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Kampf gegen die Wirtschaftsflaute: Hätte Peter Altmaier nur gute Ideen!


Kampf gegen die Wirtschaftsflaute
Hätte Peter Altmaier nur gute Ideen!


Aktualisiert am 24.12.2019Lesedauer: 4 Min.
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Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU): Unsere Kolumnistin erwartete vom Wirtschaftsminister ein Umdenken: Altmaier müsse all seine Energie darauf verwenden, Fortschritte auf dem EU-Binnenmarkt zu erzielen.Vergrößern des Bildes
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU): Unsere Kolumnistin erwartete vom Wirtschaftsminister ein Umdenken: Altmaier müsse all seine Energie darauf verwenden, Fortschritte auf dem EU-Binnenmarkt zu erzielen. (Quelle: getty-images-bilder)

Der Bundeswirtschaftsminister will den krisengeplagten Unternehmen zu neuer Stärke verhelfen – mit dem falschen Rezept.

Wahrscheinlich gibt es in der ganzen Bundesregierung nur eine Person, die tatsächlich ahnt, wie schwierig die Lage der deutschen Industrie ist. Das ist Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Er hat erkannt, dass die Industrieunternehmen mehr Globalisierung brauchen, um sich bald aus der Krise befreien zu können. Leider aber macht die Globalisierung im Augenblick keine Fortschritte. Sie macht Pause, entwickelt sich sogar zurück. Peter Altmaier könnte helfen. Doch er tut es nicht – weil er die falsche Strategie im Kopf hat.

Dass die gesamte deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr nicht in die Rezession gefallen ist, hat mit dem privaten und dem Staats-Verbrauch zu tun. Weil die Konsumenten, die Bundes- und die Landesregierungen der wirtschaftlichen Schwächephase tapfer trotzten und einfach weiter einkauften, schloss das Jahr gesamtwirtschaftlich mit einem leichten Plus ab. Die Industrie dagegen steckt in einem tiefen Loch. Immer mehr Kurzarbeit und Personalabbau zeigen, dass das vermutlich noch eine Weile so bleiben wird – während der Rest der deutschen Wirtschaft gerade wieder auf Erholungskurs ist.

Kein Wirtschaftszweig hat so sehr von der immer intensiveren internationalen Arbeitsteilung profitiert wie die Industrie. Kein Wirtschaftszweig hat sich nach der Finanzkrise so schnell stabilisiert, und als Joblokomotive die gesamte Wirtschaft in den Aufschwung geführt. Und: kein Wirtschaftszweig hat so lange die Augen vor einschneidenden Strukturveränderungen zugemacht wie die Industrie.

Da ist zuerst die Globalisierung. Schon seit der Jahrtausendwende schwächelt der Welthandel, vor allem aber seit der Finanzkrise. Jahrelang war er schneller gewachsen als die Weltwirtschaft – seitdem geht es umgekehrt. Es brauchte gar keinen neuen US-Präsidenten dafür. Doch seit Donald Trump abwechselnd mit China, mit Europa oder Lateinamerika Handelskriege anzettelt, die Welthandelsorganisation WTO lahmlegt, oder das internationale Klimaabkommen kündigt, dürfte auch dem Letzten klar geworden sein, dass der Glaube an die Unumkehrbarkeit der Globalisierung ziemlich naiv war. Die Industrieunternehmen wurden auf dem falschen Fuß erwischt: Sie fragen sich immer noch, wie man mit China, eventuell auch Afrika, Indien oder Lateinamerika mehr Geschäft machen kann. Dabei müssten sie jetzt wieder auf den europäischen Markt setzen.

Auch der Wirtschaftsminister müsste umschalten: Statt zu glauben, dass die USA irgendwann wieder ein Einsehen haben werden, müsste Altmaier all seine Energie darauf verwenden, Fortschritte auf dem EU-Binnenmarkt zu erzielen. Knapp zwei Drittel der deutschen Produktion werden in der EU verkauft, und immer noch leidet dieser Handel an unterschiedlichen Standards, Rechtssystemen und Auflagen. Altmaier müsste jetzt in Brüssel dafür werben, dass ein rascher und günstiger Handelsvertrag mit den Briten abgeschlossen wird. Er müsste wenigstens versuchen, für die beiden neuen großen Themen der Wirtschaft – Klimaschutz und Digitalisierung – gemeinsame Standards zu definieren. Doch davon ist der Minister weit entfernt. Er träumt weiter davon, nationale und europäische Industriechampions zu formen, die in der ganzen Welt Marktanteile verteidigen oder gewinnen. Das wird nicht funktionieren.

In Europa dagegen muss sich viel verbessern. Beispiel Klimaschutz: Während in Deutschland von 2021 an ein einheitlicher allgemeiner Preis von 25 Euro für den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) gelten soll, weigern sich Länder wie Polen mitzumachen. Die Konsequenzen sind klar: In Deutschland werden Braunkohle-Kraftwerke ausgemustert und alte Produktionsanlagen geschlossen, während die alten Steinkohle-Verbrennungsanlagen in Osteuropa fröhlich weiterqualmen. Die Industrieunternehmen werden für ihre Klimalasten bezahlen, während die Kosten der Produktionsanlagen in den Nachbarländern konstant bleiben.

Keine Frage: Es ist richtig, dass CO2 einen vernünftigen Preis bekommt. Doch ein guter Wirtschaftsminister würde kämpfen, dass daraus keine Nachteile für die Unternehmen des eigenen Landes entstehen.

Noch deutlicher wird das bei der Digitalisierung: Zwar ist der europäische Binnenmarkt mit seinen 550 Millionen Verbrauchern der zweitgrößte Markt der Welt. Doch hier werden 24 verschiedene Sprachen gesprochen, Digitalunternehmen müssen sich mit 27 unterschiedlichen Rechtssystemen auseinandersetzen. Bei diesen Unternehmen ist es besonders wichtig, dass sie sehr schnell in einen sehr großen einheitlichen Markt hineinwachsen können. Während das in den USA und China geht – dort gibt es ein einheitliches Sprach- und Rechtsgebiet – hat Europa zwar auch einen großen Markt, der sich nicht gut erschließen lässt.

Klar, jetzt kann man sich fragen, ob das für den einzelnen Verbraucher, für den Angestellten, den Arbeiter oder den Rentner wirklich wichtig ist. Ist es leider. Denn in diesen Jahren wird entschieden, wo in Zukunft die Musik spielt. Es wird festgelegt, wer seinen jungen Leuten gute Jobchancen bieten kann, wer seinen Unternehmen eine ordentliche Basis für gutes Wachstum und Gewinne schafft, wer am Ende Renten, Straßen und Krankenhäuser bezahlen kann. Hätten Wirtschaftsminister wie Peter Altmaier dafür gute Ideen und politische Energie, stünde es um die Aussichten Europas gut. Solange sie sich aber vor allem für den Erhalt der bestehenden Strukturen einsetzen, bauen sie an einem anderen Projekt: Es heißt Freilichtmuseum Europa.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Gemeinsam mit t-online.de und der Leibniz-Gemeinschaft produziert sie den Podcast "Tonspur Wissen" https://tonspurwissen.podigee.io

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