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Ukraine | Ex-Diplomat: "Das einzige Szenario, das Putin stoppen könnte"


Früherer Spitzendiplomat
"Das ist das einzige Szenario, das Putin stoppen könnte"

  • Daniel Mützel
InterviewVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 16.03.2023Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Putin und sein Verteidigungsminister bei einer Militärübung (Archivbild): Nato-Generalsekretär Stoltenberg sieht derzeit kein Ende des Ukraine-Kriegs.Vergrößern des Bildes
Putin und sein Verteidigungsminister bei einer Militärübung. (Quelle: ALEXEY DANICHEV/Getty)

Schlittert der Ukraine-Krieg in eine blutige Abnutzungsschlacht? Der frühere Spitzendiplomat Ischinger fordert, dass der Westen schon jetzt über Verhandlungen nachdenkt.

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine wird immer brutaler: Seit Monaten versuchen Kremltruppen die ostukrainische Stadt Bachmut einzunehmen, doch die Ukraine leistet erbitterten Widerstand. Für April hat die Kiewer Regierung ihre eigene Offensive angekündigt, bei der erstmals auch deutsche Kampfpanzer eingesetzt werden sollen.

Wird sie Erfolg haben? Oder wird Putin weiter eskalieren? Der frühere Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, über Putins Kalkül, ein mögliches Kriegsende – und darüber, warum der Westen sich unangenehme Fragen stellen sollte.

t-online: Herr Ischinger, warum braucht die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags diplomatische Nachhilfe, wie Sie kürzlich auf Twitter meinten?

Wolfgang Ischinger: Der Vorschlag, den ich vor Kurzem im "Tagesspiegel" veröffentlicht habe, ist von einigen falsch oder gar nicht verstanden worden. Dazu zähle ich auch Frau Strack-Zimmermann.

In dem Text fordern Sie den Westen dazu auf, sich schon jetzt auf Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg vorzubereiten. Strack-Zimmermann warf Ihnen vor, das diene "ganz und gar nicht der Ukraine". Was hat sie falsch verstanden?

Natürlich soll die Ukraine nicht zu Verhandlungen gedrängt werden. Aber wir haben bisher keinerlei Verfahren, um uns gemeinsam auf mögliche diplomatische Optionen vorzubereiten. Ich weiß nach 40 Jahren Erfahrung – gerade auch mit Friedensverhandlungen –, wie intensiv man in Washington alle denkbaren außenpolitischen Szenarien durchspielt. Deshalb schlage ich eine Kontaktgruppe der Außenminister vor, ergänzend zu der Ramstein-Gruppe der Militärs.

Beide Kriegsparteien zeigen derzeit keine Verhandlungsbereitschaft. Was genau gibt es denn jetzt schon vorzubereiten?

Eine lange Liste von zum Teil komplexen Fragen!

Zum Beispiel?

Wer überwacht einen künftigen möglichen Waffenstillstand? Wir haben nach 2014 mit der Beobachtungsmission der OSZE ("Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa", Anm. d. Red.) keine perfekte Lösung gehabt. Gibt es eine bessere? Wäre ein robusteres Mandat der OSZE denkbar? Oder eine UN-Friedenstruppe?

Was noch sollte jetzt schon diskutiert werden?

Ein zweites Beispiel: Sicherheitsgarantien. Kann die Ukraine damit rechnen, in die Nato aufgenommen zu werden und wären wirklich sämtliche Mitglieder dafür? Man bedenke die aktuellen Schwierigkeiten, die die Türkei schon den Schweden bereitet. Falls nicht Nato, welche glaubwürdigen bilateralen oder multilateralen Garantien sind vorstellbar und seitens welcher Staaten?

Ihrem Vorschlag zufolge soll die Verhandlungsgruppe diplomatische Initiativen starten und schon jetzt Szenarien für ein Kriegsende durchspielen. Doch in der Kerngruppe der vier Staaten, der Quad, fehlt die Ukraine.

Nein, das ist so gar nicht richtig. Es gibt seit Jahrzehnten die Vierergruppe, die sogenannte transatlantische Quad, bestehend aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Das ist ein Instrument klassischer westlicher Abstimmung. Und da stimmt man sich natürlich fortlaufend mit der Ukraine ab. Was ich vorschlage, ist ein größerer Ramstein-artiger Kreis, wo interessierte Nato- und EU-Partner mitwirken können, um gemeinsam mit Kiew über diplomatische Optionen nachzudenken. Aber auch Länder wie Brasilien, Indien und sogar China könnte man vielleicht einbeziehen, falls sie Interesse zeigen.

Aber bei den Anfangsüberlegungen der westlichen Kerngruppe soll Kiew draußen bleiben?

Natürlich nicht. Der Prozess darf nicht an der Ukraine vorbeigehen. Wir wollen der Ukraine doch entschlossen helfen, aber eben nicht nur durch beschleunigte Waffenlieferungen, sondern auch durch gemeinsames Durchdenken möglicher künftiger außenpolitischer Schritte.

Wolfgang Ischinger (Archivbild): Der Ex-Diplomat warnt zusammen mit internationalen Politikern vor nuklearen Katastrophen.
Wolfgang Ischinger. (Quelle: Metodi Popow/imago-images-bilder)

Ex-Diplomat Wolfgang Ischinger

Wolfgang Ischinger war bis 2022 Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Zuvor war er Diplomat und nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Botschafter in den USA. Ischinger gehört zu den herausragenden deutschen Experten für internationale Politik.

Russland hat vor Wochen eine neue Offensive gestartet, die Ukraine will im April losschlagen. Kommt Ihr Vorstoß nicht zum falschen Zeitpunkt?

Nein, wir müssen jetzt schon vorausdenken, sonst stehen wir ohne Plan da, wenn es so weit ist. Die territorialen Fragen werden in der Tat militärisch vorentschieden. Deswegen macht es wenig Sinn, wenn wir uns darüber streiten, inwieweit wir die militärische Befreiung der Krim unterstützen sollten.

Worüber sollten wir uns stattdessen den Kopf zerbrechen?

Mal unterstellt, der Krieg endet, ohne dass die Ukraine die Krim zurückerobern kann. Ein Szenario, das manche Experten für wahrscheinlich halten. Was dann? Wie könnte die Frage offengehalten werden? Kann man die Krim vielleicht einer internationalen Verwaltung unterstellen? Oder das Beispiel Saarland: Das wurde von Frankreich im Zweiten Weltkrieg besetzt und erst nach Jahren per Referendum den Deutschen zurückgegeben.

Ein Krim-Referendum würde aber schon dadurch verfälscht, dass der Kreml in den letzten Jahren dort systematisch Russen angesiedelt hat. Kiew würde dem Saarland-Szenario kaum zustimmen.

Da haben Sie sicher recht. Präsident Selenskyj hat keinen Grund, das Ziel der Befreiung der Krim aufzugeben, und wir sollten ihm das auch gar nicht versuchen auszureden. Aber was, wenn das militärische Ziel nicht erreicht würde? Solche heiklen Fragen müssen sorgfältig durchdacht werden, natürlich nicht öffentlich.

Bemüht sich Kanzler Scholz genug um den Frieden?

Die Bundesregierung könnte in der Außenwahrnehmung deutlich mehr tun. Sahra Wagenknecht hat es geschafft, die Forderung nach Frieden zu kapern. Dabei zielen die westlichen Waffenlieferungen genau darauf ab, Frieden zu schaffen, indem sie die russische Aggression bekämpfen und dadurch hoffentlich zum Ende des Krieges führen. Aber wir sollten es den Wagenknechts und Schwarzers nicht zu leicht machen, indem wir nur über Waffen reden. Übrigens steht auch Joe Biden in den USA vor diesen Fragen, wo mächtige Republikaner mittlerweile die Ukraine-Hilfe infrage stellen.

Geht es bei Ihrem Vorschlag also auch um Symbolpolitik?

Wir hatten eine ähnliche Lage 1999 vor dem Kosovo-Krieg. Ich war damals Staatssekretär im Außenministerium. Als klar wurde, dass sich Deutschland an einem Angriffskrieg beteiligen wird, gingen die Grünen durch die Decke. Außenminister Fischer sagte damals zu uns: Kinder, wir brauchen einen Friedensplan, sonst werde ich als Kriegstreiber durch die Manege geführt. Also setzten wir uns hin und tüftelten den berühmten Sechs-Punkte-Plan aus. Fischer konnte damit seine Partei und die Öffentlichkeit beruhigen. 78 Tage später war Frieden.

Sie fordern eine politische Beruhigungspille?

Nein, aber ein Signal, dass wir uns auch Gedanken darüber machen, wie man irgendwann einen Friedensprozess und etwaige Verhandlungen gestalten könnte. Der Fischer-Plan kam übrigens auch erst zum Tragen, nachdem man von März bis Juni gegen Serbien militärisch interveniert hatte.

In Serbien hatte es die Nato aber auch nicht mit einem atomar hochgerüsteten Putin zu tun, der sich weder um die öffentliche Meinung noch die russische Elite scheren muss. Wie kann man ihn an einen Tisch zwingen?

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Es gibt nur einen Weg, Putin an den Verhandlungstisch zu bringen: Russland muss aus eigenen Zwängen heraus erkennen, dass der Krieg nicht gewonnen werden kann. Der erste Schritt dorthin ist, die Ukraine im Schnellmodus militärisch weiter auszurüsten. Wir müssen aufhören zu trödeln. Raus aus der bürokratischen Behäbigkeit, rein in ein staatlich koordiniertes Hochfahren der Rüstungsindustrie.

Vor einigen Monaten haben Sie eine deutsche Kriegswirtschaft gefordert.

Damit wollte ich provozieren. Macron hatte den Begriff schon im Sommer 2022 verwendet. Wir müssen endlich Nägel mit Köpfen machen. Jetzt muss mit Hochdruck alles geliefert werden, was die Ukraine braucht: Panzer, Munition, Ersatzteile.

Die vorerst letzte Großlieferung aus dem Westen, bevor verhandelt werden sollte?

Schön wär's.

Und dann?

Dann marschiert General Gerassimow hoffentlich irgendwann in diesem Jahr in den Kreml und sagt seinem Chef: Wir kommen militärisch nicht weiter. Besser jetzt verhandeln.

Wenn Putin seinem Generalstabschef aber sagt: 'Mach trotzdem weiter'?

Vielleicht sagt der General, wir könnten noch mal 200.000 Soldaten ausheben und weiteres Militärgerät aus Sowjetzeiten ausgraben, aber damit kommen wir auch nur ein paar Kilometer weiter als bisher. Auch ein russischer Präsident muss irgendwann Kosten und Nutzen eines Krieges abwägen.

Die Fortführung des Krieges muss für Putin kostspieliger werden als seine Beendigung. Aber fußt nicht Putins Siegstrategie auf der Überzeugung, dass er länger durchhält als der Westen?

Ich unterstelle Putin, dass er genau das denkt: Ich halte das noch lange aus, der Westen wird aber irgendwann einknicken. Daher ist auch richtig, die Ukraine so energisch auszustatten, dass ihre nächste Offensive erfolgreich wird. Nur so wird es möglich sein, dass zumindest in der russischen Militärführung der Gedanke reift: Wir können uns nicht total blamieren. Was dann passiert, vermag ich nicht zu sagen. Es ist das einzige realistische Szenario, das Putin stoppen könnte.

Und wenn das nicht eintritt?

Dann könnte ein längerer schmutziger Ermattungskrieg folgen. Man hört mehr oder weniger auf zu schießen, aber ohne politische Einigung. Die Lage bliebe brandgefährlich. Die Strategie der Ukraine wie auch des Westens muss deshalb darauf abzielen, den Krieg im ukrainischen Sinne möglichst rasch zu Ende zu bringen.

Olaf Scholz und Joe Biden betonen, sie wollen Kiew so lange unterstützen wie nötig. Ist das nicht die Logik des langen Krieges?

Das ist eine rhetorische Replik auf die Putinsche Strategie, der darauf setzt, dass er länger durchhält als der Westen. Biden und Scholz signalisieren ihm: Was du kannst, können wir auch, und noch länger. Ökonomisch betrachtet kann sich der Zwerg Russland ohnehin nicht mit den Riesen der westlichen Welt messen.

Propaganda und Gegenpropaganda?

Im Grunde schon, aber das Signal nach Moskau ist schon wichtig. Putin soll Zweifel bekommen, ob er wirklich den längeren Atem hat. Er täuscht sich nicht zum ersten Mal in diesem Krieg.

Was, wenn die ukrainische Frühjahrsoffensive trotzdem scheitert?

Ich will darüber nicht spekulieren. Wir könnten in einen jahrelangen Abnutzungskrieg schlittern.

Die Ukraine setzt derzeit alles daran, ihr Territorium zu befreien. Ist das Timing Ihres Vorschlags nicht problematisch?

Wir sollten das diplomatisch Wichtige vorbereiten, ohne das militärisch Notwendige zu vernachlässigen. Aktuell müssen wir die Ukraine bis an die Zähne bewaffnen, damit sie sich so viel Territorium wie möglich zurückholt. Der Westen muss Kiew zudem mit vielen Milliarden Wiederaufbauhilfe unterstützen. Das Land ist wirtschaftlich am Boden und benötigt jetzt schon fünf Milliarden Dollar pro Monat. Zudem bräuchte die Ukraine Sicherheitsgarantien von Nato-Staaten.

In Russland kursieren mittlerweile Karten, die nicht nur die Krim, sondern auch die vier annektierten ukrainischen Gebiete zu Russland zählen. Das ist eine groteske Unverschämtheit, aber es zeigt, wie Putin versucht, Fakten zu schaffen.

Sollte der Westen Druck auf Kiew aufbauen?

Nein, im Gegenteil! Das würde in Moskau sofort registriert und als Zeichen westlicher Schwäche gewertet. Mein Vorschlag einer Kontaktgruppe soll die Ukraine und den Westen stärken. Ich bekomme übrigens viel positives Feedback, auch aus dem Bundestag.

Außer von Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

Ich habe gar nichts gegen Frau Strack-Zimmermann, im Gegenteil. Sie denkt schnell, ist scharfzüngig und hat der SPD bei den Waffenlieferungen ordentlich Dampf gemacht.

Herr Ischinger, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Wolfgang Ischinger.
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