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Tagesanbruch: Wie Europa Trump in die Knie zwingen kann, Merkels Kuh-Problem


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 19.07.2018Lesedauer: 7 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Donald TrumpVergrößern des Bildes
Donald Trump (Quelle: Joshua Roberts/Reuters-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

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Margrethe Vestager ist eine starke Frau. Die EU-Wettbewerbskommissarin aus Dänemark legt sich mit den mächtigsten Konzernen der Welt an, um für Ihre, meine und die Interessen aller anderen europäischen Verbraucher zu kämpfen. Diese Konzerne sitzen im kalifornischen Silicon Valley; manch einer hält sie schon für mächtiger als die Politiker im fernen Washington. Frau Vestager ist das offenbar egal. Sie hat den Mächtigsten der Mächtigen, Google, wegen dessen Geschäftsgebaren beim Smartphone-System Android, zu einer Strafe von mehr als vier Milliarden Euro verdonnert. Das tut sogar einer Firma weh, die Geld wie Stroh hat.

Apropos Stroh (im Kopf): Wenn Europa Donald Trump von seinen unsinnigen Strafzöllen gegen Unternehmen aus Deutschland, Frankreich und anderen Ländern abbringen will, sollte es sich vielleicht nicht weiter mit Gegenzöllen auf Erdnussbutter, Harley-Davidson-Feuerstühle und andere Kinkerlitzchen aufhalten, sondern die amerikanische Wirtschaft dort treffen, wo es sie wirklich schmerzt: in den Zentralen der Tech-Konzerne im Silicon Valley. Also gleich noch mal die doppelte und dreifache Summe hinterherdonnern. Das könnte den ganzen Handelskrieg-Irrsinn womöglich ruckzuck beenden.

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Feuer, Totenkopf, Hakenkreuz, ein Maskierter mit Pistole: Die Szenen aus dem Propagandavideo, über das meine Kollegen Dietmar Seher und Jonas Mueller-Töwe berichten, sind verstörend. Produziert hat es offenbar eine Gruppe militanter Neonazis, die sich "Atomwaffen Division" nennt. Sie propagiert den Rassenkrieg, beschwört einen "langen letzten Kampf in Trümmern" – und droht offen mit Mord: "Die Messer werden schon gewetzt." Mitten in Deutschland.

Seit Jahren beobachten Polizei und Verfassungsschutzämter ein Erstarken der rechtsextremen Szene. Da sind zum einen die aalglatten Funktionäre von Parteien wie der NPD, die ihren Hass gegen Ausländer und Andersdenkende gekonnt um die Strafrechtsparagrafen herumformulieren. Selbst wenn es mancher nicht gern hören mag: Auch auf dem rechten Flügel der AfD gibt es sie, die Rassisten und Hetzer. Und dann gibt es zum anderen die Kleingruppen von mal fester, mal loser organisierten Aktivisten, die den Hass zu Gewalt schmieden.

"Deutschland droht ein zweiter NSU", kommentierte mein Kollege Jonas Mueller-Töwe nach dem Urteil gegen Beate Zschäpe. Die nächste Terrorgeneration stehe möglicherweise schon bereit. Beunruhigend, wie recht er damit hatte.

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WAS STEHT AN?

Woran erkennt man, dass jemand auf verlorenem Posten steht? Wenn er sich einem Sturm an kritischen Fragen ausgesetzt sieht und diese selbst nach mehrmaligen Versuchen nicht schlüssig beantworten kann? Wenn das, was er sagt, nicht mehr zu dem passt, was alle sehen? Wenn seine eigenen Leute über ihn lästern? Wenn der Blick ins Leere geht, die Schultern hängen?

Vielleicht von allem ein bisschen. Es war ein denkwürdiger Auftritt, den Horst Seehofer da gestern absolviert hat. Der Innenminister erläuterte vor der Hauptstadtpresse den Beschluss der Bundesregierung, Tunesien, Algerien, Marokko und Georgien zu "sicheren Herkunftsstaaten" zu erklären, um leichter Flüchtlinge dorthin abschieben zu können. Obwohl zumindest in den Maghreb-Staaten Minderheiten, Oppositionelle und Homosexuelle nicht immer sicher vor Verfolgung sind. Aber das war noch der leichtere Teil der Befragung.

Andere Fragen bohren tiefer: Wie kann es sein, dass 69 Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben werden, der Minister sich ersichtlich darüber freut, sich dann einer dieser Flüchtlinge das Leben nimmt, und anschließend ein anderer wieder zurückgeholt werden soll? Was läuft da schief zwischen deutschem Sicherheitsapparat und deutschen Gerichten, und hat der Innenminister das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge überhaupt im Griff? Was ist wirklich vor der Abschiebung von Osama bin Ladens ehemaligem Leibwächter Sami A. geschehen?

Gelten in Deutschland Recht und Gesetz oder werden diese bei unliebsamen Personen im Zweifel kurzerhand gebrochen? Glaubt Seehofer tatsächlich immer noch, dass sein Handeln im Asylstreit mit der CDU klug und berechtigt war? Wie sehr muss ihn dann die neueste Umfrage schmerzen: Drei Monate vor der bayerischen Landtagswahl würden gerade mal noch 38 Prozent der Wähler der CSU ihre Stimme geben. Absolute Mehrheit ade. Was denkt der Katholik Seehofer, wenn er die Kritik von Kirchenoberen hört? Zum Beispiel vom Münchner Kardinal Marx, der der "Zeit" sagte: "Zu meinen, wir wandern am besten alle nach rechts, weil der Zeitgeist nach rechts wandert – das halte ich für eine falsche Einschätzung." Und: "Eine Partei, die sich für das C im Namen entschieden hat, geht eine Verpflichtung ein. Nationalist sein und katholisch sein, das geht nicht."

Was also denkt Horst Seehofer über die Kritik, die Fehler in Behörden, den Kurs der CSU und die Furcht vor der Landtagswahl? Um das herauszufinden, fragt man ihn am besten selbst. Mein Kollege Gregor Peter Schmitz, Chefredakteur der "Augsburger Allgemeinen Zeitung", hat dies getan: Heute Morgen veröffentlicht er in seinem Blatt ein großes Interview mit Seehofer. Ich habe es bereits gelesen und kann Ihnen schon mal so viel verraten: Seehofer mag angeschlagen sein, aber er kämpft. Für seine Überzeugungen, um seine Posten, um seine politische Zukunft. Ob man ihm glaubt, wenn er sagt, sein Verhältnis zu Angela Merkel sei "ganz normal", oder ob man das für Heuchelei hält, mag jede Leserin und jeder Leser selbst für sich entscheiden. Spannende Einblicke liefert das Gespräch in jedem Fall.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel wiederum begibt sich heute Nachmittag nach Nienborstel, das in Schleswig-Holstein liegt, wie Sie sicher wissen. Dort besucht die Kanzlerin einen Bauernhof mit 140 Kühen. Dessen Betreiberin heißt Ursula Trede, ist Landwirtin und hatte Merkel im vergangenen Jahr in einer Wahlkampfsendung im Fernsehen mit den Problemen der Milchviehbetriebe konfrontiert: "Warum lassen Sie unsere Betriebe sterben?" Sie lud Merkel ein, um ihr das Problem zu erklären. Und die Kanzlerin? War erst ein bisschen baff, notierte sich aber nach der Sendung die Adresse – und reist heute tatsächlich an. Chapeau! Oder eher: Haugachtung!, wie man dort oben sagt.

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Apropos Kühe: Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber immer, wenn ich im Zusammenhang mit dem Klimawandel von den schädlichen "Emissionen" der Kühe höre, nehme ich das nie zu hundert Prozent ernst. Ich tue das nicht wirklich bewusst. Ja, ja, ich weiß, dass die Methan-Bäuerchen der Widerkäuer ein echter Faktor sind. Aber im Vergleich zu Industrieanlagen, Auto- und Flugverkehr wirken sie doch immer ein bisschen komisch und absurd, nicht wahr?

Wie falsch das ist, unterstreicht jetzt eine neue Studie, in der die klimaschädlichen Emissionen der Fleisch- und Milchindustrie neu bewertet wurden. Die Ergebnisse sind ganz und gar nicht amüsant. Die zwanzig größten Produzenten blasen gemeinsam so viel Treibhausgase in die Atmosphäre, dass es den gesamten Ausstoß der Bundesrepublik übersteigt. Ja, das haben sie richtig gelesen. Hier die Kühe, dort der Industriestandort Deutschland, und die Kühe liegen vorn. Falls das nicht reicht: Allein die Top Fünf unter den Fleisch- und Milchgiganten verursachen zusammen einen größeren Schaden als Exxon-Mobil, oder als Shell, oder als BP. Genau, die Ölkonzerne.

Nun können wir zu Recht erwarten, dass eine Industrie, die dem Klima unseres Planeten derart zusetzt, sich um die Verringerung des Schadens bemüht oder mit Auflagen dazu gezwungen wird. Lassen Sie mich die tatsächliche Lage so zusammenfassen: Pustekuchen. Die Fleischindustrie setzt sich aggressive Produktionsziele, statt bisher 37 Kilo pro Kopf sollen wir – im weltweiten Durchschnitt – bald 48 Kilo Fleisch im Jahr verschlingen. Aber damit der Globus sich nicht um mehr als zwei Grad aufheizt, dürften es nicht mehr als 22 Kilo sein. Bindende Vorgaben der Politik? Bisher keine. Es wird also höchste Zeit. Die Kuh gehört dringend an die Leine. Die Kanzlerin kann heute ja gleich mal damit anfangen.

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Ach ja, und der Bundesgerichtshof entscheidet heute Vormittag darüber, wer für den Fall eines Auffahrunfalls in einer Waschstraße haftet: der Betreiber? Der Autobesitzer? Der Fahrer vor ihm, der vielleicht plötzlich auf die Bremse tritt? Ein Glück, dass das endlich mal geklärt wird.

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WAS LESEN?

Zu sagen, dass Donald Trump durch die Russland-Affäre unter Druck geraten ist, wäre eine Untertreibung. Sein Team soll im Wahlkampf Kontakt zu Russen unterhalten haben, die die Kampagne seiner Kontrahentin Hillary Clinton torpedierten. Einige Hinweise deuten sogar auf eine Komplizenschaft hin. Aber was ist wirklich von den Vorwürfen zu halten? Und welche politischen Folgen haben sie? Andreas Rüesch, Außenpolitikredakteur der "Neuen Zürcher Zeitung", zählt zu den besten Amerika-Erklärern, die ich kenne. Deshalb habe ich sofort aufgemerkt, als mir ein Kollege seinen Text empfahl: Trump und die Akte Russland.

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Wijtschate ist heute eine beschauliche Gemeinde in Belgien. Vor gut hundert Jahren war es ein Ort des Schreckens. Dort lag im Ersten Weltkrieg die "Höhe 80", ein Schauplatz erbitterter Kämpfe zwischen Deutschen einerseits sowie Franzosen und Briten andererseits. In einem bemerkenswerten Projekt erkunden nun Archäologen den Ort. Menschen aus aller Welt spendeten Geld, um die Ausgrabungen zu ermöglichen – und dürfen gleich selbst mitmachen. Keine einfache Arbeit allerdings. "Das erste Mal, wenn du menschliche Knochen findest, ist das ernüchternd", sagt ein freiwilliger Helfer. Unser Reporter Fabian Schweyher war dort.

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Selbst mit schläfrigen Augen: Wenn Sie sich heute Morgen im Badezimmer umgeschaut haben, dann haben sie sie sicher schnell entdeckt – die vielen Tiegel, Tuben und Fläschchen aus Plastik. Für Kosmetik- und Körperpflegeprodukte werden noch und nöcher Kunststoffe angefertigt und das ist hinterher, wenn all die Cremes, Pasten und Gels aus den Tuben gedrückt worden sind, ein großes Problem für die Umwelt. Auch in Ihrem Bad. Denn was übrig bleibt, bleibt unter Umständen noch Jahrzehnte lang übrig – in der Natur, in den Weltmeeren. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute folgt gleich hinterher: Sie können etwas dagegen tun. Dafür brauchen Sie nur diesen Text meiner Kollegin Claudia Hamburger zu lesen.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Gestern lobte ich im Tagesanbruch ARD, ZDF und Deutschlandfunk für ihre Informationssendungen – krittelte aber auch an manchem Vorabendfirlefanz herum. Ich scheine nicht der Einzige zu sein, der das so sieht. Beziehungsweise eben nicht sieht:

Ich wünsche Ihnen einen gut informierten Tag. Morgen kommt der Tagesanbruch noch mal von mir, danach drei Wochen lang von meinen Kollegen Rüdiger Schmitz-Normann und Jan Hollitzer.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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