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"Es werden Innenstädte sterben" – welche Zukunft hat die Fußgängerzone?


Geschäfte schließen
"Es werden Innenstädte sterben"

Von Frederike Holewik, Mauritius Kloft

11.08.2021Lesedauer: 5 Min.
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Leerstand in Geschäft (Symbolbild): Wie kann die Innenstadt gerettet werden?Vergrößern des Bildes
Leerstand in Geschäft (Symbolbild): Wie kann die Innenstadt gerettet werden? (Quelle: Jochen Tack/imago-images-bilder)

Die Innenstadt als Konzept von gestern? Diesen Eindruck jedenfalls könnte bekommen, wer in so mancher deutschen Fußgängerzone an leer stehenden Geschäften vorbeischlendert. t-online erklärt, welche Zukunft die Innenstädte noch haben.

Media Markt, H&M, Douglas: In vielen deutschen Innenstädten machen zahlreiche Filialen dicht. Die Corona-Krise hat viele Händler hart getroffen. Doch schon vorher hatten insbesondere große Konsumtempel wie Karstadt oder Kaufhof Probleme, gegen den Onlinehandel zu bestehen. Erst vor Kurzem kündigte der Kaufhauskonzern einen Neustart an.

Die Pandemie hat die Abkehr von der Innenstadt noch beschleunigt. Die Folge: Viele Fußgängerzonen und einstige Flaniermeilen bieten einen trostlosen Anblick, weil Geschäfte leer stehen.

Kann die Innenstadt noch gerettet werden? Und wenn ja, wie? t-online hat dazu mit Handelsforschern, Vertretern der Städte sowie des Einzelhandels gesprochen – und zeigt, welche Zukunft das klassische Stadtzentrum überhaupt noch hat.

Wo liegt das Problem der Innenstädte?

Grundsätzlich zieht es immer weniger Menschen für ihre Shoppingtour in die Stadt. Schließlich lässt sich vieles mittlerweile bequem vom Sofa zu Hause erledigen – bei Amazon, Zalando und Co. Laut einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom kaufen 83 Prozent der Deutschen online ein, hochgerechnet also rund 57 Millionen Menschen.

Für die Innenstädte ist das deshalb ein Problem, weil sie längst nicht allein vom Handel leben. Um die Läden herum siedeln sich auch Gastronomen an, Imbisse, die durch die ausbleibende Laufkundschaft ebenfalls weniger Umsätze erwirtschaften. So setzt sich eine Abwärtsspirale in Gang: Weniger Passanten führen zu weniger Geschäften und weniger Gastronomie – das führt wiederum zu weniger Kunden. Und so weiter.

Die Pandemie hat diese Entwicklung verstärkt. Wegen der Corona-Pandemie mussten die meisten Geschäfte lange Monate schließen oder durften nur unter strengen Auflagen öffnen. Die Folge: Zahlreiche Geschäfte stehen leer, etliche Innenstädte sehen selbst jetzt, im Sommer des Lockerns nach den Lockdowns, teils verwahrlost aus.

Entsprechend alarmiert ist deshalb der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands HDE, Stefan Genth. "Die vielen Leerstände sind ein Warnsignal und zeigen, dass die Innenstädte eindeutig in Gefahr sind. Da muss jetzt dringend gehandelt werden", sagt er t-online. Die Corona-Krise habe den Strukturwandel und den Trend zur Digitalisierung beschleunigt. Das zeigt sich auch an den vielen Filialschließungen großer Ketten. Welche Geschäfte genau Filialen dichtmachen, lesen Sie hier.

Ist allein der Onlinehandel schuld? Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Digitalverbandes Bitkom, lässt das nicht gelten, sagt t-online: "Der Onlinehandel erfüllt eine zentrale Versorgungsfunktion – und tat dies auch schon vor der Pandemie." Der Onlinehandel sei besonders "für diejenigen unverzichtbar geworden, die auf dem Land leben oder mobil eingeschränkt sind", so Rohleder.

Haben die Innenstädte eine Zukunft?

Insgesamt sicherlich, aber nicht überall. "Es werden Innenstädte sterben. Besonders in strukturschwachen Regionen, etwa im Osten oder im Ruhrpott, wird es darum gehen, Innenstädte zurückzubauen. Wir werden bei Weitem nicht jede Stadt retten können", sagt Boris Hedde, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung (IFH Köln), im Gespräch mit t-online.

Stefan Genth vom HDE glaubt dagegen weiter an den Einzelhandel als die zentrale Säule der Innenstädte: "Händlerinnen und Händler gestalten den Wirtschaftsstandort vor Ort maßgeblich mit, sind lokaler Arbeitgeber, Versorgungsquelle und setzen sich mit ihrem gesellschaftlichen Engagement für soziale Zwecke ein. Sie sind nicht aus den Stadtzentren wegzudenken."

"Innenstädte sind das Gesicht einer Stadt"

Auch Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, will die Innenstädte nicht abschreiben. "Innenstädte sind das Gesicht einer Stadt", sagt er t-online. Es brauche künftig eine Mischung in den Städten "mit mehr Kultur, sozialen Einrichtungen, Freiräumen, Handwerk, aber auch Wohnen, Produzieren und mehr Grün mitten in der Stadt".

Damit das möglich wird, müsste das Mietniveau entsprechend gesenkt werden. "Davon kann dann auch der Handel profitieren. Mehr Vielfalt, mehr unterschiedliche Angebote machen die Innenstadt fit für die Zukunft", so Dedy.

Welche Ideen sollen die Innenstädte retten?

Da gehen die Meinungen auseinander. Für Aufsehen sorgte jüngst eine Idee von Raoul Roßmann, dem Chef der Drogeriekette Rossmann: Er forderte eine Steuer in Höhe von fünf Euro pro Paket, um so einen Ausgleich zwischen Einzelhandel und großen Versandhändlern zu schaffen (t-online berichtete).

Bitkom-Hauptgeschäftsführer Rohleder lehnt eine Paketsteuer ab. Es sei unklar, inwiefern sie kleineren Unternehmen zugutekäme. Auch HDE-Hauptgeschäftsführer Genth hält nichts von einer solchen Paketsteuer. Diese würden besonders für kleinere und mittlere Betriebe die Lage eher zusätzlich verschärfen.

Um den Händlern zu helfen, brauche es viel mehr einen "kontinuierlichen Dialog zwischen allen Akteuren" und finanzielle Unterstützung. "Notwendig ist etwa die Einrichtung eines Innenstadtfonds, der in den nächsten fünf Jahren jeweils mit 500 Millionen Euro pro Jahr zur Analyse und Gestaltung der Innenstädte beiträgt", so Genth.

Auch Städtetag-Hauptgeschäftsführer Dedy fordert ein "Förderprogramm Innenstadt". Über fünf Jahre seien 500 Millionen Euro nötig. Aktuell gibt es ein einmaliges Modellprojekt in Höhe von 250 Millionen Euro. Von einer neuen Bundesregierung erhofft sich Dedy einen längeren Förderzeitraum.

So wollen die Parteien die Innenstadt retten

Mit der Forderung nach mehr Geld für die Innenstädte stoßen Dedy und Genth in Berlin auf offene Ohren – zumindest wenn man den Wahlprogrammen der Parteien Glauben schenken mag. So betonen etwa SPD, Grüne oder die Union die Bedeutung der Innenstädte.

Die Union will gar ein Förderprogramm "Attraktive Innenstadt" auflegen, "von dem auch kleinere Städte und Gemeinden" profitieren sollten. Dazu wolle sie "deutlich mehr Mittel bereitstellen". Auch "Smart Cities", also digitalisierte Städte, will die Politik fördern, betonen jeweils Grüne und die Union.

Die Ökopartei will auch die Städte grüner einrichten – und die Städtebauförderung neu ausrichten, "für schönere Städte, mehr Stadtgrün und Wasserflächen, damit man auch in Zeiten immer heißerer Sommer gut in der Stadt leben kann".

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Die SPD will immerhin eine Mietpreisbegrenzung und "einen Mieterschutz im Gewerbeimmobilienbereich" sowie "durch Konzepte zur Revitalisierung von Standorten und die Förderung von Co-Working-Spaces" die Innenstädte unterstützen, heißt es. Bei der FDP taucht das Wort "Innenstadt" hingegen im Wahlprogramm nur ein einziges Mal auf – und zwar in einem gänzlich anderen Kontext.

Wie sieht die Innenstadt der Zukunft aus?

Handelsforscher Hedde vom IFH Köln glaubt an die Zukunft der Innenstädte. Doch die Rolle des Handels werde sich verändern, so der Handelsforscher. "Innenstädte ganz ohne Handel wird es nicht geben", sagt er t-online. "Doch der Einzelhandel wird nur ein – wenn auch weiterhin wichtiger – Beitrag von vielen sein, etwa neben Kultur, Bildungs- oder Freizeitangeboten. In der Innenstadt wird nicht mehr alleinig der Konsum im Fokus stehen."

Wichtig für die Innenstadt der Zukunft sei jedoch, dass die Bürger in die Gestaltung mit einbezogen würden. "Jede Bürgerin und jeder Bürger der Stadt sollte seine Ideen einbringen können. Der Wandel muss von den Menschen und deren Bedarfen ausgehen – und nicht alleinig von den Geschäften und Unternehmen", fordert Hedde.

Wie die Innenstädte am Ende genau aussehen, würde sich dann von Stadt zu Stadt unterscheiden. "Es wird sicher keine Innenstädte mehr vom Band geben, große Handelsketten werden vielerorts verschwinden. Handwerksbetriebe, Spielplätze, Kinos – schier alles ist für die Innenstadt der Zukunft möglich."

Ein gutes Stichwort für Bitkom-Hauptgeschäftsführer Rohleder: "Mit digitalen Möglichkeiten wie Service-Robotern, In-Store-Navigationen oder Just-Walk-Out Technologien wird das Einkaufen der Zukunft zu einem Erlebnis, das Zeit spart und Spaß macht." Das Ganze müsse dann durch entsprechende Mobilitätsangebote ergänzt werden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Boris Hedde
  • Anfrage an Bitkom, HDE, Städtetag
  • Wahlprogramme der Parteien
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