Lesedauer: 7 Min.
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Erdoğan und Stoltenberg: Die Türkei ist seit 1952 Nato-Mitglied.Vergrößern des Bildes
Erdoğan und Stoltenberg: Die Türkei ist seit 1952 Nato-Mitglied. (Quelle: Belga/imago-images-bilder)

Mitten im Ukraine-Krieg wollen Schweden und Finnland in die Nato eintreten. Doch die Türkei blockiert – kann das Konsequenzen haben?

Schweden und Finnland wollen Mitglieder der Nato werden. Anders als ihre nordischen Partnerstaaten Dänemark, Norwegen und Island gehören die beiden Länder dem westlichen Militärbündnis bislang nicht an. Historisch standen die beiden skandinavischen Länder stets zur ihrer sicherheitspolitischen Neutralität, nicht zuletzt, um ihre Beziehungen zu Russland nicht zu verschlechtern. Aber damit soll nun Schluss sein, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird auch die Sicherheitsarchitektur in Europa massiv verändern.

Wie wahrscheinlich ist es, dass es bei Drohungen seitens Russland bleibt? Wie verläuft der Nato-Beitritt von Finnland und Schweden? Und wie geht es weiter mit der Türkei? Ein Überblick:

Wer ist die Nato und wofür ist sie zuständig?

Die Nato (Kurzform für Nordatlantische Vertragsorganisation) ist das wohl wichtigste sicherheitspolitische Bündnis der Welt und besteht seit gut 70 Jahren. Gegründet wurde sie am 4. April 1949. 30 Mitgliedsstaaten gehören inzwischen dazu. Im Falle eines Angriffs auf einen der Mitgliedsstaaten haben sich die anderen dazu verpflichtet, gegenseitig Beistand zu leisten. Dieser sogenannte Bündnisfall müsste von allen Nato-Partnern beschlossen werden.

Was ist Voraussetzung für den Nato-Beitritt?

Zuallererst muss ein Staat Interesse an einem Beitritt in die Nato bekunden. Dann finden Gespräche statt und die Länder stellen offiziell einen Antrag auf Beitritt in das Bündnis. Erst dann beginnen konkrete Gespräche, in denen auch evaluiert wird, ob alle Voraussetzungen erfüllt werden. Denn mit der Aufnahme sind auch bestimmte Bedingungen verbunden – heute gilt etwa, dass das Land ein demokratischer Staat sein muss, Minderheiten gleich behandelt, friedvolle Lösungen in Konflikten suchen will sowie die Fähigkeit und den Willen hat, sich militärisch in der Nato einzusetzen. Diese Kriterien galten jedoch nicht immer für alle Mitglieder des Bündnisses: So stand Portugal als Gründungsmitglied 1949 unter der autoritären Herrschaft von António de Oliveira Salazar.

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Die Aufnahme in die Allianz wäre für Finnland und Schweden nach jahrzehntelanger Bündnisfreiheit eine historische Zäsur. Für ihren Beitritt ist auch ein einstimmiges Votum der Nato sowie die Ratifizierung der Bündniserweiterung durch die Parlamente aller 30 bisheriger Mitgliedstaaten nötig.

Welche Länder gehören zur Nato?

Haben Finnland und Schweden schon einen offiziellen Antrag für einen Nato-Beitritt gestellt?

Ja, Mitte Mai übergaben die Botschafter der beiden Länder die entsprechenden Dokumente an Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in der Brüsseler Bündniszentrale.

Wie positionieren sich die Mitgliedsstaaten zu einer Nato-Erweiterung?

Deutschland und die meisten anderen Alliierten begrüßen es, dass Finnland und Schweden in Reaktion auf Russlands Angriff auf die Ukraine mit Vorbereitungen für einen Nato-Beitritt begonnen haben. "Ich sage ohne jedes Zögern: Liebe Freundinnen und Freunde in Schweden und Finnland, Ihr seid uns herzlich willkommen! Mit Euch an unserer Seite wird die Nato, wird Europa stärker und sicherer", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz, nachdem die Nordländer ihre Anträge eingereicht hatten.

Ähnlich äußerte sich auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Der Norweger sprach von einem "historischen Schritt". "Dies ist ein guter Tag zu einem kritischen Zeitpunkt für unsere Sicherheit", sagte Stoltenberg mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. US-Präsident Joe Biden sagte, er sei stolz darauf, die Anträge der beiden Staaten auf Beitritt zum "stärksten und mächtigsten Verteidigungsbündnis der Weltgeschichte" zu unterstützen. "Finnland und Schweden machen die Nato stärker."

Griechenland unterstützt die Pläne Schwedens und Finnlands bezüglich einer Nato-Mitgliedschaft. "Griechenland hat ausgezeichnete Beziehungen mit diesen beiden Ländern, die auch Mitglieder der Europäischen Union sind", sagte der griechische Außenminister Nikos Dendias. Griechenland habe eine klare Haltung in der Angelegenheit. Man sei bereit, die beiden Länder in der Nato-Familie willkommen zu heißen. Die beiden Staaten hätten viel zu bieten.

Norwegen befürwortet ebenfalls eine Mitgliedschaft der beiden Länder. Das Land stehe zu hundert Prozent hinter Finnland und Schweden, sollten die beiden Länder eine Mitgliedschaft für das Verteidigungsbündnis beantragen, sagte Norwegens Außenministerin Anniken Huitfeld, bevor die Länder ihre Anträge eingereicht hatten. Ein solcher Schritt würde die nordische Kooperation stärken. Dies sei ein historischer Moment. Der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra äußert sich ähnlich. Es sei wichtig, dass alle Nato-Mitglieder hierbei Einigkeit demonstrierten, sagte Hoekstra.

Auch die Slowakei brachte bereits ihre Unterstützung für Schweden und Finnland zum Ausdruck. Der slowakische Außenminister Ivan Korcok sagte, die Slowakei sei absolut bereit dazu, sich die Anträge anzuschauen und eine Mitgliedschaft dieser beiden Länder zu unterstützen. Korcok spricht sich zudem für weitere Militärhilfe für die Ukraine aus. Auf die Frage, wie lange die Nato-Verbündeten die Ukraine unterstützen könnten, sagt er: "Bis sie gewinnt." Russland habe den Krieg politisch verloren.

Als einziges Bündnismitglied blockiert die Türkei den Beginn des Aufnahmeprozesses. Sie knüpft ihr Ja zu einem Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens an Bedingungen und bedroht damit die Geschlossenheit des Bündnisses im Auftreten gegenüber Russland.

Welche Folgen hätte ein Nato-Beitritt der skandinavischen Länder?

Die Nato-Mitgliedsstaaten sind sich im Prinzip einig darüber, dass Finnland und Schweden aufgrund ihrer eigenen militärischen Fähigkeiten ein Gewinn für die Nato wären. Außerdem sind die beiden skandinavischen Länder schon in der Europäischen Union, in der es auch eine Beistandspflicht bei einem Angriff auf ein Mitgliedsland gibt. Deshalb rechnet die Nato damit, dass der Beitritt von Schweden und Finnland schnell vollzogen werden kann.

Was bedeutet die Beistandspflicht der EU?: Sie greift, falls ein Mitgliedsstaat der EU angegriffen wird. Alle Länder, die Mitglied der Europäischen Union sind, haben sich durch diese Klausel dazu verpflichtet, Beistand zu leisten.

Wenn Schweden und Finnland ihre militärische Bündnisfreiheit aufgeben, verändert das dennoch die Sicherheitsarchitektur in Europa. Die Nato hätte damit in Finnland eine weitere 1.300 Kilometer lange Grenze mit Russland. Der Kreml, der das westliche Verteidigungsbündnis bereits jetzt als Rivalen und Bedrohung wahrnimmt, wird auf die Norderweiterung reagieren. So hat Moskau angekündigt, dass man Atomstreitkräfte in dem Fall nach Nordwesten verlegen würde. Durch die neue Grenze im Norden muss sich die Nato natürlich auf neue Verteidigungsszenarien vorbereiten, aber das Bündnis geht auch davon aus, dass diese Grenze schon jetzt sehr gut durch die finnische Armee gesichert ist.

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Für die Nato wäre die Norderweiterung strategisch von Vorteil. Denn dadurch wären die baltischen Staaten vor einem möglichen russischen Angriff besser geschützt. Aktuell ist die Suwalki-Lücke eine strategische Bedrohung für das westliche Bündnis. Damit ist der Landstrich gemeint, der Litauen von Polen trennt und an den Rändern and Belarus und die russische Exklave Kaliningrad grenzt. Russland könnte mit einem Angriff aus Belarus die baltischen Staaten vom Rest des Nato-Territoriums abschneiden. Vor allem Finnland könnte nun für mehr Sicherheit in den baltischen Staaten sorgen. Denn mit beiden Staaten als Nato Mitglieder wären auch abgesehen von Russland alle Staaten mit Verbindung zur Ostsee an dem Verteidigungsbündnis beteiligt.

Wie reagiert Russland?

Für Wladimir Putin ist diese Erweiterung ein besonderes Ärgernis, weil er durch die Nato russische Sicherheitsinteressen bedroht sieht und der Einfluss Russlands auf die europäischen Staaten immer geringer wird. Es wird vor allem politische Konsequenzen geben, schon jetzt hat Russland die Zusammenarbeit mit Finnland in Teilen der Energieversorgung beendet. Aber letztlich war es Putin, der mit seinem Ukraine-Krieg die guten russisch-finnischen Beziehungen massiv verschlechtert hat.

Auch darüber hinaus steckt Russland in einem Dilemma. Der Ukraine-Krieg hat nicht nur der eigenen Wirtschaft geschadet, er ist auch teuer und bindet sehr viele militärische Kapazitäten der russischen Armee. Der Kreml hat wahrscheinlich immer noch keinen Plan für ein mögliches Kriegsende, und sollte der Konflikt irgendwann beendet sein, müsste die russische Armee erst einmal wieder hochgerüstet werden. Es ist deshalb sehr unwahrscheinlich, dass Putin militärisch auf die Norderweiterung der Nato reagiert und das Territorium des westlichen Militärbündnisses angreift.

Dafür hat Russland weder Geld noch Ausrüstung, und in dem Konfliktgürtel von der Ukraine über den Kaukasus bis nach Syrien sind zu viele russische Kräfte gebunden. Der Kreml wird die Norderweiterung der Nato verurteilen und ihre Propaganda wird sie zum Beweis dazu verklären, dass der Westen russische Sicherheitsinteressen ignoriert – ohne natürlich dabei zu erwähnen, dass Finnland und Schweden aus Angst vor russischer Aggression in die Nato streben.

Der russische Vizeaußenminister Sergej Rjabkow sagte laut russischen Nachrichtenagenturen bereits nachdem die Beitrittspläne der nordischen Länder bekannt wurden: "Dies ist ein weiterer schwerer Fehler mit weitreichenden Folgen." Russlands Reaktion werde "von den praktischen Konsequenzen des Beitritts" der beiden Länder zur Nato abhängen. "Für uns ist klar, dass die Sicherheit Schwedens und Finnlands durch diese Entscheidung nicht gestärkt wird", betonte der russische Vizeaußenminister.

Auch Verteidigungsminister Sergej Schoigu sprach von einer wachsenden militärischen Gefahr an der westlichen Grenze Russlands. Finnland und Schweden hätten als Nachbarn Russlands die Aufnahme in den Militärblock beantragt, damit nähmen die Spannungen im westlichen Wehrbezirk Russlands nun deutlich zu. Bis Jahresende sollten dort zwölf neue Militärstützpunkte entstehen, kündigte Schoigu an.

Außerdem wird Putin – wie er es in der Vergangenheit schon häufig getan hat – versuchen, mit Geheimdiensten und Desinformation die neuen Nato-Mitglieder zu destabilisieren. Doch diese Pläne gingen selten wirklich auf. Stattdessen hat der russische Präsident mit seiner aggressiven Verteidigung der russischen Einflusssphären viele osteuropäische Staaten in die Arme der Nato getrieben. Das schwedische und finnische Militär ist zudem für eine gute Cyberabwehr bekannt.

Könnte ein Beitritt verhindert werden?

Blockiert werden könnte die Aufnahme in die Militärallianz theoretisch noch durch das Veto eines der Mitgliedstaaten, die einstimmig über Aufnahmen entscheiden müssen. Natürlich steht hier die Türkei im Fokus. Am Rande des Nato-Gipfels in Madrid kommt Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit Nato-Generealsekretär Jens Stoltenberg, Schwedens Regierungschefin Magdalena Andersson und dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö zusammen. Ziel des Treffens ist die Überwindung der türkischen Blockadehaltung – doch bisher zeigte Erdoğan keine Kompromissbereitschaft.

Der Nato-Beitritt von Finnland und Schweden wird also wahrscheinlich nicht ohne Zugeständnisse für die Türkei kommen. Für Erdoğan ist das die Chance, sich in seinem Land für einen außenpolitischen Erfolg feiern zu lassen. Hier lesen Sie mehr dazu.

Könnte die Nato die Türkei rauswerfen?

Die klare Antwort lautet: Nein. Der Nordatlantik-Vertrag sieht die Entlassung eines Mitgliedsstaates nicht vor, Nato-Mitglieder können sich nur freiwillig aus dem Bündnis zurückziehen.

"Nach zwanzigjähriger Geltungsdauer des Vertrags kann jede Partei aus dem Vertrag ausscheiden, und zwar ein Jahr, nachdem sie der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika die Kündigung mitgeteilt hat; diese unterrichtet die Regierungen der anderen Parteien von der Hinterlegung jeder Kündigungsmitteilung", heißt es in Artikel 13 des Nordatlantik-Vertrags.

Die Folge: Damit Finnland und Schweden beitreten können, wird es eine Einigung mit der Türkei geben müssen. Bleibt Erdoğan bei seinem Veto, kann es keine Norderweiterung geben.

Wie geht es nun weiter?

Aus Regierungskreisen hieß es zunächst, Deutschland könnte den Ratifizierungsprozess sogar noch vor der parlamentarischen Sommerpause abschließen, wenn die Türkei das Aufnahmeverfahren nicht blockiert. Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer könnten auf dem nächsten Gipfel in Madrid über den Eintritt entscheiden.

Nun beginnt der Gipfel, ohne dass eine Einigung mit der Türkei in greifbarer Nähe erscheint. Die schwedische Regierungschefin hofft dennoch auf eine Einigung. "Ich hoffe sehr, dass dieser Dialog in naher Zukunft, am besten noch vor dem Gipfel, erfolgreich abgeschlossen werden kann", sagte Andersson am Montag am Rande eines Treffens mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel. Dann könne der Beitrittsprozess von Schweden und Finnland unverzüglich beginnen. Die Hoffnungen ruhen somit auf dem Treffen mit Erdoğan. Generalsekretär Stoltenberg sagte im Voraus, Ziel sei natürlich, Fortschritte zu machen. "Aber ich werde keine Versprechen abgeben."

Verwendete Quellen
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