Mega-Zusammenschluss Bedroht der neue Autoriese die Macht der deutschen Konzerne?
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mitte Januar ist ein neuer Autoriese entstanden: Stellantis. Experten warnen: Die deutschen Autogrößen sollten den Mega-Konzern nicht unterschätzen.
In der Autobranche gibt es seit Kurzem ein neues Schwergewicht: Der transatlantische Konzern Stellantis führt 14 Automarken aus Europa und den USA zusammen, darunter bekannte Namen wie Opel, Peugeot, Citroën, Jeep, Maserati oder Alfa Romeo. Mitte Januar bestätigten die französische Peugeot-Mutter PSA und Fiat Chrysler (FCA), dass sie ihre Fusion zum weltweit viertgrößten Autokonzern nach langer Vorbereitung abgeschlossen haben.
Wie mächtig ist Stellantis jetzt? Und was heißt das für mich als Autofahrer? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen zum neuen Mega-Autokonzern.
Wieso entstand ein neuer Autokonzern?
Das hatte mehrere Gründe. "In erster Linie geht es um Größe", sagte Jürgen Pieper, Autoanalyst beim Bankhaus Metzler t-online. Statt bislang mit mehreren kleinen Marken und Unternehmen anzutreten, gibt es nun nur noch einen großen Konzern. "Stellantis spielt jetzt in der ersten Autoliga mit."
Auch Kosten spielten eine entscheidende Rolle. "Die Einkaufskonditionen sind nun besser, die Entwicklungskosten verteilen sich auf viel mehr Autos", so Pieper. "Für Fiat Chrysler bedeutet die Fusion vor allem, dass der Konzern den Technologierückstand aufholt."
- Aktueller Kurs: Wo steht die Stellantis-Aktie gerade?
Bedenken, dass die Fusion schiefgehen könnte – wie etwa bei der "Hochzeit im Himmel" zwischen Daimler und Chrysler in der Zeit von 1998 bis 2007 – sieht Pieper nicht. "PSA und FCA haben in etwa das gleiche Gewicht in dem neuen Konzern", so der Autoanalyst. "Außerdem wurde die Fusion sehr gut vorbereitet. Ich mache mir keine Sorgen, dass der Zusammenschluss nicht klappt."
Die erste Ankündigung für die Fusion hatte es bereits im Oktober 2019 gegeben, also Monate vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Zwar bescherte die Krise der Autobranche im vergangenen Jahr einen dramatischen Absatzeinbruch – PSA und FCA hielten jedoch an ihren Fusionsplänen fest.
Welche Marken führt Stellantis nun?
Der neue Autokonzern umfasst 14 Marken – fünf aus der PSA-Gruppe und neun aus dem FCA-Konzern. Im Folgenden finden Sie eine Übersicht:
PSA
- Peugeot
- Citroën
- DSA
- Opel
- Vauxhall
FCA
- Fiat
- Chrysler
- Abarth
- Jeep
- Maserati
- Lancia
- Alfa Romeo
- Dodge
- Ram
Welche Macht hat Stellantis?
Eine große. Stellantis macht in der internationalen Topliga den Branchenführern VW oder Toyota Konkurrenz, beschäftigt nun rund 400.000 Menschen.
"Mit Stellantis entsteht ein ganz großer globaler Wettbewerber, der hinsichtlich der Absatzzahlen ganz oben mitspielt", sagte Stefan Bratzel, Direktor des "Center of Automotive Management" (CAM), t-online. "Insbesondere in Europa hat es Volkswagen nun mit einem noch stärkeren Wettbewerber zu tun, der dem Konzern auch vom Marktanteil nahekommt."
- Aktueller Kurs: Wo steht die VW-Aktie gerade?
Vor der Corona-Krise setzten FCA und PSA zusammen mehr als acht Millionen Fahrzeuge ab und erzielten einen Jahresumsatz von knapp 170 Milliarden Euro. Nur noch Volkswagen, Toyota und der französisch-japanische Renault-Nissan-Verbund waren 2019 größer.
Muss VW also zittern? Analyst Pieper denkt das nicht. "Auf längere Sicht braucht VW keine Angst vor Stellantis zu haben", sagte er. "Der Weg an die Spitze ist für Stellantis noch weit."
Auf die leichte Schulter nehmen die Wolfsburger den neuen Megakonzern allerdings nicht. "Wir nehmen alle unsere Mitbewerber ernst, besonders natürlich einen Mitbewerber von der Größe von Stellantis", sagt ein VW-Sprecher t-online.
Diese Stärken und Schwächen hat Stellantis
Zuletzt äußerte sich auch der bekannte Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer zu Stellantis. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur, eine Stärke des neuen Konzern seien hohe Stückzahlen und Marktanteile in Europa und Nordamerika. Stellantis sei hingegen auf dem Zukunftsmarkt Asien schwach aufgestellt. Zudem gebe es Schwächen bei Elektrofahrzeugen.
Hier kann Konkurrent Volkswagen seine Vorteile ausspielen. In China sind die Wolfsburger Marktführer und auch die Transformation zur Elektromobilität hat sich der Konzern auf die Fahne geschrieben. "Aber kein Vorteil ohne Nachteil: VW hängt sehr an dem chinesischen Markt. Wenn dieser Probleme bekommt, hat VW einen großen Nachteil", sagte Bratzel.
"Wir sehen es als entscheidende Stärke an, in China erfolgreich vertreten zu sein. Kein Wettbewerber hat einen vergleichbaren Anteil am größten Automobilmarkt der Welt", so der VW-Sprecher. "Nicht zuletzt die Covid-19-Krise hat gezeigt, dass mehrere starke Standbeine in den wichtigsten globalen Märkten von entscheidendem Vorteil sind."
Wird sich für mich als Kunde etwas ändern?
Nein, zunächst einmal nicht. Die Marken der ehemaligen PSA- und FCA-Konzerne werden auch unter dem neuen Autokonzern beibehalten – zumindest vorerst.
Auf lange Sicht allerdings könnte es sein, dass einige Marken vom Markt verschwinden. "Nicht alle Marken werden die Fusion langfristig eigenständig überstehen", sagte Bratzel. "Da muss man aussortieren, manche ergeben keinen Sinn mehr."
Auch der Analyst Jürgen Pieper geht davon aus, dass einige Marken auf längere Sicht verschwinden. "Für Lancia und Dodge sehe ich keine Zukunft in dem neuen Konzern." Beide sind nur überwiegend auf einem einzigen Markt tätig – Lancia in Italien, Dodge in den USA. "Ich denke nicht, dass sich die Marken auf Dauer rentieren."
"Es muss einiges saniert werden"
Schon jetzt rechnen Experten damit, dass ein größerer Umbau des neuen Verbunds ansteht. "Es muss einiges saniert werden", sagte Experte Bratzel – und verweist auf den Chef des neuen Konzerns, Carlos Tavares, der sich schon als Vorstandsvorsitzender von PSA einen Namen als Sanierer gemacht hat.
In Deutschland ist der portugiesische Manager bereits bekannt: Tavares hatte Opel in den vergangenen Jahren mit harter Hand saniert, dabei blieben viele Jobs auf der Strecke. "Das wird er auch mit dem großen Konzern tun", so Bratzel.
Zuletzt hatte Tavares versichert, dass keine Werke geschlossen werden sollen. Die Heimatländer von Peugeot und Fiat, Frankreich und Italien, kündigten aber bereits an, sehr genau auf die Beschäftigung bei Stellantis zu achten.
Was bedeutet die Fusion für Opel?
Opel bleibt die einzige deutsche Marke im neuen Konzern. "Die Fusion bedeutet für Opel, dass der Wind schärfer weht, wenn es um neue Produktionsorte geht", sagte Branchenexperte Bratzel mit Blick auf die interne Konkurrenz, die nun die Fiat-Werke in Italien darstellen. "Es wird wesentlich darauf ankommen, ob man sich im Wettbewerb um neue Modelle weiter durchsetzen kann." Opel dürfe keine Nischenmarke werden, sonst drohe womöglich ein Abbau von Stellen.
Analyst Pieper ist optimistischer für die Zukunft der deutschen Marke. "Man muss klar sagen: Opel war unter GM nur noch ein Zombie." Bis 2017 gehörte Opel zum US-Autokonzern GM, PSA hat die Marke dann übernommen.
Carlos Tavares, damaliger PSA-Chef und jetziger Stellantis-Boss, fuhr bei Opel einen harten Sanierungskurs. "Opel ist dank PSA wieder lebensfähig – auch im neuen Konzern", sagte Pieper. "Opel wird im Stellantis-Konzern nicht untergehen."
Auch Bratzel sieht eine Option für Opel: den Marktausbau in China. "Deutsche Marken haben in China ein gutes Image, besser als französische oder italienische," sagte er. Vor der Fusion war allerdings weder PSA noch FCA auf dem chinesischen Markt wirklich präsent. Hier könnten große Chancen liegen.
Werden sich weitere Autofirmen zusammentun?
Mittelfristig ist das wahrscheinlich. Der Grund: Die Autoindustrie befindet sich in einem tiefen Wandel. Der Trend geht bereits seit Jahren weg vom Verbrennungsmotor hin zu anderen Antriebsarten wie Elektromobilität oder Wasserstofftechnologie.
Bratzel geht davon aus, dass sich in den nächsten Jahren weitere Unternehmen zusammenschließen werden. "Diese Entwicklung wird weitergehen", sagte er. "Insbesondere viele kleinere Hersteller werden sich in immer stärkere Abhängigkeiten begeben, um die großen Investments stemmen zu können."
Vor allem japanische Autohersteller sieht der Experte hier im Abhängigkeitsrisiko. Die deutschen Hersteller hätten dagegen noch einige Vorteile auf ihrer Seite. VW sei groß genug, um die Umwälzungen und Anforderungen des internationalen Automarkts auszuhalten, BMW und Daimler können als Premiumhersteller höhere Preise verlangen.
Experte: Schlechte Aussicht für BMW
Auch Analyst Pieper wagt eine Prognose, die für deutsche Autobauer allerdings schlecht aussieht. "In zehn Jahren wird es nur noch zwei deutsche Autobauer geben", sagte er. "BMW könnte sich mit Daimler oder VW zusammentun."
Auch japanische Autofirmen wie Subaru oder Mazda sieht er auf Dauer nicht mehr als eigenständige Firmen. "Und in Frankreich könnte sich Renault mit Peugeot zusammenschließen." Somit würde der Stellantis-Konzern noch weiter wachsen.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Stefan Bratzel
- Gespräch mit Jürgen Pieper
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa