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Höherer Mindestlohn: Steigen die Preise nun weiter?


Höherer Mindestlohn
Steigen die Preise nun weiter?

Von Frederike Holewik

Aktualisiert am 04.06.2022Lesedauer: 4 Min.
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Putzkraft in einem Bürogebäude (Symbolbild): In Branchen ohne Tariflohn können sich die Angestellten ab Oktober über den neuen Mindestlohn freuen.Vergrößern des Bildes
Putzkraft in einem Bürogebäude (Symbolbild): In Branchen ohne Tariflohn können sich die Angestellten ab Oktober über den neuen Mindestlohn freuen. (Quelle: Sean Gallup/getty-images-bilder)

Bundeskanzler Olaf Scholz löst ein Wahlkampfversprechen ein: Der Mindestlohn steigt im Oktober auf zwölf Euro. Das wird sich auch in den anstehenden Tarifverhandlungen bemerkbar machen.

Es war eines der großen Versprechen im Bundestagswahlkampf: mehr Gehalt für 6,2 Millionen Menschen durch Erhöhung des Mindestlohns. Ein knappes Jahr später hat der Bundestag dem Vorschlag von Arbeitsminister Hubertus Heil zugestimmt, damit gilt ab 1. Oktober die Lohnuntergrenze von 12 Euro pro Stunde. "Die Mindestlohnerhöhung war ein Wahlversprechen und stellt einen Paradigmenwechsel dar", sagt Hagen Lesch, Tarifpolitik-Experte am Institut der deutschen Wirtschaft, im Gespräch mit t-online.

Denn statt wie sonst üblich, entschied diesmal nicht die Mindestlohnkommission über die Anpassung, sondern die Regierung unterbreitete einen Vorschlag. Das könnte auch Folgen für andere Gehälter haben, da in diesem Jahr in vielen Branchen Tarifverhandlungen anstehen.

Experte: Keine Gefährdung von Arbeitsplätzen

Ein häufiger Einwand gegen den Mindestlohn – auch bei vergangenen Erhöhungen – ist der Verlust von Jobs durch höhere Arbeitskosten für Unternehmen. Experte Lesch gibt Entwarnung: "Eine Gefährdung für Arbeitsplätze sehe ich nicht. Natürlich wird es für das ein oder andere Unternehmen schwierig, höhere Löhne zu zahlen, doch der Fachkräftemangel und die hohe Inflation machen Lohnanpassungen ohnehin notwendig."

Was er damit meint: Derzeit suchen viele Unternehmen händeringend nach Arbeitskräften. Im Interview mit t-online wies Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), zuletzt darauf hin, dass die Bundesagentur für Arbeit aktuell einen Überhang von 100.000 Ausbildungsplätzen verzeichne. Daher müssen viele Unternehmen ohnehin tiefer in die Tasche greifen, um geeignetes Personal durch höhere Gehälter anzulocken. Und durch die Inflation sei das Geld letztlich auch weniger wert, der Sprung sei dadurch besser zu verkraften.

Die Entscheidung, den Mindestlohn zu erhöhen, kommt nur wenige Tage, nachdem die erneut gestiegene Inflationsrate bekannt gegeben wurde. Ökonomen warnen seit geraumer Zeit vor einer Lohn-Preis-Spirale, die durch höhere Löhne ausgelöst werden könnte. "Der Mindestlohn erhöht die Preise, allerdings sind diese Effekte eher gering", sagt Lesch. Zumindest kurzfristig habe die Erhöhung somit nur wenig Auswirkung auf das Preisniveau.

Mindestlohn könnte sich auf Tarifverhandlungen auswirken

"Wichtiger sind hingegen die sogenannten Zweitrundeneffekte. Der Mindestlohn erzeugt Lohndruck bei den Tarifverhandlungen und zwar über das gesamte Tarifgefüge hinweg, nicht nur in den untersten Lohngruppen", führt Lesch aus.

Im laufenden Jahr stehen in vielen Branchen Tarifverhandlungen an. Mit einem höheren Mindestlohn dürften auch die Forderungen der Gewerkschaften für ihre Mitglieder steigen, so Lesch. Wie hoch diese Forderungen ausfallen, ist dabei aber noch unklar. Sollte es so kommen, könnte das aber für das kommende Jahr die Lohn-Preis-Spirale deutlich ankurbeln.

Experte: Anspruch an Mindestlohn verändert

Eigentlich ist in Deutschland die Mindestlohnkommission für die Festsetzung des Mindestlohns zuständig. Derzeit liegt der Mindestlohn bei 9,82 Euro brutto. Zum 1. Juli steigt er turnusmäßig auf 10,45 Euro. Die nun beschlossene Erhöhung im Oktober stellt einen deutlichen Anstieg dar, der nicht von diesem Gremium ausgehandelt wurde.

Für viele sei die Lohnerhöhung wohl der größte Lohnsprung in ihrem Leben. Heil sagte, ohne Olaf Scholz als Kanzler würde der Mindestlohn nicht erhöht. Der SPD-Politiker hatte die Anhebung der Lohnuntergrenze zu einem Kernversprechen des Bundestagswahlkampfs gemacht. Genau das könne aber längerfristig zu einem Problem werden, so Lesch.

Zwar soll die Mindestlohnkommission 2023 wieder über die Anpassung entscheiden, doch der Paradigmenwechsel sei bereits vollzogen, sagt Lesch. Denn während in der Geschäftsordnung der Kommission noch das Ziel ausgeschrieben ist, dass der Mindestlohn dazu diene, Lohndumping zu unterbinden, hat Scholz mit seinem Wahlkampf das Versprechen abgegeben, dass der Mindestlohn viel mehr sein soll. Mit dem Mindestlohn solle nun der Lebensunterhalt bestritten werden und er solle auch eine Rente ohne Grundrentenzuschlag ermöglichen, sagt Lesch. "Der Staat überträgt einen Teil seiner Fürsorgefunktionen an die Tarifpartner", so der Experte weiter.

Wirtschaft kritisiert Vorgehen

Die Reaktionen auf die Gesetzespläne fielen unterschiedlich aus. Der Arbeitgeberverband BDA kritisierte, die Politik breche die Zusage, dass die Mindestlohnkommission die Lohngrenze festlege. In diesem Gremium bestimmen Arbeitgeber und Gewerkschaften normalerweise die Erhöhungsschritte. Die Kommission soll laut Gesetz erst nach der außerplanmäßigen Erhöhung wieder zuständig werden.

"Uns geht es nicht um die Höhe des Mindestlohns", sagte der Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger der "Welt". "Der Punkt ist: Die Bundesregierung hält sich nicht an die Absprachen, die wir 2015 vereinbart haben, als mit Einführung des gesetzlichen Mindestlohns die Mindestlohnkommission gegründet wurde", kritisierte Dulger.

Während die Wirtschaft vor allem das Vorgehen kritisiert, gibt es bereits politische Forderungen nach einem noch höheren Mindestlohn. Die Linken-Haushaltsexpertin Gesine Lötzsch sagte: "Eigentlich müssten es jetzt schon 13 Euro sein." Nötig sei ein weiteres Entlastungspaket.

AfD: Versprechen wird nicht gehalten

Der Bundesregierung zufolge wären ohne Grundrentenzuschlag derzeit mehr als 12 Euro Stundenlohn nötig, um nach 45 Arbeitsjahren oberhalb der Grundsicherung zu landen. Nötig dafür wäre ein Stundenlohn von 12,97 Euro, heißt es in der Antwort auf eine Anfrage der AfD-Fraktion, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Ausgegangen wird dabei von einer Vollzeitarbeit mit 38,5 Arbeitsstunden pro Woche. Unter Berücksichtigung der Grundrente wäre rechnerisch ein Stundenlohn von 7,72 Euro notwendig.

Der AfD-Abgeordnete Jürgen Pohl, der die Frage gestellt hatte, sagte dazu der dpa, das "populäre Mindestlohn-Wahlgeschenk der Ampel" halte nicht, was es verspreche. Auch 12 Euro schützten nicht vor Armut im Alter.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Hagen Lesch (IW Köln)
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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