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Drei Jahre "Wir schaffen das!": Wie eine Selbstverständlichkeit für Merkel zum Fiasko wurde


Drei Jahre "Wir schaffen das!"
Wie ein Satz für Merkel zum Fiasko wurde

Von dpa
31.08.2018Lesedauer: 5 Min.
Ein junges Mädchen mit einem Merkel-Plakat im Septmeber 2015 in Budapest: Man stelle sich vor, Merkel hätte damals gesagt: "Wir schaffen das nicht."Vergrößern des BildesEin junges Mädchen mit einem Merkel-Plakat im Septmeber 2015 in Budapest: Man stelle sich vor, Merkel hätte damals gesagt: "Wir schaffen das nicht." (Quelle: Martin Fejer/imago-images-bilder)
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Vor genau drei Jahren sagte Angela Merkel den Satz, der sie bis heute verfolgt: "Wir schaffen das!" Wird das Thema Migration auch die Erinnerung an ihre Kanzlerschaft bestimmen?

Angela Merkel reist durch Westafrika, nach Senegal, Ghana und Nigeria. Drei Tage lang dreht es sich um das Thema, das ihr politisches Schicksal bestimmen dürfte: Illegale Migration, Schleuserbanden – und wie die Bundesregierung den Migrationsdruck auf Deutschland und Europa in den Griff bekommt. Kann sie ihn überhaupt in den Griff bekommen?

Auch wenn sich die Kanzlerin im Ausland am liebsten gar nicht zu dem äußern möchte, was in Deutschland die Schlagzeilen bestimmt: Es geht auf dieser Reise natürlich auch um die Lage Zuhause und um Chemnitz. Dass die aufgeladene Stimmung in manchen Teilen Deutschlands viel mit ihr zu tun hat, dürfte auch Merkel selbst nicht bestreiten. Die Kanzlerin und ihre Migrationspolitik polarisieren die Bundesrepublik und ganz Europa.

Der Tag, an dem Merkel sagte, was viele ihr noch heute ankreiden und der wohl einen der wichtigsten Wendepunkte ihrer Kanzlerschaft darstellt, liegt genau drei Jahre zurück. "Wir schaffen das", sagte sie am 31. August 2015 in ihrer jährlichen Sommerpressekonferenz in Berlin.

Merkel findet die Aufmerksamkeit befremdlich

Merkel beschrieb die damals vermutete Ankunft von etwa 800.000 Flüchtlingen als "große nationale Aufgabe". Im Zusammenhang lautete die Passage: "Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft, wir schaffen das. Wir schaffen das, und wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden."

Die Sätze waren wohl aufmunternd gemeint, eine Selbstverständlichkeit eigentlich. Noch heute findet Merkel es befremdlich, dass dieser Satz "Wir schaffen das" eine solche Bedeutung gewinnen konnte. Man stelle sich mal vor, sie hätte damals gesagt: "Wir schaffen das nicht." Aus Merkels Sicht wäre das wohl die Selbstaufgabe als Regierungschefin gewesen angesichts der großen Aufgabe, die es zu lösen galt. Doch auch sie ahnte wohl kaum, wie groß die Probleme wirklich werden.

Ein paar Tage nach dem 31. August 2015, in der Nacht vom 4. auf den 5. September, ließ Merkel dann einige hundert in Ungarn festsitzende Flüchtlinge ungehindert ins Land. Die Grenzen waren offen, die Polizei hätte die Menschen wahrscheinlich mit Gewalt hindern müssen, zu kommen. Von den Gegnern der Kanzlerin wird diese Entscheidung als Initialzündung für den AfD-Aufstieg und die Einbußen der Union gesehen.

Einen Fehler wird sie den Satz wohl nicht nennen

CSU-Chef Horst Seehofer dürfte ihren Entschluss von damals und den "Wir-schaffen-das"-Satz bis heute für falsch halten. Fast wäre am Streit über Merkels Migrationspolitik und ihr Beharren auf europäische Lösungen die jahrzehntealte Unionsehe zerbrochen und ihre vierte Regierung im Frühsommer nach wenigen Monaten gescheitert. Mühsam hat sich die Union zusammengerauft, aber die Verletzungen zwischen Merkel und Seehofer sind womöglich zu tief, als dass sie ganz wieder heilen könnten.

Aus Merkels Mund ist heute der Satz "Wir schaffen das" nicht mehr zu hören, höchstens in abgewandelter Form. Vielleicht auch deshalb, weil sie Seehofer und die CSU nicht weiter provozieren will.

Und wenn sie nach ihren Worten von 2015 gefragt wird, wie bei einer Pressekonferenz nach einem Treffen mit dem ghanaischen Präsidenten Nana Akufo-Addo am Donnerstag, räumt sie ein, es habe Fehler gegeben – keiner soll sagen, sie halte stur an ihrer Position fest. Merkel versichert immer wieder: "Wir haben daraus ja gelernt." Deshalb "können wir sagen, dass sich eine solche Situation nicht wiederholen wird". Doch den Gefallen, dass sie ihren Satz von damals selbst einen Fehler nennt, wird sie ihren Gegnern wohl nicht tun.

In Abuja spielen sie für Merkel "Schöne Maid"

Ihr Thema von damals nimmt Merkel immer mal wieder auf, so wie in Accra. Eine prosperierende EU könne es nur geben, "wenn wir mit den Fragen der Migration und den Fragen der Partnerschaft mit Afrika klarkommen", sagt Merkel. "Natürlich müssen wir das auch lösen oder schaffen." Da ist die Formulierung wieder: Wir müssen es schaffen.

In Ghana mag es für die Kanzlerin ein wenig Ablenkung sein, dass sie beim Empfang mit militärischen Ehren auf dem Flughafen nach den Nationalhymnen von der Blaskapelle mit deutschen Gassenhauern wie "Schöne Maid" oder "Ja, mir san mit'm Radl da" empfangen wird. Entspannt und gut gelaunt geht sie am späten Donnerstagabend auf dem Flughafen von Abuja auf die Frauen und Männer zu, die ihr zu Ehren traditionelle afrikanische Tänze zeigen. Am Freitag wird sie von einem Zug Dudelsackbläser begrüßt.

Doch die fremdenfeindlichen Hetzjagden von Chemnitz, der Anwurf von Bundestagvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP), der ihr eine Mitschuld an den Übergriffen in der Stadt zugesprochen hat, beschäftigen Merkel auch in Afrika – selbst wenn sie nicht öffentlich darüber reden will.

Afrika als Europas Schicksalskontinent

Gefreut haben dürfte die Kanzlerin da, dass auch Andrea Nahles empört auf Kubicki reagiert hat: "Ich finde eine solche Äußerung unsäglich. Er hat sich auch in keiner Weise von dem rechten Mob da distanziert", kritisierte die SPD-Partei- und Fraktionschefin.

Auch die Kubicki-Debatte in der FDP registriert Merkel genau. So ist FDP-Chef Christian Lindner einer der schärfsten Kritiker der Flüchtlingspolitik von Merkel. Sie habe mit ihrem nicht abgestimmten Vorgehen "unseren Kontinent ins Chaos gestürzt", sagte er etwa. Doch Kubickis Argumentation, "die Wurzeln für die Ausschreitungen liegen im "Wir schaffen das" von Kanzlerin Angela Merkel", wollte in der FDP zunächst niemand folgen.

Merkels Rezept gegen den Migrationsdruck ist schon lange der Kampf gegen Fluchtursachen in den Herkunftsländern der Migranten. Afrika als Europas Schicksalskontinent, wie sie es in Accra sagt.

Der Hass auf den Straßen ist neu

Wenn es nicht gelinge, die Fragen der Migration und der Partnerschaft mit Afrika zu lösen, "müssten wir mitteilen, dass wir auch den Zusammenhalt der Europäischen Union nicht gewährleisten können", warnt Merkel. Auch deswegen hat sie sich auf die Werbetour durch Senegal, Ghana und Nigeria gemacht. Ob nach ihrem Besuch beispielsweise Rückführungen abgelehnter Asylbewerber aber tatsächlich einfacher und schneller mit den Herkunftsländern zu bewerkstelligen sind, bleibt abzuwarten.

Geschieht nichts Umwälzendes in den nächsten Jahren, dürfte das Migrationsthema untrennbar mit Merkels Kanzlerschaft verbunden bleiben. So wie die europäische Einigung mit Helmut Kohl, die Hartz-IV-Reformen mit Merkels SPD-Vorgänger Gerhard Schröder oder der vom vorletzten SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt vorangetriebene Nato-Doppelbeschluss. Auch bei ihren Vorgängern gab es das: Polarisierende Themen, über die voller Emotion diskutiert wurde.

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Doch eines ist neu: Der Hass, den zahlreiche Menschen offen auf die Straße tragen. Und dass Rechtsextreme heute noch ungenierter als früher ihre Gesinnung auch öffentlich zeigen. Gerät etwas ins Rutschen in Deutschland?

Entscheidende Personalie

Merkel hat in den vergangenen Monaten immer mal wieder die für eine Kanzlerin bemerkenswerte Mahnung in die Debatte gebracht, in den nächsten Jahren werde sich entscheiden, ob Deutschland und Europa aus der Vergangenheit gelernt hätten. Sie meint damit nationalistische Tendenzen auch in der EU und ein Erstarken des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik.

Wie sich die Diskussion über Merkels Migrationspolitik entwickelt, kann niemand vorhersagen. Klar ist aber: Sollte die Union im Oktober bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen dramatische Einbußen verzeichnen, dürfte die Diskussion über ihre Verantwortung wieder und kräftig neu in Schwung kommen. Im Dezember in Hamburg will sich die 64-Jährige auf einem Parteitag nach 13 Amtsjahren erneut zur CDU-Chefin wählen lassen – wohl zum letzten Mal.

Sollte zuvor Ende September einer der engsten Vertrauten Merkels, der CDU-Politiker Volker Kauder, bei der angepeilten Wiederwahl zum Chef der Bundestagsfraktion eine schwere Schlappe einstecken müssen oder sogar durchfallen, wäre das ein Menetekel für Merkel.

Verwendete Quellen
  • dpa
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