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Biden und die US-Verbündeten: Die Trump-Krankheit riss tiefe Wunden


Biden und die US-Verbündeten
Die Trump-Krankheit riss tiefe Wunden

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 20.02.2021Lesedauer: 9 Min.
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"Amerika ist zurück": So stellt sich US-Präsident Joe Biden die Beziehungen zu Deutschland und Europa künftig vor. (Quelle: Reuters)

Nach dem Chaos der Trump-Jahre sind die internationalen Erwartungen an US-Präsident Biden groß. Besonders europäische Partner begegnen ihm mit Euphorie, doch einige Hoffnungen sind Luftschlösser.

Eigentlich sind Videokonferenzen in der Corona-Zeit oft der Tod jeglicher Euphorie. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz, die aufgrund der Pandemie auch digital stattfinden musste, kam es jedoch anders. Unter den Staats- und Regierungschefs war Aufbruchstimmung zu erkennen, Kanzlerin Angela Merkel sagte in ihrer nüchternen Art: Die Chancen für mehr Zusammenarbeit stünden besser als noch vor zwei Jahren. Der Grund für die allgemeine Hoffnung: Joe Biden ist US-Präsident, Donald Trump ist es nicht mehr.

Biden hielt bei der Veranstaltung eine außenpolitische Grundsatzrede, er warb für mehr internationale Zusammenarbeit und betonte die Wichtigkeit, demokratische Ideale zu verteidigen. Vor fünf Jahren hätte der Inhalt seiner Rede nicht für viel Aufsehen gesorgt, aber Trump war für das transatlantische Bündnis wie eine Krankheit. Jedes freundliche, konfliktfreie und kompromissbereite Wort von Biden wirkt bei den europäischen Partnern der USA nun wie eine wohltuende Salbe auf den Wunden der letzten vier Jahre.

Die Biden-Euphorie weckt allerdings auch Hoffnungen in eine neue US-Außenpolitik. Aber ebendiese Hoffnung ist ein Luftschloss, die Probleme der transatlantischen Beziehungen verschwanden nicht mit Trump. Denn die USA ziehen sich als globale Ordnungsmacht immer weiter zurück, weil es für diese Führungsrolle in der US-Gesellschaft kaum noch Akzeptanz gibt. Dieser Tatsache kann sich Biden nicht verschließen.

Die kriegsmüde Supermacht

Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Einerseits ist die US-Bevölkerung nach vielen Jahrzehnten der Konflikte kriegsmüde. Die USA wurden seit ihrer Staatsgründung nur zweimal auf eigenem Territorium angegriffen – durch Japan im Zweiten Weltkrieg und durch islamistische Terroristen am 11. September 2001. Für andere Kriege warben US-Regierungen oft mit Emotionen und großen Bedrohungsszenarien um Legitimation.

Im Kalten Krieg – in Korea und Vietnam – kämpften US-Soldaten gegen die kommunistische Bedrohung, im Irak ging es um Menschenrechte, aber auch um die Ölversorgung im eigenen Land. In den letzten 20 Jahren stand der Kampf gegen den internationalen Terrorismus im Fokus.

Kriege bedeuten immer auch eigene Todesopfer und Bomben kosten viel Geld. Da nahezu alle der aktuellen Kriegs- und Konfliktschauplätze für die US-Bevölkerung sehr weit entfernt sind, ist die Akzeptanz dafür, dass eigene Soldaten irgendwo in der Fremde sterben, in den letzten Jahrzehnten stets gesunken.

Zudem kämpfen die USA mit großen sozialen Verwerfungen. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander, das Land wurde hart von der Corona-Pandemie getroffen. Deswegen wünscht sich ein großer Teil der US-Bevölkerung eine Außenpolitik, die in erster Linie den eigenen wirtschaftlichen Wohlstand verteidigt und ausbaut.

Was wird Biden anders machen?

Diese Ausgangssituation muss man sich für Bidens Amtszeit vor Augen halten, um die Möglichkeiten abzuschätzen, die der künftige Präsident außenpolitisch hat. Denn seine Außenpolitik muss von einem großen Teil der US-Bevölkerung getragen werden, Bidens oberste Priorität ist der brüchige soziale Frieden in den USA.

Eine Übersicht über außenpolitische Themen zeigt, dass Bidens Möglichkeiten begrenzt sind:

1. Europa

Die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland waren unter Trump auf einem Tiefpunkt, auch mit Frankreich hatte die damals amtierende US-Regierung oft Streit. Trump sah viele europäische Staaten eher als Rivalen, nicht als Verbündete. Die EU sei schlimmer als China, meinte Trump einst und seine Politik wurde zur Belastungsprobe für die transatlantische Freundschaft.

Biden sagte vor der Wahl: "Das Erste, was ich tun muss – und ich scherze nicht: Wenn ich gewählt werde, muss ich mit den Staatschefs telefonieren und sagen, dass Amerika zurück ist, sie können auf uns zählen." Nun als Präsident wiederholte er diese Worte oft.

Das ändert sich unter Biden: Unter ihm kehren die USA an viele Verhandlungstische zurück, Europa wird wieder der wichtigste Partner der USA werden. Der Ton ist außerdem ein deutlich anderer geworden, allein das macht europäischen Politikern Hoffnung. Biden bekennt sich zum transatlantischen Bündnis und will im Gegensatz zu Trump auch Deutschland besuchen. Es war ein wichtiges Signal, dass Biden als erster US-Präsident auf der Sicherheitskonferenz sprach. Dort betonte er den hohen Wert der internationalen Zusammenarbeit und die Wichtigkeit des gemeinsamen Kampfes gegen Corona und gegen die Feinde der Demokratie. Trump hatte kein Interesse an Einigkeit in Europa – im Gegensatz zu Biden.

Außerdem ist der Abzug von US-Soldaten aus Deutschland vom Tisch. Er werde das stoppen, bekräftigte der Präsident am Freitag.

Das bleibt: Biden wird auf mehr Gerechtigkeit im Außenhandel pochen und er wird versuchen, die Ostseepipeline "Nord Stream 2" zwischen Deutschland und Russland zu verhindern.

2. Die Nato

Für die Nato waren die Trump-Jahre eine Schreckenszeit. Er sah in der Nato nie einen Nutzen für die USA, nannte sie sogar "obsolet". Aber damit nicht genug: Trump hegte Zweifel an der Einsatzbereitschaft des Militärbündnisses und drohte sogar mit dem Austritt der USA.

Das ändert sich unter Biden: Der künftige US-Präsident gilt als überzeugter Transatlantiker, mit ihm dürften die Existenzsorgen der Nato vorerst vorüber sein. Die USA werden wieder mehr um den inneren Frieden in der Militärallianz bemüht sein – zum Beispiel im Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei.

Das bleibt: Auch Biden wird darauf drängen, dass die Nato-Mitgliedsstaaten ihr verabredetes Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben einhalten. Das machte Biden auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz noch einmal deutlich. Mittelfristig möchten die USA vermehrt sicherheitspolitische Verantwortung abgeben und auch der Abzug der US-Streitkräfte aus Afghanistan wird offenbar nicht rückgängig gemacht.

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3. Welthandel

Unter Trump verhängten die USA Strafzölle gegen die Europäische Union und gegen China. Die reagierten wiederum mit Strafzöllen gegen die USA.

Das ändert sich unter Biden: Es ist unwahrscheinlich, dass sich diese Konflikte nach dem Machtwechsel im Weißen Haus schnell lösen lassen. Biden könnte eine Reformierung der Welthandelsorganisation (WTO) initiieren, aber dafür müssten die USA zunächst die Streitigkeiten mit der EU und mit China beilegen.

Das bleibt: Auch Biden möchte, dass mehr Waren in den USA produziert werden und dass Amerikaner mehr US-Waren konsumieren. Deshalb werden die Zölle wahrscheinlich zunächst bestehen bleiben. "Als Präsident werde ich erst dann neue Handelsabkommen schließen, wenn wir in die amerikanischen Bürger investiert und sie für den Erfolg in der Weltwirtschaft gerüstet haben", versprach Biden im Wahlkampf.

4. Klimapolitik

Die Klimakrise ist ein globales Problem, das Trump verharmloste. Er trat aus dem Pariser Klimaabkommen aus, sprach von "sauberer Kohle" oder bezeichnete die Erderwärmung als "normales Wetter".

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Das ändert sich unter Biden: In der Klimapolitik werden sich mit die größten Unterschiede zwischen Trumps und Bidens Politik zeigen. Der künftige US-Präsident ist sich der Dringlichkeit des Problems bewusst und die USA sind wieder dem Pariser Klimaabkommen beigetreten, wie Biden auf der Sicherheitskonferenz verkündete. Ein Schwerpunkt seiner Amtszeit wird sein, die Wirtschaft klimafreundlicher zu machen. Damit werden die USA von einem Leugner zu einem Verbündeten gegen die Krise.

Das bleibt: Viele Menschen in den USA fürchten die wirtschaftlichen Konsequenzen einer klimafreundlicheren Politik. Biden steht vor der Aufgabe, eine soziale Klimapolitik zu gestalten, die vor allem auch die Arbeiterschicht nicht vergisst.

5. Internationale Konflikte

Das internationale Konfliktmanagement der USA in den letzten vier Jahren folgte ebenfalls der Ideologie "America First". Die US-Regierung hat sich meist nur dann in Konflikte eingemischt, wenn diese US-Interessen tangierten. Trump traf sich zwar mit Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un oder leistete sich ein Säbelrasseln mit dem Iran, aber damit wollte er sich vor allem innenpolitisch als "Deal Maker" und starker Anführer verkaufen. Beim Konflikt mit Russland ließ er den US-Kongress Stärke demonstrieren, ohne selbst Putin zu sehr zu provozieren. Der Rivalität mit China konnte Trump nicht ausweichen, er lieferte sich oft vor allem verbale Wortgefechte mit der Volksrepublik und der EU. Außenpolitisch tat Trump das Nötigste, aber er war meistens plan- und kurslos – das machte ihn unberechenbar.

Das ändert sich unter Biden: Unter der US-Regierung von Biden fahren die USA wieder einen klareren Kurs, das macht sie für Verbündete und Gegner besser einschätzbar. "Amerika ist zurück", sagte Biden auf der Sicherheitskonferenz. Seine Rede macht auch klar: Er wird härter gegenüber Russland auftreten als Trump. Durch die nachgewiesene russische Einmischung in die US-Wahlen 2016 hat er dafür in den USA eine große parteiübergreifende Mehrheit. Trotzdem will der Demokrat das letzte große Abrüstungsabkommen mit Russland erhalten: den New-Start-Vertrag, der ohne Einigung mit Moskau nächstes Jahr ausläuft.

Aber besonders der Konflikt mit China wird sich verschärfen, davon geht auch Biden aus. Peking will die USA mittelfristig als Weltmacht überholen, deshalb wird die Volksrepublik die Interventionsbereitschaft der Vereinigten Staaten testen – zum Beispiel im ostchinesischen Meer. Freundschaften mit Autokraten – ohne politischen Ertrag, wie die Treffen zwischen Trump und Kim – wird es dagegen vermutlich nicht mehr geben.

Das bleibt: Auch Biden wird die USA – wenn nichts Außergewöhnliches passiert – nicht in neue Kriegsabenteuer führen und versuchen, möglichst viele US-Soldaten nach Hause zu holen. Für Afghanistan kündigte er die Fortsetzung des Kurses an. Mittelfristig wird auch die künftige US-Regierung versuchen, Verantwortung an enge Verbündete abzugeben, damit Russland und China nicht als Ordnungsmacht an Relevanz gewinnen.

6. Naher und Mittlerer Osten

Die Trump-Regierung folgte im Nahen und Mittleren Ost einer simplen Schwarz-Weiß-Logik. Gute Staaten: Israel, Saudi-Arabien und seine Verbündeten. Böse Staaten: der Iran und seine Verbündeten. Nicht von US-Interesse: Kurden und Palästinenser. Immerhin konnten unter US-Vermittlung die Beziehungen zum Sudan, zu den Vereinigten Arabischen Emiraten und von Bahrain zu Israel normalisiert werden. Das ist auch Trumps Erfolg, wobei noch unklar ist, was den Golfstaaten dafür als Gegenleistung geboten wurde.

Das ändert sich unter Biden: Im Prinzip kann Biden nicht viel von Trumps Nahostpolitik rückgängig machen. Er wird aber im Nahostkonflikt vermehrt auf eine Zweistaatenlösung setzen und gegebenenfalls Kritik an der Siedlungspolitik Israels üben. Immerhin machte Biden dem Iran nun ein Gesprächsangebot, auch wenn er – wie eigentlich von den EU-Partnern erhofft – nicht in den alten Deal zurückkehren wird, weil dieser in den Augen zu vieler Amerikaner die USA benachteiligt.

Das bleibt: Biden wird vor allem die Hoffnungen auf Unterstützung der Kurden und Palästinenser enttäuschen. Die neue US-Regierung wird die kurdische Autonomie in Nordsyrien nicht verteidigen und auch die US-Botschaft nicht aus Jerusalem zurückverlegen. Es bleibt bei der harten Linie gegen den Iran und bei den Waffendeals mit Saudi-Arabien, die sehr lukrativ für die US-Wirtschaft sind.

Die globale Ordnung vor dem Chaos

Die Auflistung zeigt, dass sich die US-Außenpolitik unter Biden zwar in Nuancen ändert, die USA aber in einigen Problemfeldern ihren groben Kurs beibehalten. Vor allem der Ton und der Umgang in den internationalen Beziehungen hat sich geändert, das ist bereits nach einem Monat von Biden im Weißen Haus deutlich geworden. Außerdem: Der US-Präsident wird die Führungsrolle der Vereinigten Staaten in der Welt noch offensiver einnehmen – nicht, weil die USA das unbedingt wollen, sondern weil es dazu derzeit keine Alternative für das westliche Bündnis gibt.

Die USA möchten den Weg nicht für China oder Russland frei machen, sondern Verantwortung mit den europäischen Verbündeten teilen. Die EU-Staaten haben sich lange darauf verlassen, dass die USA als Supermacht diese Führungsrolle langfristig einnehmen und für eine stabile globale Ordnung sorgen. Aber dazu werden die Vereinigten Staaten in Zukunft nicht mehr bereit sein. Das ist die Realität – auch unter Biden.

"Die USA entlasten"

Deshalb müssen viele europäische Gesellschaften jetzt für sich zentrale Fragen beantworten – es sind zwingende Fragen, die viele Länder die letzten zwei Jahrzehnte ignoriert haben: Möchten die EU-Staaten global mehr sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen – diplomatisch, entwicklungspolitisch und militärisch? Oder ist das nicht in ihrem Interesse und das Machtvakuum, das die USA hinterlassen, wird von anderen Regional- und Ordnungsmächten wie China, Russland oder auch der Türkei gefüllt?

Die Antworten auf diese Fragen werden für die Zukunft der globalen Ordnung entscheidend sein. Viel wird davon abhängen, ob europäische Staaten Biden unterstützen und einen Schritt auf die USA zugehen, wie beispielsweise der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel es fordert. "Dazu gehört, die USA bei Aufgaben in Europa und dem Nahen Osten zu entlasten", sagte der SPD-Politiker t-online. "Nur wenn Joe Biden seinen Bürgerinnen und Bürgern zeigen kann, dass die Partnerschaft mit Europa auch Vorteile für Amerika hat, wird er Erfolg haben. Das ist in unserem Interesse, denn sein Erfolg wird unser Erfolg sein."

Dafür muss das transatlantische Bündnis neu aufgestellt werden, besonders nach dem Scherbenhaufen, den Trump hinterlassen hat. Darin liegt die Hoffnung, die vor allem europäische Verbündete in die US-Regierung setzen. Es wird einen engen Dialog geben und Biden wird die USA nicht Hals über Kopf aus der Verantwortung ziehen, ohne an die Konsequenzen zu denken. Aber die Staaten, die nun die Hoffnung haben, dass sich die US-Außenpolitik unter Biden dahin zurückentwickelt, wo sie zur Jahrtausendwende war, werden wahrscheinlich enttäuscht. Die politischen Möglichkeiten des US-Präsidenten sind begrenzt – auch wenn er ein Hoffnungsträger ist. Vor allem die europäischen Verbündeten der USA müssen aufpassen, dass Hoffnungen nicht zu Luftschlössern werden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Biden-Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz
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