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DGB-Chef Hoffmann: "Auch ein Elon Musk muss sich an deutsche Gesetze halten"


Gewerkschaftsboss Hoffmann
"Auch ein Elon Musk muss sich an deutsche Gesetze halten"

InterviewVon Nele Behrens

Aktualisiert am 31.08.2021Lesedauer: 5 Min.
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Tesla-Gründer Elon Musk bei einem Besuch der Gigafactory in Grünheide, Brandenburg (Archivbild): Gewerkschaftschef Reiner Hoffmann betont im Interview mit t-online die Relevanz von Betriebsräten, da könne auch Musk nichts machen.Vergrößern des Bildes
Tesla-Gründer Elon Musk bei einem Besuch der Gigafactory in Grünheide, Brandenburg (Archivbild): Gewerkschaftschef Reiner Hoffmann betont im Interview mit t-online die Relevanz von Betriebsräten, da könne auch Musk nichts machen. (Quelle: S. Gabsch/imago-images-bilder)

Sorgt der Staat durch seine Aufträge an Firmen indirekt dafür, dass Arbeitnehmer in Deutschland zu wenig verdienen? Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, sieht es genau so – und erklärt, was sich nach der Bundestagswahl ändern muss.

So sehr die Lokführer von der GDL dieser Tage die Muskeln spielen lassen: Die Macht der Gewerkschaften ist in Deutschland in den vergangenen Jahren kleiner geworden, die Zahl der Mitglieder im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ist seit Mitte der 1990er-Jahre drastisch gesunken.

DGB-Chef Reiner Hoffmann schrecken derlei Statistiken kaum. Im Interview mit t-online schaltet er in den Angriffsmodus, beklagt, dass der Staat durch seine Auftragsvergabe Mini-Löhne fördere – und erklärt, warum der DGB und die FDP manchmal gar nicht so weit auseinanderliegen, zumindest auf den ersten Blick.

t-online: Herr Hoffmann, in den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder beim DGB fast halbiert. Hat das System Gewerkschaft ausgedient?

Reiner Hoffmann: Überhaupt nicht. Gewerkschaften sind so notwendig wie vor 100 Jahren. Doch seit der Wende erlebt die deutsche Wirtschaft einen weitreichenden Strukturwandel, der auch dazu führt, dass wir Mitglieder verlieren.

Die Wende ist aber schon etwas länger her.

Die Verluste der vergangenen drei Jahrzehnte lassen sich an drei Entwicklungen festmachen: Dem demografischen Wandel, der zunehmenden Bedeutung der universitären gegenüber der dualen Ausbildung sowie dem Wandel hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Der Dienstleistungssektor besteht zu einem Großteil aus kleinen Betrieben wie etwa Kitas oder Pflegediensten. Dort Beschäftigte zu organisieren, ist deutlich schwieriger als in einem Zehntausend-Mann-Betrieb in der Industrie.

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Auch in großen Unternehmen sind Gewerkschaften nicht immer gern gesehen. Das prominenteste Beispiel ist Elon Musk, der bei seiner Tesla-Fabrik in Grünheide die Gewerkschaft verhindern will. Fühlen Sie sich bedroht?

Nein, auf keinen Fall. Auch ein Elon Musk muss sich an deutsche Gesetze halten. Am Ende entscheiden die Mitarbeiter, indem sie einen Betriebsrat gründen und in die IG Metall eintreten. So oder so hat selbst Elon Musk keine Möglichkeit, einen Betriebsrat zu verhindern – auch wenn sich das aktuell in Deutschland zum Volkssport zu entwickeln scheint.

Betriebsräte sind gesetzlich geschützt. Würde ein Behindern also nicht politisch unterbunden werden?

Die Politik bemüht sich darum. Die Bundesregierung hat etwa in den letzten Wochen ihrer Amtszeit die Betriebsräte gestärkt – auch wenn die Union die SPD da gebremst hat. Wer nun einen Betriebsrat gründen will, genießt jetzt zumindest schon in der Planungsphase einen verbesserten Kündigungsschutz. Bekommt der Chef also die Bestrebungen mit, kann er die Person nicht einfach feuern.

Und reicht das?

Nein. Es ist ein Anfang, aber die Politik muss noch vieles angehen, etwa die Tarifbindung stärken und einen höheren Mindestlohn einführen. Seit Jahrzehnten drücken sich immer mehr Unternehmen vor Tarifverträgen. Das verträgt sich nicht mit einer Sozialen Markwirtschaft. Öffentliche Aufträge sollten nur an Unternehmen mit Tarifbindung gehen. Es kann nicht sein, dass Steuergelder an Unternehmen fließen, die sich mit Dumpinglöhnen einen wirtschaftlichen Vorteil erschleichen. Der Staat darf nicht belohnen, dass solche Firmen mit öffentlichen Aufträgen Steuergelder kassieren, während die Arbeiter am Ende des Monats aufstocken müssen. Da subventioniert der Staat doppelt.

Das ist aber ein massiver Eingriff in den Markt.

Es ist ein notwendiger Eingriff. Aktuell gehen die öffentlichen Aufträge an den günstigsten Anbieter – das schließt Unternehmen, die nach Tarif zahlen, häufig aus. Stattdessen belohnt der Staat Dumpinglöhne. Das darf nicht sein, hier brauchen wir eine Reform. Dann gibt es auch mehr Anreize für Unternehmen, wieder nach Tarif zu bezahlen.

Aber bremsen Sie mit diesen Forderungen nicht den Fortschritt und die Wettbewerbsfähigkeit in unserem Land?

Das ist – ganz klar gesagt – Unsinn. Erstens funktionieren öffentliche Ausschreibungen in einigen EU-Ländern schon genau nach diesem Prinzip, etwa in Skandinavien. Zweitens brauchen wir für die Herausforderungen der Zukunft, sei es Digitalisierung oder Klimaschutz, starke Gewerkschaften, um diese Dinge auch zu vernünftigen Arbeitsbedingungen zu bekommen. Selbst Christian Lindner hat bei einem Treffen der Gewerkschaften und Politspitzen zuletzt ein Loblied auf die deutschen Gewerkschaften gesungen.

Reiner Hoffmann, Jahrgang 1955, ist seit 2014 Bundesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Der Sohn eines Maurers und einer Reinigungskraft machte zuerst eine kaufmännische Ausbildung, bevor er über ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung Wirtschaftswissenschaften studierte. Seit 1972 ist Hoffmann Mitglied in der SPD.

Kokettiert jetzt etwa die Gewerkschaft mit der FDP?

Christian Lindner und ich sind uns in den Überschriften oft sehr ähnlich. Im Kleingedruckten wird es dann ein Stück weit schwieriger. Und auf das Kleingedruckte müssen natürlich Wählerinnen und Wähler im Wahlkampf immer achten.

Bei welcher Partei gefällt Ihnen denn das Kleingedruckte am besten?

Am meisten Nähe sehe ich natürlich bei der SPD. Aber erfreulicherweise haben tatsächlich alle Parteien diese Themen im Fokus – mit Ausnahme der AfD. Selbst die CDU hat in ihrem Parteiprogramm erste Anhaltspunkte und zeigt: Auch sie möchte gute Arbeitsbedingungen in der digitalen Arbeitswelt. Nur beim Tiefgang hapert's dann in einigen Programmen. Klar ist: Egal, wer die neue Regierung stellt – sie hat nicht viel Zeit. Die neue Regierung muss in den ersten 100 Tagen liefern.

Viel Eingewöhnungszeit dürfte auch der neue Arbeitsminister oder -ministerin nicht haben: Die Corona-Krise hat die Arbeitswelt ganz schon durcheinandergerüttelt. War das Fluch oder Segen?

Die Digitalisierung hat einen Sprung in der Pandemie gemacht. Natürlich sollten Menschen, wenn möglich, einen Teil ihrer Arbeit auch von zu Hause erledigen dürfen, aber es braucht Rahmenbedingungen. Die Arbeitszeiten dürfen nicht ausarten, Homeoffice darf nicht zu Dauerstress und ständiger Erreichbarkeit führen. Außerdem muss das mobile Arbeiten immer freiwillig bleiben. Deswegen kann ich Arbeitgeber nur davor warnen, jetzt Büroflächen einzusparen.

Aber wie kann das konkret erreicht werden? Eine Pflicht, das Diensthandy ab 18 Uhr auszustellen, dürfte nicht reichen.

Wir erwarten von der neuen Bundesregierung ein Gesetzespaket für mobiles Arbeiten und Homeoffice. Dazu gehören ein Rechtsanspruch auf mobile Arbeit, angemessener Arbeitsschutz, eine ordentliche Ausstattung und weitere Schritte hin zu mehr Mitbestimmung. Stärkere Mitbestimmungsrechte spielen hier eine zentrale Rolle. Wir brauchen klare Spielregeln für eine moderne, digitale Arbeitswelt.

Nicht jeder hat und hatte die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten. Wen haben wir in der Krise vergessen?

Wir haben in der Pandemie erkannt, wie wichtig Pfleger, Beschäftigte im Einzelhandel oder Paketboten sind. Aber genau in diesen Branchen tricksen sich immer mehr Unternehmen aus den Tariflöhnen, etwa indem sie Subunternehmen ohne Tarifbindung gründen. Es darf für die Berufe nicht beim Applaus enden. Das heißt: Gute Löhne und weg mit sachgrundlosen Befristungen und dem Gender-Pay-Gap.

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Während die Eltern im Homeoffice arbeiteten, saßen viele Kinder auch im Homeschooling. Millionen von Schülerinnen und Schüler waren monatelang nicht in ihren Klassenzimmern. Was bedeutet das für die Wirtschaft?

Das dürfte fatale Folgen haben. Der Fachkräftemangel wird sich in den kommenden Jahren deutlich verschärfen. Das historische Tief bei neuen Auszubildenden in der Pandemie wird diese Entwicklung noch weiter verschärfen.

Aber Gleichungen kann man doch auch von zu Hause lösen. Warum sackt die Bildungsqualität so ab?

Die Pandemie hat den katastrophalen Zustand unser Schulen aufgezeigt. Selbst nach zwei Jahren ist die digitale Infrastruktur bei Schülern und Lehrern oft nicht vorhanden. Das ist fatal: Bildung ist der wichtigste Rohstoff in unserem Land. Wenn wir jetzt nicht mehr in Bildung investieren, wird dieses Land in den kommenden Jahrzehnten den Anschluss verlieren. Da hilft keine Schuldenbremse, wir müssen investieren.

Herr Hoffmann, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit DGB-Chef Hofmann
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