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Asylstreit: Wie ein Kompromiss aussehen könnte – und wann Seehofer fliegt


Drei Szenarien im Asylstreit
Wie das Unionsdrama enden könnte


Aktualisiert am 02.07.2018Lesedauer: 5 Min.
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Horst Seehofer nach den nächtlichen Verhandlungen in München: Wie geht es weiter in dem verfahrenen Streit von CDU und CSU?Vergrößern des Bildes
Horst Seehofer nach den nächtlichen Verhandlungen in München: Wie geht es weiter in dem verfahrenen Streit von CDU und CSU? (Quelle: Peter Kneffel/dpa)

Der Streit zwischen CDU und CSU scheint komplett verfahren. Zugleich ist noch ziemlich offen, wie es jetzt weitergehen könnte. Es gib drei Szenarien.

Nichts ist unmöglich. So scheint es jedenfalls in diesen verrückten Tagen in Berlin und München. Beobachter warnen, der Streit von CDU und CSU gefährde das Parteiensystem, ja gar die Demokratie. Und CDU und CSU machen einfach weiter.

Sachfragen haben sich längst mit Machtfragen vermischt. Das macht es nicht einfacher. Wie also kann es weitergehen? Dafür gibt es drei Szenarien. Nicht alle sind gleich wahrscheinlich, mit keiner können alle zufrieden sein.

Ein Überblick:

1. CDU und CSU finden einen Kompromiss

Sowohl CDU als auch CSU mühten sich am Montagmorgen zu betonen, sie seien nach wie vor an einem Kompromiss interessiert. Wichtig dabei wäre wie in allen politischen Verhandlungen, dass beide Seiten ihr Gesicht wahren können – um ihren Anhängern zumindest einen kleinen Erfolg verkaufen zu können.

Das weiß auch die Union. Doch ein Kompromiss ist diesmal verdammt schwierig zu erreichen. Denn es geht in dem Streit nicht mehr darum, wie man es schafft, weniger Flüchtlinge ins Land zu lassen, die schon anderswo registriert sind. Die eigentliche Frage lautet: Sollte Deutschland ohne Absprachen mit den Nachbarn an der deutschen Grenze Flüchtlinge abweisen – oder nicht?

Die CSU sagt: Ja, das muss möglich sein, diese Freiheit muss sich Deutschland nehmen dürfen.

Die CDU sagt: Nein, das braucht es nicht, und es würde die EU-Partner verprellen und Deutschlands Verhandlungsposition schwächen.

Das zeigt sich auch an den Kompromisslinien, die derzeit von CDU und CSU lanciert werden.

Kanzlerin Merkel hatte schon am Sonntag im ZDF-Sommerinterview einen Punkt der EU-Gipfel-Ergebnisse konkretisiert, den die CSU womöglich als ihren Erfolg hätte verkaufen können. Sie sagte, dass die geplante Vereinbarung mit Griechenland vorsehe, die Flüchtlinge direkt an der Grenze zurückzuweisen und wieder nach Griechenland zu bringen. Es wäre also genau das, was die CSU angeblich will – anders als bei den viel zitierten 14 geplanten Abkommen mit anderen Staaten, bei denen die Asylbewerber zunächst in geschlossenen "Ankerzentren" in Deutschland untergebracht werden sollen.

Wie das Zurückweisen an der Grenze genau ablaufen soll, sagte Merkel zwar nicht. Und es gilt auch nur für die in Griechenland registrierten Migranten (und solche aus Spanien, die aber nahezu nie über die Grenze zu Österreich nach Deutschland kommen dürften). Aber nichts ist es auch nicht, denn wegen der Balkanroute kommen aus Griechenland derzeit viele Migranten. Es wäre zudem nicht die einzige Maßnahme, um registrierte Flüchtlinge schneller zurückzuschicken, auch das betonte Merkel noch einmal. Der Vorteil für sie: Es wäre kein deutscher Alleingang.

Doch Merkels Hinweis auf diesen möglichen Ausweg für die CSU verpuffte.

Das Kompromissangebot der CSU basiert hingegen auf dem nationalen Alleingang. Der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich skizzierte den Vorschlag am Montagmorgen im Deutschlandfunk. Die CSU bietet an, nur diejenigen an der Grenze zurückzuweisen, mit denen Deutschland gerade nicht verhandelt. Also zum Beispiel nicht jene aus Griechenland oder den 14 Staaten, mit denen eine schnellere Rückführung ausgehandelt werden soll. Alle würden zu Verhandlungen eingeladen. Aber bis dahin müsse Seehofer zurückweisen, "um auch diesen Druck aufrecht zu erhalten".

Es ist jedoch kaum vorstellbar, dass sich die CDU noch zu nationalen Alleingängen bereit erklärt. Im Zweifel ist Merkel die Kanzlerin, sie hat die Richtlinienkompetenz, sie ist mächtiger. Das hat sie mehrfach klar gemacht.

Also müsste sich die CSU wohl von den nationalen Alleingängen an den Grenzen verabschieden. Die CDU könnte ihr weitere Verschärfungen zugestehen, etwa eine nochmals verstärkte Schleierfahndung nahe der Grenze.

2. Seehofer macht weiter – ohne Kompromiss

Vor dem Sonntag galt das noch als eine wahrscheinliche Möglichkeit – und eine gefürchtete: Horst Seehofer macht weiter und ordnet Rückweisungen an den Grenzen an – gegen den erklärten Willen Merkels. Die Kanzlerin würde ihn dann entlassen, weil er gegen ihre Richtlinienkompetenz verstoßen hätte.

Eine Entlassung des Innenministers und CSU-Chefs Seehofer hätte die CSU wohl nicht auf sich sitzen lassen können. Sie hätte die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU verlassen und ihre anderen Minister zurückgezogen. Die Koalition hätte ohne die CSU-Abgeordneten keine Mehrheit mehr gehabt, und Deutschland keine Regierung.

Doch nach der langen Verhandlungsnacht scheint dieser Weg nun fast ausgeschlossen. Seehofer hat mit seiner Ankündigung, zurücktreten zu wollen, Tatsachen geschaffen und seine Position massiv geschwächt. Zwar hat ihn seine Partei noch überzeugt, einen letzten Verhandlungsversuch mit der CDU zu unternehmen. Aber sollte der scheitern, könnte Seehofer nicht mehr einfach so weitermachen, als hätte es die Rücktrittsankündigung nicht gegeben. Er wäre andernfalls komplett unglaubwürdig.

3. Seehofer tritt zurück

Seehofer selbst hat angekündigt, bis Mittwoch zurückzutreten, wenn die CDU der CSU nicht entgegenkommt. Dazu scheint Merkel nicht bereit, zumindest nicht in einem Maß, das Seehofer ausreichen würde, um ohne Gesichtsverlust weitermachen zu können. Merkel hat öffentlich immer wieder erklärt, ihr größter Fehler sei gewesen, vor 2015 das Dublin-System nicht reformiert zu haben; genau zu diesem System, das Staaten an der Außengrenze allein lässt, würde die CSU-Forderung wieder führen. Nach der Vorstandssitzung am Montagmorgen sagte der CDU-Außenpolitiker Elmar Brok, es gebe zwar Spielraum, um der CSU entgegenzukommen – aber nicht in dieser Frage der Abweisungen an der Grenze.

Es sieht also ganz so aus, als werde die CDU Seehofers Bedingung nicht erfüllen. Dann müsste er zurücktreten.

Passiert das, gibt es mehrere mögliche Entwicklungen. Die CSU könnte versuchen, auch ohne Seehofer weiterzumachen. Mit einem neuen CSU-Innenminister. Diese Möglichkeit haben schon einige CSU-Politiker ins Spiel gebracht. Der Neue bräuchte zwar auch weitere Verhandlungserfolge. Aber er wäre nicht so festgelegt auf Seehofers rote Linie bei den Abweisungen.

In Frage kämen vor allem: Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der aber eher hartleibiger auftritt als Seehofer. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der vor dem schlechten Abschneiden als Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl als möglicher Innenminister gehandelt worden war und konzilianter ist. Er könnte eher noch einen Neuanfang mitmachen. Oder Stephan Mayer, der Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium ist.

Die großen Differenzen zwischen CDU und CSU würden jedoch bleiben. Gemütlich wäre die Regierungsarbeit nicht.

Die CSU könnte Seehofers Rücktritt aber auch als erzwungen interpretieren und damit als faktischen Rauswurf ihres Parteichefs – und die Koalition aufkündigen. Das würde mit hoher Wahrscheinlichkeit aber das Ende der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU bedeuten. Es birgt die Gefahr, dass die CDU zur Landtagswahl im Oktober in Bayern antritt, und wäre alles in allem extrem riskant.

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Andererseits aber auch konsequent: Es war nicht nur Seehofer, der die Abweisungen zum "Endspiel um die Glaubwürdigkeit" (Bayerns Ministerpräsident Markus Söder) erklärt hat. Wie sollte die CSU weitermachen, wenn die Kanzlerin nicht einlenkt?

Käme es zum Bruch, könnte die CDU mit Merkel als Kanzlerin versuchen, mit der SPD und den Grünen entweder eine neue Mehrheit als Koalition zu bilden. Das aber scheint ohne die Möglichkeit für lange Verhandlungen unwahrscheinlich. Oder die CDU könnte sich von der SPD und den Grünen als Minderheitsregierung dulden lassen. Das wäre aber keine sehr stabile Lösung. Und eine, die Merkel erklärtermaßen nicht gut findet.

Doch sonst blieben eben nur noch Neuwahlen.

Verwendete Quellen
  • ZDF-Sommerinterview mit Angela Merkel
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