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Geflüchtete aus der Ukraine: Wir wiederholen den Fehler aus 2015


Flucht aus der Ukraine
Niemand sollte sich Illusionen machen

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 15.03.2022Lesedauer: 3 Min.
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Ankunft am Berliner Hauptbahnhof: Viele der Ukraine-Flüchtlinge wollen in den Metropolen bleiben.Vergrößern des Bildes
Ankunft am Berliner Hauptbahnhof: Viele der Ukraine-Flüchtlinge wollen in den Metropolen bleiben. (Quelle: Maja Hitij/getty-images-bilder)

Die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sind keine Arbeitsmigrantinnen. Das sollten sich alle klarmachen, die jetzt vom Ende des Facharbeitermangels träumen.

Am Berliner Hauptbahnhof klatscht in diesen Tagen niemand. Die Flüchtlinge aus der Ukraine werden leise begrüßt. Sprachmittler weisen den Weg in das weiße Zelt am Hauptbahnhof. Es gibt Tee und Brote, Busse fahren zum Ankunftszentrum am Stadtrand.

Von der Euphorie des Sommers 2015, mit der am Münchner Bahnhof die Kriegsflüchtlinge aus Syrien willkommen geheißen wurden, ist nichts zu spüren. Nicht nur, weil der Krieg heute näher ist. Sondern auch, weil in der Zwischenzeit viel gelernt wurde.

Zum Beispiel, dass Euphorie kein guter Ratgeber ist. Sie ist zu kurzlebig für die Probleme und Aufgaben, die auf die Flüchtenden und ihre Zufluchtsländer zukommen.

Europa will jetzt alles richtig machen – aber schafft es nicht ganz

Diesmal will Europa alles richtig machen. Und vieles läuft (bisher) tatsächlich besser als in der Krise 2015/2016, als innerhalb weniger Monate rund eine Million syrischer Kriegsflüchtlinge nach Deutschland kamen. Denn diesmal ist sich die Europäische Union einig:

Wer aus der Ukraine flieht, wird aufgenommen, bekommt ein Aufenthaltsrecht für zunächst ein Jahr, eine Arbeitserlaubnis, Zugang zu den Sozialsystemen. Den Geflüchteten wird geholfen, eine Wohnung zu finden, die Kinder sollen in Kindergarten und Schule gehen können.

Nur ein Fehler wird wiederholt und der wiegt schwer: Wieder vermischen Politiker, Helfer und karitative Organisationen in Deutschland Flucht, Asyl und Einwanderung. Wie 2015 meinen sie, dass Deutschland sich freuen dürfe über die vielen Einwanderinnen.

Die Ukrainerinnen sind keine Arbeitsmigranten

Waren es damals die vermeintlichen Gehirnchirurgen, die man unter den Migranten erkennen wollte, sieht man jetzt die künftigen Facharbeiterinnen, Pflegerinnen, Haushaltshilfen und Verkäuferinnen. Das ist nicht nur angesichts des großen Leids der Menschen oberflächlich und falsch.

Die ukrainischen Frauen sind auf der Flucht, sie sind keine Arbeitsmigrantinnen. Arbeitsmigration ist freiwillig. Vor dem Umzug gibt es einen Interessenausgleich: Hat die Migrantin einen Arbeitsvertrag? Hat der Bewerber die richtige Qualifikation? Ist Deutschland das passende Land, sind Sprachkenntnisse vorhanden?

Die vor diesem Hintergrund eingewanderten Ukrainer und Ukrainerinnen der ersten und zweiten Generation sind überdurchschnittlich gut ausgebildet und in den Arbeitsmarkt integriert. Bei den Frauen, die nun ankommen, wird das anders sein.

Kriegsflüchtlinge brauchen lange, um anzukommen

Werden sie sofort Sprachkurse belegen, sich bei der Bundesagentur für Arbeit um eine Stelle bemühen und ihre Kinder schon nächste Woche in die Schule schicken wollen, so wie das jetzt Arbeitsmarktexperten empfehlen? Wahrscheinlich nicht.

Alle Studien zeigen, dass Kriegsflüchtlinge länger brauchen, bis sie sich in ihrem Gastland integrieren. Sie hatten keine Zeit und auch keinen Grund, sich auf das neue Land vorzubereiten. Frauen tun sich normalerweise schwerer noch als Männer – in der Ukraine ist beispielsweise nur gerade einmal die Hälfte der Frauen erwerbstätig gewesen.

Von den Flüchtlingen des Jahres 2015 sind heute gut ein Drittel so weit integriert, dass sie keine staatlichen Leistungen mehr in Anspruch nehmen müssen. Ein weiteres Drittel geht einer Erwerbstätigkeit nach, braucht aber noch ergänzende finanzielle Unterstützung. Mehr als dreißig Prozent sind immer noch voll von staatlicher Hilfe abhängig.

Die meisten wollen gar nicht nach Deutschland

Diesmal ist Deutschland nicht das Hauptziel: Die meisten Flüchtenden bleiben in der Nähe der Ukraine oder gehen dorthin, wo ohnehin schon größere Gruppen ukrainischer Staatsbürger wohnen – Polen, Tschechien, die Slowakei, aber auch Italien sind besonders belastet. In Deutschland sind von den geschätzt über zwei Millionen Flüchtlingen bisher nicht einmal 200.000 gelandet.

Ihre derzeitige Unterbringung ist zudem nicht auf Dauer angelegt. Wer bei Verwandten unterkommt, bei Freunden wohnt oder auch nur bei Ehrenamtlichen die Ausziehcouch bezogen hat, wird ein paar Tage, vielleicht sogar ein paar Wochen dort bleiben können. Die Gastgeber bieten aber nur eine erste Zuflucht.

Den Frauen (und ihren Männern, wenn der Krieg vorbei ist) eine Wohnung vermitteln, einen Kindergarten- oder Schulplatz organisieren, die Sozialhilfe und den Sprachkurs beantragen, einen Job und einen Hausarzt besorgen, können sie in der Regel nicht. Das müssen schon die Migrations- oder Flüchtlingsämter organisieren.

Wer wirklich bleibt, landet in den Großstädten

Niemand darf sich Illusionen machen: Nach und nach werden sich diejenigen, die länger bleiben, mehrheitlich in Berlin, Hamburg, München, oder dem Rhein-Main-Gebiet niederlassen. Dort gibt es größere ukrainische Gemeinschaften, die Hilfe bei der Integration versprechen.

Für die Behörden in diesen Städten ist wichtig, sich auf eine Zukunft einzustellen, in der aus Flucht nach und nach Arbeitsmigration werden könnte. Auch das kann besser funktionieren als 2015 – wenn man sich bemüht, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr neues Buch heißt: Die Kanzlerin. Porträt einer Epoche.

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