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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Außenminister Wadephul im Nahen Osten Die Nerven liegen blank

Eine seiner ersten Amtsreisen führt Außenminister Johann Wadephul nach Israel und in die Palästinensergebiete. Ihn erwartet eine diplomatische Mammutaufgabe. Denn die Lage im Nahen Osten spitzt sich zu.
Aus Tel Aviv berichtet Patrick Diekmann.
Als Johann Wadephul am Samstagmittag das Rollfeld des Berliner Flughafens betritt, wird er schon von einer Menschentraube erwartet. Kameraleute von mehreren Fernsehsendern dokumentieren den Weg des deutschen Außenministers zum Regierungsflieger. Vor der Rolltreppe warten Journalistinnen und Journalisten, fast alle fotografieren oder filmen mit ihren Telefonen. Oben auf der Treppe warten wiederum Fotografen mit großen Kameras. "Hallo, hallo, alle wieder da", sagt der CDU-Politiker etwas schüchtern und geht mit einem Lächeln an den Wartenden vorbei.
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Wadephul hat sich im Bundestag als Fachpolitiker in außen- und sicherheitspolitischen Themen einen Namen gemacht. In inhaltlichen Fragen wird der Außenminister wahrscheinlich keine lange Einarbeitungszeit brauchen. Doch eines liegt auf der Hand: An den ganzen Medienrummel wird sich auch der 62-Jährige erst gewöhnen müssen. Selbst der ehemalige Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) soll von der großen nationalen und internationalen Aufmerksamkeit überrascht gewesen sein, als er 2017 das Auswärtige Amt übernahm – und er war zuvor schon Umwelt- und Wirtschaftsminister.
Doch im aktuellen Krisensturm wird Wadephul kaum Zeit zur Eingewöhnung haben, kaum Zeit, sich vorsichtig heranzutasten an das neue Amt und die kommunikative Schlagzahl der deutschen Krisendiplomatie. Er reist, liest viel, lernt – das sind wahrscheinlich die zentralen Aufgaben des Außenministers in den ersten Monaten.
Darüber hinaus wird der CDU-Politiker noch mehr als seine Vorgängerin und seine Vorgänger ins kalte Wasser der internationalen Krisendiplomatie springen müssen. Auf seiner ersten Nahostreise erlebt Wadephul eine Feuertaufe, denn die sicherheitspolitische Lage in der Region ist noch immer hochexplosiv. Und die Erwartungen an die neue Bundesregierung sind auch in Israel hoch.
Verzweiflung der Geisel-Familien
Zu dieser Erkenntnis kam auch Wadephul spätestens nach seiner Landung in Tel Aviv am Samstagabend. Erster Termin: Es geht zu einem Treffen mit Familien, deren Angehörige von der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 im Zuge ihres Angriffs auf Israel verschleppt wurden. Dass Wadephul gleich zu Beginn seines Israel-Besuches diese Menschen trifft, kann auch als Zeichen gesehen werden: Deutschland hat das Leid der Geiseln und ihrer Angehörigen nicht vergessen.
Die Hamas und mit ihr verbündete Kämpfer hatten bei ihrem Großangriff mehr als 1.200 Menschen getötet und 251 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. 58 Geiseln befinden sich weiterhin in der Gewalt der Islamisten, 34 von ihnen sind nach Angaben der israelischen Armee bereits tot. Bei drei weiteren Geiseln hat Israels Regierung große Zweifel, ob sie noch am Leben sind. Die Bundesregierung geht nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt von einer einstelligen Zahl an Geiseln mit Deutschland-Bezug aus, die sich noch im Gazastreifen befinden.
"Es ist eine Priorität für mich und meine Regierung, uns um Ihre Angehörigen zu kümmern", sagt Wadephul bei dem Treffen. Er ergänzt ein wenig später auf der Plattform X, es sei "kaum vorstellbar, was die von der Hamas Verschleppten und ihre Familien seit über 19 Monaten durchmachen". "Die Geiseln müssen endlich alle freikommen. Das ist eine Priorität für Deutschland."
Wadephul setzt in der Frage auf außenpolitische Kontinuität. Seine Vorgängerin Annalena Baerbock war nicht nur häufig nach dem Terrorangriff der Hamas in der Region, sondern die Grünen-Politikerin sprach fortwährend mit allen für den Konflikt relevanten Akteuren in der Region und setzte sich bei zahlreichen persönlichen Treffen für die Familien der verschleppten Geiseln ein. Deshalb setzen die Angehörigen in ihrem verzweifelten Kampf für die Freilassung ihrer Liebsten Hoffnungen in Deutschland, zum Teil mehr als in die israelische Regierung. Denn sie werfen dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu vor, kaum an Verhandlungen interessiert zu sein.
Der neue deutsche Außenminister scheint in der Nahostpolitik weitestgehend in Baerbocks Fußstapfen treten zu wollen. Die Familien der Geiseln hoffen auf mehr. Das ist keine Überraschung, denn nach vielen Monaten des bangen Wartens sind die Angehörigen emotional völlig erschöpft. Sie erzählen, wie die Hamas ihre Angehörigen in schmalen Tunneln tief unter der Erde gefangen hält, sie sollen kaum Nahrung und medizinische Versorgung bekommen. Die Verzweiflung ist mit jedem Redebeitrag am Samstagabend spürbar, denn mit jedem Tag ohne Geiseldeal wächst die Wahrscheinlichkeit, dass noch mehr der entführten Menschen sterben.
Wadephul wirkt im Angesicht dieser Schicksale aufmerksam, nachdenklich und lässt keinen Zweifel aufkommen, dass er helfen und sich weiter ins Thema einarbeiten möchte. Aber es ist für ihn ein heikler Termin. Denn den Familien der Geiseln geht es nicht nur um politische Rückendeckung, sie möchten Mitgefühl und Empathie für ihre Situation. Gefühlen Ausdruck zu verleihen ist eine hohe politische Kunst, besonders für einen Außenminister, der für sein Land spricht.
Wadephul ist bei diesem Treffen eher zurückhaltend und sachlich, nach wenigen Tagen im Amt will er lernen und Menschen zunächst einmal kennenlernen. Aber auch er wird in den kommenden Monaten seinen eigenen Stil im Umgang mit derartigen emotionalen Momenten entwickeln müssen.
Die Botschaft der Geisel-Angehörigen an Deutschland ist klar: Vergesst die Namen der Entführten nicht und übt Druck aus, auf die internationalen Unterstützer der Hamas, aber auch auf die israelische Regierung.
Trumps "Riviera"-Plan verursacht Schaden
Es ist nicht nur die ungelöste Geisel-Problematik, die den Nahostkonflikt für Wadephul zu einem besonders schwierigen Pflaster macht, um in sein Amt hineinzuwachsen. Die Lage der Menschen im Gazastreifen ist katastrophal, auch weil Israel seit März humanitäre Hilfe nicht durchlässt. Die israelische Führung verweist darauf, dass die Hamas die Hilfsgüter als Machtinstrument missbrauche.
Es ist zum Verzweifeln. Vor dem Machtwechsel in Washington zum Jahreswechsel sah es zumindest so aus, als könnten die USA und die Europäische Union gemeinsam auf Israel einwirken. Humanitäre Hilfe erreichte die Zivilbevölkerung im Gazastreifen, die Kämpfe wurden weniger, nicht nur in Gaza, sondern auch im Libanon und in Syrien, wo die israelische Armee regelmäßig Stellungen islamistischer Gruppen angreift.
Doch dann kam US-Präsident Donald Trump ins Amt. Während er Netanjahu praktisch einen Freibrief für dessen politische und militärische Pläne gab, sprach er von einer möglichen Besetzung des Gazastreifens durch US-Truppen. Diese einseitige Politik legte die bisherigen Fortschritte in Trümmer. Nun sind es Politiker wie Johann Wadephul, die in der Region durch die Scherben der US-Politik der vergangenen Monate waten müssen.
Unter Trump haben die Amerikaner Vertrauen in der Region verloren. Dabei besitzen die USA als einziger Akteur genug Einfluss und Macht, um Eskalationen zu verhindern. Stattdessen droht in Syrien weiterhin ein militärischer Konflikt zwischen der Türkei und Israel, denn neben Netanjahu kämpft auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan um Einfluss in der Region. Während dort weiterhin ein Flächenbrand droht, zeichnet sich im Gazastreifen eine dauerhafte Teilbesetzung durch die israelische Armee ab. Die Lage für die Zivilbevölkerung war seit Kriegsausbruch nicht mehr derartig dramatisch.
Es ist zum Verzweifeln und es ist fraglich, ob Deutschland maßgeblich auf einen Frieden hinwirken kann. Vielmehr sind die USA gefragt, aber Netanjahu wartet mit einer neuen Offensive und der Zwangsumsiedlung vieler Palästinenser im Gazastreifen nur, bis der US-Präsident Saudi-Arabien besucht hat. Danach will die israelische Führung erneut losschlagen und die Zahl unschuldiger Opfer könnte noch weiter steigen.
Unklare US-Strategie, komplexe Aufgabe für Deutschland
Viele EU-Länder und im Übrigen auch die Geiselfamilien hoffen, dass Trump genau dies unterbindet. Anzeichen für ein Umdenken im Weißen Haus gibt es tatsächlich. Der US-Präsident möchte keine neuen Kriege. Seine Regierung will mit dem Iran über einen erneuten Atomdeal verhandeln und entwickelt zumindest Pläne für eine bessere humanitäre Versorgung im Gazastreifen.
Demnach sollen Organisationen humanitäre Hilfe an Ausgabestellen direkt an die Bevölkerung im Gazastreifen verteilen. Der Plan greift aber zu kurz, weil zu wenige dieser Versorgungsstellen geplant sind. Aber das wäre zumindest ein Anfang, und Wadephul lobt am Sonntag in Jerusalem, dass die israelische Regierung Trumps Plan zustimmen möchte.
Es deutet nichts darauf hin, dass Netanjahu in diese politischen Vorstöße der Amerikaner nicht eingeweiht war. Auch wenn Israels Premier innenpolitisch fest im Sattel sitzt, dürfte ihn diese Entwicklung alarmieren. Denn Israel ist auf die Unterstützung aus Washington angewiesen.
Die Lage ist also äußerst komplex, und Wadephul steht am Sonntag vor einer schwierigen Aufgabe. Einerseits darf er kein diplomatisches Porzellan zerschlagen. Schließlich ist es sein Antrittsbesuch, und im Hintergrund wird die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel vor 60 Jahren gefeiert. 80 Jahre nach dem Holocaust will die Bundesregierung das Bekenntnis erneuern, dass die Existenz und die Sicherheit Israels Teil der deutschen Staatsräson sind, so der Außenminister. Andererseits muss er die israelische Kriegsführung und den Umgang mit den Palästinensern kritisieren – ein schwieriger Balanceakt.
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Schwieriger Umgang mit Netanjahu
Am Sonntag ist erst ein Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem geplant, danach trifft Wadephul Israels Außenminister Gideon Sa’ar und anschließend kommt er mit Netanjahu für ein Gespräch zusammen. Das Gespräch dauert etwa eine Stunde, ungefähr eine Viertelstunde lang unterhalten sich Netanjahu und Wadephul unter vier Augen.
Für die Bundesregierung ist eines klar: Israels Sicherheit und der Schutz internationalen Rechts gehören beide zur deutschen Staatsräson. Dass beides nicht einfach zu vereinbaren ist, wird bei dieser Nahostreise deutlich. Immerhin besteht gegen Netanjahu ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes.
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Wadephul bleibt in Jerusalem vorsichtig, möchte den Gastgebern nicht vor den Kopf stoßen. In seinem Pressestatement stellt er sich klar hinter Israels Kampf gegen die Hamas, aber es gibt im israelischen Außenministerium am Sonntag durchaus kritische Zwischentöne. Der Außenminister wirbt etwa dafür, dass auch Israels Regierung mit Kritik umgehen muss.
"Der Waffenstillstand, für den wir eintreten, ist derzeit nicht intakt. Ich bin nicht sicher, ob so alle strategischen Ziele Israels erreicht werden können und ob das langfristig der Sicherheit Israels dient", sorgt sich Wadephul. "Es gibt eine Verpflichtung zur humanitären Hilfe." Es sei klar: Gaza bleibe Teil der Palästinensergebiete und niemand solle die Menschen zwingen, ihre Heimat dort zu verlassen. Das ist durchaus eine klare Aussage.
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Der Außenminister vollzieht einen komplizierten diplomatischen Spagat, bleibt aber bei den Fragen von Journalisten an ihn und seinen israelischen Amtskollegen eher defensiv. Wadephul erklärt, dass auch Deutschland Israels Kampf gegen die Hamas mit Waffenlieferungen unterstützen sollte und dass die israelische Regierung nicht gegen das Völkerrecht verstoße. Es ist ein Moment, der nahelegt, dass der CDU-Politiker sich nicht mit Kritik allzu sehr aus dem Fenster lehnen möchte, abseits seiner vorbereiteten Rede. Denn in der Diplomatie gibt es viele Unwägbarkeiten: Jedes Wort zählt, jede Aussage muss abgewogen werden.
In Israel wird deutlich, dass der deutsche Außenminister zunächst einmal zuhören möchte. Er möchte Klarheit, welchen Plan Netanjahu mit Blick auf den Gazastreifen und den Umgang mit den Palästinensern verfolgt. Erst zuhören, reflektieren, danach politische Ableitungen vornehmen. Wadephul bittet um Zeit und indirekt auch um einen kleinen Bonus, den er nach wenigen Tagen im Amt sicherlich noch hat.
Spätestens beim zweiten Besuch im Nahen Osten dürfte sich die Lage für ihn aber verändern. Deutschland wird in der Region durchaus als Vermittler mit beschränkten Möglichkeiten wahrgenommen, und der Außenminister kennt nun viele wichtige Akteure und hat ersten Kontakt zu gesellschaftlichen Gruppen wie Geisel-Familien geknüpft. Damit steigen im Nahen Osten aber nun auch wieder die Erwartungen an Wadephul persönlich, aber vor allem auch an Deutschland.
- Begleitung von Außenminister Wadephul nach Israel