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Wie gefährlich ist Alkohol wirklich? | Selbstexperiment


Guter Wein, schlechtes Bier?
Was Alkohol wirklich mit dem Körper macht

MeinungVon Philipp Kohlhöfer

Aktualisiert am 26.08.2022Lesedauer: 5 Min.
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Alkoholische Getränke: In Deutschland wird Alkohol oft als Volksdroge bezeichnet.Vergrößern des Bildes
Anstoßen im Biergarten: Nicht nur im Sommer gönnen sich viele Menschen gerne mal einen Drink unter Freunden. (Quelle: imago images/imago-images-bilder)

Der Genuss von Rotwein soll gesünder sein als das Exen von Hochprozentigem. Das stimmt so nicht – ab wann wird Alkoholkonsum aber so richtig gefährlich?

Vermutlich sollte man sich dazu nicht bekennen, aber ich mache das jetzt trotzdem mal: Ich trinke gerne Alkohol. Dabei geht es allerdings weniger um das Trinken als solches, sondern um die folgende Beneblung des Gehirns. Harald Juhnke als Alkoholiker ist ganz bestimmt der falsche Zeuge, aber sein Klassiker "Keine Termine und leicht einen sitzen" hat schon eine tiefe Wahrheit: Durch Alkoholkonsum werden Menschen schöner und interessanter. Das eigene Selbstvertrauen steigt und die Welt wird erträglicher. Außerdem sieht man mit einem Glas Whiskey Sour in der Hand, tolles Getränk, auch einigermaßen lässig aus.

Um allerdings gleich zu Beginn dieses Textes die Empörung wieder einzubremsen: Ethanol ist ein Zellgift. Es wirkt auf das zentrale und periphere Nervensystem, schädigt aber alles, mit dem es in Kontakt kommt, weil es sich über den Blutkreislauf über den gesamten Körper verteilt. Leber und Magen bekommen die volle Dosis ab, schließlich nehmen sie den Alkohol auf. Organschäden gibt es aber überall, selbst im Gehirn, und wenn man Pech hat, wird daraus Krebs. Und so cool ein Drink aussehen mag: Weniger überzeugend ist es, sich auf die Schuhe zu kotzen.

Die Beziehung zum Alkohol

Ich bin allerdings nicht der Einzige, der gerne trinkt. Seit jeher brauen, gären und destillieren Menschen, schon in der Steinzeit gab es bierähnliche Getränke. Dennoch: Trotz unserer langen Beziehung zum Alkohol wissen wir immer noch nicht, was genau das Molekül in unserem Gehirn bewirkt, um ein Gefühl des Rausches zu erzeugen. Zwar kann man sagen, ab wann trinken akut lebensgefährlich wird.

Alles über zweieinhalb Promille kratzt am Alkoholtod und ab vier wird es sehr, sehr eng – aber wie viel Alkohol man eigentlich insgesamt trinken kann, ist relativ unklar. Es gibt keine eindeutige Methode, um das zu bestimmen – weil es sehr individuell ist.

Und so sind auch die Empfehlungen der Behörden, was eigentlich ein risikoarmer Konsum ist, je nach Land verschieden. Amerikaner etwa sind offiziell moderate Trinker, wenn sie dreimal mehr trinken als die Menge, die für Finnen vorgesehen ist. Für Spanier gilt eine andere Obergrenze als für Italiener und in Slowenien kann man viermal mehr bechern als in Mexiko und die Gesundheitsbehörde hat nichts dagegen. Während manche Länder Tagesempfehlungen aussprechen, legen andere Wochenrationen fest, was eine Vergleichbarkeit erschwert.

So gibt es in Deutschland keine Wochenangaben, während die australischen Behörden zehn Standardgetränke pro Woche als okay ansehen. Das sind roundabout zehn Gramm reiner Alkohol pro Getränk, was wiederum einem kleinen Glas Bier entspricht – aber nicht mehr als vier am Tag.

Philipp Kohlhöfer ist Autor und Kolumnist und lebt in Hamburg. Er arbeitet unter anderem für das Magazin "Geo" und das Forschungsnetz Zoonotische Infektionskrankheiten, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Kohlhöfer verfasst zudem Drehbücher und entwirft Kommunikationskonzepte. Für eine Geschichte im Pazifik wurde er beschossen, für eine andere marschierte er tagelang durch den Regenwald. 2021 hat er den Bestseller "Pandemien. Wie Viren die Welt verändern" veröffentlicht.

Ein Selbstversuch

Im März 2020, erster Lockdown, habe ich ein Experiment an mir selbst durchgeführt, das als solches nicht geplant war. Inoffizielle Ausgangsfrage: Wie schnell nimmt man zu, wenn man fast jeden Tag eine Flasche Wein trinkt und dabei mindestens 20.000 Schritte läuft? Ich hatte versucht, mir das schönzureden, ein wenig Wein, kombiniert mit Bewegung, ist doch gesund, schließlich gibt es das französische Paradox.

Diese Geschichte beginnt Anfang der 1990er. Damals erscheint eine Studie in der Fachzeitschrift "The Lancet", die feststellt, dass Franzosen ein geringeres Risiko haben, an einer Herzkrankheit zu sterben als die Menschen in anderen Industrieländern. Der Grund läge wohl darin, das war die Vermutung, dass die Franzosen deutlich mehr Wein tranken.

Ich fing an mit 88 Kilogramm und nach nicht mal zwei Monaten brach ich ab, weil ich 100,4 Kilogramm wog. Ich war mir zu füllig geworden und das ist bestimmt nicht gesund. Die Vorstellung, dass Alkohol die Gesundheit des Herzens verbessern kann, hält sich seit den 1990ern dennoch hartnäckig.

Das Problem ist: Fast alle Studien zum Lebensstil beruhen auf der Erinnerung der Probanden und der wahrheitsgemäßen Angabe ihrer Gewohnheiten über viele Jahre hinweg. Menschen neigen allerdings dazu, sich Dinge schönzureden. Alkohol zerstört nun mal langfristig Nervenzellen, völlig egal, wie viel man trinkt. Nur: Einen konkreten Grenzwert, wann das passiert, gibt es nicht.

Bier ist allerdings nicht besser oder schlechter als Schnaps. Nicht das Getränk zählt, sondern die Menge an Reinalkohol, die man zu sich nimmt. Ob man 300 Milliliter Bier trinkt oder 40 Milliliter Whisky spielt keine Rolle, wer das regelmäßig und oft tut, bekommt zwangsläufig den ganzen unerfreulichen Kram wie Fettleber, eine schlechte Haut und Magenprobleme.

Korrelation oder Kausalität?

Studien können zwar darauf hinweisen, dass zwei Dinge miteinander in Verbindung stehen, aber nicht unbedingt, dass das eine das andere verursacht. Wenn Weintrinker gesünder sind, heißt das nur, dass sie eben gesünder sind, aber nicht unbedingt, dass das am Wein liegt.

Vermutlich ist ihr sozio-ökonomisches Umfeld ein anderes. Wer mehr Wein trinkt, hat in der Regel mehr Geld als die Bierdosen-Fraktion und wer mehr Geld hat, ernährt sich gesünder, macht oft mehr Sport, weil er mehr Zeit hat aufgrund eines anderen Jobprofils, was bedeutet, dass er am Arbeitsplatz weniger Stress ausgesetzt ist. Und wer mehr Zeit hat, hat eine höhere soziale Aktivität. Wein kann dann die ganzen Vorteile auch nicht mehr ruinieren.

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Im Laufe der Zeit wurde mäßiger Alkoholkonsum zudem mit dem Schutz vor Krankheiten in Verbindung gebracht, vor denen Alkohol unmöglich schützen kann, etwa Taubheit und Hüftfrakturen. Es ist also eher umgekehrt: Die Gesundheit bestimmt den Alkoholkonsum, nicht andersherum. Man könnte auch sagen: Wer lange trinkt, lebt lange. Und wer lange lebt, trinkt eben auch lange. Das Gleiche gilt um Übrigen auch für Schnarchen, Radfahren und dem Essen von Erdnussflips vor dem Fernseher.

Alkoholkonsum beeinflusst den Hormonhaushalt

Die tägliche Flasche Wein fühlte sich ganz gut an. Leicht beschwingt um die Seenplatte in einem Heimatort spazieren, Reiher beobachten, auf Holzbänken sitzen und in die Sonne gucken, alles fein. Ist allerdings auch kein Wunder, Alkohol verändert den Gehalt an Neurotransmittern im Gehirn – das sind die chemischen Botenstoffe, die im ganzen Körper die Signale übertragen, die Denkprozesse, Verhalten und Emotionen steuern.

Alkohol steigert etwa die Dopaminausschüttung im Gehirn und wirkt so wie Simulation von Sex, Urlaub und Freunde treffen. Er unterdrückt außerdem die Freisetzung von Glutamat. Das ist für die Gehirnaktivität zuständig und wird ausgebremst. Man fühlt sich benebelt. Gleiches gilt für den hemmenden Neurotransmitter GABA, der das Energieniveau senkt und alles beruhigt. Alkohol verstärkt dessen Wirkung (was in ähnlicher Weise auch Xanax und Valium tun). Das Problem: Die depressive Wirkung von Alkohol steigt dadurch ebenfalls. Man fährt also zweigleisig. Zumindest bis der Alkohol abgebaut ist – was eher nicht schnell vonstattengeht: 0,015 Promille pro Stunde.

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Schneller ist es, sich zu betrinken: Je nach Körperkonstitution tritt die höchste Blutalkoholkonzentration nach 30 bis 70 Minuten nach dem Trinken auf. Aber wie viel denn nun?

Im Juli 2022 publiziert "The Lancet" erneut eine Studie, diesmal allerdings eine Meta-Studie. Sie erfasst die Daten von rund 600.000 Menschen aus 83 Studien. Fazit: Eine schützende Wirkung gibt es nicht. Menschen unter 40 sollten besser gar nicht trinken. Bei einer Alkoholmenge von bis zu 100 Gramm pro Woche bleibt die Lebenserwartung konstant. Alles darüber erhöht das Sterberisiko.

Angeblich sterben Menschen, die zwischen sieben und 14 Drinks pro Woche konsumieren, rund sechs Monate früher als Nichttrinker. Menschen, die zwischen 14 und 24 Drinks pro Woche tranken, haben dann eine um ein bis zwei Jahre geringere Lebenserwartung. Und Menschen, die mehr als 24 Drinks pro Woche zu sich nahmen, hatten eine um vier bis fünf Jahre geringere Lebenserwartung.

Ich habe wieder abgenommen seither, aber offensichtlich Jahre meines Lebens einfach weggetrunken. Ich glaube, auf den Schreck mache ich mir jetzt erst mal ein Bier auf.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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