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Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD): "Und das hilft am Ende auch der Rente"


Arbeitsminister Heil
Steuergelder für diese Unternehmen? "Sehe ich nicht ein"

InterviewVon Miriam Hollstein

Aktualisiert am 09.06.2022Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will eine Bildungszeit für alle einführen.Vergrößern des Bildes
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will eine Bildungszeit für alle einführen. (Quelle: Janine Schmitz/photothek.de/imago-images-bilder)

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) spricht im Interview über Rente, die Grenzen von Entlastungen und die geplante einjährige Bildungszeit für Arbeitnehmer. Da werde "natürlich kein Trommelkurs auf Gomera genehmigt".

Hubertus Heil ist gerade von einem Kurztrip nach Paris zurückgekehrt. Einen Tag lang hat er sich beim Ministertreffen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit seinen Amtskollegen und -kolleginnen darüber ausgetauscht, wie man in Zeiten von Pandemie und Inflation den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft stabil halten kann. Als leidenschaftlicher Netzwerker mag Heil solche Treffen. Für zusätzlich gute Laune sorgte beim Minister die Nachricht aus Brüssel, dass sich die EU auf einheitliche Mindestlohn-Standards geeinigt hat. Entsprechend aufgeräumt wirkt der Minister beim Interview.

t-online: Herr Heil, in den nächsten fünf Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten Babyboomer, in Rente. Damit die Altersversorgung bezahlbar bleibt, braucht es dringend eine echte Rentenreform. Was planen Sie?

Hubertus Heil: Wir müssen das Pferd von der richtigen Seite aufzäumen. Wir werden das gesetzliche Rentenniveau auch über 2025 stabil halten. Aber vor allem müssen wir beim Arbeitsmarkt ansetzen: Je mehr Menschen in guter Arbeit sind, desto stabiler ist das Rentensystem.

Stabiler würde das Rentensystem auch, wenn alle, also auch Selbstständige und Beamte, in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen würden.

Das ist eine sympathische Debatte, die in die richtige Richtung geht. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass wir Schritt für Schritt alle Selbstständigen in das System der Altersvorsorge einführen werden.

Sollten auch Politiker in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen? Ein Vorschlag, der in der vergangenen Wahlperiode aus Ihrer Partei kam, aber auch bei der FDP und den Grünen auf Zustimmung stieß.

Ich persönlich hätte nichts dagegen. Letztendlich aber müssen die Parlamente das selbst entscheiden. Als Regierungsmitglied konzentriere ich mich auf das, was wir in der Koalition vereinbart haben: die dauerhafte Stabilisierung des Rentenniveaus. Damit das gelingt, kommt es vor allem auf die Fachkräftesicherung an.

Was muss geschehen?

Es darf nicht sein, dass jedes Jahr rund 50.000 Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss die Schule verlassen, denn wir wissen, dass das oft in die Langzeitarbeitslosigkeit führt.

Aber das beklagen Sie und andere doch schon seit Langem.

Ich werde dennoch weiter dafür streiten, dass möglichst jeder junge Mensch die Chance auf eine ordentliche Berufsausbildung bekommt. Dazu werden wir Langzeitarbeitslose aus dieser Situation herausholen. Wir werden beim Bürgergeld ...

... das Hartz IV ersetzen soll ...

... Anreize setzen, dass für diese Gruppe das Nachholen eines Berufsabschlusses Vorrang vor der Vermittlung in eine prekäre Arbeit hat. Wir müssen auch die Erwerbsbeteiligung von Frauen steigern, das wollen wir unter anderem mit dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen umsetzen. Ein ganz wichtiges Thema ist auch die Weiterbildung. Weil in Zeiten des Wandels die berufliche Ausbildung, die man einmal gemacht hat, für viele nicht mehr für das ganze Berufsleben ausreicht.

Sie planen eine "Bildungszeit". Eine Art berufliche Auszeit, um sich weiterbilden zu können. Wie genau soll die funktionieren?

Ich fahre nächste Woche nach Wien, wo es so ein Modell schon gibt, um mir das in der Praxis anzuschauen. Geplant ist, dass sich Beschäftigte eine Auszeit von bis zu einem Jahr nehmen können, in Teilzeit sogar von bis zu zwei Jahren, in der sie sich beruflich fortbilden können. Voraussetzung dafür ist, dass der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber einen Antrag stellt und dieser zustimmt. Das soll möglichst unbürokratisch möglich sein, also etwa digital.

Und wovon lebt man in dieser Zeit?

Dafür gibt es Unterstützung aus der Arbeitslosenversicherung. Aus der bekommt man 60 Prozent des bisherigen Gehalts beziehungsweise 67 Prozent, wenn man Kinder hat. Es funktioniert also ähnlich wie das Elterngeld. In Österreich ist dieses Modell ein großer Erfolg. Und das ist auch mein Ziel: Deutschland muss eine Weiterbildungsrepublik werden. Damit Beschäftigte von heute auch die Beschäftigten von morgen sind. Und das hilft am Ende auch der Rente.

Einen Rechtsanspruch wird es allerdings nicht geben.
Um die Bildungszeit in Anspruch zu nehmen, ist eine Vereinbarung zwischen dem Beschäftigten und dem Arbeitgeber notwendig.

Wie wollen Sie die Arbeitgeber überzeugen, ein Jahr auf ihre Beschäftigten zu verzichten?

Ich bin sehr zuversichtlich. Viele Unternehmen wissen, wie wichtig Weiterbildung ist. Und für kleine und mittelständische Unternehmen wird es auch Unterstützung geben, sie bei der Weiterqualifizierung ihrer Mitarbeiter mit einem sogenannten Transformationsgeld zu unterstützen. Das gibt es jetzt bereits und es wird auch bei der Bildungszeit zum Einsatz kommen.

Ab wann kann man die Bildungszeit beantragen? Und ab wann soll sie gelten?

Ich werde im nächsten Jahr dazu einen Gesetzentwurf vorlegen. Mein Ziel ist, dass wir noch 2023 die Möglichkeit zu einer Bildungszeit für alle Arbeitnehmer bekommen. Klar ist, dass man diese erst beantragen kann, wenn man ein paar Jahre sozialversicherungspflichtig gearbeitet hat. Aber die Details werden wir im Gesetzentwurf konkretisieren. Zuständig sein wird die Bundesagentur für Arbeit, die künftig dann eine Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung sein wird. So verhindern wir Arbeitslosigkeit, bevor sie entsteht.

Wenn der Arbeitnehmer Hubertus Heil eine Weiterbildung beantragen würde, für welche würde er sich entscheiden?

Beruflich bilde ich mich quasi im Job fort. Etwa, indem ich mich mit Wissenschaftlern und Praktikern zusammensetze, um neue Ideen für die Politik zu entwickeln. Für die allgemeine Weiterbildung würde ich gern Klavierspielen lernen, dafür fehlt mir aber leider die Zeit.

Da hätten Sie beim Antrag auf Bildungszeit allerdings keine Chance. Ein Bundesarbeitsminister muss nicht Klavier spielen können.

Das stimmt. Aber im Ernst: Natürlich wird bei der Bildungszeit kein Trommelkurs auf Gomera genehmigt. Es muss immer ein Bezug zum Job vorhanden sein. Wenn man allgemeine Dinge lernen will, kann man zur örtlichen Volkshochschule gehen.

Sie wollen mehr Fachkräfte anwerben. Dafür haben Sie nicht nur die Ukrainerinnen und Ukrainer im Blick, die zu uns geflüchtet sind, sondern auch russische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die ihr Land verlassen wollen.

Ja. Viele deutsche Unternehmen, die ihr Russlandgeschäft wegen des Krieges eingestellt haben, berichten uns, dass ihre dortigen Fachkräfte nicht mehr im Land bleiben wollen. Für sie wollen wir die Möglichkeiten verbessern, zu uns zu kommen. Deshalb haben wir in der Bundesregierung eine Taskforce "Russische Fachkräfte" eingerichtet, die von meinem Ministerium geleitet wird. Aber auch das Auswärtige Amt ist vertreten und das Bundeswirtschaftsministerium. Ziel ist zum Beispiel, die Visavergabe für solche Fachkräfte zu beschleunigen.

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Vor einer Woche wurde der Mindestlohn von 12 Euro beschlossen. Für eine Rente oberhalb der Grundsicherung reicht der aber noch nicht, dafür müsste er mindestens bei 13 Euro liegen. Machen Sie den Leuten nicht etwas vor?

Der Mindestlohn von 12 Euro ist ein großer Schritt, den sich vor einigen Jahren noch niemand vorstellen konnte. Für viele Menschen kommt bald die größte Lohnerhöhung ihres Lebens, nämlich eine von 22 Prozent. Aber ja, das ist noch nicht die Welt. Der Mindestlohn darf aber nur eine Lohnuntergrenze sein. Für den Kampf gegen Altersarmut brauchen wir mehr Tarifbindung in Deutschland. Wenn es in Europa, aber auch in Deutschland, in den nächsten Jahren nicht mehr Tariflöhne gibt, wird es Maßnahmen geben, dass sich diese Entwicklung beschleunigt. Ein Schritt ist, dass öffentliche Aufträge des Bundes künftig daran gebunden sind, dass nach Tarif bezahlt wird. Ich sehe nicht ein, dass Unternehmen Steuergelder bekommen, die keine Tariflöhne zahlen.

Sie haben für geringfügige Einkommen ein soziales Klimageld vorgeschlagen. Hat das überhaupt eine Chance?

Das Klimageld steht ja im Koalitionsvertrag. Ich erfinde nichts Neues, sondern schlage angesichts der durch Putins Krieg schneller steigenden Energiepreise lediglich eine Beschleunigung vor. Die soll für jene gelten, die von der Inflation am stärksten betroffen sind: Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen.

Das sehen Ihre Koalitionspartner anders. Den Grünen, die das ursprüngliche Klimageld in den Koalitionsvertrag reinverhandelt haben, kritisieren Ihren Vorschlag als zu wenig klimaorientiert. Auch die FDP hat schon abgewunken.

Mein Vorschlag ergibt Sinn, das bestätigen mir auch Ökonomen. Ich bin mir sicher: Wir werden am Ende in der Koalition eine Lösung hinbekommen.

Kommt angesichts der höheren Belastungen der Bürger bald ein drittes Entlastungspaket?

Der Staat wird nicht für alle alles ausgleichen können. Daran würde er sich verheben. Aber der Staat muss auch für untere und mittlere Einkommen die Folgen einer Krise begrenzen, das ist seine Aufgabe. Eine zentrale Rolle spielt auch die Lohnentwicklung. Deshalb werden wir alles Weitere gemeinsam mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften besprechen.

Christan Lindner plant Steuersenkungen. Zugleich soll die Schuldenbremse ab 2023 eingehalten werden. Wie soll das funktionieren?

Unser Staat muss handlungsfähig sein und wird mehr investieren. Gleichzeitig müssen wir für sozialen Zusammenhalt sorgen. Wenn Sie mich fragen, was die beste Einnahmequelle ist: eine florierende Wirtschaft und viele qualifizierte Fachkräfte. Für Steuersenkungen für sehr wohlhabende Menschen gibt es keinen Spielraum.

Ihr größtes Reformprojekt ist die Einführung des Bürgergeldes als Ersatz für Hartz IV. Ihr Vorschlag für eine Neuberechnung führt maximal zu einer Erhöhung von 40 bis 50 Euro. Glauben Sie wirklich, das kann für diese Menschen die hohe Inflation, die sie ja seit letztem Jahr extrem belastet, ausgleichen?

Für Menschen mit wenig Reserven ist das relativ viel Geld. Das ist ja keine einmalige, sondern eine monatliche Zahlung. Die Grundsicherung soll das Existenzminimum absichern; dass Menschen damit keine großen Sprünge machen können, weiß ich auch, aber die hier beschriebene Regelsatzerhöhung würde für etwas Entlastung im Geldbeutel sorgen.

Im Alltag wird das für die Betroffenen angesichts der gestiegenen Preise keine Verbesserung mit sich bringen.

Die Reform des Bürgergeldes ist doch viel mehr als die Einführung von neuen Regelsätzen! Es ist eine große Arbeitsmarktreform. Wir werden an vielen Stellen großzügiger und bürgerfreundlicher. Für eine befristete Zeit wird etwa bei Empfängern des Bürgergeldes nicht geprüft, wie groß ihre Wohnung ist. Wir werden ermöglichen, dass Ferienjobs bei Schülerinnen und Schülern nicht mehr vom Bürgergeld abgezogen werden. Es wird Prämien für Weiterbildungen geben. Mein Ziel ist nicht, die Leute mit viel Geld in der Armut zu verwalten, sondern sie aus ihrer Situation herauszuholen und in Arbeit zu bringen.

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Zur Reform gehört auch die Aussetzung von Sanktionen für ein Jahr. Nun fürchten die einen, dass die doch durch die Hintertür kommen. Andere haben die Sorge, dass es dann gar keinen Anreiz mehr gibt, sich an die Regeln zu halten. Wer hat recht?

Wir haben seit 15 Jahren die immer selbe Debatte, in der die einen sagen, alle Langzeitarbeitslose seien zu faul zum Arbeiten. Das war immer falsch. Die anderen tun so, als sei jede Mitwirkungspflicht ein Anschlag auf die Menschenwürde. Auch das ist nicht richtig. Das Bürgergeld wird diese Debatte entgiften. Im ersten Jahr werden nur dann Sanktionen verhängt, wenn es zu Meldeversäumnissen kommt. Es geht um einen Vertrauensvorschuss. Für die ganz hartnäckigen Fälle brauchen wir aber Mitwirkungspflichten, die auch Konsequenzen haben. Die werden nicht wegfallen.

Die umstrittene Einführung von Hartz IV ist bis heute ein großer Spaltpilz in der SPD. Kann das Bürgergeld helfen, die Partei mit sich selbst zu versöhnen?

Darum geht es nicht. Mir geht es vielmehr darum, mit dem Bürgergeld Bürokratie abzubauen und für Menschen die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben zu schaffen und sie in Arbeit zu bringen. Hinter diesem Ansatz stehen alle Koalitionspartner.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil
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