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Gehirnfressende Amöbe tötet arglose Badegäste


Naegleria fowleri
Gehirnfressende Amöbe tötet arglose Badegäste

MeinungVon Philipp Kohlhöfer

Aktualisiert am 28.08.2022Lesedauer: 5 Min.
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Sommer-Horror: Gefährliche Bakterien verstecken sich in vielen Badeseen. (Quelle: Friedrich Bungert via www.imago-images.de)

Immer wieder im Sommer taucht Naegleria fowleri auf. Das sagt Ihnen nichts? Vielleicht so: In Badeseen kann der wohl tödlichste Parasit der Welt lauern.

Früher mochte ich Splatterfilme. Platzende Köpfe, durch die Gegend fliegende Organe, Blut, dass literweise Kaufhaustreppen herunterströmt und Zombies, die darauf ausrutschen. Mit so was konnte ich eine gute Zeit verbringen. Das Problem besteht nun darin, dass ich mich beruflich unter anderem mit Erregern aller Art beschäftige – und das lindert den Spaß etwas. Irgendwann lernt man dann nämlich, dass es viel gruseligeres Zeug gibt als Freddy Krüger und dass es auch Sam Raimi und Joe D´Amato nicht benötigt.

Im echten Leben gibt es dann die Popstars der Krankheiten, Ebola etwa. Oder diejenigen, die nur noch nerven, aber schlimmer sein könnten, Sars-CoV-2 zum Beispiel. Und dann gibt es so was wie Naegleria fowleri, eine Krankheit, in jedem Sommer verlässlich als "gehirnfressende Amöbe" auftaucht. Gerade erst wieder: 5. August: "Man dies after contracting brain-eating amoeba in northern Israel." 15. August: "Florida Boy Fighting Brain-Eating Amoeba." 19. August: "CDC confirms Nebraska child died of brain-eating amoeba”. Das klingt nach Splattermovie, aber um das mal wissenschaftlich korrekt auszudrücken: Naegleria fowleri ist ein eukaryotischer protistischer Erreger. Ein Mikroorganismus mit einem Zellkern.

Philipp Kohlhöfer ist Autor und Kolumnist und lebt in Hamburg. Er arbeitet unter anderem für das Magazin "Geo" und das Forschungsnetz Zoonotische Infektionskrankheiten, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Kohlhöfer verfasst zudem Drehbücher und entwirft Kommunikationskonzepte. Für eine Geschichte im Pazifik wurde er beschossen, für eine andere marschierte er tagelang durch den Regenwald. 2021 hat er den Bestseller "Pandemien. Wie Viren die Welt verändern" veröffentlicht.

Die Gefahren von Naegleria fowleri

Der Parasit ist viel, viel kleiner als ein Sandkorn und er verursacht eine primäre Amöben-Meningoenzephalitis, die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle tödlich endet. Naegleria fowleri ist auch: vermutlich der tödlichste Parasit der Welt. Ebola oder Nipah sind ein Witz dagegen. Infizierte Patienten haben eine Letalitätsrate von 98 Prozent (eigentlich ist es unseriös, das zu vergleichen, ich mache es halt trotzdem mal, um die Tödlichkeit einzuordnen, aber Naegleria fowleri ist nicht ansteckend und keine Atemwegserkrankung und daher weniger eine Gefahr für die Allgemeinheit).

Alle paar Jahre überlebt mal jemand, das sind dann die zwei Prozent in der Statistik, und das passiert aber auch ohne bleibende Schäden. Weil das aber so selten passiert, sind die Schlagzeilen in ihrer Dramatik nicht mal übertrieben, denn das ist, was der Parasit tut: das Gehirn fressen. Und er lauert im feuchten Boden, in Badeseen und in schlecht gereinigten Schwimmbädern. Eigentlich überall auf der Welt, wo es angenehm warm ist und ein Süßwasserreservoir zur Verfügung steht. Einerseits.

Ist die Sterblichkeit wirklich so hoch?

Andererseits: Vielleicht ist die Letalität gar nicht so hoch. Weil immer nur alle schlimmen Fälle aktenkundig werden. Wer keine Probleme hat, geht in kein Krankenhaus, wird nicht getestet (mit der PCR) und taucht dementsprechend auch in keiner Statistik auf.

Weil man der Amöbe nicht aus dem Weg gehen kann, sobald man im Wasser ist, kommen Millionen Menschen täglich mit ihr in Kontakt. Schwerpunkte sind die USA und Pakistan, und weil dort auch nicht wenig Menschen leben, sind Infektionen daher vermutlich nicht selten, im Gegenteil. Bei vielen Jugendlichen in den Endemiegebieten sind denn auch spezifische Antikörper nachweisbar. Warum eine Infektion bei wenigen Patienten allerdings direkt ins Grab führt und die anderen nicht mal Patienten werden, weiß niemand.

Die unauffällige Krankheit

Dabei ist die Krankheit so selten, dass sie bis 1965 gar nicht auffiel. Erst da wurde in Australien der erste Patient ausgemacht – und es ist schlicht unwahrscheinlich, dass es vorher noch nie passiert ist. Äußerst selten ist eine Infektion mit Naegleria fowleri immer noch. Insgesamt gibt es bisher nur rund 400 Fälle. Das ist nun nicht besonders viel und vermutlich ist sogar die Aussicht im Lotto zu gewinnen höher. Jedes Jahr ertrinken alleine in Deutschland fast ebenso viele Menschen und manchmal sogar mehr (2018 waren es 504 Menschen).

An Naegleria fowleri ist bisher hierzulande noch nie jemand gestorben und auch der letzte Fall in Europa, damals in England, liegt 44 Jahre zurück – mit einer Ausnahme: 2018 erkrankte ein zehnjähriges Mädchen im spanischen Toledo an der Krankheit. Und überlebte ohne bleibende Schäden.

Gehirne sind nicht die Leibspeise der Amöbe – wäre das so, dann hätten wir ein echtes Problem und Baggerseen wären eher mäßig populär. Zwar zerstört Naegleria fowleri Gehirngewebe, frisst aber eigentlich Bakterien, und diese Organismen sind im Sediment von Seen und Flüssen reichlich vorhanden. Warum also manchmal im Gehirn? Man weiß es nicht wirklich.

Wie in einem Zombiefilm

Falls es allerdings passiert, dann ist es tatsächlich wie in einem Zombiefilm. Die Erkrankung beginnt mit Fieber, Übelkeit und Erbrechen, Kopfschmerzen und Nackensteifheit – und wenn man das merkt, kann man sich auch erschießen, weil es dann eigentlich schon zu spät ist. Die Handvoll der Patienten, die überlebt haben, verdanken das einer sehr frühen Gabe eines spezifischen Medikamentencocktails, aber auch das ist mehr Spekulation als Wissen, weil es bisher für eine gute Datenbasis an der Menge der Überlebenden fehlt.

Nur kurz nach den ersten Kopfschmerzen geht die Körperkontrolle verloren. Weil aber die Symptome alles Mögliche sein können, wird eine Erkrankung in der Regel erst nach dem Tod entdeckt. Der nicht besonders lange auf sich warten lässt: Zwischen Ansteckung und Tod liegt nur etwa eine Woche.

So dringt Naegleria fowleri ins Gehirn ein

Wie die Amöbe genau ins Gehirn eindringt, ist nicht so richtig klar, die Wissenschaft ist sich darüber uneinig. In jedem Fall muss Wasser tief in die Nase eindringen. Schlucken dagegen ist kein Problem, da die Magensäure den Erreger tötet. Ist er aber über die Nase in den Organismus gelangt, für eine Infektion reicht vermutlich ein kurzer, einmaliger Kontakt, wird er von einem Molekül, das die Geruchsnervenzellen aussenden, direkt zu ihnen gelockt.

Blöd: Die Nervenzellen transportieren ihre Informationen zum Riechkolben. Und der liegt leider vorne im Gehirn. Die Amöbe folgt den Nervenbahnen zu den Gehirnzellen – und die sind dann leider völlig wehrlos. Zumal die Amöbe sich verwandelt, wenn sie einmal im Gehirn angekommen ist.

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Sie bildet ein Dutzend Münder, (eigentlich Saugarme, sehen aber aus wie Münder), um möglichst schnell möglichst viel zu essen. Dabei setzt sie außerdem verschiedene Moleküle ab, die die Zellen im Gehirn in die Luft sprengen. Der Grund: Je schneller alles in Trümmern liegt, desto mehr kann man fressen, weil es handlicher wird.

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Immunzellen kämpfen dagegen

Das Immunsystem bemerkt die Attacke und gibt dann Vollgas. Immunzellen strömen ins Gehirn und beginnen damit, den Erreger zu bekämpfen. Devise: Viel hilft viel. Weil Naegleria fowleri sich aber wehren kann, ist es eher Schlacht als Blitzkrieg.

Das wiederum führt zu Entzündungsreaktionen, was im Gehirn keine besonders gute Idee ist, weil dadurch Flüssigkeit zum Infektionsherd umgeleitet wird und eine Schwellung entsteht. Die braucht Platz und muss irgendwohin. Kann sie aber nicht, weil das Gehirn von Knochen umgeben ist. Der Druck leitet sich dann in die andere Richtung um. Und in der liegt blöderweise der Gehirnstamm. Dessen dadurch bedingte Zerstörung ist dann wenig hilfreich, weil der unter anderem für die Herzfrequenz und die Atmung zuständig ist. Und das war's.

Ein Grund zur Panik ist das aufgrund der Seltenheit der Fälle dennoch nicht – obwohl es durchaus sein kann, dass es in einer klimatischen wärmeren Welt in Nordamerika und Europa mehr Infektionen geben wird.

Dass ich nicht gerne in Baggerseen schwimme, hat aber nichts mir der Amöbe zu tun, das wäre dann doch übertrieben und irrational. Ich mache das nicht wegen der beiden Piranhas-Filme aus den 70ern.

Und wer weiß, was in so einem See noch alles schwimmt.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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