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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Eskalation zwischen Israel und Iran "Das ist ein schwerer Rückschlag für Putin"

Die Eskalation zwischen Israel und dem Iran hält die Welt in Atem. Sie hat rund um den Globus sicherheitspolitische Folgen. Doch wer profitiert von der Lage?
Seit dem israelischen Großangriff auf den Iran am Freitag gibt es einen neuen Krieg im Nahen Osten. Beide Länder überziehen sich seitdem mit gegenseitigen Attacken. Die Sorge vor einem Flächenbrand in der Region wächst.
Trotz anfänglichen öffentlichen Widerstands gegen einen Angriff auf den Iran steht US-Präsident Donald Trump nun hinter Israel. Der Republikaner brach gar seine Teilnahme am G7-Gipfel in Kanada frühzeitig ab, um sich von Washington aus um die Lage im Nahen Osten zu kümmern. Die restlichen Staaten der Gruppe ließ er mit offenen Fragen zur künftigen Ukraine-Politik zurück.
Was führt Trump mit Blick auf den Nahen Osten im Schilde? Wer profitiert von der neuen Lage? Kann gar Kremlchef Putin mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukrainer zum Nutznießer werden? Diese und weitere Fragen beantwortet der Sicherheitsexperte Christian Mölling im Interview. Die neuen Entwicklungen könnten den gesamten Nahen Osten langfristig verändern, glaubt der Politologe.
Herr Mölling, Donald Trump ist wegen der Eskalation im Nahen Osten frühzeitig vom G7-Gipfel abgereist. Er rief die Teheraner zur Flucht auf und sagte, es gehe nun um etwas "viel Größeres" als einen Waffenstillstand. Was kommt da auf uns zu?
Christian Mölling: Wir haben es hier mit Trump zu tun. Was auf uns zukommen könnte, lässt sich wegen seiner Unberechenbarkeit schwer voraussagen. Die Abreise dürfte einen einfachen Grund haben: Er vermeidet damit den für ihn unangenehmeren Teil des Programms – eine Zusammenkunft mit Wolodymyr Selenskyj und Gespräche über Russland-Sanktionen. Dem hat er sich entzogen. Die restlichen G7-Staaten können zwar noch Sanktionen beschließen. Ohne die USA steckt dahinter aber kaum politische Macht.

Zur Person
Christian Mölling (geb. 1973) ist Senior Advisor beim European Policy Centre. Zuvor war er Direktor des Programms "Europas Zukunft" der Bertelsmann-Stiftung sowie für die "Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik" (DGAP) tätig. Er studierte Politik-, Wirtschafts- und Geschichtswissenschaften an den Universitäten Duisburg und Warwick und promovierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Eine gemeinsame Erklärung zum Krieg zwischen Israel und dem Iran konnten immerhin noch alle G7-Staaten gemeinsam verabschieden. Warum war Trump dafür zu haben?
Trump hat vermutlich bewusst auf diese Agenda gedrungen. Es war ihm wichtig, dass die G7 sich zuerst mit dem Iran beschäftigen. Trump sieht in der aktuellen Lage im Nahen Osten eine Chance: Die ganze Region könnte neu geordnet werden, was ein geringeres militärisches Engagement der USA zur Folge haben kann oder zumindest das Risiko eines Flächenbrands reduziert. Gleichzeitig können sich dadurch neue Geschäftsmöglichkeiten für die USA mit den Golfstaaten ergeben.
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Was bedeutet es aus Sicht der USA, den Nahen Osten "neu zu ordnen"?
Einerseits ist das die Schwächung des Iran, das ist bereits offensichtlich. Andererseits fehlt mit dem Iran verbündeten Terrororganisationen wie der Hamas im Gazastreifen, der Hisbollah im Libanon oder den Huthis im Jemen dadurch das "Mutterschiff" in Teheran. Ihre Versorgung durch das Mullah-Regime ist in Gefahr.
Was folgt daraus?
Diese Organisationen hatten Israel bisher im Auftrag des Iran in die Zange genommen. Dieser Druck könnte nun verschwinden oder deutlich geringer werden. Noch ist das Ende der Geschichte aber nicht erreicht.
Was meinen Sie damit?
Es gibt offene Fragen. Wie lange setzt Israel seine Angriffe noch fort? Wollen die Israelis schon mit dem Iran verhandeln oder erst sicherstellen, dass das Regime auf keinen Fall kurzfristig an Atomwaffen gelangt? All das wissen wir noch nicht. Trumps Einzug ins Weiße Haus hat Israel einen entscheidenden Moment beschert: Es ist jetzt ohne größeren Widerstand aus Washington möglich, das Risiko, das vom Iran ausgeht, deutlich zu reduzieren.
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Die von der Biden-Regierung beschlossenen Militärhilfen sind inzwischen alle geliefert, mehr ist derzeit nicht zu erwarten.
Christian Mölling
Das liegt daran, dass Trump ein großes Interesse an der Region zeigt. Im Gegensatz dazu scheint er sich am Ukraine-Krieg die Zähne ausgebissen zu haben. Stehen die restlichen G7-Staaten mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine nun allein da?
Wenn es um eine Steigerung der Unterstützung und vielleicht sogar eine komplette Kompensation der US-Hilfen geht, dann ja. Die USA liefern der Ukraine weiter Geheimdienstinformationen. Das ist für Kiew schon mal gut. Die von der Biden-Regierung beschlossenen Militärhilfen sind inzwischen aber alle geliefert, mehr ist derzeit nicht zu erwarten.
Warum tut die Trump-Administration nicht mehr für die Ukraine?
Ihr Standpunkt ist klar: Trump und seine Regierung verstehen den Ukraine-Krieg als europäisches Problem. Sie fordern deshalb mehr Engagement der Europäer. Auch das zeigt die Abreise des US-Präsidenten aus Kanada. Sollte es dort noch eine Ukraine-Erklärung geben, dann nur im G6-Format, also ohne die USA. Trump könnte die neue Lage im Nahen Osten auch mit Blick auf den Ukraine-Krieg nutzen.
Inwiefern?
Seine Regierung kann nun an einer Erzählung über Arbeitsteilung stricken: Wir kümmern uns um den Nahen Osten, die Europäer um die Ukraine. In der Realität geht das zwar nicht auf. Aber das erleichtert es Trump, sich der Situation in der Ukraine zu entziehen. Seine Initiativen hatten bisher keinen Erfolg, nicht einmal gibt es eine Lösungsoption für den Krieg. Vor allem gibt es keine Lösungsoption ohne Europa, das muss sich Trump auch eingestehen.
Ein Rückschlag für die Ukrainer war zuletzt die Umleitung einer geplanten Lieferung von 20.000 Raketen aus den USA zur Drohnenabwehr. Die sollen nun in den Nahen Osten gehen.
Die USA geben an, diese zum Schutz ihrer Militärbasen in der Region zu benötigen. Und sie haben natürlich die Verantwortung, ihre eigenen Soldaten im Nahen Osten zu schützen. Das Bedürfnis dazu ist durch das gesteigerte US-Engagement in der Region auch noch mal angewachsen. Daher ist es legitim, die Lieferung umzuleiten. Den Schutz der eigenen Soldaten können die USA zugunsten der Ukraine nicht aufgeben.
Andererseits haben die Europäer ihre Ukraine-Hilfen bereits gesteigert: Sie beliefen sich laut IfW Kiel im März und April auf 20,2 Milliarden Euro. Können sie die fehlende US-Unterstützung so kompensieren?
Es gibt Waffensysteme, die nur die USA produzieren – etwa die Patriot-Flugabwehr. Da ist noch die Frage offen, ob die Europäer in den Vereinigten Staaten kaufen und die Waffen dann weitergeben können. Das wäre wohl für Trump ein guter Deal. Schwerer wird es bei Systemen, die ohnehin knapp sind wie die ATACMS-Raketen. Diese kann Europa auch nicht mit anderen Systemen ersetzen. Aber es gäbe womöglich einen anderen Weg.
Und der wäre?
Die Ukrainer haben mittlerweile mit der Sapsan-Rakete ein eigenes System entwickelt. Europa könnte mit Finanzmitteln die heimische Produktion der Ukraine ankurbeln und damit auch Druck von der eigenen Rüstungsindustrie nehmen.
Die Bundesregierung hat bereits Investitionen angekündigt. Aber hätte die Ukraine dafür überhaupt die nötigen Kapazitäten? Die Industrie ist immer wieder Ziel russischer Luftangriffe, ebenso wie kritische Infrastruktur.
Natürlich sind die Kapazitäten begrenzt. Laut ukrainischen Angaben ist bisher allerdings im Rüstungssektor auch erst die Hälfte der Kapazitäten ausgeschöpft. Dazu gibt es in der Ukraine einen deutlichen Preisvorteil: Die Kaufkraft eines Euros ist dort vier- bis sechsmal so groß wie in Deutschland. Das kann einen Unterschied machen. Was die Ukraine nicht kann, ist etwa, Kampfflugzeuge zu bauen. Dabei ist sie wieder auf den Kauf bei den Europäern oder im Falle der F-16-Jets auf die USA angewiesen.
Die Ukraine könnte also angesichts der neuen Lage im Nahen Osten Probleme bekommen. Ist dann nicht letztlich Wladimir Putin im Kreml ein Nutznießer des Kriegs zwischen Israel und dem Iran?
Nein, für Putin hat sich die Lage verschlechtert. Will er den russischen Fußabdruck in der Region sichern, muss er nun weitaus stärker selbst in Erscheinung treten. Vorher hat der Iran die Region für Russland weitgehend gemanagt. Das Mullah-Regime war ein Garant für Chaos. Putin konnte so die verschiedenen Konfliktlinien in der Region auch nutzen, um die Macht anderer Akteure einzuschränken. Er verliert nun aber vermutlich einen wichtigen Verbündeten im Nahen Osten. Das ist ein schwerer Rückschlag für Putin.
Putin hat sich in einem Telefonat mit Trump bereits als Vermittler für die Atomverhandlungen mit dem Iran angeboten.
Das kann eben ein solcher Versuch sein, wieder stärker Präsenz zu zeigen. Putin hat allerdings zuletzt im Nahen Osten stark an Präsenz verloren. Denken wir an den Sturz des Assad-Regimes. Schon dadurch war seine Position deutlich schlechter geworden.
"Die russische Kriegsmaschinerie rollt, sie wird den Ausfall auffangen können."
Christian Mölling
Noch dazu könnten nun ebenfalls wichtige Waffenlieferungen für Russland ausbleiben. Der Iran hatte zuletzt Drohnen und ballistische Raketen geliefert. Wie schätzen Sie das ein?
Das wird vermutlich nicht allzu stark ins Gewicht fallen. Russland produziert die iranischen Schahed-Drohnen bereits im eigenen Land. Bei ballistischen Raketen ist die russische Industrie selbst gut aufgestellt. Sicherlich haben die Lieferungen des Iran der heimischen Rüstungsproduktion in Russland Luft verschafft. Aber die russische Kriegsmaschinerie rollt, sie wird den Ausfall auffangen können.
Putin profitiert außerdem vom gestiegenen Ölpreis. Rechnen Sie mit kurz- bis mittelfristigen Auswirkungen des Kriegs in Nahost auf die russische Kriegsführung in der Ukraine?
Nein, ich denke nicht, dass das bedeutende Folgen in der Ukraine haben wird. Der Ölpreis wird vermutlich auch nicht langfristig so hoch bleiben, sodass Putin – wenn überhaupt – nur kurzzeitig auf höhere Einnahmen hoffen kann. Zumindest war das in vergangenen Krisen der übliche Mechanismus.
Herr Mölling, vielen Dank für dieses Gespräch.
- Telefoninterview mit Christian Mölling