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Ukraine-Krieg: “Das wäre ein verheerendes Signal”


Schwäche des Westens?
"Ohne die Gefahr eines Dritten Weltkrieges zu vergrößern"

InterviewVon Marc von Lüpke

28.11.2023Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Wladimir Putin: Russlands Präsident versteht nur Stärke, sagt Experte Ralf Fücks.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Russlands Präsident versteht nur Stärke, sagt Experte Ralf Fücks. (Quelle: Valery Sharifulin/AP/dpa)

Die ukrainische Offensive ist verpufft, im Westen sind Anzeichen von Kriegsmüdigkeit zu erkennen. Das ist ein schwerer Fehler, sagt Experte Ralf Fücks. Denn Wladimir Putin hat keineswegs von seinen weitreichenden Plänen abgelassen.

Fast zwei Jahre verteidigt sich die Ukraine nun gegen die russischen Invasoren, ein Ende des Krieges scheint in weiter Ferne zu sein. In den westlichen Staaten lässt das Interesse an dem Konflikt spürbar nach – auch in Deutschland, dessen Regierung sich gerade in der Krise befindet. Nun muss die Ukraine endlich so massiv unterstützt werden, dass sie den Krieg gewinnen kann, fordert Sicherheitsexperte und Grünen-Vordenker Ralf Fücks. Denn ein russischer Sieg wäre auch für Deutschland verheerend. Warum, das erklärt Fücks im Gespräch.

t-online: Herr Fücks, die ukrainische Offensive führte nicht zum gewünschten Erfolg, Russlands Truppen stehen weiterhin tief im Land. Sollten die westlichen Staaten die Ukraine nun nicht umso mehr unterstützen?

Ralf Fücks: Der Westen darf nicht nachlassen, im Gegenteil, denn Wladimir Putin setzt weiterhin auf Sieg. Dagegen bleiben westliche Regierungen eigenartig unentschlossen – das gilt für Washington wie für Berlin.

Kanzler Scholz rief vor Monaten die Losung aus, dass die Ukraine den Krieg nicht verlieren dürfe.

Die Frage ist doch, ob sie ihn gewinnen soll. Die Ukraine bekommt gerade eben das Minimum, um sich unter gewaltigen Opfern einigermaßen zu behaupten. Aber wir befähigen die ukrainische Armee nicht dazu, das von Russland besetzte Territorium zu befreien. Die Entscheidungen von Bundeskanzler Olaf Scholz zu Waffenlieferungen an die Ukraine demonstriert diese Haltung wie unter einem Brennglas: Jetzt soll sie neue Luftabwehrsysteme zur Abwehr russischer Angriffe auf Städte und kritische Infrastruktur bekommen. Das ist hilfreich, aber nichts, womit man diesen Krieg gewinnt. Dagegen verweigert der Kanzler die Lieferung von Lenkwaffen, mit denen russische Stützpunkte und Logistik attackiert werden könnten.

Also läuft es zukünftig auf Verhandlungen hinaus, um den Konflikt zumindest "einzufrieren"?

Warum sollte Putin verhandlungsbereit sein? Er setzt darauf, dass der Westen müde und mürbe wird …

… wofür es bereits deutliche Anzeichen gibt.

Genau. Gesetzt den Fall, dass der Westen die Ukraine zu einem "Kompromissfrieden" mit Russland drängen will: Das wäre ein verheerendes Signal, dass militärische Aggression sich auszahlt. Autoritäre Regimes rund um den Globus würden ermutigt, dass sie dem Westen ihren Willen aufzwingen können, weil sie mehr politischen Willen, größere Entschlossenheit und eine höhere Opferbereitschaft aufbringen als wir. Die normative, auf das Völkerrecht gegründete Weltordnung würde für Staaten wie China und den Iran noch mehr an Bedeutung verlieren.

Ralf Fücks, Jahrgang 1951, ist Direktor des Thinktanks Zentrum Liberale Moderne in Berlin. Zuvor war er unter anderem Senator in Bremen und 21 Jahre lang Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, die der Partei Bündnis 90/Die Grünen nahesteht. Fücks ist Autor mehrerer Bücher und auf Twitter unter @fuecks aktiv.

Anscheinend herrscht aber in Teilen der deutschen Politik doch die Hoffnung, dass Putin irgendwann einlenken wird.

Das ist eine trügerische Illusion. Wenn Russland sich aus einer Position der Stärke an den Verhandlungstisch setzt, dann ausschließlich, um eine De-facto-Kapitulation der Ukraine zu verlangen. Falls Kiew verhandeln muss, weil das Land erschöpft ist, wird Putin das als Signal werten, nun erst recht aufs Ganze zu gehen. Putin versteht nur die Sprache der Macht: Der Starke gewinnt, der Schwache muss sich fügen. Wer ein baldiges Ende des Krieges zu akzeptablen Bedingungen will, muss dafür sorgen, dass die Ukraine die militärische Oberhand gewinnt.

Nun ist die Ampelkoalition damit beschäftigt, ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimatransformationsfonds zu verarbeiten, das ihre Haushaltsplanung demoliert hat. Gerät die Ukraine aus dem Fokus?

Das hoffe ich nicht. Neben unseren hausgemachten nationalen Problemen sind wir Teil einer globalen Auseinandersetzung zwischen liberalen Demokratien und autoritären, in der Tendenz totalitären Regimen. Es ist alles andere als ein Zufall, dass der Iran sowohl im Krieg gegen die Ukraine wie bei den Vernichtungsdrohungen der Hamas gegen Israel mitmischt. Teheran liefert Kampfdrohnen an Russland, die Hamas wäre ohne Waffen und militärische Instruktionen aus dem Iran nie in der Lage, Israel anzugreifen.

Sie wollen darauf hinaus, dass die beiden Konflikte keineswegs isoliert voneinander betrachtet werden sollten?

So ist es. Selbstverständlich haben beide Konflikte unterschiedliche Entstehungsgeschichten und Besonderheiten. Was Putin aber mit den Mullahs in Teheran und Xi Jinping in Peking verbindet, ist der Kampf gegen das, was sie als vom Westen dominierte Welt verstehen. Sie lehnen die Idee der liberalen Demokratie, der Menschenrechte und völkerrechtlich verbindlicher Regeln, die das Recht des Stärkeren begrenzen, komplett ab. Die derzeitigen Kriege dienen dem Zweck, die USA, Europa und ihre Partner zu schwächen.

Glauben Sie, dass diese Dramatik in der deutschen Politik erkannt worden ist?

Ich fürchte nein. Bislang herrschte der Glaube vor, dass sich alle Konflikte durch Kompromisse lösen lassen. Die deutsche Politik war lange von der Vorstellung geprägt, dass wir – anders als im Kalten Krieg – keine Gegner, sondern allenfalls noch "schwierige Partner" hätten, die sich durch wirtschaftliche Verflechtung und Zusammenarbeit friedlich und freundlich stimmen ließen. Diese Illusion ist zerplatzt.

Eine gewisse Zeit hat diese Vorgehensweise funktioniert.

Putin wiegte uns in Sicherheit, ja. Tatsächlich haben wir durch die ökonomische Zusammenarbeit unsere Gegner gestärkt. Wir haben mit unseren Öl- und Gasimporten die russische Aufrüstung finanziert. Wir haben mit den riesigen Handelsbilanzüberschüssen Chinas und unseren Technologieexporten neben der wirtschaftlichen auch die militärische Modernisierung der neuen Großmacht ermöglicht. Und wir haben bis heute keine schlüssige Strategie, wie man mit Mächten umgehen soll, die sich offen gegen die liberale Weltordnung stellen und sich von der UN-Charta und den Menschenrechten als Grundlage einer zivilisierten Welt verabschiedet haben.

Stellt sich die Frage, wie die westlichen Staaten aber in einer zunehmend feindseligen Umgebung bestehen können?

Wir müssen unsere Werte, unsere Interessen und unsere Ordnung verteidigen, ohne die Gefahr eines Dritten Weltkrieges zu vergrößern. Die Frage ist allerdings, wie wir der Gefahr eines finalen Krieges begegnen können. Olaf Scholz insistiert immer wieder, dass Bundesrepublik und Nato nicht in eine direkte militärische Konfrontation mit Russland schlittern dürfen. Eine Eskalation des Ukraine-Krieges zu vermeiden ist richtig, aber der Kanzler zieht daraus die falschen Schlüsse.

Indem er der Ukraine nur so viele – oder so wenige – Waffen bewilligt, dass Russland sich nicht übermäßig provoziert fühlt?

So ist es. Die Alternative wäre, auf massive Abschreckung zu setzen. Wer den Krieg verhindern will, muss militärisch stark und gesellschaftlich resilient sein. So stark, dass ein potenzieller Aggressor durch das Risiko verheerender Verluste und einer finalen Niederlage abgeschreckt wird. Dieses Prinzip hat während des Kalten Kriegs über Jahrzehnte funktioniert. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt: Wenn Demokratien schwach sind, dann steigt die Kriegsgefahr. Diese Lektion müssen wir wieder beherzigen und daraus die nötigen Schlüsse ziehen.

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Welche wären das?

2014 hat Russland die Krim besetzt und den Krieg im Osten der Ukraine entfacht. Das hätte zu einer massiven militärischen Aufrüstung der Ukraine durch den Westen führen müssen, mit dem Ziel, sie so stark zu machen, dass Russland von jeder weiteren Aggression absieht. Was haben wir stattdessen getan? Wir ließen die Ukraine weitgehend wehrlos, auch der Abschuss des Malaysia-Airlines-Flugs 17 durch eine russische Rakete 2014, die Kriegsverbrechen der russischen Armee in Syrien oder die Hackerangriffe auf den Deutschen Bundestag 2015 hatten für Russland kein ernsthaftes Nachspiel. Warum? Weil wir die unbequemen Konsequenzen gescheut haben. Für Putin waren das aber Signale der Schwäche.

Wie könnten wir es nun besser machen?

Wir müssen das konsequent weiterführen, was Olaf Scholz in seiner Zeitenwende-Rede vom 27. Februar 2022 bereits intoniert hat. Der deutschen Bevölkerung muss reiner Wein eingeschenkt werden, dass wir uns in einer neuen weltpolitischen Situation befinden. Eine Situation, in der wir wieder mehr in unsere Sicherheit und die unserer Verbündeten investieren müssen. Die Bundesrepublik war lange ein sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer, diese Zeiten sind vorbei.

Welche Staaten sollten in der als träge geltenden EU mehr Verantwortung übernehmen?

Die Bundesregierung sollte nach der Ablösung der rechtspopulistischen PiS-Regierung in Warschau so rasch wie möglich das sogenannte Weimarer Dreieck reaktivieren, also ein strategisches Zentrum aus Frankreich, Deutschland und Polen. Auch die skandinavischen Staaten werden künftig eine größere Rolle in Europa spielen. Die Ukraine wird hoffentlich gestärkt aus dem Krieg hervorgehen. Und wir sollten Großbritannien nicht als sicherheitspolitischen Partner abschreiben.

Nun erklärte der britische "Economist" jüngst Deutschland erneut zum "kranken Mann Europas". Haben wir mit einer angeschlagenen Regierung überhaupt die Kraft, in Europa Führung und Verantwortung zu übernehmen?

Die Frage ist eher, ob wir es uns leisten können, das nicht zu tun. Die meisten Europäer haben mehr Sorge vor einem schwachen als vor einem starken Deutschland. Sicherheitspolitisch müssen wir uns allerdings zunächst erst wieder Kredit bei unseren Verbündeten und Partnern verdienen. Da ist viel Vertrauen verloren gegangen. Ökonomisch gibt Deutschland ebenfalls Grund zur Sorge. Sicherheitspolitisch wie wirtschaftlich müssen wir aus unserem liebgewonnenen Trott ausbrechen.

Nun klafft ein gewaltiges Milliardenloch in den Plänen der Ampelkoalition. Besteht die Gefahr, dass die notwendigen Investitionen in die Sicherheit darunter leiden werden?

Im Gegensatz zur Ukraine, die ihre Souveränität und Freiheit mit den Leben von Soldaten und Zivilisten bezahlt, müssen wir nur einen Bruchteil unseres Sozialprodukts mehr in die europäische Sicherheit investieren. Wir müssen wieder die Fähigkeit zur Abschreckung gewinnen, sonst können die Kosten sehr viel höher werden. Deutschland hat lange Zeit von der Friedensdividende profitiert, nun müssen wir neue Prioritäten setzen: Sicherheit, ökologische Transformation, Bildung, Infrastruktur. Dafür muss anderes zurückstehen. Ein Moratorium für neue soziale Leistungen wäre jetzt ein richtiges Signal.

Das wird nicht allerorten auf Begeisterung stoßen.

Gerade in Krisen zeigt sich die Notwendigkeit politischer Führung und Kommunikation. Ich bin sicher, dass die Mehrheit der Bevölkerung den Ernst der Lage versteht, wenn die Politik aufhört, ihr etwas vorzumachen.

Herr Fücks, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Ralf Fücks via Videokonferenz
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