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SIPRI-Rüstungsexperte Wezeman warnt vor illegaler Weitergabe deutscher Waffen


Rüstungs-Forscher im Interview
So funktioniert der Teufelskreis der Waffen-Deals

  • Lars Wienand
Von Patrick Diekmann, Lars Wienand

Aktualisiert am 24.01.2018Lesedauer: 6 Min.
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Ein Kampfpanzer "Leopard 2 A6": Deutsche Panzerexporte in die Türkei stehen seit der türkischen Offensive in Syrien in der Kritik.Vergrößern des Bildes
Ein Kampfpanzer "Leopard 2 A6": Deutsche Panzerexporte in die Türkei stehen seit der türkischen Offensive in Syrien in der Kritik. (Quelle: dpa-bilder)

Deutschland gehört zu den größten Rüstungsexporteuren der Welt. Wo genau sind die Waffen im Einsatz - und warum gelangen sie in die Hände von IS-Kämpfern? Die Antworten eines Experten.

Deutsche Panzer rollen unter türkischer Flagge in Syrien, IS-Terroristen präsentieren in ihrer Propaganda deutsche Granaten und Raketenwerfer. Deutschland gehört jährlich zu den größten fünf Waffenexporteuren der Welt. In den Jahren 2015 bis 2017 gab es die höchsten Exporte überhaupt. Im Interview erklärt Pieter D. Wezeman vom Friedensforschungsinstitut SIPRI in Stockholm, welche Rüstungsexporte besonders gefährlich sind und unterstreicht die immense Wichtigkeit der internationalen Kontrolle.

Der Gesamtwert der Lieferungen lag von 2014 bis 2017 bei 25,1 Milliarden Euro und damit 21 Prozent höher als in den Jahren der schwarz-gelben Koalition von 2010 bis 2013. Alleine im vergangenen Jahr wurden Waffen und andere Rüstungsgüter im Wert von 3,79 Milliarden Euro an diese sogenannten Drittländer exportiert – unter anderem an Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Algerien.

t-online.de: Deutschland gehört zu den größten Waffenexporteuren der Welt. Wie hoch ist der Anteil problematischer Exporte?

Wezeman: Eine schwere Frage. Es ist unmöglich zu sagen, wann etwas problematisch ist. Die Lieferung von Panzern an die Türkei kann man als problematisch ansehen, weil diese jetzt gegen kurdische Gruppen in Syrien eingesetzt werden. Aber die Türkei ist ein NATO-Partner und musste beliefert werden. U-Boote sind ein anderes Beispiel – die machen einige der größten deutschen Waffen-Exporte aus.

Wie wichtig ist bei Waffenlieferungen das Thema Menschenrechte?

Solche Fragen müssen bei der Abwägung auch eine Rolle spielen. Das zeigt sich gut bei der Seeblockade Jemens mit der Folge von Hunger im Land. Ägyptens Marine könnte sich mit den U-Booten daran beteiligen. Man muss sich sehr viele Szenarien vor Augen führen und sich fragen, welche Rolle Militärausrüstung dann spielen kann. Und: Ein solcher Handel wird von den Militärs an der Macht auch als Legitimierung ihrer Politik angesehen.

Wo sind denn deutsche Waffen in kriegerischen Konflikten im Einsatz?

Die türkischen Panzer in Syrien sind gerade präsent. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die USA das auf der Welt am stärksten in Konflikten eingebundene Land sind – unter anderem auch mit deutschen Waffen. Die Frage ist also nicht, wo Waffen in Konflikten eingesetzt werden, sondern wo sie entgegen der eindeutigen deutschen politischen Interessen und Normen im Einsatz sind.

Zum Beispiel?

Der Einsatz deutscher Waffen durch Niederländer in Mali ist kein Thema, wogegen der Einsatz durch die Türkei gegen die Kurden in Syrien zum Thema wird. Weil es der Linie der deutschen Regierung entgegenläuft und in der deutschen Öffentlichkeit Empörung auslöst. Saudi-Arabiens Einsatz zur Unterstützung der Regierung des Jemens ist nach internationalem Recht legitim, aber die Art des Vorgehens wird unter Menschenrechtsaspekten zunehmend als inakzeptabel und als Verstoß gegen internationales Recht gesehen. Es ist das Wesen von Waffen, dass sie bei Konflikten eingesetzt werden. Die Frage ist, wie man verhindert, dass Waffen auf nicht akzeptable Art genutzt werden.

Tut Deutschland dafür genug?

Deutschland hat ein System, das eine intensive Debatte über möglicherweise kontroverse Exporte von Waffen sicherstellt. Deutschlands Exportregeln sind dadurch vergleichsweise restriktiver als die von Russland oder auch Frankreich. Restriktiver heißt aber noch nicht völlig restriktiv. Das heißt, dass weiter vieldiskutierte Fälle bleiben, die große Debatten auslösen.

In den vergangenen zwei Jahren tauchten immer wieder Berichte auf, dass deutsche Waffen in Händen der Terrormiliz IS sind. Wie kann so etwas passieren?

Es ist immer sehr schwer, das genau nachzuvollziehen. Wer Waffen verkauft, kann sicher sein, dass manche Waffen anders als gewünscht eingesetzt werden. Manchmal verkauft oder gibt sie der Empfänger weiter. Oder, und das passiert oft, verliert der Empfänger sie, oder er bekommt sie im Kampf abgenommen. Nur sehr wenige Menschen werden wissen, wie die Waffen beim IS gelandet sind. Es ist sehr wichtig, dass Deutschland diese Fälle genau verfolgt und bei den Kurden nachhakt, die diese Waffen bekommen haben. Deutschland muss hier nach nachvollziehbaren Erklärungen suchen. Aber dass manchmal etwas schief geht, ist zu erwarten. Auch Autofahrer werden immer zu schnell fahren und Autoverkäufe erlauben wir weiter. Die Frage ist immer die Abwägung von Nutzen und negativen Folgen.

Lassen sich Verstöße bei der Weitergabe von Waffen ahnden?

Es lässt sich natürlich nicht verhindern, dass solche Abkommen verletzt werden. Es gibt aber Wege, das zu sanktionieren wie bei anderen Vertragsverletzungen auch. Wenn klar ist, dass ein Land Vereinbarungen systematisch verletzt und deutsche Waffen ohne deutsche Zustimmung weitergibt, dann kann das dem Land gegenüber sehr deutlich gemacht werden – Waffenlieferungen können ausgesetzt werden oder das Land bekommt keine Lieferungen mehr.

War dies ein Problem bei deutschen Waffenlieferungen in der Vergangenheit?

Es sind Fragen aufgekommen, als deutsche Waffen im Jemen aufgetaucht sind, die aus den Beständen von Saudi-Arabien stammen. Ich weiß nicht, in welchem Umfang die deutsche Exportkontrolle dies verfolgt hat, und was die deutschen Schlussfolgerungen daraus waren.

Die Waffenexportländer können also ihre Lieferungen verfolgen. Wie kann es sein, dass dann deutsche Handfeuerwaffen in Kolumbien auftauchen?

Das kann passieren, weil es viele Käufer von Handfeuerwaffen gibt und weil viele Käufer sich nicht darum kümmern, was danach mit den Waffen passiert. Viele Länder haben hier einen unterschiedlichen Ansatz. Deutschland gehört zu den Ländern mit den schärfsten Gesetzen bei Waffenexporten und ist auf diesem Feld ein verantwortungsvoller Spieler. Deutschland hat Regelungen, die verhindern sollen, dass diese Waffen in die falschen Händen gelangen. Aber das funktioniert nicht immer. Viele Staaten scheren sich nicht um Waffenexportkontrolle. In den vergangenen zwei Jahren konnten wir beobachten, dass viel militärisches Equipment aus zentraleuropäischer Produktion über osteuropäische Länder nach Saudi-Arabien oder in die Vereinigten Arabischen Emirate gelangt ist.

Von welchen Ländern sprechen Sie?

Zum Beispiel Bulgarien oder Serbien. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate haben wahrscheinlich dann diese Waffen benutzt, um Verbündete im Jemen, in Syrien oder in Libyen auszurüsten. Aber die Staaten in Zentraleuropa waren nicht sonderlich schockiert und haben nicht viel getan, um dies zu unterbinden.

Also lieber selbst Waffen mit klaren Regelungen und unter Kontrolle verkaufen, als das Feld Staaten zu überlassen, die sich wenig scheren?

Eine schwierige Frage. Einige Länder werden immer eine strengere Waffenexportpolitik als andere verfolgen. In der Tat sind kontrollierte Exporte ein Vorteil, wenn man den Verbleib der Waffen kontrollieren möchte. Es ist auch ein Vorteil, Militärbündnisse mit anderen Ländern einzugehen und diese im Umgang mit den Waffen zu schulen.

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So wie Deutschland bei den Peschmerga im Irak?

Genau. Man kann die Soldaten anderer Länder nicht nur im technischen Umgang mit den Waffen schulen, sondern auch im verantwortungsvollen Weg, diese einzusetzen. Bei den Peschmerga im Irak hat Deutschland eine Gruppierung unterstützt, die von der Terrormiliz IS bedroht war. Sie mussten kämpfen und die deutsche Regierung hatte keine andere Lösung, als ihnen Waffen zu liefern. Diese Lieferung hat Deutschland in einem begrenzten Umfang und nur in Verbindung mit Schulungen vorgenommen, sodass man die Peschmerga erst einmal im Umgang mit den Waffen kontrollieren konnte, bevor man nachliefert. Das ist der richtige Ansatz.

Findet sich dieser Ansatz öfters?

Es ist eine Seltenheit. Nach Saudi-Arabien, Indien oder nach Pakistan stimmt Europa Waffenlieferungen einfach zu – in dem Glauben, dass die Länder schon das Richtige damit tun. Diese Exporte sind nicht in eine durchdachte Sicherheits- und Militärstrategie eingebettet. Aber auch bei den Peschmerga wurde es bislang verpasst, die Waffenexporte und das Programm auszuwerten und die richtigen Schlüsse für die Zukunft daraus zu ziehen.

Sind die Folgen von Waffenexporten wirklich messbar?

Eine Messung kann vorgenommen werden. Es ist vergleichbar mit der Entwicklungshilfe. Dort gibt es sehr strenge Regeln, für was und wie die Gelder eingesetzt werden dürfen. Es gibt strenge Vorkehrungen gegen Korruption – und Auflagen, wodurch ein Land nach ein paar Jahren weitere Entwicklungshilfe erhalten kann. Dabei gibt es vorgegebene Prozesse, Pflichten und Regeln. Diese sind auch bei Rüstungsexporten möglich, denn diese sollten an Regeln geknüpft sein, deren Einhaltung man strenger kontrollieren muss.

In Deutschland diskutiert man häufig über den Export von Panzern, Kriegsschiffen oder Flugzeugen. Ist diese Art der Rüstungsexporte wirklich gefährlicher als der Verkauf von Gewehren und Handfeuerwaffen?

Beide Exporttypen haben ein Risiko. Es sind nicht nur die Panzer oder die Kampfflugzeuge. Wir dürfen nicht vergessen, dass deutsche Firmen mit der Produktion von Hauptkomponenten an der Herstellung von Kriegsgeräten weltweit beteiligt sind. Diese Waffen oder Geräte können auch nur mit Hilfe der deutschen Technik in Saudi-Arabien oder im Iran im Einsatz sein. Die wichtigsten deutschen Waffen in Saudi-Arabien stecken nicht in den Patrouillenbooten, sondern im Typhoon-Kampfflugzeug. Dies wurde zwar von Großbritannien verkauft, aber elementare Bestandteile kommen aus Deutschland.

Also was ist die größere Bedrohung?

Beides ist gefährlich, weil Panzer, Gewehre und Handfeuerwaffen alle eine lange Lebenszeit haben. Aber der Bau einer Panzerfabrik in der Türkei wäre aus der Perspektive der Waffenkontrolle besonders riskant. Hier wird Wissen und die Möglichkeit der Kontrolle verkauft. Der Export von Produktion, Wissen und Einrichtungen ist risikoreicher als der Verkauf aus der eigenen Produktion.

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