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Ökonom über Ukraine-Krieg: "Das sehen wir wenige Tage später an der Zapfsäule"


Ökonom über Ukraine-Krieg
"Das sehen wir wenige Tage später an der Zapfsäule"

InterviewVon Mauritius Kloft

Aktualisiert am 11.03.2022Lesedauer: 7 Min.
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Hohe Spritpreise (Symbolbild): Die Folgen des Ukraine-Krieges spüren viele Verbraucher an der Zapfsäule.Vergrößern des Bildes
Hohe Spritpreise (Symbolbild): Die Folgen des Ukraine-Krieges spüren viele Verbraucher an der Zapfsäule. (Quelle: Future Image/imago-images-bilder)

Während in der Ukraine Krankenhäuser zerbombt und Zivilisten getötet werden, spüren die Deutschen Putins Angriffskrieg vor allem an der Zapfsäule. Doch die Folgen könnten sich noch verschärfen.

Seit 15 Tagen wütet der Krieg in der Ukraine: Ganze Städte zerstört, Hunderte Zivilisten getötet, Millionen Menschen auf der Flucht. Und die wirtschaftlichen Folgen des Krieges sind kaum absehbar.

Die Öl- und Gaspreise explodieren derzeit, die Inflation könnte in den nächsten Monaten noch weiter anziehen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in dieser unsicheren Situation angekündigt, die Anleihenkäufe früher als ursprünglich geplant zurückzufahren – wann die Zinswende kommt, ist derweil noch offen.

Aber was heißt das nun für Deutschland? Und welche Folgen hat Wladimir Putins Krieg noch für deutsche Verbraucher und die Wirtschaft? t-online hat mit Timo Wollmershäuser gesprochen, er leitet die Konjunkturforschung am Münchner Ifo-Institut.

Timo Wollmershäuser: Der Schritt der EZB ist richtig. Denn die Inflation ufert aktuell aus. Daher muss die EZB ihre superexpansive Geldpolitik der vergangenen Jahre jetzt zurückfahren.

Eine Gefahr wäre, dass die Notenbank die Konjunktur bremst, sollte sie zu schnell ihren Kurs straffen. Sehen Sie das nicht?

Nein. Ich glaube nicht, dass die EZB dadurch das Wachstum abwürgt. Mit Blick auf den Ukraine-Krieg handelt Christine Lagarde sehr vorsichtig. Das ist genau richtig so. Wir sind auf dem Weg einer Normalisierung der Geldpolitik. Doch wir sind noch weit von einer normalen Geldpolitik entfernt. Die Geldpolitik stützt immer noch massiv die Konjunktur.

Weil das allgemeine Zinsumfeld immer noch niedrig ist?

Richtig. Unternehmen, Staaten und die privaten Haushalte können sich so billig finanzieren wie noch nie. Vielleicht werden die Märkte jetzt die Zinsen etwas anheben.

Und das der Notenbank vorwegnehmen.

Ja, aber das würde die Konjunktur nicht ausbremsen. Man muss auch sagen: Eine Leitzinsanhebung rückt jedoch wieder in weite Ferne.

Timo Wollmershäuser, 1972 geboren, ist seit 2014 Leiter der Konjunkturforschung und -prognosen am Münchner Ifo-Institut, seit 2017 zudem stellvertretender Leiter des Ifo-Zentrums für Makroökonomik und Befragungen. Wollmershäuser studierte Volkswirtschaftslehre in Paris und Würzburg, 2009 habilitierte er sich. Der Ökonom gilt als einer der führenden Wirtschaftsforscher in Deutschland.

Das sah vor rund zwei Wochen ganz anders aus. Vor Putins Einmarsch in die Ukraine sind Experten noch davon ausgegangen, dass die EZB noch dieses Jahr den Leitzins anheben könnte. Was schätzen Sie, wann das kommt?

Das lässt sich extrem schwer sagen. Hier muss die EZB abwarten, wie sich die Krise in Europa entwickeln wird. Wir wissen nicht, wie weit die Energiepreise noch steigen. Das würde die Inflation noch weiter anheizen. Klar ist aber: Wenn sich die Krise entspannt, werden Leitzinsanhebungen wieder auf die Tagesordnung kommen.

Ein Nullzinsende noch in diesem Jahr ist aber vom Tisch?

Ja. Wir werden dieses Jahr keine Leitzinserhöhung sehen. Es kommt jedoch darauf an, ob sich die Inflation noch verschärfen wird. Und die andere Frage ist die Lohnentwicklung.

Eine Gefahr wäre eine Preis-Lohn-Spirale: Auf Basis höherer Preise fordern Gewerkschaften höhere Löhne, was Unternehmen wiederum dazu zwingt, die Preise anzuheben. Fürchten Sie das auch?

Aktuell noch nicht, bis zum Sommer passiert hier wenig.

Und dann?

Im Herbst stehen gewichtige Tarifverhandlungen an. Wahrscheinlich ist, dass die Gewerkschaften einen Lohnausgleich haben wollen. Sie haben aktuell eine sehr gute Verhandlungsposition, was die Gefahr einer Preis-Lohn-Spirale erhöht.

Erklären Sie das bitte.

Der Fachkräftemangel ist groß, das Arbeitsangebot folglich niedrig. Das gepaart mit den Inflationsraten gibt den Gewerkschaften eine gewisse Verhandlungsmacht. Höhere Löhne würden Firmen in Form höherer Preise an die Kunden weitergeben, dann hätten wir Zweirundeneffekte. Spätestens in dem Fall müsste die EZB reagieren.

Das US-Pendant ist schon weiter. Die Fed hatte jüngst bereits Zinsanhebungen angekündigt. Wird Jerome Powell wegen des Ukraine-Krieges auch zurückrudern?

Ja, das denke ich schon. Aber die Situation in den USA ist nach wie vor eine andere als in Europa. Die Amerikaner kämpfen zwar ebenfalls mit steigenden Preisen. Doch die Inflation ist nicht nur angebotsseitig getrieben, sondern auch nachfrageseitig.

Weil die Löhne bereits gestiegen sind?

Ja, und weil die Fiskalpolitik in den vergangenen zwei Jahren die Konjunktur kräftig angeschoben hat. Insofern ist es absolut gerechtfertigt, dass die Amerikaner vorangehen.

Das würde bedeuten, dass sich die Geldpolitik der Notenbanken entkoppelt.

Entkoppeln klingt negativ. Es ist richtig, dass die Fed früher aus dem Anleihenankaufprogramm ausgestiegen ist und auch früher die Zinsen anhebt. Sie muss der Überhitzung begegnen und die Nachfrage dämpfen. Die Fed hat es hier viel einfacher als die EZB.

Ist es bei den aktuell rasant steigenden Preisen überhaupt möglich, vernünftige Inflationsprognosen abzugeben?

Inflationsprognosen sind derzeit tatsächlich fast tagesabhängig: Sie steigen und fallen mit den Rohölpreisen, und mit den Annahmen über deren weiteren Verlauf. Das, was an den Rohölmärkten passiert, sehen wir wenige Tage später an der Zapfsäule.

In Form drastisch gestiegener Spritpreise. Werden die Preise in Deutschland weiter steigen?

Ja. In den nächsten Monaten werden wir Inflationsraten von mehr als sechs Prozent sehen. Im Jahresschnitt ist es wahrscheinlich, dass wir oberhalb von fünf Prozent liegen. Das liegt vor allem am Rohölpreis: Das monatliche Tanken macht rund drei Prozent unserer monatlichen Ausgaben aus. Wenn der Spritpreis innerhalb weniger Tage um 30 Cent steigt, hat das spürbare Folgen.

Dabei steigt nicht nur der Ölpreis, auch Gas wird immer teurer.

Korrekt, und das schon seit spätestens Mitte 2021. Ein Großteil der Versorger hat diese Anstiege der Marktpreise erst Anfang dieses Jahres an die Kunden weitergegeben. Jetzt hat Putins Invasion die Entwicklung nochmals verschärft. Die Preissprünge, die wir derzeit sehen, sind enorm. Wir müssen abwarten, wann und in welchem Umfang die Versorger das jetzt weiterreichen.

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Firmen klagen schon jetzt über gestiegene Strom- und Gaspreise.

Energiepreise belasten Unternehmen deutlich, weil die Produktionskosten explodieren. Viele Unternehmen geben diese Kostensteigerungen an ihre Kunden weiter. Deshalb dürften sich auch Waren weiter verteuern.

Sie meinen etwa Fernseher, Klamotten oder Fahrräder?

Beispielsweise, hier schlagen zusätzlich die Transportkosten über die höheren Containerpreise durch. Auch für Dienstleistungen muss man bald mehr zahlen, denken Sie etwa ans Taxi. Energiepreise sind aber nur ein Teil der Geschichte.

Und der andere?

Auch die Lebensmittelpreise sind spürbar gestiegen, durch den Ukraine-Krieg könnte sich das weiter verschärfen. Von dort kommt viel Weizen für die Weltmärkte. Und der gestiegene Weizenpreis wird sich über kurz oder lang auch in den Brotpreisen niederschlagen. Das dürfte die Inflation zusätzlich antreiben. Alles in allem sehen wir mittlerweile Preisanstiege auf breiter Front.

Was könnte denn der Staat dagegen tun?

Zunächst: Es wäre nicht richtig, pauschal alle Haushalte zu entlasten. Die steigenden Preise zeigen ja letztlich, dass Waren knapp sind, dass wir uns einschränken müssen. Zum Beispiel bei der Energie.

Erstes Semester Volkswirtschaftslehre.

Richtig. Eine pauschale Senkung der Mehrwertsteuer wäre kontraproduktiv. Wenn wir die Preise künstlich günstiger halten, würde das den Markt verzerren. Diese Lenkungsfunktion dürfen wir nicht ausschalten.

Sondern?

Ich würde gezielt diejenigen entlasten, die in Schwierigkeiten geraten. Wir brauchen ganz gezielte Entlastungen für ärmere Haushalte. Zum Beispiel einen höheren Heizkostenzuschuss oder höhere Hartz-IV-Sätze.

Einleuchtend. Und die anderen Menschen?

Reichere Haushalte können die aktuelle Energiekrise überstehen, sie haben in der Pandemie viel Geld gespart und können den Preisanstieg auffangen. Doch ärmere Haushalte sollte man entlasten und ihre Kaufkraft durch staatliche Transfers stärken.

Das würde auch den Konsum antreiben.

Zumindest würde es den Konsumdämpfer, der sich durch die Verteuerung ergibt, abmildern. Trotzdem bliebe es bei der kuriosen Situation, dass steigende Inflationsraten mit sinkenden Wachstumsraten einhergingen.

Das klingt nach einer Stagflation: Hohe Inflation bei stagnierendem Wachstum, ähnlich wie wir es in der Ölkrise in den 1970er-Jahren gesehen haben. Glauben Sie, das droht uns nun?

Nein, das sehe ich derzeit noch nicht. Denn eigentlich sind wir in einer kräftigen Erholungsphase.

Ach ja?

Ja. Sie bekommt nur aktuell einen Dämpfer: Durch die hohen Preise, wegen denen wir weniger konsumieren, und die Exporte, die wegen des Ukraine-Krieges wegbrechen. Wir müssen unsere Wachstumsrate für dieses Jahr, die wir bis vor Kurzem erwartet haben, deutlich stutzen. Aber wir gehen derzeit nicht davon aus, dass die Wirtschaft noch einmal schrumpfen wird, so wie es am Jahresende 2021 der Fall war.

Ökonomen sprechen von einer technischen Rezession, wenn die Wirtschaftsleistung zwei aufeinanderfolgende Quartale zurückgeht.

Korrekt, das sehen wir aber nicht.

Was macht Sie da so sicher?

In Deutschland ist die Omikron-Welle wesentlich harmloser verlaufen. Und bald fallen die meisten Einschränkungen weg. Daher werden wir eine kräftige Erholung in den konsumnahen Dienstleistungsbereichen bekommen, besonders in den nächsten Quartalen. Es müsste schon viel passieren, dass wir einen erneuten Rückgang der Wirtschaftsleistung bekommen.

Beispielsweise ein Gasembargo, das die Bundesregierung aussprechen könnte.

Nicht nur sie. Es gibt noch einen zweiten Spieler: Auch Putin könnte den Hahn zudrehen. Aber hoffen wir es nicht. Das wäre für Deutschland einschneidend.

Führen Sie das bitte aus.

Die große Unbekannte ist die Frage, wie gut wir die wegfallenden Energielieferungen kompensieren. Bei Öl und Steinkohle ist das wohl möglich, bei Gas könnte es schwieriger werden. Das ist schwer abschätzbar, es wird aber definitiv mit Kosten verbunden sein. In dem Fall würden wir sicher einen wirtschaftlichen Einbruch sehen. Das wäre eine ganz andere Welt.

Gehen wir mal nicht davon aus. Ende 2021 ging das Ifo-Institut von einem Wachstum von 3,7 Prozent in diesem Jahr aus. Was erwarten Sie nun?

Wir haben die Prognose deutlich nach unten korrigiert. Wir rechnen für dieses Jahr aber immer noch mit einem Wachstum von etwa drei Prozent. Die Erholung wird schwächer ausfallen, einfach weil wegen der hohen Preise die Konsummöglichkeiten der Menschen eingeschränkt sind.

Und die Lieferkrise?

Auch die Industrie erholt sich langsamer als erhofft. Wir hatten eigentlich erwartet, dass die Lieferengpässe Ende vergangenen Jahres ihren Höhepunkt erreicht haben. Nun wissen wir: Die Lieferkrise geht noch weiter. Der Krieg in der Ukraine hat seinen Anteil daran.

Wie meinen Sie das?

Es kommen zwar nur 0,3 Prozent unserer Importe aus der Ukraine. Doch für manche Industrien handelt es sich dabei wohl auch um solche Vorprodukte, die sie nicht ohne Weiteres und insbesondere kurzfristig ersetzen können. Ein Beispiel sind Kabelbäume, auf die die Autoindustrie angewiesen ist. Und weil diese Kabelbäume fehlen, fahren Autohersteller ihre Produktion herunter und melden Kurzarbeit an, wie vergangenes Jahr, als die Mikrochips fehlten.

Was heißt das nun?

Ich bin zwar optimistisch: Die Industrie wird weiter zum Wachstum beitragen, insbesondere weil ihre Auftragsbücher voll sind. Aber dieses Wachstum fällt schwächer aus als noch vor Beginn des Ukraine-Krieges gedacht. Die offizielle Ifo-Prognose mit den genauen Zahlen kommt am 23. März.

Herr Wollmershäuser, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Telefoninterview mit Timo Wollmershäuser
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