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Bricht hier der nächste Krieg aus?


Brodelnde Krisenherde
Bricht hier der nächste Krieg aus?

Von t-online, sje

Aktualisiert am 03.01.2023Lesedauer: 9 Min.
Militärübung der iranischen Armee zum Jahreswechsel: Die Proteste und die festgefahrenen Gespräche zum Atomdeal lassen Beobachter mit Sorge auf das Land blicken.Vergrößern des Bildes
Militärübung der iranischen Armee zum Jahreswechsel: Die Proteste und die festgefahrenen Gespräche zum Atomdeal lassen Beobachter mit Sorge auf das Land blicken. (Quelle: Anadolu Agency)

Der Krieg in der Ukraine bestimmte das vergangene Jahr – 2023 könnten weitere Konflikte zu Kriegen werden, warnen Experten. Viele stehen in Zusammenhang.

Das vergangene Jahr 2022 wurde politisch vor allem von einem Thema geprägt: dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar und dessen Folgen. Doch der Krieg in der Ukraine ist nicht der einzige, der 2023 zu einem weiteren Jahr der Konflikte machen könnte, warnt die Nicht-Regierungsorganisation International Crisis Group (ICG).

Die Experten des Brüsseler Think Tanks identifizieren zehn Konflikte, die das neue Jahr prägen könnten:

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Ukraine: Kein Ende des Kriegs in Sicht

Auf Platz eins landet – wenig überraschend – der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Nach wie vor ist kein Ende der Kämpfe in Sicht. Eine Einigung beider Seiten auf Friedensverhandlungen scheint bisher undenkbar.

Die westliche Unterstützung für die Ukraine ist derweil ungebrochen – auch wenn sich die Debatte um Panzerlieferungen in Deutschland im Kreis zu drehen scheint. Die Ukraine verweist immer wieder auf die Notwendigkeit westlicher Waffen, um die russischen Angriffe abzuwehren und die Invasionstruppen zurückzudrängen. Russland scheint unterdessen massive Material- und Personalprobleme zu haben – allerdings rechnen Experten mit einer weiteren Mobilisierungswelle.

Eine nukleare Eskalation zwischen der Nato und Russland scheint derweil unwahrscheinlich zu sein. Sowohl die westlichen Regierungen als auch die russische Führung hätten Schritte unternommen, um dies zu vermeiden, schreibt die ICG – aller Drohgebärden von Wladimir Putin zum Trotz. Dennoch könne die Möglichkeit nicht völlig ignoriert werden, "insbesondere wenn Putin spürt, dass seine Macht ins Wanken gerät". Durch den Krieg sei die Wahrscheinlichkeit einer nuklearen Konfrontation so hoch wie zuletzt vor 60 Jahren.

Armenien und Aserbaidschan: Angst vor Krieg zwischen Nachbarn

Der Krieg in der Ukraine hat die ganze Welt beeinflusst – besonders zu spüren sind die Folgen jedoch in Bergkarabach. "Aserbaidschan nutzt jetzt die Schwäche Russlands aus", sagte zuletzt auch Südkaukasus-Experte Stefan Meister zu t-online. Seit Jahrzehnten streiten Armenien und Aserbaidschan um die Region, die hauptsächlich von Armeniern bewohnt ist. Krieg gab es zuletzt 2020, ein Abkommen sieht vor, dass russische Truppen den Waffenstillstand überwachen sollen. Im vergangenen Jahr griff Aserbaidschan armenisches Kernland an, es gab 300 Tote.

Friedensgespräche führten bislang zu keinem Ergebnis. Aktuell blockiert Aserbaidschan den Latschin-Korridor, Bergkarabachs Verbindung zu Armenien und damit die Lebensader der Region. Lebensmittel und Medikamente werden knapp, die Menschen können weder ein- noch ausreisen. Nun herrscht bei den Karabach-Armeniern wieder die Angst vor Krieg. Denn der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev machte in der Vergangenheit bereits klar, dass er Anspruch auf armenische Gebiete bis hin zur Hauptstadt Eriwan erhebt. Es bestehe die Gefahr, dass "Aserbaidschan sich mit Gewalt nimmt, was es kann", warnt daher auch die ICG.

Iran: Gefahr eines Flächenbrandes durch Proteste

Der Iran wurde 2022 zum Krisenherd. Die junge Kurdin Mahsa Amini war festgenommen worden, weil sie sich nicht an die rigorosen Vorschriften zum Tragen des islamischen Kopftuchs gehalten haben soll. Kurz darauf starb sie in Gewahrsam der Sittenpolizei. Seitdem gibt es in dem Land massive Proteste gegen das Regime, welches brutal gegen Demonstrantinnen und Demonstranten vorgeht. Tausende wurden festgenommen, Hunderte getötet, mehrere Menschen hingerichtet.

Die Protestbewegung, angeführt von jungen Iranerinnen und Iranern, müsste nun die ältere Mittelklasse für sich gewinnen, schreibt die ICG. Dort würden viele mit den Protesten sympathisieren, sich aber vor der Gewalt des Regimes oder einem radikalen Umbruch im Land fürchten. Die Proteste müssten eine kritische Masse erreichen – denn bislang deute nichts auf ein Nachgeben des Regimes hin. Aber: "Auch ein hartes Durchgreifen kann die tiefe Wut der Gesellschaft nicht unterdrücken. (...) Das Regime kann die Uhr nicht zurückdrehen."

Zeitgleich baut Teheran sein Nukleararsenal aus. Gespräche, um den Atomdeal mit dem Iran wiederzubeleben, sind zum Erliegen gekommen. Dem Westen, insbesondere den USA, drohe die Entscheidung, die Existenz einer iranischen Atombombe zu riskieren – oder mit Gewalt einzugreifen, um dies zu verhindern.

Im Oktober 2023 läuft zudem jener Teil des Atomdeals aus, der es Ländern verbietet, bestimmte iranische Raketen und Drohnen zu importieren. Deutschland und anderen Ländern zufolge verstoßen die iranischen Drohnenlieferungen an Russland bereits gegen das Importverbot – es gelte daher als essentiell, die Beschränkung aufrecht zu erhalten. Die laut ICG einzige Möglichkeit dafür wäre ein Wiedereinsetzen der UN-Sanktionen gegen den Iran. Dies könnte wiederum einen iranischen Ausstieg aus dem Atomwaffensperrvertrag auslösen. Sowohl die USA als auch die neue rechts-religiöse Regierung in Israel könnten einen solchen Schritt als Angriffsgrund sehen. Dann drohe ein Flächenbrand, warnen die Experten.

Jemen: Vorbereitungen für eine Eskalation

Im Jemen droht der Krieg zwischen der international anerkannten Regierung und den Huthi-Rebellen wieder aufzuflammen. Die Rebellengruppe erhält in dem bereits seit acht Jahren andauernden Konflikt Unterstützung von Iran, die Regierungskräfte von den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien.

Anfang 2022 standen die Rebellen bereits kurz vor einem Sieg. Regierungstruppen konnten sie jedoch noch zurückdrängen – dann kam es auch aufgrund der Nahrungsmittel- und Treibstoffknappheit infolge des Ukraine-Krieges zu einer Pattsituation, die unter UN-Vermittlung im April einen Waffenstillstand ermöglichte. Im Oktober scheiterten Verhandlungen über eine Verlängerung der Feuerpause allerdings; die Spannungen nehmen seitdem wieder zu. Zwar gibt es bisher keine größeren Kämpfe, dennoch treffen beide Seiten bereits Vorbereitungen für eine Eskalation, berichtet die ICG.

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Die Situation könne sich in verschiedene Richtungen entwickeln: Eine neue Offensive der Huthis scheint ebenso denkbar wie eine Einigung mit Saudi-Arabien und der Regierung. Die Experten raten zu einem neuen Vermittlungsversuch der UN – es brauche die Möglichkeit für eine innerjemenitische Einigung mit allen Gruppen, damit der Frieden langfristig halte. Diese Option scheint jedoch als die unwahrscheinlichste – nicht zuletzt, weil der Iran als Verbündeter der Huthi-Rebellen "nicht in der Stimmung ist zu helfen", so die ICG.

Äthiopien: Wer überzeugt Eritrea vom Frieden?

Der Krieg im und um den Tigray in Äthiopien zählte zu einem der tödlichsten im vergangenen Jahr. Zwischen 385.000 und 600.000 Zivilisten sollen durch die Kämpfen und ihre Folgen gestorben sein.

Dabei stehen sich die Regierung um Premierminister Abiy Ahmed und die sogenannte Tigray-Volksbefreiungs-Front (TPLF) gegenüber. Im November kam ein Deal zwischen den Kontrahenten zustande, seitdem ruht der Konflikt. In der vergangenen Woche zogen Berichten zufolge auch Soldaten des Nachbarlands Eritrea ab, die aufseiten der äthiopischen Regierungstruppen gekämpft hatten – ein gutes Zeichen für den Frieden.

Doch die ICG warnt, es könne noch viel schiefgehen. Solange die Waffen nicht abgelegt werden, könne es jederzeit zu einer erneuten Eskalation kommen. Für den Friedensprozess müsste zudem Premier Abiy auf die Tigrayer zugehen – ob er seinen verbündeten Amtskollegen aus Eritrea davon überzeugen kann, scheint jedoch fraglich. Der dortige Regierungsführer Isayas Afewerki sieht die TPLF als Erzfeinde an.

Kongo: Dem Land droht ein Stellvertreterkrieg

In der Demokratischen Republik Kongo warnt die ICG vor einem Stellvertreterkrieg. Die Rebellengruppe M23 kontrolliert bereits jetzt mehrere Städte im Grenzgebiet und sorgt dort für Zerstörung und Vertreibung.

Die M23 waren 2013 von UN-Kräften zurückgedrängt worden, sind nun jedoch wieder präsent – laut ICG sowohl aufgrund von Spannungen zwischen den Staaten in der Region als auch infolge inländischer Konflikte zwischen der kongolesischen Regierung und unterschiedlichen Rebellengruppen. Der kongolesische Präsident Félix Tshisekedi habe sich dabei auch Unterstützung aus Uganda und Burundi geholt – was wiederum die Spannungen mit Ruanda verschärft habe.

Aus dem Kongo kommen nun Vorwürfe, Ruanda unterstütze die M23, auch um so an kongolesische Bodenschätze zu gelangen. Diese Behauptung wird von UN-Experten weitgehend belegt. Die Regierung Ruandas wiederum wirft der kongolesischen Armee vor, mit einer ruandischen Rebellengruppe zusammenzuarbeiten – auch dies bestätigt die UN grundlegend.

2023 wird im Kongo zudem gewählt. Eine Verschärfung der Rhetorik im Wahlkampf könnte neues Eskalationspotenzial bergen. Internationale Truppen, auch der UN, sind bereits im Kongo präsent. Zuletzt gab es im Dezember Gespräche zwischen den M23-Rebellen und den kongolesischen und ostafrikanischen Streitkräften. Eine Woche später gaben die M23 eine wichtige Stellung unweit der Grenze zu Ruanda auf.

Zentral für einen Frieden wäre eine Einigung mit Ruanda. Sollte dies scheitern, drohe aufgrund der vielen involvierten Staaten ein Flächenbrand in Ostafrika, so die ICG.

Sahel-Zone: Islamismus auf dem Vormarsch

In Burkina Faso, Mali und Niger sind weiterhin islamistische Strömungen auf dem Vormarsch, warnt die ICG. Im Norden Malis hat die Regierung de facto weitestgehend die Kontrolle verloren. Milizen mit Verbindungen zu Al-Qaida und dem "Islamischen Staat" bekämpfen sich gegenseitig ebenso wie einige nicht-islamistische Rebellengruppen. In Zentral-Mali stehen sich hingegen Milizen, Regierungstruppen und die russischen "Wagner"-Söldner gegenüber – die Situation scheint festgefahren zu sein. Frankreich hat seine Mission in dem Land beendet, auch Deutschland will langfristig die Bundeswehr abziehen. Damit wackelt auch die UN-Mission.

Burkina Faso wird zu 40 Prozent von islamistischen Gruppen kontrolliert. Auf ihrem Vormarsch wurden Tausende Menschen getötet, rund zwei Millionen Menschen mussten fliehen. Die durch Putsche geschwächte Regierung hat Probleme, ihre Sicherheitskräfte hinter sich zu vereinen. Der derzeitige Machthaber suche Freiwillige für den Kampf gegen die Dschihadisten, berichtet die ICG – es drohe ein Blutvergießen zwischen verschiedenen ethnischen Volksgruppen.

Und auch der Niger bereitet den Experten Sorge: Zwar hat die Regierung dort islamistische Gruppen besser unter Kontrolle, jedoch sind Milizen aus den Nachbarstaaten in das Land eingedrungen. Ein gescheiterter Putsch 2021 und die darauffolgenden Verhaftungen auch innerhalb des Militärs könnte zudem Ressentiments gegen die Regierung in der Armee geschürt haben, so die Befürchtung. Hier sind allerdings weiterhin französische Truppen präsent, Anfang dieses Jahres soll zudem eine EU-Mission starten.

Haiti: Schreckensherrschaft der Banden

2021 wurde der haitianische Präsident ermordet – seitdem dominieren politischer Stillstand und Bandengewalt das Land. Mehr als die Hälfte des Landes wird von Banden kontrolliert, Straßenblockaden und Vergewaltigungen selbst an Kindern prägen deren Schreckensherrschaft. Bei Kämpfen verfeindeter Gruppen kamen im Sommer in einer Woche mehr als 200 Menschen nahe der Hauptstadt Port-au-Prince ums Leben. Als ein großes Ölterminal von einer Bande beschlagnahmt wurde, kam es zu einem Treibstoffmangel und infolge auch zu einem Mangel an sauberem Trinkwasser.

Haiti befindet sich folglich in einer humanitären Katastrophe, 4,7 Millionen Menschen leiden Hunger. Öffentliche Infrastruktur ist zusammengebrochen, die Cholera breitet sich aus. Der Interimspräsident forderte Militärunterstützung aus dem Ausland an. Während Menschen in den betroffenen Gebieten dies unterstützen, sieht die Opposition darin eine Maßnahme zur Machtsicherung. Ohnehin gibt es nur wenige Staaten, die zu einer solchen Mission bereit wären. Die ICG glaubt jedoch: Ausländische Truppen "können Haitis beste Hoffnung sein".

Pakistan: Ex-Premier kämpft gegen die Regierung

Pakistan steht vor einem Jahr der Entscheidung: Im Oktober wird gewählt. Der Ex-Premierminister Imran Khan stellt sich gegen Regierung und Militär und setzt dabei auf populistische Unterstützung. Er war erst im Frühjahr 2022 wegen Korruptionsvorwürfen aus dem Amt zurückgetreten. Khan und seine Partei forderten daraufhin jedoch vorgezogene Neuwahlen und riefen zu Protesten auf. Als die Regierung sich weigerte, den Forderungen nachzukommen und die Wahlkommission den Ex-Premier im Oktober für fünf Jahre für alle politischen Ämter sperrte, eskalierten die Demonstrationen zunehmend.

Im November wurde Khan dann während eines Protests angeschossen – und beschuldigte prompt einen Minister der neuen Regierung und einen hochrangigen Offizier, sich zu seinem Mord verschworen zu haben. Und auch vor der anstehenden Wahl wittert Khan Verschwörung gegen ihn. Sollte er die Wahl verlieren, wird er das Ergebnis wohl ablehnen. Dann käme es auf die Reaktion des Militärs an, so die Experten der ICG – die Beziehungen zur Armee waren schon während Khans Amtszeit zerrüttet.

Dazu kommen die Folgen der verheerenden Fluten im vergangenen Jahr. Millionen Menschen sind noch immer auf humanitäre Hilfe angewiesen, die wirtschaftlichen Schänden reichen wohl weit in zweistellige Milliardenhöhe. Für finanzielle Unterstützung forderte der Internationale Währungsfonds jedoch Reformen, die viele Pakistanis schmerzen dürften. Führt die Regierung diese durch, riskiert sie wachsende Unterstützung für Khan – allerdings ist das Land auf das Geld angewiesen.

Und während alldem sind vor allem in der Grenzregion zu Afghanistan islamistische Milizen auf dem Vormarsch. Ende November hatten die pakistanischen Taliban eine Waffenruhe mit der Regierung für beendet erklärt. Sie reklamierten im Dezember mehrere Anschläge für sich, bei denen insgesamt neun Menschen starben.

Taiwan: Streitobjekt der Weltmächte

Um die Insel Taiwan streiten die Weltmächte China und USA. China beansprucht Taiwan als Teil der Volksrepublik. Die Insel hingegen sieht sich selbst als unabhängige Republik, die jedoch von den meisten Staaten, auch Deutschland, nicht als solche anerkannt wird. Die USA fordern eine friedliche Lösung, sicherten der taiwanesischen Führung jedoch zuletzt noch im September zu, im Fall eines chinesischen Angriffs zur Hilfe kommen zu wollen.

Die Spannungen mit China waren bereits mit dem Taiwan-Besuch der damaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, der Demokratin Nancy Pelosi, im Sommer 2022 gestiegen. Peking wertete ihre Reise als Provokation und reagierte mit Militärübungen rund um die Insel. In Washington wächst derweil die Sorge um das weitere Vorgehen Chinas und den Ausbau des Einflusses in der Region.

Die Experten der ICG glauben nicht an eine baldige Invasion chinesischer Truppen – auch deshalb, da die internationale Antwort auf Russlands Einmarsch in die Ukraine der chinesischen Führung die möglichen Konsequenzen eines solchen Schritts vor Augen geführt habe. Sollte Peking jedoch zu dem Schluss kommen, dass Washington und Taipeh die endgültige Abspaltung der Insel von der Volksrepublik vorantreiben, könne ein Krieg dennoch wahrscheinlicher werden, warnt die NGO.

Verwendete Quellen
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