Debatte um Grenzkontrollen "Hier machen die einen auf dicke Hose"
Viele Pendler leiden unter den anhaltenden Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Luxemburg. Trotz Bemühungen, Kontrollen zu lockern, bleibt der Stau Alltag für viele.
Aus Luxemburg berichtet Marek Michaelis
40 Kilometer vom luxemburgischen Städtchen Schengen entfernt sitzt Alexander Röder im Auto und ärgert sich – über europäisches Recht. Seit dreißig Minuten geht es nur im Schritttempo voran. Hinter dem Container, vor dem ein Bundespolizist steht, ist die Fahrbahn wieder frei. Aber der Beamte winkt Röder aus der Schlange wartender Autos auf eine Freifläche neben der A64 unter ein haushohes Zelt. Erst muss Röder seinen Ausweis vorzeigen. Dann bitten ihn die Polizisten, auszusteigen.
Mit verschränkten Armen geht der Handwerker um sein Auto und öffnet nacheinander jede Tür. Gesetzeswidrig sei so was, in Europa dürfe man sich schließlich frei bewegen, sagt er.
Dann setzt er seinen Heimweg fort. Das nächste Auto wird schon herausgewunken.
Etwa 50.000 Pendler passieren nach Angaben der Bundespolizei täglich die Grenzkontrolle in der Nähe von Trier. Seit die Kontrollen im vergangenen Sommer in Kraft getreten sind, erregen sie bei Pendlern Ärger. Zwar hat sich der Polizei zufolge die Stauzeit von einer Stunde zu Beginn der Kontrollen reduziert.
Aber eine halbe Stunde Stau pro Fahrt müssten Pendler noch in Kauf nehmen. Das bringt den Alltag für Grenzgänger nach Luxemburg durcheinander. Mit Auswirkungen für das Großherzogtum, das auf die ausländischen Arbeitskräfte und den offenen Binnenmarkt angewiesen ist.
- Dobrindts Grenzkontrollen: Alles anders als gedacht?
Der Anteil an Grenzgängern am luxemburgischen Arbeitsmarkt ist hoch. Fast die Hälfte der insgesamt 525.000 Beschäftigten kommt aus einem der Nachbarländer über die Grenze, davon etwa 55.000 aus Deutschland. Ohne sie könnte Luxemburg den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften wohl kaum decken.
Kein Wunder also, dass die Luxemburger gerade jetzt besonders auf das Schengen-Abkommen verweisen, das im Juni vor 40 Jahren nahe dem gleichnamigen Ort in Luxemburg unterzeichnet wurde. Politiker aus Deutschland, Frankreich und den Beneluxstaaten vereinbarten damals, die harten Grenzen zwischen europäischen Ländern abzubauen.
- Debatte um Grenzkontrollen: Manche Länder unterstützen auch den deutschen Kurs
Das Ziel: freier Personen- und Warenverkehr. Im Abkommen sind Grenzkontrollen eigentlich nicht vorgesehen, aber seit 2015 zumindest rechtlich wieder möglich. Trotzdem regte sich Protest aus dem Großherzogtum an den deutschen Kontrollen.
"Unnötige Störungen im Grenzverkehr müssen vermieden werden", sagte Léon Gloden, luxemburgischer Innenminister. Im Februar reichte er gemeinsam mit der EU-Kommission Einspruch gegen die deutschen Grenzkontrollen ein, bemühte sich in vielen Gesprächen mit deutschen Verantwortlichen um eine Lockerung.
Denn dem luxemburgischen Innenministerium zufolge veränderten Grenzgänger in den vergangenen Monaten ihr Pendelverhalten. Einige würden aktiv Stoßzeiten vermeiden, andere sogar auf Grenzübertritte zum Einkaufen oder Essengehen verzichten.
Glodens Einsatz wird jetzt wohl belohnt: Berichten zufolge konnte der Innenminister seinen deutschen Kollegen Alexander Dobrindt (CSU) davon überzeugen, die Kontrollen zumindest schrittweise zu lockern. Auf der A8 an der saarländischen Grenze zu Luxemburg sollen die dauerhaften durch flexiblere Kontrollen ersetzt werden. So werden die Betonblöcke entfernt, es soll mobil kontrolliert werden. Ein erster Erfolg für die Luxemburger, die seit September 2024 auf eine Lockerung dringen.
"Jetzt ist es ein Kampf"
Bisher waren die Kontrollen für viele Pendler ein Ärgernis auf dem Weg zur Arbeit oder wieder nach Hause – besonders für viele Deutsche, denn Pendelverkehr aus Luxemburg nach Deutschland gibt es kaum. Kurz vor der deutschen Grenze nutzen viele auf der Heimfahrt dann doch einen Vorzug des freien Binnenmarktes: Auf das Gelände der luxemburgischen Grenztankstelle in Wasserbillig rollen den ganzen Tag über deutsche Autos.
Viele Pendler tanken hier auf dem Heimweg günstig. Ein junger Mann aus Trier füllt sogar einige Kanister auf, die er im Kofferraum verstaut. Er findet die Kontrollen grundsätzlich gut und meint, die Grenzen müssten geschützt werden. Mit dieser Meinung ist er nicht allein, aber an der Tankstelle in der Minderheit. Eine Lehrerin aus Trier, die in Luxemburg arbeitet, ist vom Stau erschöpft: "Die Fahrt hin und her ist sowieso schon lang, jetzt ist es ein Kampf", sagt sie.
- Kritik an Grenzkontrollen: "Das ist volkspolitischer Wahnsinn"
"Hier auf der Autobahn machen die einen auf dicke Hose"
Ein paar Kilometer weiter an der fest eingerichteten Kontrollstation auf deutscher Seite gibt es wenig fröhliche Gesichter hinter den Windschutzscheiben – viele sind frustriert vom Stillstand auf der Fahrbahn. Unter denen, die ein Bundespolizist nacheinander aus dem Verkehr zieht, sind viele Handwerker mit Lieferwagen. Zwei von ihnen nehmen es locker: Die Staus stören sie auch, klar. Aber es sei gut, dass darauf geachtet werde, wer einreist.
Ein anderer meint, die Kontrollen seien sinnfrei. Entlang der Grenze nehme er kaum Polizei wahr, aber: "Hier auf der Autobahn machen die einen auf dicke Hose", schimpft er. Dabei kontrolliert die Polizei nach eigenen Angaben nicht nur auf der A64 nahe Trier, sondern auch an vielen der 26 anderen Grenzübergängen – dort allerdings nicht dauerhaft und manchmal in Zivil.
Die Bundespolizei rechtfertigt die Kontrollen mit der Bilanz aus den vergangenen Monaten: Seit September hätten die Beamten 410 Schleusungen gestoppt. Hinzu kämen etwa 700 Menschen, die die Polizei zwischen Sommer 2024 und Juni 2025 an der Grenze zurückgewiesen und wieder über die Grenze zurück nach Luxemburg gebracht habe. Die Zusammenarbeit mit den luxemburgischen Behörden laufe dabei problemlos, sagte ein Sprecher der Bundespolizeiinspektion Trier.
Allerdings teilte das luxemburgische Innenministerium mit, es wisse nicht, wie viele Menschen an der Grenze nach Luxemburg zurückgewiesen wurden. Der Sprecher der Bundespolizei Trier teilte dazu mit, dass die Zurückgewiesenen an die Grenze gebracht und dort zurück ins Nachbarland überführt würden. Zum Beispiel am Grenzübergang Wasserbillig, etwa eine halbe Autostunde von Schengen entfernt.
Dann geht in Wasserbillig nichts mehr
Hier trennt das Grenzflüsschen Sauer Deutschland und Luxemburg. Auf der deutschen Seite der Brücke ist das Geländer abgebrochen und hängt wie ein eingeschlafener Arm herunter. Ein paar Meter weiter steht auf der deutschen Seite des Ortes mehrmals pro Woche die Bundespolizei und kontrolliert, wer einreist. Dann geht in Wasserbillig nichts mehr.
Auf der engen Straße, die sich durch den Ort schlängelt, stehen Autos bis in den luxemburgischen Ortskern. Bis vor die Tische eines kleinen Cafés wie dem "Evel", sagt Fatima Rodriguez, die Inhaberin. "Manche Leute steigen dann aus, kaufen einen Kaffee und ruhen sich aus", sagt sie. Auch wenn die Staus stören – geschäftsschädigend sei das für sie nicht.
Nebenan im kleinen Supermarkt an der Tabaktheke sind die Grenzkontrollen oft beliebtes Small-Talk-Thema, sagt eine Verkäuferin: "90 Prozent sind sehr genervt. Abends Termine in der Gegend zu machen, ist unmöglich." Und seit kontrolliert wird, würden viele deutsche Pendler nicht mehr so viel Tabak bei ihr kaufen.
Innerhalb der EU darf man maximal ein Kilo Tabak oder 800 Zigaretten über die Grenze bringen. So steht es auf einem gelben Zettel an der Kasse. Weil die Preise in Luxemburg aber deutlich niedriger sind, hätten viele direkt mehr mitgenommen – schließlich hat keiner kontrolliert. Das ist jetzt vorbei.
Ein Drittel denkt über einen Jobwechsel nach
Die Folgen für die luxemburgische Wirtschaft drohen insgesamt noch härter auszufallen. Der Lobbyverband Deutsch-Luxemburgische Wirtschaftsinitiative erhob im Frühjahr eine nicht repräsentative Umfrage unter Unternehmern und Grenzgängern in Luxemburg zu den Kontrollen.
Das Ergebnis: Ein Drittel der Befragten denkt wegen der Kontrollen über einen Jobwechsel nach. Blieben die Staus Dauerzustand, könnte Luxemburg für Pendler deutlich unattraktiver werden. Davor warnen Arbeitsmarktforscher, die damit den Wirtschaftsstandort Luxemburg bedroht sehen. Zusätzlich würden laut Umfrage etwa 75 Prozent der Unternehmen in der Region Zeitverzögerungen im Arbeitsalltag wahrnehmen. Etwa ein Viertel beklagt sogar finanzielle Einbußen, die direkt durch die Grenzkontrollen entstanden seien.
Aktuell sieht es danach aus, als würde sich die Situation für Pendler und Unternehmen etwas entspannen. Einige Grenzkontrollen sollen wegfallen. Zumindest auf der Schengenbrücke über die Mosel herrscht künftig wieder freie Fahrt. So wie es sich alle genau dort vor 40 Jahren vorstellten.
- Eigene Recherche