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Renten-Doppelbesteuerung: "Olaf Scholz hat das zu verantworten"


"Geheime Anweisung"
Steuerberater will Scholz wegen Rentensteuer vor Gericht zerren


Aktualisiert am 05.03.2022Lesedauer: 5 Min.
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Rednerpult im Bundestag (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Rednerpult im Bundestag (Archivbild). (Quelle: Chris Emil Janßen/imago-images-bilder)

Gibt es bei der Besteuerung von Rentnern geheime Absprachen, die Senioren um ihre Rechte bringt? Ein Steuerberater will das vor Gericht klären – und nimmt den Kanzler ins Visier.

Stellen Sie sich vor, Sie müssten für Ihre Steuerrückzahlung Dokumente einreichen, doch das Finanzamt will Ihnen partout nicht verraten, was es von Ihnen braucht. Ziemlich genau so dürfte es derzeit Tausenden Rentnern in Deutschland gehen – und ziemlich genau das könnte schon bald bei Kanzler Olaf Scholz (SPD) für juristischen Ärger sorgen.

Am 14. März nämlich verhandelt das Berliner Verwaltungsgericht über einen Streit "zwischen dem Steuerberater Heinrich Braun und der Bundesrepublik Deutschland" (Az. VG 2 K 80/21).

So jedenfalls heißt es in der Ladung des Gerichts, die t-online vorliegt. Der Fall, um den es geht, ist zugegebenermaßen etwas für Feinschmecker. Für Menschen, die sich tiefergehend mit der Rentensteuer-Materie auseinandersetzen wollen.

Streit um "geheime Anweisung"

Braun beruft sich auf das Informationsfreiheitsgesetz und will vor Gericht die Veröffentlichung einer "geheimen Anweisung" erzwingen, wie es in der Klageschrift heißt.

Gemeint ist damit ein Protokoll mit einer Anordnung Scholz': Wie sollen die Finanzämter reagieren, wenn per Gerichtsurteil feststeht, dass Rentner in Deutschland doppelt besteuert werden?

Doppelt besteuert wird, verkürzt gesagt, wer vom Fiskus zweimal für seine Rente zur Kasse gebeten wird – nicht nur als Arbeitnehmer, sondern auch als Rentner. Eine solche Doppelbesteuerung wäre in Deutschland verfassungswidrig.

Darum geht es bei dem Streit

Konkret geht es Heinrich Braun im aktuellen Rechtsstreit darum, dass die Finanzämter auf Scholz' Anweisung hin die Rentner nicht eindeutig genug darüber informieren, was sie tun können, um sich gegen die Doppelbesteuerung zu wehren. Hintergrund dafür: Das Finanzministerium hatte vorab beschlossen, dass Steuerbescheide für den Veranlagungszeitraum ab 2005 vorerst offen bleiben. Geregelt ist das in einem sogenannten Vorläufigkeitsvermerk. Demnach müssen Senioren keinen eigenen Einspruch gegen ihren Steuerbescheid einlegen.

Denn der Streit um die doppelte Besteuerung der Renten ist noch nicht beendet. Derzeit laufen noch zwei Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, nachdem vergangenes Jahr der Bundesfinanzhof (BFH), Deutschlands oberstes Steuergericht, ein wegweisendes Urteil gefällt hatte:

Zwar bestätigten die Richter die aktuelle Ausgestaltung der Rentenbesteuerung als verfassungskonform. Gleichzeitig monierten sie jedoch, dass die Rentensteuerformel angepasst werden müsse. Ansonsten käme es für Tausende Rentner zu der unrechtmäßigen Doppelbesteuerung. Lesen Sie hier, wie die Ampelkoalition die Rentenbesteuerung anpassen will.

Rentner müssen Doppelbesteuerung nachweisen

Zurück zum Vorläufigkeitsvermerk: An sich ist diese bundesweite Anweisung an die Finanzämter eine gute Sache für Senioren. Sie erspart ihnen eine Menge Arbeit und Bürokratie, weil sie zunächst nicht einzeln gegen ihre Steuerbescheide Einspruch erheben müssen – schließlich bleiben die Bescheide "offen".

Doch der Teufel steckt im Detail, wie unter anderem der Bund der Steuerzahler beklagt. So bedeutet die Regel nämlich auch, dass die Steuerbescheide nicht automatisch nachträglich zugunsten der Rentner geändert werden, sie also ohne eigene Aufforderung Geld zurückbekommen. Vielmehr müssten sie die Doppelbesteuerung gegenüber ihres Finanzamts folglich beanstanden und dies durch entsprechende Unterlagen nachweisen.

Womit wir wieder beim aktuellen Fall wären, den jetzt das Berliner Verwaltungsgericht verhandelt. Braun sagt, dass es für viele Rentner unmöglich sei, diese Nachweise zu erbringen. Er vertritt einen Mann, der davon ausgeht, doppelt besteuert worden zu sein – und jetzt nicht weiß, welche Unterlagen den Behörden fehlten.

Was bedeutet "weitere Unterlagen"?

Im Detail geht es um folgenden Passus in dem Vermerk des Finanzamts: "Sollte nach einer künftigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder des Bundesfinanzhofs dieser Steuerbescheid Ihrer Auffassung nach [...] zu Ihren Gunsten zu ändern sein, benötige ich weitere Unterlagen von Ihnen."

Und weiter: "Von Amts wegen kann ich Ihren Steuerbescheid nicht ändern, weil mir nicht alle erforderlichen Informationen vorliegen."

Braun vertritt die Auffassung, dass die Formulierung "weitere Unterlagen" gegen das sogenannte Bestimmtheitsgebot verstoße. Dieses besagt, dass Gesetze und Verwaltungsakte so klar formuliert sein müssen, dass sie ein Durchschnittsbürger versteht.

"Finanzamt hat sämtliche Nachweise bekommen"

"Es mangelt aber an jeder Klarheit", sagt Braun t-online. "Das Finanzamt hat sämtliche Beitragsnachweise meines Mandanten bekommen. Wir wissen nicht, welche weiteren Unterlagen noch benötigt werden." In seinem Einspruch bat Braun das in seinem Fall zuständige Finanzamt Miesbach darum, offenzulegen, welche Informationen noch fehlen würden.

Daraufhin antwortete die Behörde: "Die entsprechende Verfügung im Ganzen ist nur für den Dienstgebrauch bestimmt und nicht zur Vorlage geeignet." Auf diese Offenlegung klagt Braun jetzt.

Steuerberater Braun, der sich seit Jahren mit dem Streit um die Doppelbesteuerung auseinandersetzt, hält die Praxis für einen Skandal. "Olaf Scholz hat das zu verantworten – und muss sich dem jetzt stellen", so Braun, "ebenso der neue Finanzminister Christian Lindner".

Er rügt außerdem, dass Finanzämter Einsprüche gegen die Doppelbesteuerung der Rente ablehnen würden, ohne sich mit diesen inhaltlich auseinanderzusetzen. Eben weil es das Vorläufigkeitsschreiben des Finanzministeriums in der jetzigen Form gibt.

Verwaltungsrechtler hält Passage für noch akzeptabel

Ob Braun mit seiner Klage Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. Ganz sicher sollte er sich aber nicht sein. Der renommierte Verwaltungsrechtler Markus Ogorek, der als Direktor das Institut für Öffentliches Recht an der Uni Köln leitet, hat sich das strittige Papier für t-online ebenfalls angeschaut.

"Solch eine Formulierung ist in der Tat sehr ungewöhnlich und aufgrund ihrer Unbestimmtheit unglücklich", sagt Ogorek. Er hält die Passage im Gegensatz zu Braun allerdings noch für akzeptabel.

Höchstrichterliche Entscheidungen zur Renten-Doppelbesteuerung, aus denen die Finanzverwaltung konkrete Schlüsse ziehen könnte, stünden nämlich noch aus. "Sobald in der Sache Rechtsprechung vorliegt, darf die Verwaltung den Bürger allerdings nicht länger derartig im Ungewissen lassen", so Ogorek.

Brauns Klage gegen das Bundesfinanzministerium sei davon unabhängig zu betrachten, sagt er weiter. "Ob das Vorgehen in der Sache Erfolg verspricht, hängt maßgeblich davon ab, ob das interne Papier tatsächlich als Verschlusssache eingestuft werden durfte", so Ogorek. Dafür seien die Voraussetzungen jedoch gering. Es reiche bereits aus, wenn Interessen des Staates nachteilig berührt würden.

Scholz wird nicht vor Gericht erscheinen

Falls das Bundesverfassungsgericht oder der Bundesfinanzhof Bürgern recht geben sollte, müsste die Finanzverwaltung ihnen konkrete Antworten über nachzureichende Steuerunterlagen liefern. "Dafür braucht es keine Offenlegung interner Papiere", so Ogorek.

Auch das Bundesfinanzministerium (BMF) äußerte sich zu dem Fall. "Das BMF ist hinsichtlich des Ausgangs des Verfahrens zuversichtlich", teilte es auf Anfrage von t-online mit. Steuerpflichtigen empfehle es, "im eigenen Interesse Vorsorge zu treffen und etwaige, erforderliche Unterlagen bereitzuhalten".

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Von dem Vorläufigkeitsvermerk profitierten letztlich die Steuerzahler, da sie "keinen Einspruch einlegen müssen, um im Fall einer derartigen Entscheidung von positiven Folgen zu profitieren", schrieb das Bundesfinanzministerium weiter.

Ob das Bundesfinanzministerium oder Heinrich Braun recht hat? Darüber muss letztlich das Verwaltungsgericht Berlin am 14. März urteilen. Fest steht nur: Olaf Scholz wird nicht erscheinen, heißt es vom BMF. Man schicke "einen Angehörigen des Justiziariats".

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Heinrich Braun
  • Gespräch mit Markus Ogorek
  • Anfrage an Bundesfinanzministerium und Bundeskanzleramt
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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