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China-Reise von Kanzler Scholz überschattet durch Iran-Angriff auf Israel


Kanzler Scholz in China
Seine Reise nimmt abrupt eine ungewollte Wendung


15.04.2024Lesedauer: 7 Min.
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Chongqing: Bundeskanzler Olaf Scholz spricht bei einem Statement zur Situation in Israel und zur Reise durch China.Vergrößern des Bildes
Chongqing: Bundeskanzler Olaf Scholz spricht bei einem Statement zur Situation in Israel und zur Reise durch China. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)

Die China-Reise von Kanzler Olaf Scholz wird vom iranischen Angriff auf Israel überschattet. Die Bundesregierung möchte in der Volksrepublik ein Zeichen der Entspannung senden. Doch ob das klappt, ist fraglich.

Manchmal sind es die kleinen Dinge, die in der großen internationalen Politik ein Zeichen sein können. Knapp eine Woche vor seiner China-Reise startet Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seinen Kanal auf TikTok. Dort geht er nun mit Videos viral, in denen er zum Beispiel den Inhalt seiner Aktentasche präsentiert. Brisant daran: TikTok gehört dem chinesischen Unternehmen ByteDance und lange Zeit verzichteten viele deutsche Politiker auf eine Präsenz in dem sozialen Netzwerk. Zu undurchsichtig sei, was mit den Daten der Nutzer passiert. Doch in der deutschen Politik bröckelt offenbar langsam das Misstrauen.

Das Misstrauen besteht zwar noch immer, weshalb Scholz für seinen Auftritt auch extra gesicherte Geräte benutzt. Aber seine TikTok-Offensive demonstriert das ganze Dilemma der deutsch-chinesischen Beziehungen: Die Volksrepublik ist wirtschaftlich zu bedeutend, als dass ernsthaft auf sie verzichtet werden kann. Gleichzeitig waren die vergangenen Jahre von großer Zurückhaltung gegenüber China geprägt, Deutschland sollte wirtschaftlich unabhängiger werden. Das belastete die Beziehungen.

Scholz' TikTok-Offensive fällt in eine Zeit, in der die Bundesregierung offenbar eine Chance und die Notwendigkeit sieht, die Beziehungen zur Volksrepublik zu verbessern. Mit einer großen Delegation ist der Kanzler seit Sonntag in China. Mit dabei: Top-Manager von BMW, Mercedes-Benz, Volkswagen und BASF. Außerdem unterstützen mit Cem Özdemir (Agrar, Grüne), Volker Wissing (Verkehr, FDP) und Steffi Lemke (Umwelt, Grüne) gleich drei Ministerinnen und Minister den Kanzler in Peking. Allein die Größe der Delegation ist ein Zeichen der Wertschätzung.

Die angeschlagene deutsche Wirtschaft ist auf gute Geschäfte mit China angewiesen und auch die Volksrepublik steckt seit der Corona-Pandemie in wirtschaftlichen Problemen. In der wirtschaftlichen Schwächephase Chinas könnte eine Chance liegen, den chinesischen Präsidenten Xi Jinping zumindest etwas aus seinem Bündnis mit dem russischen Kremlchef Wladimir Putin zu lösen. Diese Hoffnung scheinen Scholz und US-Präsident Joe Biden zu teilen, denn beide haben in den vergangenen Monaten ihren Dialog mit Xi intensiviert.

Doch mitten in Scholz' China-Besuch schlug der iranische Angriff auf Israel ein wie eine Bombe. Vor seinem Treffen mit Xi am Dienstag stehen nach der Attacke des Mullah-Regimes am Samstag nun die geopolitischen Konflikte im Fokus, in denen Deutschland und China völlig unterschiedliche Lesarten vertreten. Für Scholz wird es ein noch schwierigerer Balanceakt.

Deutsche Wirtschaftsinteressen im Fokus

Es war klar, dass es für den Kanzler in China auch um geopolitische Fragen gehen würde. Aber neben den Konflikten in der Ukraine, im Gazastreifen und dem Streit um die Inselrepublik Taiwan sollte eigentlich die wirtschaftliche Zusammenarbeit Hauptthema der Reise werden. Deshalb hat sich Scholz Zeit genommen. Drei Tage – so viel wie noch nie zuvor für ein einziges Land bei einer Reise während seiner Kanzlerschaft. Auch das ist durchaus ein Zeichen.

Die Bundesregierung sieht China als Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen. Ein Dreiklang, der durch das aktuelle Krisengewitter immer mehr auf die Probe gestellt wird. Doch einen großen Handlungsspielraum hat Deutschland im Umgang mit China eigentlich nicht.

Im vergangenen Sommer hatte die Ampelregierung eine China-Strategie beschlossen, die auf eine Verringerung der wirtschaftlichen Abhängigkeit von China abzielt, um ein böses Erwachen wie bei der Kappung der russischen Gaslieferungen nach dem Angriff auf die Ukraine zu vermeiden. So richtig zündet diese Strategie bei der deutschen Wirtschaft aber nicht. Die etwa 5.000 deutschen Unternehmen in China sorgen sich eher um unfaire Wettbewerbsbedingungen und die Exporteure um sinkende Absatzzahlen. Umgekehrt fluten billige chinesische Elektroautos den europäischen Markt. Mehr zu den Interessen deutscher Unternehmen in China lesen Sie hier.

Schon jetzt steht die deutsche Wirtschaft durch die Krisen unter Druck. Sollte Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl gewinnen, drohen erneut ein Handelskonflikt mit den USA. Gegen China wiederum hat die EU-Kommission bereits Ermittlungen wegen möglicher illegaler Subventionierung eingeleitet. Sollte diese in Gegenmaßnahmen münden, könnte auch dies einen Handelskrieg auslösen, befürchten vor allem die deutschen Autobauer. Und ein Handelskonflikt an zwei Fronten – so zumindest das schlimmste Szenario – wäre für die deutsche Exportwirtschaft fatal.

"Neuer Schwung" in deutsch-chinesischen Beziehungen?

Die gute Nachricht ist, dass auch China momentan großes Interesse an guten wirtschaftlichen Beziehungen hat. Das chinesische Wirtschaftswachstum geht zurück, der Schuldenberg des Landes ist hoch und die Volksrepublik hat unter anderem mit großen Problemen im Immobiliensektor zu kämpfen. Noch im März hatte die chinesische Führung für 2024 ein Wachstumsziel von fünf Prozent ausgegeben. Aber es ist fraglich, ob diese Ziele realistisch sind. So fielen die chinesischen Exporte im März um 7,5 Prozent schwächer aus als ein Jahr zuvor, wie die Zollbehörde mitteilte. Das weckt deutliche Zweifel an der Konjunkturerholung in China.

Deswegen versucht China aktuell, mögliche Wirtschaftskonflikte zu vermeiden – auch im Umgang mit Russland. So haben chinesische Banken ihre Finanzgeschäfte mit Russland aktuell entweder eingefroren und ganz beendet. Das hängt auch damit zusammen, dass die USA den Ländern, die die Sanktionen gegen Russland umgehen, mit dem Ausschluss vom Zahlungsverkehr in US-Dollar drohen. Mehr dazu lesen Sie hier.

Das zeigt in Summe, warum Scholz und Biden aktuell ein Momentum sehen, um mit Xi Jinping Gespräche zu intensivieren. Gegenüber Russland verfolgt China eigene sicherheitspolitische Interessen und Xi sieht sich in einem globalen Ringen mit den USA um eine neue multipolare Weltordnung. Deswegen wird Xi Putin zwar nicht fallen lassen, aber es gibt zumindest die Hoffnung im Westen, dass er auf Russland einwirken könnte, damit der Ukraine-Krieg ein Ende findet. "Es geht darum, dass China Russland nicht dabei unterstützt, gegen seinen Nachbarn Ukraine einen brutalen Krieg zu führen", sagte Scholz vor seiner Abreise.

Auch die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua, die als Sprachrohr der regierenden Kommunistischen Partei gilt, schrieb vor Scholz' Landung, die Erwartung an den Besuch sei, dass "neuer Schwung" in die Beziehungen der beiden Staaten komme. Aber ist das realistisch?

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Kanzler wird im Flugzeug über iranischen Angriff informiert

Wie sensibel die Beziehungen zu China angesichts der systemischen Rivalität sind, zeigt allerdings die jüngste Eskalation im Nahen Osten. Von ihr wurde der Kanzler kurz vor seinem Flug in die Volksrepublik eingeholt: Der Iran hatte in der Nacht auf Sonntag Israel mit Drohnen und Raketen beschossen. Ein Tabubruch, es droht eine Flächenbrand im Nahen Osten. Der Schock über diesen Angriff sitzt tief, die Angst vor einem Flächenbrand geht unter die Haut.

Die deutsche Delegation stand noch im Flugzeug in engem Kontakt mit den deutschen Sicherheitsbehörden, berichtete die dpa. Nach der Landung am Sonntag sprach Scholz mit seinen für Sicherheit zuständigen Kabinettsmitgliedern: Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Danach gab es eine Telefonschalte der G7-Gruppe zur Abstimmung der Reaktion auf den iranischen Luftangriff. Der Kanzler war erneut im Krisenmodus.

Aus der chinesischen Metropole Chongqing warnte Scholz vor "jeder weiteren Eskalation" und wandte sich damit – ohne es auszusprechen – auch gegen einen israelischen Vergeltungsschlag. "Man darf auf diesem Weg nicht weitermachen", meinte der Kanzler. "Wir werden alles dafür tun, dass es nicht zu einer weiteren Eskalation kommt."

Der iranische Angriff stellt die China-Reise des Kanzlers auf den Kopf. In Chongqing besuchte er am Sonntag zwar wie geplant eine Produktionsstätte für Wasserstoffantriebe der Firma Bosch. Auch Gespräche mit Studierenden über Stadtplanung und mit deutschen und chinesischen Forschern zum Thema Wasserqualität sowie ein Treffen mit dem regionalen Parteisekretär Yuan Jiajun fand statt. Gestrichen wurde allerdings eine Bootsfahrt auf dem Jangtse-Fluss und ein Stadtrundgang – also alles, was nach Tourismus aussieht.

Am Montag reiste Scholz weiter nach Shanghai, am Dienstag trifft er dann zu Gesprächen mit Xi Jinping in Peking ein. Dann wird es für politische Beobachter interessant.

Praxis-Test für die China-Strategie

China hat sich bisher zum Konflikt in Israel zurückhaltend geäußert. Die Volksrepublik möchte ihren Einfluss im Nahen und Mittleren Osten ausbauen und spekuliert darauf, dass sich die USA mit ihrer Unterstützung für Israel bei einigen muslimisch geprägten Ländern in Misskredit bringt. Deswegen kommen aus Peking dieser Tage lediglich Statements, die alle Seiten vor einer Eskalation warnen.

So gab es auch keine chinesische Kritik an dem iranischen Angriff auf Israel am Samstag. Man sei "zutiefst besorgt", hieß es von einer Sprecherin des chinesischen Außenministeriums. China rief alle Seiten auf, Ruhe zu bewahren, um eine weitere Zunahme der Spannungen zu vermeiden. China kann kaum deutlicher zeigen, dass es sich in diesem Konflikt nicht positionieren will – und das nicht ohne Grund.

Das iranische Regime arbeitet eng mit Xi Jinping und Putin zusammen. Gemeinsam kämpfen sie für eine multipolare Weltordnung und lehnen den Einfluss des Westens und der USA ab. China sicherte sich Einfluss auf den Iran, chinesische Unternehmen erhielten Aufträge, die Infrastruktur und zum Beispiel das Telekommunikationsnetz im Iran zu modernisieren. Und natürlich hofft die energiehungrige Volksrepublik auf günstige Rohstoffe aus dem Iran. Xi hat sich längst mit Putin und dem Mullah-Regime in ein Boot gesetzt und möchte damit ein Signal an andere Staaten senden: Ihr müsst keine Demokratien sein, damit wir gute wirtschaftliche Beziehungen haben.

Eben dort liegt das Dilemma für Olaf Scholz. Denn aus westlicher Perspektive ist es nur schwer ertragbar, dass China Putins Krieg in der Ukraine ermöglicht. Es ist ein Problem, dass es westliche Sanktionen gegen das Mullah-Regime unterminiert. Einerseits erwartet eine Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit vom Kanzler, dass er diese Konfliktpunkte anspricht und ebenso die Einhaltung von Menschenrechten in China thematisiert. Andererseits soll er die Aussichten für die deutsche Wirtschaft verbessern.

Scholz wird nicht mit Pandas kuscheln, wie es zuletzt Markus Söder (CSU) in China getan hat. Er wird auch nicht wie Baerbock bei ihrem Besuch im April 2023 auf Konfrontationskurs gehen. Der Kanzler sucht nach einem Mittelweg, aber der ist durch die Trümmer der gegenwärtigen Krisen nur schwer passierbar.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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