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Ukraine-Krieg: Was passiert eigentlich, wenn Putin Nord Stream 1 stoppt?


Russische Drohung
Was passiert, wenn Putin Nord Stream 1 stoppt?


Aktualisiert am 10.03.2022Lesedauer: 4 Min.
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Gasempfangsstation von Nord Stream 1 in Lubmin: Nach Angaben der Betreibergesellschaft wurden 2021 59,2 Milliarden Kubikmeter Erdgas durch die Pipeline nach Europa exportiert.Vergrößern des Bildes
Gasempfangsstation von Nord Stream 1 in Lubmin: Nach Angaben der Betreibergesellschaft wurden 2021 59,2 Milliarden Kubikmeter Erdgas durch die Pipeline nach Europa exportiert. (Quelle: Stefan Sauer/dpa)

Das gab es bisher noch nie: Russland hat erstmals offen damit gedroht, kein Gas mehr durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland zu schicken. Wir erklären, welche Folgen das für die Energieversorgung hätte.

Sie ist nicht ganz so bekannt wie ihre Schwester Nord Stream 2, doch nun gerät auch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 in den Fokus. Angesichts der westlichen Sanktionen gegen Russland droht der Kreml erstmals damit, die Gaslieferungen nach Deutschland über diese Route einzustellen.

"Wir haben das volle Recht, eine 'spiegelgerechte' Entscheidung zu treffen und ein Embargo zu erlassen auf die Durchleitung des Gases durch die Pipeline Nord Stream 1, die heute maximal mit 100 Prozent ausgelastet ist", sagte der russische Vize-Regierungschef Alexander Nowak bereits am Montag.

Zwei Tage später legte Kremlsprecher Dmitri Peskow nach: Die "feindseligen Exzesse des Westens" ließen Russland intensiv darüber nachdenken, ob man die Rolle als zuverlässiger Öl- und Gaslieferant aufrechterhalten wolle.

Habeck: "Im Kreml regiert nicht mehr die Vernunft"

Nur leere Drohungen oder ein realistisches Szenario? Wirtschaftsminister Robert Habeck hält inzwischen nichts mehr für ausgeschlossen. Ein russisches Energie-Embargo sei zwar nicht vernünftig, sagte er, im Kreml regiere aber "offensichtlich nicht mehr die Vernunft".

Was würde es bedeuten, wenn Wladimir Putin beschließt, Deutschland das Gas über diese Pipeline abzudrehen? Die wichtigsten Antworten im Überblick.

Wie wichtig ist Nord Stream 1?

Die zumindest ein wenig beruhigende Nachricht vorweg: Nord Stream 1 ist nicht die einzige Pipeline, über die Deutschland sein Gas aus Russland bezieht – aber die wichtigste. Sie transportiert rund 40 Prozent der Gaslieferungen in die EU. Insgesamt ist Deutschland zu rund 55 Prozent von russischem Gas abhängig.

Nach Angaben der Betreibergesellschaft wurden 2021 59,2 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas durch Nord Stream 1 nach Europa exportiert. Zusätzlich gibt es die Transgas-Trasse durch die Ukraine, über die derzeit etwa 40 Milliarden Kubikmeter jährlich fließen, und die Jamal-Pipeline über Belarus und Polen, die etwa 33 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr liefert.

Wichtig dabei: Daten des europäischen Netzwerkverbands Entsog zufolge behält Deutschland jeweils nur gut die Hälfte der gelieferten Mengen. Der Rest fließt weiter Richtung West- und Südeuropa.

Nord Stream 1 war 2011 in Betrieb genommen worden. Die Pipeline verläuft vom russischen Wyborg bis nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern – ähnlich wie die Schwesterröhre Nord Stream 2, die die Bundesregierung aber wegen des Ukraine-Kriegs auf Eis gelegt hat.

Könnte man die Gasmengen aus Nord Stream 1 ersetzen?

Ja, theoretisch schon. "Rein mengenmäßig wäre es wohl möglich, fehlende Gaslieferungen über Nord Stream 1 vorübergehend zu kompensieren", sagt Malte Küper, Energieexperte am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW), t-online. "Auch über die Jamal-Pipeline oder die Ukraine-Leitungen könnte in diesem Fall vermutlich ein Teil der fehlenden Mengen umgeleitet werden." Ob das politisch gewollt sei, sei allerdings eine andere Frage.

Eine Alternative ist der Import von Flüssiggas (LNG) etwa aus den USA oder Katar. Auf dem Papier sind die Importkapazitäten der EU groß genug, um einen Lieferstopp via Nord Stream 1 aufzufangen", so Küper. "Das Problem ist aber, dass das Leitungssystem nicht dafür konzipiert wurde, um zum Beispiel von Häfen in Spanien große Mengen Flüssiggas nach Osten zu transportieren." Genau in Spanien befänden sich allerdings die meisten freien Kapazitäten, sodass die tatsächlich nutzbare LNG-Menge deutlich geringer ausfallen dürfte.

Deutschland bezieht sein LNG bisher über Terminals im belgischen Zeebrügge, im französischen Dünkirchen und aus den Niederlanden, weil es keine eigenen Terminals zur Schiffsabfertigung besitzt. Es kann Flüssiggas also nicht direkt importieren.

Müssen wir kommenden Winter frieren?

Keine nennenswerte Erhöhung ist dem IW-Experten zufolge bei Erdgas-Lieferungen aus Norwegen zu erwarten. Dort laufe die Produktion bereits bei voller Kapazität.

Forscher schätzen, dass Deutschland selbst bei einem Komplettausfall der russischen Gaslieferungen das bis zum nächsten Winter überbrücken könnte. Die Frage ist, wie es danach weitergeht?

"Entscheidend ist auch, zu welchem Zeitpunkt ein möglicher Lieferstopp durch Nord Stream 1 eintreten würde", sagt Küper. "Je länger jetzt das Gas noch fließt, desto stärker können wir unsere Speicher für den kommenden Winter füllen."

Die haben es allerdings auch nötig: Schon 2021 hatte Russland seine Macht demonstriert und weniger Gas geschickt als vereinbart (mehr dazu lesen Sie hier). Offenbar bereitete man sich damit schon auf den Krieg in der Ukraine vor.

Wichtiger Puffer: Die über ganz Deutschland verteilten unterirdischen Speicher gleichen vor allem im Winter Verbrauchsspitzen aus. An kalten Tagen werden bis zu 60 Prozent des Gasverbrauchs in Deutschland aus inländischen Speichern abgedeckt. Rund 23 Milliarden Kubikmeter Gas können dort gelagert werden. Das ist etwa ein Viertel der jährlich in Deutschland verbrauchten Erdgasmenge.

Was würde ein Lieferstopp für mein Portemonnaie bedeuten?

Nichts Gutes. "Ein Ausfall von Nord Stream 1 würde die Gaspreise weiter verteuern, zum Beispiel durch die deutlich höheren Preise für Flüssiggas im Vergleich zu russischem Pipeline-Gas", sagt IW-Experte Küper. Das würde wiederum den Druck auf die Industrie, die kurzfristig kaum Möglichkeiten hat, ihren Verbrauch zu reduzieren, erhöhen und schlimmstenfalls zu Produktionsausfällen führen.

Schon seit Monaten steigen die Preise für russisches Erdgas, der Angriff auf die Ukraine hat den Trend noch einmal verstärkt. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft spricht von einem "enormen Druck", der auf Gas- wie Strompreisen laste.

Gaskunden zahlen Hunderte Euro mehr pro Jahr

Viele Versorger geben diesen an die Kunden weiter. Nach einer Auswertung des Vergleichsportals Check24 haben seit dem vergangenen Sommer fast 1.400 Grundversorger die Gaspreise angehoben oder wollen das noch tun.

Haushalte zahlten im Schnitt 56,5 Prozent mehr. Bei einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden macht das ein Plus von durchschnittlich 864 Euro. In Deutschland hängt rund die Hälfte der Haushalte am Gasnetz.

Wie viel Gas kann man einsparen?

Nicht nur auf der Versorgungsseite kann man einem möglichen Gaslieferstopp begegnen – auch Sparmaßnahmen helfen. "Wenn wir die Heizungen in unseren Häusern um ein Grad kälter einstellen, können wir dadurch rund sechs Prozent unseres Energieverbrauchs einsparen", sagte Martin Pehnt, Fachbereichsleiter Energie am Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (Ifeu), in einem Pressegespräch des Science Media Centers.

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Auf diese Möglichkeit verwies zuvor schon der Chef der Internationalen Energie Agentur IEA, Fatih Birol. Anfang März hatte er anhand eines Zehn-Punkte-Plans vorgestellt, wie Europa innerhalb eines Jahres weitgehend unabhängig von russischem Gas werden könnte.

Neben Maßnahmen wie der Einführung von Mindestfüllständen für Gasspeicher, der Umrüstung auf Wärmepumpen und Investitionen in die energieeffiziente Sanierung von Häusern lautete Punkt Nummer neun der Liste: "Privatverbraucher sollten die Temperatur ihre Heizung um ein Grad senken. So könnten sie für Einsparungen von bis zu zehn Milliarden Kubikmetern Gas sorgen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit IW-Experte Malte Küper
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