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Generaldebatte im Bundestag: Auftritt Friedrich Merz – und rumms!


Generaldebatte im Bundestag
Rumms


Aktualisiert am 24.03.2022Lesedauer: 6 Min.
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Debatte im Bundestag: Einen Importstopp für Energie aus Russland lehnte Bundeskanzler Olaf Scholz erneut ab. (Quelle: reuters)

Die Generaldebatte im Bundestag wird zu einer Generalabrechnung: Friedrich Merz attackiert Olaf Scholz. Der verteidigt sich wortreich – und sagt einen Satz, der bleiben dürfte.

Manchmal offenbart sich die Komplexität der großen Politik in einer kleinen Szene. Solch eine Szene gab es am Mittwochmorgen im Bundestag zu beobachten. Es ist 9.03 Uhr, als die Grünen-Politikerin und Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt die Sitzung zur Generaldebatte eröffnet. Diskutiert wird der Haushaltsplan der Ampelregierung.

Göring-Eckardt beugt sich also zu ihrem Mikrofon vor und sagt: "Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Und ich gebe das Wort dem Bundeskanzler …" Sie stockt, wartet, wird von einem Nebensitzer unterbrochen. Kurze Verwirrung. Dann setzt sie erneut an: "Nee, Entschuldigung! Ganz schlecht von mir. Ich gebe das Wort dem Kollegen Friedrich Merz für die CDU/CSU-Fraktion."

Ein Versprecher, das kann mal passieren. Doch er wirkt unfreiwillig passend: Die Union, die sich in diesen Tagen von der Ampelkoalition oft nicht ernst genommen fühlt, wird einfach vergessen. Die größte Oppositionsfraktion? War da was?

Der Ärger zwischen Union und Ampel entzündet sich dieser Tage schon hinter verschlossenen Türen. In den Ausschüssen des Bundestages und an vermeintlichen Kleinigkeiten. Viel braucht es inzwischen nicht mehr.

Und deshalb verwundert es nicht, dass es bei der Generaldebatte im Bundestag am Mittwoch zu einem offenen Schlagabtausch kommt. Einem Rededuell zwischen Angreifer Friedrich Merz, dem Oppositionschef, und Verteidiger Olaf Scholz, dem Bundeskanzler.

Die Generaldebatte gilt ohnehin als parlamentarischer Höhepunkt. Es geht schließlich um sehr, sehr viel Geld. Diesmal aber geht es noch um mehr: nämlich darum, die wütende Union bei der Stange zu halten. Denn ohne sie werden zentrale Projekte des Olaf Scholz scheitern: die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr etwa, oder die Impfpflicht.

Scholz braucht Merz. Doch der greift erst mal an.

Merz' Bedingungen

Die Regierung spreche "beschönigend von dem Ergänzungshaushalt", beginnt Friedrich Merz. Es ist die erste kleine Spitze. Denn eigentlich ist ihm die gesamte Finanzierung der Folgen des Ukraine-Kriegs zu unpräzise.

Und überhaupt: Das Sondervermögen für die Bundeswehr? 100 Milliarden Euro soll es umfassen, viele Schulden außerhalb des eigentlichen Haushalts. Dafür braucht es eine Grundgesetzänderung und für die braucht die Ampel wiederum die Stimmen von: Friedrich Merz und seiner Unionsfraktion.

Merz weiß das und er weiß es zu nutzen. Er stellt Bedingungen: Das Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben müsse Deutschland dauerhaft und aus dem regulären Haushalt erreichen. Die 100 Milliarden Euro seien für die Bundeswehr und "für nichts anderes". Das Beschaffungswesen der Bundeswehr solle reformiert werden, der Tilgungsplan für die Milliarden müsse stehen.

Und: Die Union will "dauerhaft mitentscheiden", was mit dem Geld finanziert wird. Sie will der Ampel keinen "Blankoscheck" ausstellen.

Strack-Zimmermann auf den Barrikaden

Besonders Letzteres ist eine Bedingung, die die Union zu einer Art Mitregierung in Verteidigungsfragen machen würde. Schon während Merz spricht, wird das Rumoren in den Reihen der Ampelfraktionen deshalb so laut, dass Merz von seinem Skript aufschaut und zum Gegenangriff ausholt: "Dass ausgerechnet von der FDP an dieser Stelle immer wieder Zwischenrufe kommen, ist erstaunlich – in keiner Zeit ist der Verteidigungsetat so gering angestiegen, wie als die FDP in der Regierung war!"

Das Rumoren verwandelt sich jetzt in einen Tumult. Besonders die Chefin des Verteidigungsausschusses, FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, gibt Merz Kontra. Irgendwann reißt sie sich ihre Maske runter, um noch lauter rufen zu können.

Merz zeigt sich unbeeindruckt: "Frau Strack-Zimmermann, wenn Sie das Sprachrohr der Zwischenrufe aus ihrer Fraktion werden, dann diskreditieren Sie sich selbst als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, der eigentlich die Aufgabe hat, dieses Problem zu lösen." Rumms.

Das Aus der Impfpflicht?

Merz sieht sich natürlich im Recht. "Sie wollen von uns die Zustimmung zu einer Grundgesetzänderung!", sagt er irgendwann. Und setzt nach: "Sie werden für jedes Gesetz eine eigenständige Mehrheit brauchen, die CDU/CSU-Fraktion ist nicht die Ersatzbank", das gelte "einschließlich der Impfpflicht". Wenn er das ernst meint, könnte die Impfpflicht schlicht an den fehlenden Mehrheiten im Bundestag scheitern.

Doch selbst das ist nicht die letzte Drohung des Friedrich Merz an diesem Tag. Wenn man sich überhaupt für die Grundgesetzänderung mit den 100 Milliarden Euro erwärmen könne, sagt Merz irgendwann, dann "füllen wir das in einer Weise auf, dass eine Zweidrittelmehrheit zustande kommt".

Was so viel heißt wie: Die Union würde bei einer Abstimmung nur so viele Stimmen zuliefern, wie der Ampel fehlen. Scholz bräuchte also die Zustimmung jedes einzelnen Ampelabgeordneten. Was schwierig werden dürfte.

Eine Antwort an Selenskyj mit sechs Tagen Verspätung

Doch Olaf Scholz wäre natürlich nicht Olaf Scholz, wenn er sich von so viel Attacke sichtlich beeindrucken lassen würde. Die Fragen, die Merz am Ende seiner Rede direkt an ihn richtet, ignoriert Scholz geflissentlich. So weit kommt das noch.

Und trotzdem besteht fast die Hälfte seiner 26 Minuten langen Rede aus Selbstverteidigung. Was dann doch recht deutlich zeigt, dass von der "Zeitenwende"-Euphorie inzwischen nicht mehr viel übrig ist. Und dass Scholz ganz offensichtlich weiß, dass er etwas nachzuholen hat. Nicht nur im Umgang mit der Union.

Das führt zu der absurden Situation, dass der Bundeskanzler gleich zu Beginn dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj antwortet. Allerdings auf eine Rede, die der schon vor sechs Tagen im Bundestag gehalten hat. Es war damals eine einzige Anklage gegen Deutschland, nach der das Parlament buchstäblich zur Tagesordnung übergegangen war. Selbst in den Ampelfraktionen schämten sich dafür anschließend viele ganz öffentlich.

Er habe die Rede noch sehr gut im Gedächtnis, sagt Scholz dazu nun. Der Präsident habe dargestellt, dass es schwer für die Ukraine sei ohne internationale Hilfe. "Und ich sage heute ganz klar: Die Ukraine kann sich auf unsere Hilfe verlassen." Nun ja.

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Minutenlang in der Defensive

Und so defensiv geht es dann über Minuten weiter. Er höre die Stimmen, sagt Scholz, die eine Flugverbotszone oder Nato-Friedenstruppen in der Ukraine forderten. Aber: "So schwer es fällt: Wir werden dem nicht nachgeben."

Gleiches Bild beim vielfach geforderten Energieembargo. Man werde die Abhängigkeit von Russland "so schnell wie das nur irgend geht" beenden, verspricht Scholz. "Das aber von einem Tag auf den anderen zu tun, hieße unser Land und ganz Europa in eine Rezession zu stürzen."

Auch hier ist die Botschaft: Wir hören die Stimmen, aber geht halt nicht. Leider, leider.

Irgendwann steigert sich die Defensive des Olaf Scholz so weit, dass der Bundeskanzler zum Bittsteller wird. Bei der Impfpflicht ist das, die er unbedingt will, für die er aber wegen der FDP keine Mehrheit in der Ampel hat. Und die ihn einmal mehr abhängig macht von: Friedrich Merz und seiner Union. "Ich bitte Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen", sagt Scholz, "lassen Sie uns diesen Schritt in den nächsten Wochen gemeinsam gehen." Ob Merz sich so leicht überzeugen lässt?

"Lieber Herr Merz"

Es ist schon mehr als die Hälfte der Rede vorüber, als Friedrich Merz dann doch noch Antworten auf seine Fragen bekommt. Zumindest so etwas in der Art. Er wolle auch allen danken, sagt Scholz, als es um die 100 Milliarden für die Bundeswehr geht, "die bereit sind, diesen Weg mitzugehen. Ganz ausdrücklich auch Ihrer Fraktion, lieber Herr Merz."

Über die Ausgestaltung werde man weiter miteinander reden, "im Sinne der Sache, im Sinne der Sicherheit dieses Landes". Da nickt der "liebe Herr Merz" freundlich.

Doch in der Sache bleibt Scholz maximal vage. Die 100 Milliarden sollen "unserer Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit" zugutekommen, das soll der "klare Zweck" sein. Und diese "Investitionen in Verteidigung und Sicherheit" sollen nicht zulasten anderer Projekte gehen. Ob das alles den Zivilschutz mit einschließt, dessen Stärkung die Grünen fordern? Und die Cybersicherheit, die wohl nicht im Verteidigungsministerium, sondern im Bundesinnenministerium angesiedelt werden müsste?

Unklar.

Das neue "Wir schaffen das"

Es gibt einen Satz in Scholz' Rede, der trotz all der defensiven Passagen noch länger in Erinnerung bleiben dürfte. An ihm wird Olaf Scholz in Zukunft nicht nur von der Opposition, sondern auch von vielen aus den Ampelfraktionen selbst gemessen werden. Denn auch dort hat mancher gerade den Eindruck, dass das mit den Flüchtlingen aus der Ukraine nicht sonderlich gut gemanagt wird.

Es sei "völlig unklar", wie viele hierzulande Schutz suchen werden, sagt Scholz. "Wir wissen nur, es werden viele werden." Schon das ist eine Ansage, die sich mancher früher gewünscht hätte.

Der Satz aber, der im Gedächtnis bleiben dürfte, ist ein anderer. Er erinnert an Angela Merkels "Wir schaffen das" und könnte genau wie damals schon bald von Freunden und Gegnern gleichermaßen zitiert werden. Auch von Friedrich Merz. Der Satz lautet: "Die Flüchtlinge sind hier bei uns willkommen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen
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