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Ukraine: Kiews Geheimdienste und ihre spektakuläre Mission gegen Russland


Geheimoperationen in Russland
Kiews "Schattenkrieg" hat gerade erst begonnen


07.06.2025 - 11:44 UhrLesedauer: 6 Min.
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SBU-Chef Wassyl Maljuk (l.) und GUR-Chef Kyrylo Budanow nehmen an einer Sitzung des ukrainischen Parlaments teil (Archivbild): Die Geheimdienstchefs versetzen Russland schwere Schläge. (Quelle: IMAGO/Volodymyr Tarasov/imago)
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Die ukrainischen Geheimdienste fügten Russland zuletzt schwere militärische Rückschläge zu. Ihre Rolle im Krieg wird immer bedeutender. Wozu sind sie noch fähig?

Am Tag nach der erfolgreichen Operation war Wassyl Maljuk hochzufrieden. "Dies war nicht nur ein vernichtender Schlag für die feindlichen Flugzeuge, sondern auch eine Ohrfeige für die Macht und den terroristischen Charakter der Russischen Föderation", erklärte der Chef des ukrainischen Geheimdienstes SBU am Montag. Tags zuvor hatte der SBU in der beispiellosen Geheimoperation "Spinnennetz" vier Militärflugplätze in Russland mit Drohnen angegriffen. Dutzende strategisch wichtige Flugzeuge sollen zerstört oder beschädigt worden sein.

Die Ohrfeige galt dem Kreml direkt. Das zeigt die Reaktion Wladimir Putins. In einem Telefonat mit US-Präsident Donald Trump kündigte der Kremlchef am Mittwoch Vergeltung an. Er könne die Tat nicht unbeantwortet lassen, soll Putin gesagt haben. Schon zuvor hatte er erklärt, die Ukraine werde die Attacke "bereuen". Verstärkt wurden diese Rachegelüste vermutlich noch durch einen weiteren SBU-Angriff: Am Dienstag löste der Geheimdienst eine Explosion an der für Russland prestigeträchtigen Krim-Brücke aus. Die Schäden sind potenziell folgenschwer.

Seit die Lage auf dem Schlachtfeld für die ukrainische Armee immer schwieriger wird, sind es vor allem die Geheimdienste des Landes, die mit teils spektakulären Operationen für Schlagzeilen sorgen. Regelmäßig greifen sie militärische Hochwertziele, aber auch Personen aus dem Kreml und Russlands Militär an. Je komplexer die Situation an der Front wird, desto wichtiger könnten die Geheimdienste für die Ukraine werden. Schon jetzt führen sie einen "Schattenkrieg" gegen Russland. Dabei nehmen sie sich ein klares Vorbild: den berüchtigten Mossad aus Israel.

Video | Russische Bomber standen wohl kurz vor Angriff
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Quelle: t-online

"Jedes Verbrechen muss bestraft werden"

Welche Aufgabe er für seinen Geheimdienst für die wichtigsten hält, erklärte SBU-Chef Maljuk der "Financial Times" im vergangenen Jahr: die Bekämpfung der Geheimdienste des Feindes. Auch die Motivation des SBU unterstrich Maljuk damals: "Die Position des Sicherheitsdienstes ist klar und eindeutig: Jedes Verbrechen des Angreifers muss bestraft werden." Der SBU ist eigentlich der Inlandsgeheimdienst der Ukraine, führt jedoch seit Beginn der russischen Vollinvasion vermehrt auch Operationen in Russland aus.

Die Ukrainer sehen die Mission ihres Geheimdienstes offenbar auch nicht als erfüllt an, sollte der Krieg etwa durch Verhandlungen beendet werden. Ende April erklärte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im ukrainischen Parlament, Roman Kostenko, im Interview mit der "Ukrainska Pravda", dass die Arbeit der Geheimdienste dann erst wirklich beginnen werde. "Die Eliminierung von Kriminellen, die Zivilisten erschossen, Raketen abgefeuert, analysiert, Entscheidungen getroffen und Befehle erteilt haben, wird die Hauptaufgabe unserer Geheimdienste sein." Diese Leute würden bestraft werden, "wo immer sie sind".

Der Mossad als Vorbild für ukrainischen Geheimdienste?

Kostenko, der vor seiner Tätigkeit als Politiker zunächst selbst im Militär und später in einer SBU-Spezialeinheit diente, nannte dabei das Vorbild der ukrainischen Spione: den israelischen Geheimdienst Mossad. "Ich denke, dass der Job unserer Dienste in den nächsten, 10, 20, 30 Jahren – oder solange es nötig ist – der gleiche sein wird, wie bei den Juden, die nach Nazis gesucht haben, die in den Konzentrationslagern Verbrechen an ihnen begangen hatten."

Der Mossad gilt als einer der berüchtigtsten Geheimdienste. Die israelischen Spione spürten etwa den NS-Verbrecher Adolf Eichmann in Argentinien auf, der den Holocaust maßgeblich organisiert und mitverantwortet hatte. Auch deutsche Raketeningenieure wurden zum Ziel des Mossad. Spätestens seit den 70er-Jahren konzentrierten sich die Operationen des Geheimdienstes jedoch auch auf feindliche Akteure der Region, etwa den Iran und islamistische Terrorgruppen.

Zwei Geheimdienste in aufsehenerregender Mission

Doch aktuell richtet sich der Blick des ukrainischen Geheimdienstes auf die Gegenwart und somit auf das Kriegsgeschehen. Immer wieder gibt es Anschläge auf russische Militärs oder dem Kreml nahestehende Personen. Selten bekennen sich die Ukrainer dazu, dennoch ist davon auszugehen, dass vor allem der SBU, aber auch der Militärgeheimdienst GUR hinter einer Vielzahl der Attentate stecken. Zwischen den beiden Diensten soll sich ein regelrechtes Wettrennen um die meisten und aufsehenerregendsten Anschläge entwickelt haben.

Im vergangenen Juli attackierte eine GUR-Spezialeinheit in Mali gemeinsam mit Touareg-Rebellen russische Söldner der Gruppe Wagner – etwa 80 Angehörige der Privatarmee sollen getötet worden sein. Ende Mai, nur zwei Tage vor dem SBU-Drohnenangriff auf russische Flugfelder, führte der GUR in Wladiwostok eine Attacke auf russische Militäreinheiten aus, die unter anderem an der Schlacht um Mariupol beteiligt waren. Soldaten und Militärgerät sollen getroffen worden sein. Die Stadt liegt mehr als 7.000 Kilometer Luftlinie von Kiew entfernt.

Der SBU wiederum bekannte sich – wenn auch nicht offiziell, sondern über anonyme Mitarbeiter – zu diversen Attentaten innerhalb Russlands. So starb im Dezember mitten in Moskau der General Igor Kirillow bei der Explosion eines an einem E-Scooter befestigten Sprengsatzes. Ende April wurde mit Jaroslaw Moskalik ein weiterer General durch eine Autobombe getötet.

Die Angriffe sind nicht nur militärstrategisch wichtig, um die russischen Kapazitäten für Angriffe auf die Ukraine zu reduzieren. Sie haben auch einen Effekt auf die heimische Bevölkerung. Die Ukraine befindet sich im vierten Kriegsjahr, die Bevölkerung wird angesichts einer komplexen Situation auf dem Schlachtfeld, andauernder Mobilisierung wehrfähiger Männer und russischer Angriffe auf Zivilisten zunehmend kriegsmüde. Erfolgreiche Operationen in Russland können die Moral entscheidend stärken. Die Geheimdienste werden somit zunehmend zur Speerspitze der ukrainischen Verteidiger.

"Die Ukrainer kennen Russland sehr gut"

Doch wie gelingen den Ukrainern immer wieder schwere Schläge gegen Russland?

Der ukrainische Politologe Wolodymyr Fesenko sieht mehrere Gründe für die erfolgreichen Operationen: "Zunächst einmal sind die Ukrainer talentierte und kreative Menschen", erklärt er auf Anfrage von t-online. "Es sollte auch berücksichtigt werden, dass die Ukrainer Russland sehr gut kennen." Beide Länder waren mehrere Jahrhunderte lang Teil eines Staates und sind sich in Kultur und Traditionen sehr ähnlich. Außerdem gibt es Millionen von Menschen aus der Ukraine in Russland.

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Zur Person

Wolodymyr Fesenko ist Direktor des Zentrums für angewandte politische Forschung Penta. Der Thinktank wurde im Jahr 2001 gegründet und hat seinen Sitz in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Hauptthemen der Denkfabrik sind die Innenpolitik der Ukraine sowie die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung des Landes.

"Und offenbar gelang es den ukrainischen Geheimdiensten nach 2014, ein verzweigtes Netzwerk von Agenten in Russland aufzubauen, unter anderem durch Menschen aus dem rebellischen Donbass und der Krim", erklärt Fesenko. Gleiches gilt auch für Russland, das ebenso verbunden mit der Ukraine ist und früher nachweislich die Geheimdienste des Landes unterwanderte.

Was die technische Komponente betrifft, nutzen sowohl SBU als auch GRU für ihre Operationen häufig Drohnen. So sind sie in der Ukraine führend bei der Entwicklung neuer Drohnentypen, etwa mit besonders hoher Reichweite. Damit attackierten sie in den vergangenen Monaten militärische Ziele in Russland genauso wie Öl- und Gasinfrastruktur. Außerdem haben sie mittels Seedrohnen maßgeblich dazu beigetragen, die russische Schwarzmeerflotte aus dem Binnenmeer zu vertreiben.

Popularität der Geheimdienste in der Bevölkerung wächst

Die spektakulären Aktionen ließen das Ansehen der Dienste in der Bevölkerung wachsen. Besonders der SBU hatte zuvor eigentlich einen schweren Stand. Die Sicherheitsbehörde ist der direkte Nachfolger des Sowjet-Geheimdienstes KGB. Nach dem Zerfall der Sowjetunion ging der SBU teils gegen Befürworter einer Demokratisierung des Landes vor.

Der Dienst galt lange als von Russen unterwandert, und nach Beginn der russischen Vollinvasion folgte daher eine "Säuberung", um mögliche Verräter aus den eigenen Reihen zu verbannen. Angesichts einer hochkomplexen und erfolgreichen Mission – wie der "Operation Spinnennetz" am vergangenen Wochenende – scheint das gelungen zu sein. Seit 2014 besteht zudem eine Partnerschaft der ukrainischen Dienste mit dem US-Geheimdienst CIA. Auch diese Unterstützung dürfte zur Stärkung und Modernisierung von SBU und GUR beigetragen haben.

Laut einer Umfrage des in Kiew ansässigen Razumkow-Zentrums für Wirtschafts- und Politikforschung gab im Spätsommer 2021 etwa die Hälfte der Befragten an, dem SBU nicht zu vertrauen, nur 37 Prozent vertrauten dem Dienst demnach. Im vergangenen September sprachen rund 64 Prozent der Ukrainer dem Dienst ihr Vertrauen aus, ein Viertel misstraute dem SBU weiterhin.

Haben die ukrainischen Spione politische Ambitionen?

In den ersten beiden Kriegsjahren habe von der steigenden Beliebtheit des Geheimdienstes vor allem der GUR-Chef Kyrylo Budanow profitiert, den Fesenko als "charismatisch" beschreibt. Zuletzt habe aber auch SBU-Direktor Maljuk an Popularität gewonnen. Neben Budanow und dem ehemaligen Armeechef Walerij Saluschnyj sei Maljuk in den Augen der Bevölkerung zu einem "nationalen Kriegshelden" avanciert.

Trotz der großen Beliebtheit sieht Fesenko aktuell keinen größeren Einfluss der Geheimdienste auf die Politik, da sie mit ihrer eigentlichen Aufgabe beschäftigt seien. Nach dem Krieg könnte sich das jedoch ändern. "Es wird erwartet, dass einige Vertreter der Geheimdienste in die Politik eintreten könnten, insbesondere könnten sie für das ukrainische Parlament kandidieren und vielleicht sogar für das Amt des Präsidenten der Ukraine", erklärt der Politikwissenschaftler.

Besonders große Erwartungen werden mit dem Chef des Militärgeheimdienstes Budanow verbunden. Nach Saluschnyj, der mittlerweile Botschafter in Großbritannien ist, sei er der zweitbeliebteste Militärangehörige. "Einigen Informationen zufolge arbeiten Personen aus dem Umfeld von Kyrylo Budanow bereits an der Einrichtung seines Wahlkampfhauptquartiers", so Fesenko. Wahlen können allerdings erst nach Kriegsende stattfinden.

Verwendete Quellen

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