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Doctolib: So hat die Plattform 7 Millionen Impfungen vermittelt


Doctolib-Deutschlandchef
So hat er sieben Millionen Impfungen vermittelt


Aktualisiert am 06.02.2022Lesedauer: 7 Min.
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Die Doctolib-App auf dem Smartphone: Mit der Anwendung können Patienten sich einen Arzttermin buchen ohne in der Praxis anzurufen.Vergrößern des Bildes
Die Doctolib-App auf dem Smartphone: Mit der Anwendung können Patienten sich einen Arzttermin buchen ohne in der Praxis anzurufen. (Quelle: Hans Lucas/imago-images-bilder)

In der Pandemie vermittelte die Plattform Doctolib sieben Millionen Impftermine. Deutschlandchef Tsimpoulis erklärt, was er von der Impfkampagne hält und warum Telefonieren zu viel Zeit kostet.

Mit der Einführung der Corona-Impfung musste vor gut einem Jahr alles ganz schnell gehen, denn Millionen Deutsche wollte einen Termin vereinbaren. Die Stunde der Plattform Doctolib war gekommen, denn das Portal ermöglicht es, digital Arzttermine zu buchen – und das ganz ohne Anruf in der Praxis.

Deutschlandchef Ilias Tsimpoulis ist die Entlastung von Gesundheitsfachkräften dabei ein persönliches Anliegen: Er hat selbst früher als Arzt praktiziert und war von der anfallenden Bürokratie und den unnötigen Telefonaten genervt.

t-online hat mit ihm über seine Abneigung gegenüber ständigen Telefonaten, den Erfolg von Doctolib und Olaf Scholz' Impfkampagne gesprochen.

t-online: Wieso ist Telefonieren ein Problem?

Ilias Tsimpoulis: Die meisten machen sich kein Bild davon, was es heißt, wenn ständig neben einem das Telefon klingelt, nur damit einer fragt, ob er seinen Termin von 10 auf 10.30 Uhr verschieben kann. Das ist keine sinnstiftende Aufgabe in der Patientenversorgung. In der Pandemie wurde die Patientenkoordination noch wichtiger, da die Ärzte ihre Wartezimmer nicht voll besetzen konnten.

Netflix, Lieferando und Microsoft Teams: Digitale Produkte sind in der Corona-Pandemie beliebter als je zuvor. Wie sehr hat Doctolib von der Krise profitiert?

Ich finde es schwierig zu sagen, man profitiert von der Krise. Niemand von uns oder den anderen digitalen Anbietern hätte sich eine solche Krise gewünscht: gesundheitlich verheerend und weltwirtschaftlich nicht einfach. Aber für die Verbreitung von digitalen Gesundheitstools war diese Krise eine Chance und die Tools, die funktionieren, haben sich durchgesetzt. Nun stellt sich die Frage: Kommen diese Angebote auch nach der Pandemie noch gut an?

Wieso konnte sich Doctolib so gut in der Krise behaupten?

Zum einen wollten wir helfen und zum anderen passte unser Produkt sehr gut in die Situation. Unser Ziel war es schon immer, Arztpraxen zu entlasten und den Zugang zu medizinischen Angeboten zu erleichtern. Plötzlich gab es ein großes Bedürfnis, den richtigen Patienten zum richtigen Zeitpunkt zum richtigen Ort zu bringen – und das ohne ständiges Telefonieren.

Normale Arzttermine zu vereinbaren, ist das eine. Viele neue Kunden haben Sie aber durch die Vermittlung der Impftermine gewonnen. Wie lief das ab?

Noch bevor es Impfungen gab, waren wir bei der Koordinierung von Testterminen dabei. Da gab es ähnliche Probleme wie in den Wartezimmern der Praxen, dass Urlaubsrückkehrer und Menschen mit Symptomen dort nicht alle zusammen warten sollten. Auf diese Organisation haben wir uns dann konzentriert. Als dann die ersten Impfstoffe zugelassen wurden, haben wir uns schnell mit den Ländern in Verbindung gesetzt.

Mit allen 16?

Primär mit dem Berliner Senat, da wir unseren Firmensitz in der Hauptstadt haben. Dort wurden wir im Dezember 2020 offizieller Partner. Und dann haben wir angefangen zu planen, wie ein Impfzentrum funktionieren könnte und später auch die Haus- und Betriebsärzte mit aufgenommen. Mittlerweile arbeiten wir mit 40 großen Betrieben zusammen, um die Mitarbeiterimpfungen zu koordinieren. Das hat der Online-Terminbuchung einen riesigen Schub gegeben, etwas, wofür es zuvor noch wenig Verständnis gab.

Wie finanziert sich Doctolib?

Unser Ansatz ist, dass Patienten nicht für den Service zahlen sollen. Unser Angebot entlastet vor allem die Praxen: weniger Stress, aufgefüllte Terminkalender bei Absagen, Erinnerungs-SMS an die Patienten. Dafür zahlen die Ärzte in einer Art Abomodell, das monatlich kündbar ist. Wir hoffen natürlich, dass die Ärzte lange bei uns bleiben. Während der Pandemie haben wir auch ein paar Angebote zum Selbstkostenpreis zur Verfügung gestellt, um in der Situation auszuhelfen.

Kleine Wermutstropfen gab es aber dennoch. Leser berichten uns, dass sie keine freien Booster-Termine buchen konnten, da der betreffende Arzt angeblich keine neuen Patienten annahm. Nun liegt es aber nahe, dass die Menschen keinen neuen Hausarzt suchten, sondern lediglich einen Impftermin. Was ist schiefgelaufen?

Die Praxen, die Doctolib nutzen, haben jederzeit die Hoheit über ihre Behandlungskalender und können in den Einstellungen entscheiden, welche Termine für Kassen-, Privat-, Neu- oder Bestandspatientinnen und -patienten zugänglich sind. Viele Ärzte haben aufgrund der hohen Nachfrage keine Kapazitäten noch weitere Patienten in ihren regulären Praxisbetrieb aufzunehmen. Aus diesem Grund können beim Aufsetzen des Kalenders Blockierregeln eingestellt werden, die es dem Arzt ermöglichen, freie Zeitfenster nur für Bestandspatienten, nicht aber für Neupatienten, freizugeben. Für die Impfterminvergabe sollte das zwar unerheblich sein, das wird beim Einrichten der Kalender aber gelegentlich von den Ärzten übersehen.

Doctolib wurde 2013 in Frankreich von Stanislas Niox-Chateau gegründet. Das Technologieunternehmen bietet Software für Arztpraxen an, mit der Termine online gebucht und verwaltet werden können. Zudem können darüber telemedizinische Videosprechstunden stattfinden. In Deutschland ist das Unternehmen seit 2016 vertreten. Nach eigenen Angaben nutzen derzeit 60 Millionen Menschen die Anwendungen.

Vor wenigen Tagen hat Bundeskanzler Scholz die neue Impfkampagne vorgestellt. Für die Plakate in blassem Grün-Blau hagelte es Kritik. Lockt man so noch jemanden ins Impfzentrum?

Ich finde es schwierig auf einzelne zu zeigen und zu sagen "Das hätte man besser machen sollen". Insgesamt bin ich zuversichtlich. Das Verständnis für die Impfungen wächst, das liegt an der immer größeren wissenschaftlichen Basis und den erwiesenen Erfolgen. Das Ganze hat allerdings länger gedauert, als ich erwartet hatte.

Braucht es eine allgemeine Impfpflicht?

Ich will mich nicht vor der Frage drücken, aber es ist eine politische Frage, die man auf einer sehr sauberen wissenschaftlichen Basis treffen sollte. Und ich glaube, die wird richtig getroffen werden.

Noch einmal zu Ihnen persönlich: Wieso sind Sie in die Wirtschaft gewechselt?

Am Anfang war es die intellektuelle Neugier. Wenn man Medizin studiert, ist man sechs Jahre in seiner eigenen kleinen Welt. Wenn man dann in die reale Welt kommt und im Krankenhaus arbeitet, stellt man fest, dass es ein Betrieb ist und dahinter ein System steckt. Vorher hat mir niemand etwas von Digitalisierung erzählt oder davon, wie man administrative Aufgaben erleichtern kann. Termine wurden telefonisch gemacht. Da habe ich überlegt: Ist das die beste Möglichkeit, unsere Zeit zu nutzen? Aus dem System heraus konnte ich daran nichts ändern, daher habe ich die Seiten gewechselt.

Stichwort Telemedizin: In welchen Bereichen wird besonders häufig auf persönlichen Kontakt verzichtet? Beispielsweise bei Psychotherapien, Suchtberatung oder Hebammenkursen?

Traurigerweise zugenommen hat vor allem der Bereich der Psychotherapie – ich finde es aber auch toll, dass es hier digitale Angebote gibt. So können Betroffene innerhalb kürzester Zeit einen Ansprechpartner finden und auch die Therapeuten können so effizient arbeiten. Aber auch bei den Allgemeinmedizinern sind die Zahlen bei der Telemedizin gestiegen. In den Hausarztpraxen ergibt das besonders Sinn, weil die Ärzte ihre Patienten in der Regel kennen. Wenn es dann nur um eine kleine Frage oder eine Krankschreibung geht, können Wege vermieden werden. Die Kollegen haben zu Recht immer einen skeptischen Blick auf solche Tools, aber die Pandemie hat eine Gelegenheit zum Lernen geboten. Und das wird sich nun weiter etablieren.

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In Estland läuft alles über ein Onlineportal: Krankenkasse, Steuern, Schulnoten der Kinder. In Dänemark kann man auf dem Wochenmarkt mit Karte bezahlen. Aber in Deutschland entbrannte während Corona erneut eine Frage über Datensicherheit und Online-Tools. Können digitale Lösungen auf dem deutschen Markt erfolgreich sein?

Ja – dafür muss zunächst einmal die Skepsis der Menschen ernstgenommen werden. Die Menschen müssen verstehen, wie das jeweilige Programm funktioniert und müssen auch ganz sicher sein, dass ihre Daten sicher sind. Das hängt für mich wirklich an der Kommunikation. Man kann nicht sagen "Die Deutschen sind eben besonders skeptisch beim Datenschutz" und das als Ausrede nutzen. Wir sehen das beispielsweise in Frankreich, dort kommen weniger Fragen zum Datenschutz.

Was müssen digitale Angebote in Deutschland deshalb mitbringen?

Das heißt eigentlich nur, dass die Unternehmen ihre Tools erklären müssen – und zwar leicht erklären, sodass es jeder versteht. Aber das ist überall so, nicht nur in Deutschland. Ganz wichtig ist zum Beispiel, klar zu formulieren: Wir dürfen die Daten unserer Nutzer gar nicht verkaufen, es ist verboten und wir könnten deshalb im Gefängnis landen. Datenschutz muss einfach eingehalten werden. Nur, wenn man so klar formuliert, gewinnen die Menschen Vertrauen. Und dann muss es natürlich auch vom Gesetzgeber unterstützt werden.

Warum glauben Sie unterscheidet sich denn der deutsche Blick auf diese Fragen von dem in anderen Ländern, in denen Sie aktiv sind?

Vielleicht liegt es daran, dass das Thema in anderen Ländern schon viel etablierter ist. Ein gutes Beispiel ist auch Bargeld: Das haben die Franzosen nur, wenn sie nach Deutschland kommen. Vielleicht ist das Land in der Hinsicht fortgeschrittener, man hat sich mehr daran gewöhnt – aber vielleicht ist auch die Vertrauensbasis eine andere. Auch dort gibt es Datenschutz und einen besonderen Sicherheitsstatus und strenge Regeln. Ich mag diese Art an Deutschland: Hier werden viele Fragen gestellt. Man möchte verstehen. Aber ja, in Frankreich werden die Fragen deutlich weniger gestellt.

Viele Patienten sind allerdings ja schon älter: Können Sie auch die Altersgruppe ohne Smartphone oder Internet erreichen – und wenn ja, wie?

Selbstverständlich wollen wir auch diese Gruppe erreichen. Wir haben keinen Service ausschließlich für junge Menschen gemacht, sondern für die Bevölkerung insgesamt. Dazu müssen die Services so einfach wie möglich sein. Passend dazu habe ich auch eine kleine Anekdote aus einer neurologischen Praxis. Dort kam eine fast 90-jährige Patientin in die Praxis, die online einen Termin gebucht hatte. Die Neurologin fragte daraufhin "Ach, Sie haben online gebucht, hat Ihre Tochter das für Sie gemacht?", und die ältere Dame war ganz entsetzt und meinte mit dem Smartphone in der Hand "Das hab ich selber gemacht, das ist doch total einfach!" Also unser Durchschnittsalter ist deutlich höher, als man denkt. Aber natürlich wird es auch die geben, die kein Smartphone haben oder das System nicht bedienen können. Deshalb haben wir von Beginn an immer auch das Angebot gehabt, dass Services für andere Patienten mitgebucht werden können. Und: Wir werden nie alles digitalisieren und Telefone abschaffen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Tsimpoulis.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Ilias Tsimpoulis
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