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Bundestagswahl: Würden Habeck, Söder und Dreyer es besser machen?


Tagesanbruch
Attacke

MeinungVon Florian Wichert

Aktualisiert am 27.07.2021Lesedauer: 9 Min.
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Annalena Baerbock.Vergrößern des Bildes
Annalena Baerbock. (Quelle: Christophe Gateau/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

Sie sitzen im Restaurant, sagen wir, in einem italienischen. Sie haben nach reiflicher Überlegung die "Penne al pomodoro" bestellt, also die Nudeln in Tomatensoße mit frischem Basilikum an gehobeltem Parmesankäse. Und Sie haben Hunger. Das Essen kommt endlich, Sie spießen die ersten Penne auf Ihre Gabel, tunken sie in die Soße, schieben sie in Ihren Mund und stellen fest: Mist, die Soße schmeckt wie aus der Tüte. Die Nudeln sind eigentlich viel zu hart. Und der Parmesan beschränkt sich auf eine Handvoll gehobelte Splitter.

Hätten Sie doch bloß die "Pizza Verdure" genommen. So wie der ältere Herr am Nebentisch. Die mit Auberginen, Paprika und Oliven. Mit diesem dünnen, knusprigen Rand.

Aber ist die wirklich so lecker, wie sie aussieht? Sie werden es wohl nie erfahren.

Mit der Auswahl von Penne oder Pizza ist es so ähnlich wie mit der Nominierung eines Kanzlerkandidaten.

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Die Union hat Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Armin Laschet ins Rennen geschickt. Oder besser gesagt: er sich selbst. Die SPD hat Vizekanzler Olaf Scholz nominiert. Und die Grünen haben die regierungsunerfahrene Annalena Baerbock zur Kandidatin gekürt. Alle haben nach bestem Wissen und Gewissen entschieden. Und wohl überwiegend in dem Glauben, die beste Entscheidung getroffen zu haben.

Doch seitdem läuft der Wahlkampf aus Sicht der Parteien – vorsichtig formuliert – nicht so reibungslos wie erhofft.

Baerbock galt zwar schnell als neue Favoritin auf das Kanzleramt, war wochenlang omnipräsent in den Medien, zuletzt allerdings insbesondere aufgrund verspätet gemeldeter Nebeneinkünfte. Dann noch aufgrund von großflächigem Plagiat in ihrem Buch "Jetzt". Der Umgang mit der Krise? Unsouverän. Baerbock bekam das Thema einfach nicht vom Tisch und somit auch nicht in den Griff.

Um nicht mehr so viel falsch machen zu können und jedes Fettnäpfchen mitzunehmen, zog sie sich zwischenzeitlich zurück, dann machte sie Urlaub. Interviews gab sie keine. Als sie wieder mal eines gab, rutschte ihr nun gerade das "N-Wort" raus. Unnötige Aufregung oder nächster Fauxpas? Auf jeden Fall musste sie sich entschuldigen. Mal wieder. So wie bei den Plagiaten und auch bei den Einkünften. Die Diskussion über die Verwendung des "N-Wortes" schwelt unterdessen weiter.

Auch Laschet musste sich gerade mehrfach entschuldigen, weil er beim Besuch der Flutopfer während einer Rede des Bundespräsidenten im Hintergrund scherzte und lachte. Das ergab peinliche Bilder, die tagelang die Schlagzeilen bestimmten. "Blöd", wie er sein Verhalten selbst im ZDF-"Sommerinterview" nannte.

Gestern der nächste Ärger. In besagtem Interview hatte Laschet gesagt, Politik müsse verlässlich sein – und dafür geworben, das anvisierte Datum für den Kohleausstieg nicht zu verändern: "Wir haben eine Kohlekommission gehabt mit Wissenschaftlern, mit Greenpeace, mit dem BUND. Und die haben das Datum 2038 vorgeschlagen." Der BUND ist in diesem Fall der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland.

Dessen Vorsitzender Olaf Bandt konnte sich nicht daran erinnern, diesen Vorschlag gemacht zu haben, echauffierte sich mächtig und sagte: "Armin Laschet lügt oder ist falsch informiert, wenn er behauptet, BUND und Greenpeace hätten in der Kohlekommission 2038 für den Kohleausstieg vorgeschlagen." Und weiter: "Wir haben immer klargemacht, dass ein so spätes Ausstiegsdatum für ernsthaften Klimaschutz viel zu spät ist."

Und Scholz? Der aktuelle Finanzminister gilt als wenig charismatisch, nahezu langweilig, und durch den Cum-Ex-Skandal vorbelastet. Derzeit findet er in der öffentlichen Wahrnehmung kaum statt – punktet aber genau damit.

Eine Insa-Umfrage ergab gerade, dass im Falle einer Direktwahl des Kanzlers, die es natürlich nicht gibt, 21 Prozent für Scholz stimmen würden. 15 Prozent würden sich für Laschet entscheiden und 14 Prozent für Baerbock. Am spannendsten ist eigentlich die Zahl derer, die weder Baerbock noch Laschet oder Scholz wählen würden: 38 Prozent.

Was immer mal wieder gemunkelt und diskutiert wird, muss man wahrscheinlich einfach mal aussprechen: Wären alle Parteien mit einer anderen Wahl vielleicht besser unterwegs?

Wie wäre es, wenn der Macher Markus Söder für die Union und Robert Habeck für die Grünen in den Wahlkampf gezogen wäre? Und vielleicht die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer für die SPD? Sie gewann gerade erst neue Sympathiepunkte, als sie sich von ihrer Multiple-Sklerose-Erkrankung nicht stoppen ließ und die Opfer der Flutkatastrophe persönlich und vor Ort mit einem fahrbaren Untersatz besuchte.

Wäre dieses Trio für Parteien, Wähler und Bürger besser, also für Deutschland?

Habeck, der Regierungserfahrung aus sechs Jahren als Minister und stellvertretender Ministerpräsident in Schleswig-Holstein mitbringt – dort als Spitzenkandidat Wahlen erfolgreich bestritten hat. Der beliebt ist und diverse Bücher geschrieben hat. Wäre ihm diese Geschichte mit den Plagiaten passiert? Wohl kaum.

Oder Söder, der – positiv ausgedrückt – thematisch besonders anpassungsfähig ist, sich in der Corona-Krise dem "Team Vorsicht" anschloss, dem von Kanzlerin Angela Merkel. Der als CSU-Chef mit Umwelt- und Klimapolitik auch bei jüngeren Wählern gepunktet hat und ein starker Charakter ist.

Dreyer, die seit acht Jahren die Geschicke von Rheinland-Pfalz lenkt, erst im März im Amt bestätigt wurde, nachdem sie die Wahl für die SPD quasi im Alleingang gewonnen hatte. Die mit ihrer Empathie besticht und als fleißig und kompetent gilt.

Das Gedankenspiel hat einen Haken: Was im ersten Moment gut klingt, ist wahrscheinlich ein Trugschluss.

Man stelle sich vor, Habeck würde mit peinlichen Wissenslücken in die Kritik geraten, so wie beispielsweise nach einem t-online-Interview 2020. Oder er würde seinen Hang zur Selbstdarstellung übertreiben. Wie laut wäre wohl bei den Grünen der Schrei nach Baerbock? Zumal Habeck bei einer Partei, die mehr Frauen in Führungspositionen fordert, als Mann ohnehin sofort unter riesigem Druck stehen würde.

Was, wenn Söder seine Selbstinszenierung auf die Spitze treiben würde, seine "Anpassungsfähigkeit" nur noch Opportunismus wäre und er am Ende peinlich für Deutschland und eine mögliche Kanzlerschaft? Oder wenn Dreyer sich mit ihrer Erkrankung und einer Kandidatur zu viel zumuten würde?

Am Ende ist es wie beim Essen. Oder wie bei der Wahl des Urlaubsortes, des Partners, des Wohnortes. Man wird wohl nie wissen, ob eine andere Wahl vielleicht die bessere gewesen wäre. Leider. Oder vielleicht auch zum Glück.

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Attacke

Noch zwei Monate bis zur Bundestagswahl? Die will Annalena Baerbock offensichtlich nutzen, um nach der ganzen Kritik, den Fehlern und Entschuldigungen zurückzuschlagen und zumindest ab jetzt die Agenda mit ihren Themen zu bestimmen. Sie hatte im Gegensatz zu Scholz und Laschet zuletzt sogar bei der Flutkatastrophe auf jegliche Interviews und Bilder aus den zerstörten Regionen verzichtet. Und sie hat sich nicht zum Zusammenhang der Flut mit der Klimakrise geäußert, um sich nicht Profilierung auf Kosten der Opfer vorwerfen lassen zu müssen.

Nun schaltet sie offenbar wieder zwei Gänge höher. Bei der gestrigen Bundespressekonferenz rechnete sie mit der Bundesregierung und insbesondere mit der Union ab ("Man sollte, müsste, könnte mal – damit werden wir die CO2-Emissionen nicht verringern"). Sie kündigte an, dass die Grünen bereits am Donnerstag neue Vorschläge für eine Anpassungsstrategie an den Klimawandel vorlegen würden und nächste Woche ein aktualisiertes 100-Tage-Sofortprogramm für den Klimaschutz zum Start der künftigen Regierung nach den Wahlen.

Vielleicht hilft der Attackemodus der Parteichefin und Kanzlerkandidatin, um das zuletzt verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen und noch mal anzugreifen.


Ein Huhn für eine Impfung?

Die Debatte um mögliche Einschränkungen für Nicht-Geimpfte und auch eine Impfpflicht wird immer hitziger. Angestoßen von Kanzleramtschef Helge Braun, meldeten sich auch gestern diverse Politiker zu Wort – beispielsweise Justizministerin Christine Lambrecht. Sie halte eine Impfpflicht nicht für realistisch, sagte die Ministerin im ZDF-"Morgenmagazin": "Es wird keine allgemeine Impfpflicht geben, sondern wir müssen dafür werben, dass ich mich mit dieser Impfung selbst und vor allen Dingen auch andere schütze."

Aber wie?

Meine Kollegin Melanie Weiner hat ins Ausland geguckt und zusammengetragen, wie dort Anreize geschaffen werden, um eine erlahmende Impfkampagne wieder in Schwung zu bringen. Und um zu vermeiden, dass es ähnlich läuft wie in den USA, wo nach schnellen Impffortschritten nun auch schon wieder die Infektionszahlen steigen und für Alarm sorgen, wie Josephin Hartwig hier berichtet. Oder wie in Großbritannien, wo die Ausbreitung der Delta-Variante die Wirtschaft zum Erliegen bringt, wie meine Kollegin Nele Behrens hier erklärt.

So gibt es in Teilen Chinas Eiscreme, Hähnchenschenkel oder Eier zur Impfung dazu. In Griechenland bekommen 18 bis 25-Jährige einen Universalgutschein in Höhe von 150 Euro. In Serbien gibt es 25 Euro als Belohnung. In Indonesien erhalten Geimpfte ab 45 Jahren ein lebendiges Huhn, in den Niederlanden einen eingelegten Hering. In den USA oder in Russland können Geimpfte an Verlosungen teilnehmen. In einigen Kommunen der USA gibt es auch Freigetränke, Donuts, Angel- und Jagdscheine oder Tickets für Museen, Zoos und Sportereignisse. Vereinzelt wurden von Aktivisten Joints an Geimpfte verteilt.

Können Hühner, Drogen oder Fischbrötchen auch in Deutschland die Bevölkerung zum Impfen motivieren? Wahrscheinlich nicht.

Gutscheine oder Geld? Vermutlich schon. Doch das wäre wohl ungerecht gegenüber den Menschen, die sich bereits haben impfen lassen. Und wenn die rückwirkend auch noch dafür bezahlt werden, wie es Ökonomin Nora Szech vor Kurzem im Deutschlandfunk vorschlug, dann wird es für den Staat nicht nur teuer, sondern megateuer.

Unionskanzlerkandidat Armin Laschet schlug im ZDF-"Sommerinterview" vor, in die Universitäten zu gehen, um dort unkompliziert Studenten zu impfen. Das Problem ist, dass die Unis gerade weitgehend leer sind. Zum einen aufgrund der Semesterferien – zum anderen aufgrund der Veranstaltungen, die weitgehend digital stattfinden.

Und er sagte zur lahmenden Impfkampagne: "Wenn wir dann im Herbst sehen, die Impfquote ist immer noch zu niedrig, muss man dann weiter nachdenken. Aber nicht jetzt." Mit der Haltung steht er weitgehend allein da.

Was tun also, um wieder Schwung in die Kampagne zu bringen?

Eigentlich kann nur eine Kombination verschiedener Maßnahmen helfen. Zum einen fachliche Beratung, also indem Ärzte Zweifel am Impfen ausräumen. Und dann müssen Impfungen unkompliziert ohne Termin und dort stattfinden, wo die Menschen sind – bei Veranstaltungen, sofern diese stattfinden. Bei Konzerten, bei Fußballspielen, Theaterbesuchen oder im Supermarkt – oder bei der Bundestagswahl, wie es FDP-Politiker Konstantin Kuhle im Gespräch mit meiner Kollegin Lisa Becke fordert. Vielleicht ja verbunden mit einem Freigetränk oder Gutschein. Klappt es nicht, so Anreize zu schaffen, kann die nächste Stufe immer noch Einschränkungen und neue Regelungen beinhalten.


Termine des Tages

  • Ab heute gelten Spanien und die Niederlande als Corona-Hochinzidenzgebiete. Wer nach Deutschland zurückkehrt und nicht vollständig geimpft oder genesen ist, muss für zehn Tage in Quarantäne oder sich nach fünf Tagen "freitesten".
  • Der neue Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses zur Aufarbeitung der Erstürmung des US-Kapitols am 6. Januar nimmt seine Arbeit auf. Es sollen angehört werden: Mitglieder der Polizei des Kapitols und Beamte der Polizei von Washington.
  • Das Unesco-Welterbekomitee berät weiter über die Aufnahme von Kultur- und Naturstätten in die Welterbeliste. Heute geht es um das Niedergermanische Limes als Teil der römischen Grenze sowie Mainz, Speyer und Worms für die Orte des jüdischen Mittelalters.
  • Der Internationale Währungsfonds (IWF) legt um 15 Uhr eine neue Prognose für das Wachstum der Weltwirtschaft vor. Experten rechnen angesichts der Erholung von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie in Industrieländern mit einem positiven Ausblick.

Was lesen oder anschauen?

Die Bundeswehr ist aus Afghanistan abgezogen. Doch die Helfer vor Ort überlässt Deutschland ihrem Schicksal, wie unser Kolumnist Christoph Schwennicke anprangert. Er schreibt: Wir sollten uns schämen, dass wir weder ernsthaft über sie reden noch wirklich etwas für sie tun.


Risikogebiete, Reisewarnungen, Corona-Regeln: Ein Sommerurlaub ist aktuell zwar möglich, kann jedoch zu einer Herausforderung werden. Reiseanwalt Ronald Schmid gibt im Interview mit meiner Kollegin Sandra Simonsen wichtige Tipps, wie Sie ein Chaos vermeiden.


In Asien kennt ihn jedes Kind. In China wird er mit David Beckham verglichen und gilt als Weltstar des Sports. In Deutschland dagegen lebt er zurückgezogen im Odenwald. Timo Boll ist mittlerweile 40 Jahre alt und erlebt in Tokio seine sechsten Olympischen Spiele. Im Interview mit Alexander Kohne hat er über asiatische Tischtennis-Ultras und Vergleiche mit Beckhams Sex-Appeal gesprochen.


Ariarne Titmus ist eine australische Schwimmerin, die sich gerade beim Freistil-Finale über 400 Meter durchsetzte und Gold gewann. Viel spektakulärer: Ihr Trainer Dean Boxall, der anschließend schrie und tanzte, als hätte er selbst olympisches Gold gewonnen.


Was amüsiert mich?

Prinzipien sind wichtig. Auch wenn die Hütte brennt?

Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Tag. Morgen schreibt meine Kollegin Annika Leister an dieser Stelle für Sie.

Ihr

Florian Wichert
Stellvertretender Chefredakteur t-online
Twitter: @florianwichert

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Mit Material von dpa.

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