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Was das Urteil der Verfassungsrichter bedeutet


Anleihenkäufe
Was das EZB-Urteil der Verfassungsrichter bedeutet


05.05.2020Lesedauer: 3 Min.
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Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle: Seine Entscheidung hat weitreichende Folgen für die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.Vergrößern des Bildes
Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle: Seine Entscheidung hat weitreichende Folgen für die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. (Quelle: Christian Spicker/imago-images-bilder)

Das Bundesverfassungsgericht hat die Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank gerügt. Künftig werden Regierung und Parlamente wieder mitreden dürfen – und müssen.

Zu einem besseren Zeitpunkt hätte das Urteil nicht kommen können: Das Bundesverfassungsgericht hat heute morgen das Staatsanleihe-Ankaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) aus dem Jahr 2015 für teilweise verfassungswidrig erklärt.

Damit hat es eine Renationalisierung der Geldpolitik eingeleitet, die dem Parlament, der Bundesregierung und der Bundesbank künftig mehr Verantwortung aufbürdet. In der Corona-Krise wird sich zeigen, ob deutsche Politiker dieser Aufgabe heute besser gerecht werden können als im Jahr 2015.

Damals hatte die EZB begonnen, auf dem Sekundärmarkt Staatsanleihen der Euroländer aufzukaufen. Sie nahm den Ländern die Verschuldungstitel also nicht direkt ab, sondern kaufte sie erst, nachdem sie schon auf dem Markt waren. So wollten die Geldpolitiker das Verbot der direkten Staatsfinanzierung umgehen. PSPP (Public Sector Asset Purchase Program) hieß das Programm zum Kauf öffentlicher Schuldtitel, rund 2,6 Billionen Euro wurden auf diese Weise ausgegeben.

Der Europäische Gerichtshof darf nicht über alles entscheiden

Das deutsche Verfassungsgericht hat das schon einmal gerügt: In Deutschland liegt das Haushaltsrecht beim Bundestag. Niemand, auch nicht die EZB, darf über den Kopf des Parlaments hinweg in die deutsche Staatskasse greifen. Das aber sei geschehen, meinten die Verfassungsrichter schon im Jahr 2017. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg fand die Sache allerdings in Ordnung, die EZB kaufte weiter.

Damit ist nun erst einmal Schluss.

Denn erstens hat das Verfassungsgericht geurteilt, dass der Europäische Gerichtshof nicht in die Souveränität des deutschen Parlaments hineinregieren darf, wenn es um den Haushalt geht. (Diesen Aspekt des Urteils werden die Staats- und Regierungschefs in Polen und Ungarn mit großem Interesse lesen. Beide Ländern haben EuGH-Urteile zu Rechtsstaatlichkeit am Hals, die sie lieber heute als morgen los wären.)

Weitreichende Folgen in den nächsten Monaten

Zum zweiten verpflichtet es die Notenbank, ihre Entscheidungen den nationalen Parlamenten und Regierungen gegenüber besser zu begründen. Und drittens hat es der Bundesbank untersagt, an Beschlüssen mitzuwirken, die die Abgeordneten nicht ausreichend beraten haben.

Das wird deutliche Auswirkungen auf die nächsten Wochen und Monate haben. Unmittelbar nach der Entscheidung fiel der Kurs des Euro gegenüber dem Dollar deutlich, die Anleger begannen außerdem, deutsche und italienische Staatsanleihen zu verkaufen.

Denn eigentlich verlassen sich in der gegenwärtigen Krise alle darauf, dass die Europäische Zentralbank gemeinsam mit den Regierungen so viel Geld in den Markt pumpt, dass die Wirtschaft wieder anspringen kann. 750 Milliarden Euro, wenn es nötig ist, noch mehr, will die Europäische Zentralbank dafür bis zum Jahresende ausgeben.

Die EZB ist fast der einzige Käufer von Staatsanleihen

Zwar sagte Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle ausdrücklich, dass sich das Urteil nur auf das Verhalten der EZB in der Vergangenheit – und nicht auf die Gegenwart der Corona-Krise – bezieht. Doch soll es keinen Automatismus mehr geben, nachdem die EZB eigenmächtig entscheidet, mit welchen Summen sie die Staaten der Eurozone herauskauft.

Würde die EZB allerdings jetzt keine Staatsanleihen mehr kaufen, würde sich womöglich mittelfristig niemand mehr finden, der sie nimmt. Die Zinsen könnten in die Höhe schießen, einzelne Länder wie Italien müssten womöglich den Staatsbankrott erklären. Damit wäre die gemeinsame Währung am Ende. Deshalb ist man sich ziemlich sicher, dass es schon ausreichende Begründungen für die Verhältnismäßigkeit der Anleihenkäufe geben wird.

Das Verfassungsgericht formuliert entsprechend vorsichtig, dass die EZB innerhalb der kommenden drei Monate einen Vorschlag zum weiteren Verfahren machen soll. Ein Vierteljahr lang soll auch die Bundesbank im EZB-Rat noch zustimmen dürfen, wenn Staatsanleihen gekauft werden sollen.

Ein Urteil gegen die Verzagtheit der Regierungen und Parlamente

Bis dahin allerdings muss ein Weg gefunden sein, wie die EZB ihrer Verpflichtung gerecht werden kann, die gemeinsame Währung zu schützen. Und wie gleichzeitig das Haushaltsrecht des Bundestags gewahrt werden kann.

Denn das ist das Schwierigste am Urteil von diesem Vormittag. Es richtet sich weniger gegen die Notenbank an sich, als gegen die Verzagtheit der Regierungen und Parlamente in der Eurozone. Die haben in der Vergangenheit nur zu gern die EZB machen lassen, weil sie selbst nicht handlungsfähig oder handlungswillig waren.

Im ersten Teil der Corona-Krise haben sie bewiesen, dass sie aus dem politischen Desaster der Finanzkrise gelernt haben. Im zweiten müssen sie nun zeigen, dass sie auch für die finanzpolitischen Folgen geradestehen wollen.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Gemeinsam mit t-online.de und der Leibniz-Gemeinschaft produziert sie den Podcast "Tonspur Wissen".

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