Gutachten vom Verfassungsschutz Was bedeutet die neue Einstufung für die AfD?

Der Verfassungsschutz stuft die AfD jetzt als gesichert rechtsextrem ein. Welche Folgen hat diese Einstufung?
Die AfD wird vom Verfassungsschutz jetzt als rechtsextremistische Partei beobachtet. Somit gilt die gesamte Partei als verfassungsfeindlich. Die AfD will sich dagegen wehren. Bisher wurde die AfD von den Verfassungsbehörden nur in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt als rechtsextrem eingestuft. Auf Bundesebene war die Partei hingegen ein "Verdachtsfall". Lesen Sie hier, was gesichert rechtsextrem bedeutet.
- Stimmen zur AfD-Einstufung: "Der Verfassungsschutz bestätigt, was wir schon lange sehen konnten"
Was bedeutet die jetzige Einstufung für die Zukunft der Partei und für ihre Mitglieder? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen:
Auf welcher Grundlage fällt so eine Entscheidung?
Der Verfassungsschutz ist als ein Element der wehrhaften Demokratie nicht nur für Spionageabwehr und die Aufklärung terroristischer Bestrebungen verantwortlich. Er soll auch eine Art Frühwarnsystem sein. Das bedeutet, er hat die Aufgabe, rechtzeitig Gruppierungen zu erkennen und zu benennen, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten. Dabei geht es um die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip.
Außerdem wird betrachtet, welche Kontakte zu anderen extremistischen Gruppierungen bestehen. Wie aus der Mitteilung des Bundesamtes hervorgeht, stützt sich der Verfassungsschutz in seiner Neubewertung der AfD vor allem auf Äußerungen und Positionen, bei denen es um die Verletzung der Menschenwürde geht. Beispiele sind die Abwertung von Muslimen oder pauschal verwendete Begriffe wie "Messermigranten".
Muss die Partei mit einem Verbot rechnen?
Mit einem Parteiverbot hat die Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zwar vordergründig nichts zu tun. Denn dieses kann nur vom Bundestag, Bundesrat oder der Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht beantragt werden. Eines der drei Verfassungsorgane könnte sich aber durch die neue Einschätzung des Inlandsnachrichtendienstes ermutigt fühlen, einen solchen Antrag zu stellen.
Auch die geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ist derzeit zurückhaltend. "Ein Parteiverbotsverfahren hat aus guten Gründen sehr hohe verfassungsrechtliche Hürden", sagte die SPD-Politikerin am Freitag in Wiesbaden. "Das sollte man nicht ausschließen, aber weiterhin sehr vorsichtig damit umgehen. Es gibt jedenfalls keinerlei Automatismus."
Die neue Bewertung durch den Verfassungsschutz zeige, dass es gesetzliche Instrumente gebe, "die unsere Demokratie gegen extremistische Bedrohungen schützen". Dazu gehörten die Beobachtung und die Bewertung durch den Verfassungsschutz, wie sie jetzt erfolgt sei.
Was steht in dem Gutachten?
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat vor der Entscheidung ein rund 1.110 Seiten starkes Gutachten zur Partei erstellt. Das Gutachten ist nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt.
Es listet unter anderem Äußerungen auf, die der Verfassungsschutz als "fortlaufende Agitation" gegen Geflüchtete und Migranten wertet. Entsprechende Äußerungen von AfD-Politikern finden sich nicht nur in der internen Kommunikation, sondern auch in Reden und sozialen Medien. Sie reichen von Slogans wie "Abschieben schafft Wohnraum!" bis zu Sätzen wie "Jeder Fremde mehr in diesem Land ist einer zu viel".
Wer bekommt das Gutachten zu sehen?
Das Bundesinnenministerium hat es erhalten, außerdem die Verfassungsschützer in den Ländern. Eine Veröffentlichung des internen Arbeitspapiers, in das auch Erkenntnisse aus dem zurückliegenden Bundestagswahlkampf eingeflossen sind, ist nicht vorgesehen. Das Gutachten, das der Verfassungsschutz vor der Einstufung als "Verdachtsfall" erstellt hatte, war allerdings von dem auf digitale Freiheitsrechte spezialisierten Online-Medium netzpolitik.org veröffentlicht worden.
Bekommt die AfD kein Geld mehr vom Staat?
Zwei Verbotsverfahren gegen die rechtsextremistische Partei NPD, die sich 2023 in "Die Heimat" umbenannt hat, scheiterten: das erste Mal, im Jahr 2003, weil sich herausstellte, dass der NPD-Führungsriege mehrere Informanten des Verfassungsschutzes – sogenannte V-Leute – angehörten. Das zweite Mal, im Jahr 2017, urteilte das Bundesverfassungsgericht, die NPD sei zwar eindeutig verfassungsfeindlich, politisch aber mittlerweile bedeutungslos.
Im Januar 2024 gab das Bundesverfassungsgericht allerdings einem Antrag von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung statt, der Partei "Die Heimat" den Zugang zu weiteren staatlichen finanziellen Mitteln zu verwehren, durch den Ausschluss von der Parteienfinanzierung.
Seit einer Grundgesetzänderung von 2017 kann "Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden", die staatliche Finanzierung aus Steuergeldern gestrichen werden.
Wird die Einstufung der AfD politisch schaden?
Das wird sich zeigen. In drei ostdeutschen Ländern – Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt – galt der jeweilige Landesverband bereits als gesichert rechtsextremistisch. Bei der zurückliegenden Bundestagswahl hat das der Partei dort nicht geschadet. In westlichen Bundesländern mag das anders aussehen.
Die AfD hatte in Wahlumfragen in den vergangenen Wochen zugelegt und war an die Werte der CDU/CSU herangerückt, teils auch darüber hinaus. Im aktuellen ZDF-Politbarometer liegt die Union (27 Prozent) hingegen wieder mit deutlichem Abstand vor der AfD (23 Prozent).
Bei der Bundestagswahl am 23. Februar war die AfD mit 20,8 Prozent auf dem zweiten Platz gelandet. Wie groß die Zustimmung für die Partei künftig sein wird, dürfte auch wesentlich davon abhängen, ob es der neuen schwarz-roten Koalition gelingt, wie angekündigt positive Impulse für die deutsche Wirtschaft zu setzen, die Zahl der unerlaubten Einreisen zu reduzieren und dafür zu sorgen, dass Wohnen, Energie und Lebensmittel für alle bezahlbar sind.
Warum kommt das Gutachten erst jetzt?
Der frühere Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang wollte das aktuelle Gutachten zur AfD eigentlich schon im vergangenen Jahr fertigstellen. Durch die vorgezogene Bundestagswahl und Haldenwangs Ausscheiden im Dezember änderte sich der Zeitplan jedoch. Derzeit führen die Vizepräsidenten Sinan Selen und Silke Willems den Inlandsdienst.
Viel war zuletzt darüber spekuliert worden, ob das Gutachten womöglich zurückgehalten wurde, um einen politisch günstigen Zeitpunkt für die Neubewertung zu wählen. Der "Spiegel" schreibt, vor der Bundestagswahl im Februar 2025 sei eine Hochstufung aus rechtlichen Gründen zu problematisch gewesen. So habe der Verfassungsschutz das Gutachten wohl zurückgehalten, um die Chancengleichheit zwischen den Parteien zu wahren.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur erreichte das Dokument das Bundesinnenministerium am vergangenen Montag, als die geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf Dienstreise in Österreich war.
Unter den Bundestagsabgeordneten der anderen Fraktionen hatte es in den vergangenen Tagen Diskussionen darüber gegeben, ob man Abgeordnete der AfD zu Ausschussvorsitzenden wählen solle oder nicht. Der designierte Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) hatte unlängst eine heftige Kontroverse ausgelöst mit dem Vorschlag, mit der AfD bei organisatorischen Fragen im Bundestag so umzugehen wie mit anderen Oppositionsparteien.
Was bedeutet die Entscheidung für einzelne AfD-Mitglieder?
Eine Mitgliedschaft in einer als rechtsextremistisch eingestuften Partei kann Zweifel an der Verfassungstreue begründen. Allerdings ist die Mitgliedschaft allein nicht ausreichend für dienstrechtliche Konsequenzen bei Beamten, sondern der Einzelfall wird betrachtet. Das Gleiche gilt für den Entzug der waffenrechtlichen Erlaubnis bei Jägern und Schützen.
- Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
- Spiegel: "Verfassungsschutz stuft gesamte AfD als gesichert rechtsextremistisch ein"