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Tagesanbruch – Merkel: "Zuhause brennt die Hütte, im Ausland geht es voran"


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 21.09.2018Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Angela MerkelVergrößern des Bildes
Angela Merkel (Quelle: REUTERS/Lisi Niesner/Reuters-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Zuhause brennt die Hütte, im Ausland geht es voran: So lässt sich Angela Merkels gegenwärtige Situation zusammenfassen. Wenn die Bundeskanzlerin sich heute von Ihren Sprechern die Morgenlage vortragen lässt, wird sie viele Worte hören, die ihr nicht gefallen. "Führungsschwäche", "Apathie", "Endzeitstimmung", "Kanzlerinnendämmerung" sind eher noch die netteren Vokabeln von Leitartiklern und Kommentatoren. Auch der kleine, eingeschworene Zirkel um die Regierungschefin dürfte verstanden haben, dass die Lage ernst ist. Es ist ja auch nicht mehr zu übersehen: Merkel, die Deutschland erfolgreich durch die Stürme der Finanz- und Schuldenkrise geführt hat, fehlen die Kraft, die Ideen und die Autorität, die großen Herausforderungen unserer Zeit noch anzupacken. Vor allem auf die Spaltung unserer Gesellschaft in Zuversichtliche und Frustrierte, Wohlhabende und Verarmende, links und rechts, Alte und Junge, Ost und West findet sie keine Antwort, die über Flickschusterei hinausgeht: Hier ein paar Millionen ausschütten, da ein bisschen was regeln – damit werden die Weichen für die riesigen Herausforderungen der alternden Gesellschaft, der Digitalisierung, des Klimawandels nicht gelöst. Das werden andere nach ihr tun müssen.

Bei dem Thema dagegen, auf dem ihr Poltergeist Seehofer permanent herumreitet, das die AfD instrumentalisiert, um ihre Macht zu mehren, und das nach wie vor auch viele Bürger umtreibt, kommt Merkel nun voran: Nach und nach entstehen die Konturen einer neuen Migrations- und Asylpolitik. Obgleich dazu auch ein Einwanderungsrecht gehören soll: Im Kern schmiedet Merkel eine Politik der Abschottung – entgegen ihren Grundüberzeugungen. Viele Menschen hierzulande und viele EU-Partnerstaaten verlangen, dass Europa die Mauern hochzieht, also zieht Merkel sie hoch.

Der neueste Baustein in der Mauer ist ein Flüchtlingsabkommen, das die EU nun mit den nordafrikanischen Staaten anstrebt, ähnlich dem mit der Türkei. Man sei sich nun innerhalb der EU-Mitglieder einig, dafür "den Dialog mit Ägypten, Tunesien, Marokko und Libyen zu intensivieren", sagte Merkel gestern auf dem EU-Gipfel in Salzburg. Übersetzt heißt das: die Kanzlerin und die anderen europäischen Chefs werden in den kommenden Monaten den Druck auf die Nordafrikaner massiv verstärken. Sie sollen die meisten Flüchtlinge aus Zentral- und Westafrika aufhalten, dafür werden die Europäer sich wohl bereit erklären, feste Kontingente von Asylsuchenden aufzunehmen. Damit das Ganze nachhaltig funktioniert, wollen die EU-Länder mehr Entwicklungshilfegeld und mehr private Investitionen nach Nordafrika transferieren – und zugleich die Grenzschutzagentur Frontex massiv aufstocken.

Das liest sich leicht, aber es ist ein enorm komplexer, tückischer Prozess – und es erfordert viel Kraft und Geduld, ihn voranzubringen. Dass die Kanzlerin diesen Einsatz leistet, ist ihr hoch anzurechnen. Zuhause brennt die Hütte, im Ausland geht es voran.

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WAS STEHT AN?

Ein gutes Buch erzählt uns nicht nur eine spannende Geschichte und fesselt uns durch seine Sprache, es eröffnet uns auch eine neue Welt. "Homo Deus" ist so ein Buch. Weil es sehr dick ist, habe ich es zum Teil gelesen, zum Teil während Autofahrten als Hörbuch gehört – und kann seither in Gedanken durch eine neue Welt spazieren. Zugegeben, sie ist nicht nur schön, diese Welt. Dort leben Mischwesen aus Menschen und Maschinen: Halbgötter, die allen anderen Menschen überlegen sind. Diese anderen müssen durch Computerspiele und Drogen ruhig gestellt werden, weil es für sie keine Arbeit mehr gibt – denn die erledigen Roboter und Algorithmen. In dieser Welt hat Künstliche Intelligenz aber auch Wege gefunden, den Klimawandel aufzuhalten.

Diese Welt ist unsere Zukunft, und sie ist mitnichten eine Utopie. Die Wahrscheinlichkeit ist tatsächlich ziemlich groß, dass unsere Enkel, vielleicht auch unsere Kinder in dieser oder einer ähnlichen Welt leben werden. Die Wissenschaft ist schon jetzt viel weiter fortgeschritten, als die meisten von uns es sich vorstellen können. Was auch daran liegt, dass wir uns den lieben langen Tag überwiegend mit dem Heute beschäftigen: mit Herrn Maaßen, dem FC Bayern, der Steuererklärung und anderen unerfreulichen Themen. Was in der Zukunft liegt, lässt uns seltsam kalt. Das ist einerseits sehr menschlich und andererseits enorm riskant. Digitalisierung, Klimawandel, Migration, Medizin, Biotechnologie entwickeln sich rasend schnell; schon bald werden Künstliche Intelligenzen all das können, wovon wir heute noch nicht mal (alp)träumen.

Deshalb ist es wichtig, dass wir uns stärker mit unserer Zukunft beschäftigen. Deshalb ist es wichtig, dass wir Yuval Noah Harari zuhören. Der israelische Historiker hat nicht nur die Bestseller "Homo Deus" und "Eine kurze Geschichte der Menschheit" geschrieben, er zählt auch zu den brillantesten Vordenkern unserer Zeit. Politiker und Unternehmer von Berlin über Washington bis Peking suchen seinen Rat und lassen sich von ihm die Welt von morgen erklären. Was also liegt näher, als mit Herrn Harari ein ausführliches Gespräch über Morgen zu führen? Wie lange wird es dauern, bis Mensch und Technik verschmelzen? Wann werden intelligente Maschinen uns endgültig arbeitslos machen? Wie kann die Menschheit die digitale Revolution gestalten, Armut und Krankheit endgültig besiegen – und was müssen wir jetzt sofort anders machen, damit wir uns nicht selbst abschaffen? Diese und noch mehr spannende Fragen zu seinem neuen Buch hat mein Kollege Marc von Lüpke Herrn Harari gestellt. Ich neige nicht zu Übertreibungen, aber dieses Interview ist der spannendste Text, den ich seit Tagen gelesen habe.Er öffnet ein Fenster in eine neue Welt.

Die wichtigsten Termine des Tages in Kürze:

Das deutsch-türkische Verhältnis war auf dem Gefrierpunkt, jetzt soll es besser werden. Deshalb treffen sich heute Finanzminister Scholz und Wirtschaftsminister Altmaier in Berlin mit ihrem türkischen Kollegen Albayrak. Und nächste Woche kommt dann Herr Erdogan in unsere Hauptstadt. Wird kein einfacher Besuch.

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In Rostock demonstriert heute Abend die AfD, der radikale Thüringer Landeschef Björn Höcke will über irgendwas reden. Fünf Gegendemonstrationen sind angemeldet, die Polizei vor Ort bereitet sich auf ihren größten Einsatz seit Jahren vor.

Frankfurt ist auch deshalb eine so interessante Stadt, weil dort so viele Wolkenkratzer stehen. Nun kommt einer hinzu: Mit 172 Metern soll der “Grand Tower“ das höchste Wohnhochhaus Deutschlands werden. Heute feiern sie Richtfest.

Woran denken Sie, wenn Sie “Afghanistan“ lesen? Ich ahne es: Krieg, Terror, Not, Flüchtlinge. Es gibt auch ein ganz anderes Afghanistan. In dieses andere Land blickt jetzt die Ausstellung “Afghanistan. Menschen & Kulturerbe in Gefahr“. Zu sehen sind Kunstwerke, Schmuck und Alltagsgegenstände, aber auch Fotografien europäischer Reisender.

Habe ich was vergessen? Oh, natürlich! Auch das hier beginnt an diesem Wochenende. Hicks.

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WAS LESEN?

Apropos Bayern: Falls Sie dort leben und noch nicht wissen, für wen Sie bei der Landtagswahl stimmen sollen – oder falls Sie wissen möchten, welche Partei für welche Positionen steht: In unserem Wahlomat finden Sie es heraus.

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Es war eine Frage, die die Berliner Polizei erkennbar alarmierte: Was hat es mit einem Spionage-Werkzeug an einem Computer der Polizei auf sich? Mein Kollege Lars Wienand hatte den Hinweis bekommen, dass ein sogenannter Keylogger in einer Dienststelle entdeckt wurde, ein Stick, um Tastatursignale aufzuzeichnen und Passwörter zu stehlen. Nach vier Tagen bestätigte die Berliner Polizei den Fall gestern – doch ihre Erklärung wirft neue Fragen auf.

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Diabetes, Bluthochdruck, zu hohes Cholesterin, Knieschäden durch Übergewicht. Das klingt nach einer geballten Ladung Wohlstandskrankheiten, werden Sie denken: zu viel fettes, süßes Essen. Wonach es nicht klingt, ist: Askese. Umso erstaunlicher ist es, dass diese Plagen neuerdings thailändische Mönche treffen. Und zwar massiv. In Thailand treten Menschen für Wochen, Monate, manchmal auch Jahre in ein Kloster ein, ein bedeutsamer Schritt auf ihrem Lebensweg. Die Erfahrung prägt, nicht nur spirituell. "Ich habe in zehn Tagen drei Kilo zugenommen", beschreibt ein Neu-Mönch die augenfälligste Veränderung.

Die Gesundheitskrise in den Klöstern beschäftigt inzwischen das ganze Land. Zu Recht. Denn es ist nicht die Völlerei, nicht der Verfall der religiösen Werte, die den Mönchen zusetzt. Sie haben kein eigenes Geld, zum Supermarkt pilgern sie nicht. Noch immer ziehen sie täglich aus dem Kloster, um sich als Bettelmönche ihr Essen zu erbitten. Doch die frommen Gaben der Gläubigen spiegeln die Ernährungsgewohnheiten des gesamten Landes wider: immer reichhaltigeres Essen, immer mehr Fastfood landet in der Bettelschale. Und ab Mittag, wenn den Mönchen nur noch das Trinken gestattet ist, hat der zuckrige Softdrink Einzug gehalten.

Frei von Besitz, willentlich arm, so soll das Leben der Mönche sein. Hagere Buddhas zieren die thailändischen Tempel – doch die Silhouette der Entsagung hat sich verändert. Rund um den Globus ist der satte, pralle Bauch längst kein Zeichen des Wohlstands mehr. Fettleibigkeit ist eine Krankheit der Armen. Wer es sich leisten kann, greift eher zu gesunder, teurerer Kost. Damit die Mönche wieder fit werden, muss erst die Gesellschaft um sie herum das gesunde Essen für sich entdecken. Diese wichtige Erkenntnis hat das Leben als Mönch schon mal gebracht.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Ich stelle Ihnen mal zwei Allgemeinplätze zur Auswahl: Erstens, alte Menschen sind schwach und gebrechlich. Zweitens, wenn Ur-Opa seinen Wettschein ausfüllt, will er nicht gestört werden. In Irland haben drei junge Männer freundlicherweise mitgewirkt, die beiden Behauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Das heißt, eigentlich wollten sie ein Wettbüro ausrauben, hatten sich maskiert und mit abgesägter Schrotflinte und Hämmern bewaffnet. Jetzt wissen wir: Alt und gebrechlich stimmt schon mal nicht. Dass Urgroßvater beim Ausfüllen des Scheins nicht gestört werden will, ist aber definitiv wahr.

Ich wünsche Ihnen einen erbaulichen Freitag und dann ein schönes Wochenende. Genießen Sie die letzten Spätsommerstunden und ab Sonntag einen hoffentlich goldenen Herbst!

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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