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Ukraine-Krieg: Riskantes Schweigen von Olaf Scholz – viel Zeit bleibt ihm nicht


Zaudernder Kanzler
Viel Zeit bleibt ihm nicht mehr

  • Daniel Mützel
Von Daniel Mützel, Miriam Hollstein

Aktualisiert am 14.04.2022Lesedauer: 6 Min.
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Die Ukraine drängt Deutschland zur Lieferung schwerer Waffen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält sich bislang bedeckt.Vergrößern des Bildes
Die Ukraine drängt Deutschland zur Lieferung schwerer Waffen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält sich bislang bedeckt. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa-bilder)

Um Olaf Scholz wird es immer einsamer: Für seine zaudernde Haltung im Ukraine-Krieg greifen ihn seine Ampelpartner jetzt sogar öffentlich an. Reagiert der Kanzler, bevor er noch mehr Schaden nimmt?

Es sind harte Worte an die Adresse des Kanzlers: Olaf Scholz müsse jetzt Führung zeigen und "nicht nur den Mund spitzen, sondern auch pfeifen". Die rhetorische Attacke stammt nicht etwa von einem Oppositionspolitiker, sondern von Marie-Agnes Strack-Zimmermann, der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses und Mitglied des Koalitionspartners FDP, in einem Interview mit der "Welt".

Es dürfte bisher die heftigste Backpfeife aus der Ampel gegen Scholz sein. Strack-Zimmermann hat die Autorität des Kanzlers offen infrage gestellt, und das während einer Reise in die Ukraine, von der immer mehr erwarten, dass auch Scholz sie endlich angehe. Nach dem Motto: Wenn schon der Kanzler keine Initiative zeigt, mach’ ich es.

Der offenen Rebellion gegen das Kanzleramt haben sich auch Mitglieder des eigenen Kabinetts angeschlossen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) fordern bereits seit Tagen im Wechsel schwere Waffen für die Ukraine und untergraben dabei indirekt Scholz' Führung. Habeck erhöhte am Dienstag noch einmal den Druck auf den eigenen Chef. "Es nützt nichts, wenn wir sagen: In einem Dreivierteljahr kriegt ihr irgendwas. Jetzt muss das Zeug da runter. Und so handeln wir auch", sagte er am Dienstagabend auf ProSieben und Sat.1.

Opposition spricht von "unterlassener Hilfeleistung"

Die Opposition erhebt unterdessen schwere Vorwürfe: "Die russische Armee schlachtet die Ukrainer regelrecht ab", sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Whittaker zu t-online. Für ihn sei die Verweigerung von Scholz, schwere Waffen zu liefern, "wie unterlassene Hilfeleistung": "FDP und Grüne müssen sich fragen, wie lange sie das noch mittragen."

Vermutlich nicht mehr lange. Bereits Scholz' Erwiderung am Montag, man solle "keine Alleingänge" wagen, wirkte fast kleinlaut. Doch offiziell ist bislang noch kein Signal des Einlenkens und der Initiative aus dem Kanzleramt gekommen.

Kanzler-Reise nach Kiew wohl vorerst nicht

Stattdessen wirkt es immer mehr so, als habe der Kanzler seinen Laden nicht mehr unter Kontrolle. Das klägliche Scheitern der Impfpflicht und der Abgang von Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) nach vier Monaten taten ihr Übriges – beides kratzt an Scholz' Erzählung von der eigenen Führungsstärke.

Wie wenig an politischer Führung derzeit im Land zu spüren ist, zeigen zwei aktuelle Beispiele: die Forderung nach einer Kanzler-Reise nach Kiew und die Debatte um schweres deutsches Kriegsgerät für die Ukraine. Seit Wochen steht die Frage im Raum, ob der Bundeskanzler nicht anderen Regierungschefs folgen und nach Kiew reisen sollte, um den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu treffen. Im "rbb" legte sich Scholz nun am Mittwoch fest: Eine baldige Kiew-Reise werde es wohl nicht geben.

Schon zuvor hat das Kanzleramt dies stets abgelehnt. Statt Symbolpolitik setze man lieber auf konkrete Maßnahmen, heißt es. Zum Problem wird das aber, wenn diese "konkreten Maßnahmen" in der Praxis recht unkonkret bleiben.

So bietet der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall seit Tagen der Ukraine 100 ausgemusterte Marder-Panzer an. Doch bislang schweigt Scholz zu dem Vorschlag. Es bleibt Scholz' Geheimnis, warum er so lange wartet, bis der Druck im Kessel immer weiter steigt, bis seine Entscheidung als getrieben erscheint – aufgenötigt von allen anderen, die schneller waren.

Eine Reise nach Kiew muss mit Zusagen verbunden sein

Ob der von Selenskyj verhinderte Steinmeier-Besuch der Sargnagel für etwaige Kiew-Pläne des Kanzlers war, ist durchaus möglich. Der ukrainische Präsident hatte den Bundespräsidenten, der mit einer polnischen und baltischen Delegation am Mittwoch nach Kiew reisen wollte, kurz vor Abreise eine Absage erteilt. Im Regierungslager wird das als "unfreundlicher" Akt gewertet. Scholz zeigte sich "irritiert" über die Zurückweisung. Gut möglich, dass der Kanzler seinen Bundespräsidenten nicht düpieren wollte, indem er durch einen eigenen Trip nach Kiew nun dessen öffentliche Brüskierung im Nachhinein verzeiht.

Klar ist: Eine Reise des Kanzlers nach Kiew hätte ohnehin keinen Sinn ergeben, wenn er nichts im Gepäck hat, etwa neue Waffenlieferungen versprechen kann. Scholz kann sich also erst in die Regierungsmaschine nach Polen setzen (und von dort aus weiter nach Kiew fahren), wenn er eine andere, dringlichere Entscheidung getroffen hat: Sollen deutsche Panzer in der Ukraine gegen russische Truppen eingesetzt werden?

Scholz und die Panzer-Frage: "Ganz Europa wartet auf ihn"

Angesichts der dramatischen Lage in der Ukraine drängen Grüne und FDP immer stärker auf eine Zusage. Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses des Bundestags, Toni Hofreiter (Grüne), sagt t-online: "Ich erwarte von Olaf Scholz, dass er jetzt Führung zeigt." Die Ukraine brauche dringend schwere Waffen, um sich verteidigen zu können. Das gelte sowohl für sowjetische Altbestände in Osteuropa, die Deutschland ersetzen könnte, als auch für moderne Waffensysteme, für die das ukrainische Militär Zeit braucht, um sich damit vertraut zu machen.

Hofreiter war gemeinsam mit Strack-Zimmermann und dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), am Dienstagmorgen von Warschau ins ukrainische Lwiw gereist, hatten dort mit Abgeordneten gesprochen, ein Krankenhaus und eine zerstörte Ölraffinerie besucht. Hofreiter fühlt sich durch die Reise in seiner Position bestärkt. "Ganz Europa wartet auf Scholz. Deutschland verliert mit jedem Tag weiter an Ansehen in der Welt."

Doch bislang scheint sich der Kanzler zu winden. Warum das so ist, während doch in diesem Moment zwei Flugstunden östlich des Kanzleramts die russische Großoffensive im Donbass ansteht, hinterlässt beim Koalitionspartner immer mehr Fragezeichen. Fragt man bei Koalitionären nach, kommt häufig zurück: "Ich weiß es auch nicht. Ich kann nicht in den Kopf des Kanzlers schauen."

FDP und Grüne hätten zunächst versucht, intern auf Scholz einzuwirken, aber das hätte nicht gefruchtet. Daher sei man dazu übergegangen, Scholz öffentlich anzuprangern. Allerdings räumt ein Koalitionär ein: "Ich bin mir nicht sicher, ob öffentlicher Druck auf Scholz der richtige Weg ist, aber intern konnten wir auch nichts ausrichten."

Scholz hinkt mittlerweile auch Teilen der eigenen Partei hinterher

Laut der sicherheitspolitischen Sprecherin der Grünen, Sara Nanni, könnte das Zaudern des Kanzlers auch einen anderen Hintergrund haben. "Ich glaube nicht unbedingt, dass Scholz das Problem ist", so Nanni gegenüber t-online. Der Kanzler habe bislang bewiesen, dass er bei wichtigen Entscheidungen auf der richtigen Seite stehe, "wenn auch mit etwas Verspätung". Ein Hemmschuh seien vielmehr Teile der SPD-Fraktion, die noch glaubten, durch Verhandlungen statt durch Waffen Putin zur Raison bringen zu können. "Das Gegenteil stimmt: Frieden gibt es nur durch eine militärische Niederlage Russlands. Und dafür braucht die Ukraine schwere Waffen", so Nanni.

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Auch in der SPD wagen sich nun immer mehr hervor, die schweres Militärgerät für die Ukraine fordern: "Wir befürchten, dass es sehr bald zu einer schweren Offensive im Osten der Ukraine kommt. Putin braucht Erfolge, und zwar noch vor dem 9. Mai", sagt Ausschussvorsitzender Michael Roth. Er wirbt deshalb dafür, dass die Bundesregierung nun auch rasch den Weg für die Lieferung von schweren Waffen freimache. Roth ist überzeugt, dass es auch für die Auslieferung von Waffen, die mit einem längeren Training verbunden sind, mittelfristig "kreative Lösungen" gebe.

In der Ukraine sei der fälschliche Eindruck entstanden, "dass die Deutschen etwas kalt sind". Es sei wichtig, dem mit Worten und Taten entgegenzuwirken: "Ich bin überzeugt, dass gerade in diesen Zeiten nichts so wichtig ist wie das persönliche Gespräch." Roth berichtet von schrecklichen Momenten auf seiner Reise nach Lwiw: etwa von einem 21-jährigen ukrainischen Soldaten, den er bei seinem Besuch im Krankenhaus kennenlernte und dem eine Explosion einen Arm und ein Bein wegsprengte. "Diese Bilder vergisst man nicht."

Der Ostukraine droht eine "russische Feuerwalze"

Auch der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Wolfgang Hellmich, dringt auf eine schnelle Entscheidung: "Den ukrainischen Kräften droht im Osten des Landes eine russische Feuerwalze. Infanteristisch kann man da wenig gegen machen, die Ukraine braucht Panzer."

Dass Kanzler Scholz sich die Entscheidung gut überlege, sei zwar richtig, so Hellmich zu t-online. Doch der Kreml warte nicht auf "komplizierte Verfahren in anderen Staaten", Scholz müsse nun rasch handeln. "Ich erwarte das auch."

Mehrheit der Deutschen plädiert für Waffenlieferungen

Vorstellbar seien etwa Marder-Schützenpanzer, die die deutsche Rüstungsindustrie bereits angeboten hatte, instand zu setzen und der Ukraine zeitnah zu liefern, so Hellmich. "Die Ausbildung ukrainischer Kräfte dauert hier deutlich kürzer." Systeme wie der Schützenpanzer Puma oder der Kampfpanzer Leopard 1 seien komplexer, die Ausbildungszeit entsprechend länger. "Wir müssen liefern, was jetzt hilft, nicht erst in ein paar Monaten."

Wann Scholz dem Druck der Ampelpartner nachgibt und der Ukraine die begehrten Waffensysteme zusagt, ist laut Koalitionskreisen womöglich nur noch eine Sache von Tagen. Oder ist das nur eine Hoffnung?

Wie sehr der Kanzler damit mittlerweile sogar der Mehrheitsmeinung der Deutschen folgen würde, zeigt eine exklusive civey-Umfrage, die t-online vorliegt: Demnach sprechen sich 55 Prozent der Befragten für die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine aus. Nur ein gutes Drittel ist dagegen. Zu welcher Gruppe gehört Olaf Scholz?

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