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Angela Merkels Regierung – überrumpelt vom Coronavirus


Was heute wichtig ist
Merkels Regierung: Überrumpelt vom Virus

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 03.03.2020Lesedauer: 8 Min.
Meinung
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Das Coronavirus hat Folgen: Horst Seehofer verweigerte Angela Merkel aus hygienischen Gründen im Kabinett den Handschlag.Vergrößern des Bildes
Das Coronavirus hat Folgen: Horst Seehofer verweigerte Angela Merkel aus hygienischen Gründen im Kabinett den Handschlag. (Quelle: Hannibal Hanschke/Reuters-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Die Bundesregierung führt nicht, sie wird überrumpelt. Dabei bräuchte es in Zeiten wie diesen eine couragierte Kabinettsmannschaft, die langfristig plant, tatkräftig handelt, Widerständen trotzt.

Beispiel Coronavirus: Führung hätte bedeutet, sofort nach Ankunft des Erregers in Europa einen Krisenstab einzurichten, eine bundesweite Informationskampagne zu starten und frühzeitig eine Auszeit für alle Großveranstaltungen zu planen, wie es der Virologe Alexander Kekulé fordert, statt zunächst wertvolle Tage verstreichen zu lassen und nun zu warten, bis kleckerweise eine Messe und ein Stadtfest nach dem anderen abgesagt werden. Führung würde auch bedeuten, dass die Bundeskanzlerin die Brisanz des Themas erkennt und sich an die Spitze der Aufklärungskampagne setzt, um der Verunsicherung in Teilen der Bevölkerung zu begegnen. Als Regierungschefin des größten EU-Landes müsste sie zudem darauf dringen, dass die europäischen Staaten sich endlich besser koordinieren und dem Erreger mit einer einheitlichen Strategie entgegentreten, statt ihre nationalen Gesundheitssüppchen zu kochen: Der eine schließt ein paar Grenzen (andere nicht), der eine streicht Flüge nach China (die anderen nicht), der eine untersagt alle Großveranstaltungen (die anderen nur ein paar oder gar keine). Im Jahr 26 nach Gründung der Europäischen Union ist dieser Wirrwarr eine Farce. Was kann denn wichtiger sein als die Gesundheit der 512 Millionen EU-Bürger?

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Beispiel Flüchtlingskrise: Viele Deutsche – auch im Regierungsapparat – wähnten sie beigelegt, seit Frau Merkel mit Herrn Erdogan das Türkei-Abkommen schloss. Aber sie war nie vorbei, sie war nur aus unserem Blickfeld geraten: In der umkämpften Enklave Idlib in Nordsyrien, in den Lagern in der Türkei, in Istanbuls Elendsvierteln spielen sich seit Jahren dramatische Szenen ab. Nun lässt Herr Erdogan die Flüchtlinge wieder an die EU-Grenze laufen und offenbart damit, wie sehr er uns Europäer in der Hand hat, wie blank wir ethisch und strategisch sind. Außer Appellen kommt da wenig, Europa hat bis heute nichts, was die Bezeichnung strategische Außenpolitik verdient. Führung hätte bedeutet, schon bald nach Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 in Nordsyrien eine Schutzzone für Binnenflüchtlinge einzurichten, damals hätten die Amerikaner sie mit ihren Jets noch garantieren können. Führung würde bedeuten, dem starken Mann im Kreml beizubringen, dass Deutschland nicht gewillt ist, die Ostsee-Pipeline für seine Gaslieferungen fertigzubauen, solange er im Nahen Osten einen brutalen Diktator zum Sieg bombt und Millionen Zivilisten in die Flucht gen Europa treibt. Manche Experten glauben, dass Herr Putin das mit Absicht macht, um die EU zu destabilisieren. Nähme man Führung wirklich ernst, sollte man als deutsche Kanzlerin etwas dagegen haben.

Beispiel Rechtsextremismus: Wie groß die Gefährdung der inneren Sicherheit durch rechte Netzwerke, untergetauchte Militante und radikalisierte Einzeltäter ist, hätte man früher sehen können, hätte man genauer hingeschaut. Bürgerinitiativen, aber auch Medien haben immer wieder darüber berichtet. Stattdessen hielt die Bundesregierung Aussteigerhilfen für Neonazis lange hin und duldete an der Spitze des Verfassungsschutzes mit Hans-Georg Maaßen jahrelang einen Mann, der offenkundig andere Prioritäten hatte als die Überwachung von Rechtsextremisten. Spät ist das Versäumnis erkannt worden, heute nennt Innenminister Seehofer den Rechtsextremismus die "größte Bedrohung in unserem Land", Kanzlerin Merkel bezeichnet Rassismus als "Gift". Aber warum brauchte es dafür erst Anschläge mit Toten und Verletzten?

Führungsmangel rächt sich meistens nicht sofort, sondern mit Zeitversatz, dann aber umso heftiger. Und manchmal bündeln sich die Folgen von Führungsschwäche auf mehreren Feldern an einem einzigen Zeitpunkt. So wie jetzt, Anfang 2020. Der Zeit, in der Deutschlands Regierung wieder einmal überrumpelt wird.


Nach den Anschlägen in Halle und Hanau ist viel über den geistigen Nährboden gesprochen worden, der rechtsradikale Gewalt begünstigt. Die Verrohung der Gesellschaft zeigt sich in Intoleranz, Verleumdung, Hetzreden. Einigen AfD-Politikern ist auch hier im Tagesanbruch der Vorwurf gemacht worden, dass sie durch brutale, herabwürdigende Sprache Hass schüren, der in Gewalt münden kann. Auch in der Führung der Partei hat man inzwischen erkannt, dass dieses öffentliche Erscheinungsbild der AfD schadet, gemäßigte Funktionäre sind um einen konzilianteren Ton bemüht.

Zum vollständigen Bild der Verrohung gehört, dass auch AfD-Politiker Opfer von Gewalt sind. Jüngster Fall ist der Co-Parteichef Tino Chrupalla: Sein Auto vor seinem Haus im sächsischen Gablenz ist ausgebrannt, die Polizei ermittelt wegen des Verdachts der Brandstiftung. Chrupalla versuchte nach eigenen Angaben, den Brand zu löschen, und atmete dabei so viel Rauch ein, dass er zeitweise ins Krankenhaus musste. Gestern sagte er Termine ab. Äußern konnte er sich: "Bei aller Schärfe in der politischen Auseinandersetzung, aber das ist ein direkter Angriff auf meine Familie", sagte er den Kollegen der "Bild"-Zeitung. "Das überschreitet alle nur denkbaren Grenzen. Diese Eskalation muss aufhören."

Den meisten Medien war das Ereignis nur eine kleine Meldung wert. Es wurde niemand lebensgefährlich verletzt, es entstand vor allem Sachschaden. Dennoch kann man nicht deutlich genug feststellen: Sollte es sich tatsächlich um Brandstiftung handeln und sollte diese einen politischen Hintergrund haben, wäre dies ein erschreckender Anschlag auf einen Politiker. Egal, auf welcher Seite man politisch steht: Das ist absolut inakzeptabel. Die Bürgergesellschaft muss sich klar gegen jede Form der Verrohung und Gewalt stellen. Und die Sicherheitsbehörden müssen konsequent gegen jede Form des Extremismus vorgehen – ob von rechts oder von links, ob religiös oder sonst wie irregeleitet.


WAS STEHT AN?

Bei den einen wird es spannend. Die anderen wählen Trump. So lässt sich der amerikanische Vorwahlkampf zusammenfassen – und ebenso das Programm des heutigen Super Tuesday, an dem die Parteien um ihre Kandidaten für das Präsidentenamt ringen. Nur am 3. November, wenn der Mieter im Weißen Haus seine Vertragsverlängerung bekommt oder aber das Umzugsunternehmen angerufen wird, machen mehr Wähler ihr Kreuzchen als bei der heutigen Vor-Abstimmung. Im Laufe des Tages werden die Anhänger von Demokraten und Republikanern über den größten Block der Delegierten auf den Parteitagen entscheiden und auf dem Weg zum Showdown um die Zukunft der USA die entscheidenden Weichen stellen. Ein Dienstag der Superlative also. Ob er wirklich super wird?

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Kurz vor der Abstimmung haben sich die Ereignisse noch einmal überschlagen. Am Sonntag warf der demokratische Bewerber Pete Buttigieg das Handtuch, gestern seine Kollegin Amy Klobuchar. Beide standen für eine Politik der Mitte, beide haben sie ihren überraschenden Abgang so stromlinienförmig gestaltet, dass man ihn bei flüchtigem Hinsehen mit einer Bewerbungsmappe auf dem Schreibtisch von Joe Biden verwechseln kann. Der ehemalige Vizepräsident Barack Obamas war für die demokratische Kandidatur zunächst als Topfavorit gehandelt worden, bekam bei den ersten Vorwahlen in Iowa und New Hampshire aber ordentlich einen auf den Deckel und verlor seine Aura der Unbesiegbarkeit. Erst mit seinem Sieg in South Carolina hat er sich am Sonntag aufs Spielfeld zurückgekämpft. Dass gleich zwei Konkurrenten, die sich um dieselben Mittelstandsfamilien bemühten wie er, nun hingeschmissen und sich seinem Lager angeschlossen haben, ist ein Geschenk für den alten Joe. In letzter Minute. Vor der richtungsentscheidenden Abstimmung. In der es jetzt um alles geht.

Lassen wir also einen Blick über jene wandern, die auf dem Schlacht… Pardon Spielfeld noch aufrecht stehen. Es treten an:

Eben jener Joe Biden: ein alternder Staatsmann, der den erfahren Politikpapa mimt, sich aber in Reden und Debatten so oft vertüdelt, dass Beobachter regelmäßig die Luft anhalten, ob er den Satz unfallfrei zu Ende be…. dings… äh…kommt.

In der Pole Position: Spitzenreiter Bernie Sanders, der auch nicht mehr der Jüngste ist, während des Wahlkampfs einen Herzinfarkt erlitt, aber gerne redet wie ein Karabiner: donnernd, zischend und selbst bei gelegentlicher Ladehemmung stets feurig. Die Mehrheit der Wähler möchte er hinter sich versammeln, indem er im Mutterland des Reibach-Kapitalismus einen "demokratischen Sozialismus" predigt.

Klarer Fall: Biden und Sanders sind die Hauptdarsteller dieses Wahltags – wobei Letzterem sogar ein großer Triumph gelingen könnte, wie unser Korrespondent Fabian Reinbold analysiert. Er wird heute die ganze Nacht auf t-online.de für Sie berichten, unterstützt von meinen Kollegen Anna-Lena Janzen, Peter Schink und Patrick Diekmann.

Hinterherhinkend, aber noch nicht abgeschlagen: Elisabeth Warren, die Professorin, die nicht müde wird, ihre einfache Herkunft zu betonen. Dabei verfällt sie oft in einen etwas larmoyanten Singsang, der so hin und her mäandert wie ihr Ringen um ein möglichst mehrheitsfähiges Image: irgendwie links, irgendwie aber auch mittig, irgendwie vor allem irgendwie.

Die geballte Macht des Mammons wird vertreten durch Mike Bloomberg, einen ebenfalls alternden Milliardär, der sich seinen späten Einstieg ins Rennen sowie seinen kompletten Wahlkampf einfach fix zusammengekauft hat. Früher war er auch mal Republikaner, ganz wie die Situation (und das Geschäft) es verlangte. Bei Frauen hielt er gelegentlich sexuelle Übergriffe für angebracht, in diesem Punkt trennt ihn nicht viel von Herrn Trump.

Und dann ist da noch diese Esoterikerin aus Hawaii: Tulsi Gabbard, die Frau, die Syriens Diktator Assad traf und gegen ihn ähnlich wenig einzuwenden hat wie gegen Nordkoreas Kim. Sie kann Menschen zum Staunen bringen, vor allem, wenn die sich plötzlich daran erinnern, dass Mrs Gabbard überhaupt noch im Rennen ist. Kann man aber auch leicht übersehen.

Das ist es, das Feld der Demokraten. Einer von diesen Leuten soll es richten gegen den Donald. Soll dessen Fans niederringen, die ihrem Helden jeden Affront, jeden Stuss, jedes Verbiegen von Regeln, Gesetz und Verfassung verzeihen. Soll die Menschen aus der Hypnose von Fox News befreien, dem TV-Sender für rechte Verschwörungstheorien und nationale Propaganda. Die Lichtgestalt der Demokraten muss den Bann dieser Parallelkultur brechen. Sonst wird es eng.

Kann das gelingen? Ich sage es mal so: Liebe Premiers, Präsidenten und Kanzler in Europa, die Notfallpläne für den Fall einer zweiten Amtszeit des gegenwärtigen US-Präsidenten: Erinnern Sie sich noch an die? Schauen Sie doch bitte mal kurz nach, in welcher Schublade die liegen. Damit Sie im November nicht so lange rumwühlen müssen.


WAS LESEN?

Friedrich Merz, Armin Laschet und Norbert Röttgen legen großen Wert darauf, sich voneinander abzugrenzen. Aber sie haben eines gemeinsam: Sie sind Männer. Sie selbst scheinen darin kein großes Manko zu sehen, andere vielleicht schon. Denn die CDU droht, zu einem Verein alter weißer Männer zu werden. Das Durchschnittsalter der Mitglieder liegt über 60 Jahren, gerade einmal 26 Prozent sind Frauen, Migranten sind noch rarer. Ohne Kanzlerin Merkel wird die Partei in Zukunft mit dieser Aufstellung in vielen Bevölkerungsgruppen Attraktivität einbüßen: bei Jungen, Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, vor allem in Großstädten. Das Wahldebakel in Hamburg könnte nur da ein Vorbote gewesen sein. Zum Anspruch einer Volkspartei passt das nicht. Ich finde diese Entwicklung ebenso bemerkenswert wie bedenklich, weshalb ich unsere Autorin Ferda Ataman gebeten habe, sich Gedanken darüber zu machen. Hier ist ihr Kommentar.


Nach fast 19 Jahren Krieg schließen die USA und die Taliban endlich Frieden. Warum hat Donald Trump geschafft, woran Barack Obama scheiterte? Unser Amerika-Experte Gerhard Spörl erklärt es Ihnen.


WAS AMÜSIERT MICH?

Manchmal sagt ein Bild mehr als viele Worte.

Ich wünsche Ihnen in dieser aufgeregten Zeit stets einen kühlen Kopf. Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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