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Interview mit Gregor Gysi: "Die SPD würde bei der nächsten Wahl abrauschen"


Interview mit Gregor Gysi
"Die SPD würde bei der nächsten Wahl abrauschen"

Interview von Patrick Diekmann und Florian Harms

Aktualisiert am 30.11.2017Lesedauer: 11 Min.
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Gysi glaubt, dass die SPD in einer Neuauflage der Großen Koalition verlieren würde: "Aber das hat sie noch nie daran gehindert, mitzuregieren."Vergrößern des Bildes
Gysi glaubt, dass die SPD in einer Neuauflage der Großen Koalition verlieren würde: "Aber das hat sie noch nie daran gehindert, mitzuregieren." (Quelle: T-Online-bilder)

Der Linken-Politiker Gregor Gysi warnt die SPD davor, eine Regierung mit der Union zu bilden. Im Interview mit t-online.de wirbt er außerdem für eine Minderheitsregierung in Deutschland und erklärt seine Rolle im parteiinternen Streit zwischen Sahra Wagenknecht und der Parteispitze.

t-online.de: Herr Gysi, selten war die deutsche Innenpolitik so spannend wie derzeit. Die anderen Parteien verhandeln über neue Regierungsbündnisse: Jamaika, Große Koalition, vielleicht eine tolerierte Minderheitsregierung. Sind Sie neidisch, dass Sie da nicht dabei sind?

Gregor Gysi: Keineswegs. Ich halte das gar nicht für spannend. Jamaika ist aus mehreren Gründen gescheitert. Die Kanzlerin hatte keine Idee für die Koalition. Sie hätte vor den Verhandlungen klar sagen müssen, was sie für Deutschland und Europa in den nächsten vier Jahren erreichen möchte. Erst wenn man sich über die Ziele einig ist, kann man darüber reden, wie man sie erreicht. Aber von Angela Merkel gab es keine Vorgaben. Sie hat nur verwaltet, und daraus entsteht so ein Durcheinander.

Dann lag das Scheitern der Jamaika-Sondierungen Ihrer Meinung nach also nicht an der FDP?

Doch. Die FDP flog 2013 aus dem Bundestag, und dieser Schock sitzt immer noch tief. Sie war sich nicht schlüssig, ob es ihr schadet oder nutzt, an der Regierung teilzunehmen. Die, die meinten, dass es ihr schade, haben obsiegt. Das dritte Problem für Jamaika war die CSU. Im Herbst sind Landtagswahlen in Bayern, und die CSU will die absolute Macht. Dabei muss sie den Menschen vermitteln, dass es ein großer Fehler wäre, Parteien wie Grüne oder die FDP zu wählen. Aber das wäre schwierig geworden, wenn sie gemeinsam mit diesen Parteien in Berlin regiert hätte. Die harte Verhandlungslinie in den Sondierungen war also eine rein taktische Haltung der CSU. Es gab nur zwei Parteien, die die Jamaika-Koalition unbedingt wollten: die Grünen und die CDU. Aber die konnten sich nicht durchsetzen.

Das klingt so, als wäre Jamaika in Ihren Augen von vorn herein zum Scheitern verurteilt gewesen.

Nein. Ich habe schon gedacht, dass sich FDP und CSU einen Ruck geben werden. Das haben sie aber nicht. Die SPD hat erklärt, dass sie auf gar keinen Fall eine Große Koalition will. Jetzt ist sie drauf und dran, doch wieder in eine Große Koalition zu gehen.

Finden Sie das richtig?

Nein, natürlich nicht. Ich würde eine Große Koalition an Stelle der SPD auf gar keinen Fall machen. Aber die Parteiführung wird es wohl tun. Wie sich die Mitglieder am Ende entscheiden, kann ich nicht voraussehen. Die SPD würde in einer neuen Großen Koalition nur verlieren, aber das hat sie noch nie daran gehindert, mitzuregieren.

Warum?

Weil sie anders gestrickt ist. Wenn die SPD "Vaterland" oder "Staatstreue" hört, zuckt sie zusammen. Der Vorwurf, nicht patriotisch zu sein, sitzt den Genossen immer noch schwer in den Knochen – seit dem Vorwurf aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, vaterlandslose Gesellen zu sein.

Vielleicht entscheidet sich die SPD ja dafür, eine Minderheitsregierung zu tolerieren.

Das ist unwahrscheinlich, weil in Deutschland ein einzigartiges Stabilitätsdenken vorherrscht, auch in der SPD. Klare Mehrheiten sind so beliebt, weil wir dann immer wissen, welche Gesetze beschlossen werden und welche nicht. Das ist allerdings im Bundestag nicht besonders spannend. Um das zu ändern, müsste sich der Zeitgeist auch der Opposition verändern. Eine Minderheitsregierung könnte mit der Opposition Abkommen treffen, damit diese im Parlament konstruktiv mitarbeitet. Dann sucht sich die Regierung je nach Gesetzesvorhaben unterschiedliche Partner.

Das wäre eine sehr wackelige Bundesregierung. Braucht es nicht angesichts der vielen Unwägbarkeiten in der Welt – Trump, Migration, die Blase an den Aktienmärkten – eine stabile Regierungsmehrheit in Deutschland?

Diese Stabilität bedeutete bisher: Schäuble und Merkel machen den Süden Europas kaputt und fahren die EU an den Rand der Existenz. Das ist genau die Antwort, die wir gegenwärtig eben nicht brauchen. Diese Stabilität bedeutet doch immer das gleiche: Runter mit den Renten, runter mit den Löhnen, runter mit den Sozialleistungen – bis ein Land wie Griechenland völlig verarmt ist. Nein, davon halte ich gar nichts. Wir brauchen andere, kreativere Antworten. Nur ein Beispiel: Dänemark wurde jahrelang von einer Minderheitsregierung regiert – und die Welt brach nicht zusammen. In Deutschland gibt es leider überhaupt keinen Mumm, etwas Neues zu versuchen.

Wer hat keinen Mumm, die Politiker oder die Bürger?

In der Bevölkerung nimmt die Bereitschaft zu Experimenten zu, aber die Politik ist noch altbacken. Deutschland müsste in der EU eine andere Rolle spielen.

Welche denn?

Die EU war noch nie so gefährdet wie jetzt. Die vermeintlich wunderbare Stabilität von Merkel und Schäuble hat zu dieser tiefen Krise geführt. Ich bin gegen die Agenda 2010 in Deutschland, auch wenn dadurch deutsche Waren billiger geworden sind und wir Exportweltmeister wurden. Das ging und geht auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Aber nun zu sagen, dass die Agenda 2010 auch das Rezept für Griechenland, Spanien und Portugal sei, ist völliger Schwachsinn. Diese Länder leben von der Binnenwirtschaft. Wenn man dort die Löhne, Renten und Sozialleistungen kürzt, reduziert man die Binnenwirtschaft und dadurch die Steuereinnahmen. In der Folge macht man diese Länder restlos pleite. Portugal hat das erkannt und ist mit einer neuen Regierung aus diesem Irrsinn ausgestiegen. Schäuble war sehr sauer. Es war aber die richtige Entscheidung. Die Portugiesen können jetzt ihre Schulden zurückzahlen.

Die Linke fordert Neuwahlen – warum?

Ich fordere sie nicht. Aber ich fürchte auch keine Neuwahl.

Sollen die Bürger solange abstimmen, bis irgendwann ein Ergebnis herauskommt, das den Parteien genehm ist?

Das wäre nicht gut, da haben Sie Recht. Eine Neuwahl darf es erst geben, wenn die Parteien zugeben, dass sie in keiner Konstellation weiterkommen. Wenn die Bevölkerung dann so wählt, dass wieder dasselbe oder ein ähnliches Ergebnis herauskommt, dann müssen wir mit dem Ergebnis umgehen und einen anderen Weg finden. Der darf dann auch ein wenig instabiler sein, beispielsweise mit einer Minderheitsregierung. Es kann ja aber auch sein, dass sich die Bürger sagen: Wenn Mitte-Rechts keine Regierung bilden kann, dann müssen wir eben Mitte-Links wählen.

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Sehen Sie dafür denn eine realistische Mehrheit in der Bevölkerung?

Es könnte sein. Die Bevölkerung ist nicht mehr so an Parteien gebunden wie früher. Nach dem Scheitern von Jamaika könnte es sein, dass die Menschen eine andere Richtung wollen.

Wir haben den Eindruck: Bei einer Neuwahl könnte vor allem die AfD erstarken.

Kann sein. Kann aber auch sein, dass die Leute mitbekommen haben, was ihnen die AfD bringen wird. Alle Parteien, von der Linken bis zur CSU, müssten einmal zusammen darüber sprechen, was zu tun ist, um das Interesse an der AfD abzubauen. Soll man einfach die AfD nachahmen? Kann das der richtige Weg sein? Muss die CSU einen anderen Weg gehen als die Linke? Darüber müssen wir reden. Ohne Medien, denn man muss offen miteinander reden können. Es darf am nächsten Tag in keiner Zeitung stehen.

Das klingt angesichts der Begeisterung vieler Spitzenpolitiker für Interviews und Twitter nicht gerade realistisch. Und wäre so eine geheime Kungelrunde wirklich die richtige Antwort auf die AfD?

Viele denken, dass man die Inhalte der AfD aufgreifen müsse. Das ist überhaupt nicht mein Stil, denn dadurch stärkt man das Original und nicht sich selbst. Die Linke darf das erst recht nicht tun.

Macht sie zum Teil aber. Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht fordern eine Verschärfung der Flüchtlingspolitik.

Die Forderung teile ich nicht. Ich weiß auch, dass nicht die gesamte Menschheit Platz in Deutschland hat. Unsere Aufgabe ist es, die Fluchtursachen zu benennen und Wege zu zeigen, wie man sie bekämpft. Nur so lässt sich die Zahl der Flüchtlinge wirksam reduzieren. Die anderen Parteien sollen sich über Obergrenzen streiten. Damit gewinnen wir Linke auch keine Wähler.

Warum nicht?

Die AfD will eine Mauer bauen. Diese Vorstellung ist völlig irreal und macht ein Problem nur vorrübergehend unsichtbar. Ich sage nichts zum humanistischen Offenbarungseid der AfD-Vorstellung, denn eine Mauer macht ohne Schießbefehl keinen Sinn. Aber so staut sich das Problem nur auf, und wenn es keine Idee zum Abbau der Fluchtursachen gibt, kommen eines Tages Millionen Flüchtlinge nach Deutschland – und dann haben wir chaotische Zustände.

Die Fluchtursachen bekämpfen, das will Frau Merkel ja auch.

Aber was tut sie konkret? Hat sie nur ein einziges Mal vorgeschlagen, dass die EU aufhört, billig Lebensmittel nach Afrika zu verkaufen, wodurch eine eigene afrikanische Landwirtschaft nicht entstehen kann? Hat sie noch nie. Hat sie nur ein einziges Mal vorgeschlagen, die Rüstungsexporte zu stoppen, so dass damit nicht länger Kriege geführt werden? Hat sie noch nie. Wir haben weltweit eine Landwirtschaft, die die Menschheit zweimal ernähren kann. Trotzdem sterben jährlich 18 Millionen Menschen an Hunger, darunter auch Millionen Kinder. Schrecklich. Aber auch von Sozialdemokraten höre ich nichts dazu. Es gibt viele Möglichkeiten, die soziale Frage der Menschheit Schritt für Schritt deutlich besser zu beantworten. Aber nicht unter der Bedingung, dass es den Deutschen schlechter geht. Was mir fehlt, ist eine Weltpolitikerin oder ein Weltpolitiker, der Autorität hat und auf den man hört. Um die derzeitigen Probleme der Welt zu lösen, brauchten wir jetzt so jemanden wie Nelson Mandela.

Warum gibt es derzeit keine solche Persönlichkeit in der internationalen Politik?

Das frage ich mich auch. Die Zeit ruft eigentlich danach. Trump, Le Pen, die polnische und die österreichische Regierung wollen zurück zum Nationalegoismus. Sie wollen die Geschichte zurückdrehen. Ich will aber nicht im Deutschen Reich leben.

Manche sehen in Angela Merkel so eine starke Persönlichkeit.

Frau Merkel hat drei gute Eigenschaften: Sie ist wenig eitel, sie ist nicht interessiert an materiellen Vorteilen, und sie kann durch ein Lächeln zeigen, dass sie sich von etwas distanziert.

Welches Lächeln?

Ein Beispiel: Als Island zuerst unser Geld verbrannte und uns dann diese Wolke hinterherschickte…

Sie meinen den Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull im Jahr 2010, der in Teilen Europas den Flugverkehr lahmlegte…

…da konnte ja keiner mehr landen, wo er wollte. Merkel wollte eigentlich nach Deutschland, musste aber in Lissabon landen. Da stand bei der Ankunft schon artig der portugiesische Ministerpräsident, um sie zu empfangen, und natürlich auch eine ARD-Kamera. Merkel stieg aus und verzog das Gesicht zu einem sehr vielsagenden Lächeln. Damit signalisierte sie: Ich nehme es leicht. Diese kleine Geste löste bei vielen Menschen Sympathie aus. So etwas muss man können.

Sind so kleine Gesten wirklich so wichtig?

Ja, das dürfen Sie nicht unterschätzen.

Ist Angela Merkel also so eine starke internationale Persönlichkeit, die Sie gerade gefordert haben?

Das Problem ist: Merkel hat keine Vision für Deutschland und Europa. Das unterscheidet sie von Helmut Kohl. Merkel verwaltet nur. Das kann sie, aber ihr fehlt eine langfristige Idee für Deutschland und Europa.

Ist es überhaupt die Zeit für eine große Vision? Braucht es nicht eher einen Regierungschef, der pragmatisch die anstehenden Probleme löst?

Bei Problemen spricht oft vieles für eine Lösung und vieles spricht dagegen. Also braucht es eine Vision, eine große Idee, der sich niemand zu widersprechen traut. Erst so kommt man dann zu pragmatischen Lösungen. Politik besteht meistens aus Ideologien. Das Problem besteht darin, dass Politiker nur ihre Ideologie vortragen und nicht über die Interessen des Gegenübers nachdenken. Erst wenn du über die Interessen des Gegenübers nachdenkst, hast du eine Chance, ein Argument zu finden, um deinem eigenen Ziel ein Stück näher zu kommen.

Sehr unterschiedliche Interessen gibt es auch bei der Linken. Während des Wahlkampfes wirkte Ihre Partei geschlossen. Sofort danach brachen aber alte Gräben wieder auf, Sahra Wagenknecht auf der einen Seite sowie Katja Kipping und Bernd Riexinger auf der anderen Seite stritten sich vor laufenden Kameras. Wie sehr hat Sie das geärgert, wo sie doch meist versucht haben, die Linke zusammenzuhalten?

Es ist ärgerlich. Es gibt regelmäßig Konflikte, die nach einer Wahl aufbrechen, etwa der, wie sich die verschiedenen Teile der Partei in den Führungsgremien der Fraktion wiederfinden. Das Spitzenpersonal muss sie lösen und nicht öffentliche Kämpfe gegeneinander austragen. Sonst bezahlt das die Partei. Die Linke kann sich nach einem Streit wie diesem auch wieder zusammenraufen, aber die Partei darf es mit Konflikten nicht übertreiben. Wir müssen Kompromisse finden.

Das war offenkundig sehr schwer. Wie haben Sie den Konflikt bei der Fraktionsklausur in Potsdam erlebt?

Ich habe den Beginn der Pressekonferenz nicht gesehen, was wahrscheinlich gut ist. Ich habe aber in der Klausur eine Pause beantragt und gesagt, dass sie einen Kompromiss finden müssen. Ich kenne das noch aus meiner Zeit: Da sitzt man dann eben bis nachts um drei und redet so lange, bis man einen Kompromiss hat. So wurde er dann auch gefunden. Persönlich ließ es sich zwischen ihnen zwar nicht reparieren, aber für die Fraktionsversammlung gab es eine Lösung.

Haben Sie sich selbst dafür eingesetzt, dass der Konflikt überwunden wird?

Ja. Als der Streit hochkochte, habe ich während der Diskussion eben die Pause beantragt und gesagt, dass sie einen Kompromiss finden müssen. Dann habe ich einen Kompromiss vorgeschlagen, aber den wollten sie nicht. Es gab inhaltliche Widersprüche, das darf man nicht unterschätzen. Bei der Flüchtlingspolitik und beim Euro gab und gibt es unterschiedliche Auffassungen. Ebenso wie bei der Frage, ob Befugnisse der EU auf den Nationalstaat zurückübertragen werden sollten, oder ob man innerhalb der EU die Lösung nach vorne suchen muss.

Wir haben den Eindruck: Die Unruhe in der Linken wird auch dadurch geschürt, dass Ihre Partei viele Wähler, vor allem Protestwähler, verloren hat. Wir erleben einen Rechtsruck in Deutschland und Europa. Warum kommen linke Ideen wie der Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit bei der Bevölkerung nicht besser an?

Der Staatssozialismus ist gescheitert, und das sitzt immer noch tief. Der Staatssozialismus war nicht demokratisch. Er war wirtschaftlich nicht effizient. Er verbreitete immer einen Mangel an Waren und Dienstleistungen. Es sind selbst linke Parteien in den Abgrund gefallen, die eine Distanz zur Sowjetunion hatten. Sowohl in Deutschland als auch in Europa sind linke Parteien zur Zeit eher schwach. Wenn die SPD den Weg der Großen Koalition geht, gibt sie sich noch ein Stück mehr auf. Wenn die SPD bei der nächsten Wahl noch mal drei Prozent weniger bekommt, wäre das noch harmlos. Nein, sie würde abrauschen. Historisch können wir uns das alle nicht leisten.

Noch mal: Woran liegt es, dass sich linke Ideen nicht durchsetzen können?

Linke Ideen für gerechtere Löhne und Renten sind noch nicht mehrheitsfähig. Wenn man die Macht der großen Konzerne und der Banken wirklich einschränken will, geht das nur durch ein Bündnis mit den mittelständischen und den kleinen Unternehmen. Die Linke muss den Willen zu diesem Bündnis ausstrahlen, das tut sie noch nicht. Zudem sind die Vorbehalte bei den mittelständischen Unternehmen gegen die Linke nach wie vor sehr groß. Ich habe klare Vorstellungen von einem demokratischen Sozialismus: Ich will keine Monopole, weder private noch staatliche. Ich will die Macht der großen Konzerne und der großen Banken überwinden. Und ich will außerhalb der öffentlichen Daseinsvorsorge privates Eigentum von Einzelpersonen und Gruppeneigentum haben. Die herrschende Politik schützt immer die Konzerne und fast nie den Mittelstand.

Wie meinen Sie das?

Wer zahlt hier denn ehrlich seine Steuern? Die Arbeitnehmerinnern und Arbeitnehmer, die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Große Konzerne und Banken dagegen drücken sich vor Steuern. Dagegen muss der Staat etwas unternehmen! Der Bundestag schläft hier vor sich hin, anstatt Lücken zu schließen. Für die Lücken im Gesetz ist der Gesetzgeber zuständig, nicht der Konzernchef. Diese Vorstellungen muss die Linke glaubhaft vertreten.

Sie selbst halten aber auch gutbezahlte Vorträge bei Banken und Konzernen. Da wirkt ihre Kritik an den Banken und Großunternehmen unglaubwürdig.

Ich bin jetzt 69 Jahre alt und habe das, was Sie meinen, nicht nötig. Ich will sie für mehr Gerechtigkeit auf meine Weise gewinnen.

Sie nehmen es aber offensichtlich gern an.

Sogar mit Genugtuung, denn zu früherer Zeit sprachen sie kein Wort mit mir. Bei diesen Vorträgen appelliere ich an die Zuhörer, dass sie meine Ideen akzeptieren, weil sie sich sonst selbst gefährden. Den Konzernchefs sage ich, dass sie antikapitalistisch handeln. Dann gucken sie mich mit großen Augen an. Kapitalismus bedeutet freie Marktwirtschaft, aber die Konzerne wollen in Wahrheit gar keine Konkurrenten und keinen Druck auf Qualität oder Kosten. Sie wollen also keine freie Marktwirtschaft. Sie wollen nur Profit mit einem Monopol. Das erzähle ich ihnen, und sie hören mir immerhin zu. Deshalb mache ich das.

Herr Gysi, vielen Dank für das Gespräch.

Fragen an Gregor Gysi in 90 Sekunden:

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