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Warum der Weizenpreis neue Rekorde erreicht – was die Entwicklung bedeutet


Spekulation mit dem Hunger
Warum der Weizenpreis nun explodiert – und was das bedeutet


Aktualisiert am 17.05.2022Lesedauer: 5 Min.
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Wichtiges Gut (Symbolbild): Besonders Länder in Afrika, Asien und im Nahen Osten sind auf die Exporte der Ukraine angewiesen. Durch die steigenden Weltmarktpreise drohen diese Regionen in eine Ernährungskrise zu stürzen.Vergrößern des Bildes
Wichtiges Gut (Symbolbild): Besonders Länder in Afrika, Asien und im Nahen Osten sind auf die Exporte der Ukraine angewiesen. Die steigenden Weltmarktpreise droht, diese Regionen in eine Ernährungskrise zu stürzen. (Quelle: Ahmed Zakot/imago-images-bilder)

An den Börsen erreicht der Weizenpreis neue Rekorde – für Millionen von Menschen könnten bald Cents über Leben und Tod entscheiden. Ein sofortiger Exportstopp in Indien treibt die Preise weiter an.

Weizen wird zu einem knappen Gut. Am Montag sind die Preise für Weizen auf einen neuen Rekordwert gestiegen: 435 Euro kostete am Morgen im europäischen Handel eine Tonne Weizen. Das spüren auch deutsche Unternehmen. Importeure zahlten bereits vergangene Woche so viel für Getreideimporte wie seit zehn Jahren nicht mehr.

Es ist ein explosives Gemisch, das die Getreidepreise in die Höhe treibt. Die Folgen sind dramatisch: In den reicheren Ländern könnten die Preise anziehen, manche Produkte womöglich im Regal fehlen, in den ärmeren Ländern der Welt drohen Hungersnöte und Aufstände, warnte zuletzt Rafaël Schneider von der Welthungerhilfe im Gespräch mit t-online. Und auch in Europa könnten die Auswirkungen drastisch sein. So warnte am Dienstag der Chef der britischen Zentralbank Andrew Bailey vor "apokalyptischen" Lebensmittelpreisen, auch in Großbritannien (mehr dazu lesen Sie hier)

Drei Hauptgründe sind im Moment für die dramatische Lage am Weizenmarkt verantwortlich:

  1. Der Krieg in der Ukraine: Russische Truppen sabotieren und blockieren den ukrainischen Weizenexport
  2. Ausfuhrverbote in Indien, dem zweitgrößten Weizenproduzenten der Welt
  3. Schlechte Wetterbedingungen und Prognosen in anderen Anbauländern, etwa den USA

Russische Truppen blockieren Weizentransporte

Der Krieg beeinträchtigt den Getreideanbau und -export in der Ukraine massiv und kann als Haupttreiber für die steigenden Weizenpreise angesehen werden. Denn neben Russland zählt das Land zu den größten Weizenexporteuren der Welt. Von den Lieferungen aus der Region sind viele Länder in Afrika und dem Nahen Osten abhängig.

Russlands Angriffskrieg hat diese Versorgungsketten der globalen Ernährung unterbrochen: 25 Millionen Tonnen Getreide hängen in der Ukraine fest, die russischen Truppen blockieren die Häfen und Seewege. Ein Großteil des ukrainischen Getreides wird allerdings über den Schiffsverkehr exportiert. Per Zug ist der Transport mühsamer, weniger lohnend und zurzeit kaum möglich: Denn russische Truppen nehmen auch Bahnstrecken gezielt unter Beschuss.

Zudem führt der Krieg dazu, dass viele Landwirte ihre Flächen nicht bestellen oder abernten können. Und laut ukrainischen Berichten sollen die russischen Soldaten die Bauern im Osten der Ukraine gezielt sabotieren. So werfen die Ukrainer den Russen vor, landwirtschaftliche Geräte wie etwa Traktoren zu entwenden – und sogar Hunderttausende Tonnen Weizen aus dem Land zu stehlen.

Putin könnte Ukraine vom Markt verdrängen

Inwiefern diese Vorwürfe zutreffen, ist aufgrund der Informationslage in dem Kriegsgebiet nur schwer zu beurteilen, allerdings halten die Vereinten Nationen die Vorwürfe gegen Russland für glaubwürdig. Russland profitiert sehr davon, wenn die Ukraine keinen Weizen exportieren kann. Der deutsche Agrarminister Cem Özdemir verurteilte die Taten scharf. "Dafür gibt es im Rechtsstaat übrigens drei Wörter: Erpressung, Diebstahl und Raub", sagte der Grünen-Politiker.

Putin könnte so die Ukraine als einen der größten Konkurrenten auf dem weltweiten Markt verdrängen und dauerhaft schwächen. Wenn sie nicht exportieren kann, füllt Putin die Lücken – und nach Kriegsende könnte für die Ukraine kein Platz mehr auf dem Markt sein.

Für den Weltmarkt bedeutet Putins Strategie erst einmal eine deutliche Verknappung – für dieses und perspektivisch auch für das kommende Jahr, wenn der Krieg weiter andauert. Und wenn weniger Weizen zum Verkauf steht, treibt das die Preise in die Höhe.

Doch für die derzeitigen Preissteigerungen ist nicht nur der Krieg in der Ukraine verantwortlich – weitere Faktoren verschärfen die Situation am Markt weiter. Hitzewellen und Dürreperioden gefährden in vielen Regionen der Welt die Ernährungssicherheit.

So sind die Weizenpflanzen in den USA in einem so schlechten Zustand wie seit 26 Jahren nicht mehr. Noch rechnen die USA mit einem Ernteüberschuss von 5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, aber Rohstoffexperten der Commerzbank halten es auch hier für realistisch, dass die USA ihre Prognosen angesichts der Wetterlage bald verändern müssen.

Indien fürchtet selbst um Ernährungssicherheit

So wie etwa Indien. Seit Wochen leidet das Land unter einer schweren Hitzewelle, welche die Ernte im Land gefährdet. Nun handelt die Regierung. Sie verhängte ein sofortiges Exportverbot für Weizen.

An sich kommt Indien am Weltmarkt keine führende Rolle zu. Obwohl das Land der zweitgrößte Weizenproduzent weltweit ist, ist es keiner der größten Exporteure auf dem Weltmarkt. In den vergangenen Jahren hat Indien vielmehr einen Großteil seiner Ernte selbst verbraucht.

Angesichts der Engpässe in der Ukraine hatte Indien aber angekündigt, zehn Millionen Tonnen Weizen zu exportieren. Besonders für die ärmeren Länder in Afrika, Asien und dem Nahen Osten, die auf die Exporte aus der Ukraine angewiesen sind, hätte dies eine Erleichterung bedeutet. Auch den Weltmarkt hatte die Aussicht etwas entspannt, dass Indien einen Teil der Lücke füllt, die die Ukraine auf dem Markt hinterlässt.

Nun hat das Ausfuhrverbot, das Indien am Wochenende mit sofortiger Wirkung verhängte, genau den gegenteiligen Effekt. Der Markt reagiert höchst angespannt auf die erneute Verknappung des Angebotes. Die Preise schießen weiter in die Höhe. Indien sah sich zu dem Exportverbot gezwungen, um die Ernährungssicherheit trotz Hitzewellen im eigenen Land zu garantieren.

Die Sorge ist nicht unbegründet. Innerhalb der vergangenen Wochen zogen die Preise für Weizen und Mehl in einigen Landesteilen um 20 bis 40 Prozent an. Einige Landwirte zogen es bei den Preisen vor, lieber an den Weltmarkt zu verkaufen als an die Regierung.

Es drohe eine "katastrophale Hungersnot"

Für seinen Schritt musste Indien von der internationalen Gemeinschaft viel Kritik einstecken. Agrarminister Cem Özdemir sagte beim G7-Treffen in Stuttgart zuletzt, das Land müsse seiner Verantwortung als G20-Land gerecht werden. Die G7-Staaten appellierten, die Märkte offen zu halten.

Der jäh anziehende Weizenpreis kann besonders für ärmere Menschen den Hungertod bringen, warnte auch der größte Weizenimporteur im Jemen, HSA Group, am Montag. Angesichts explodierender Preise wird vor einer "katastrophalen Hungersnot" in dem Bürgerkriegsland gewarnt. Ohne rasches Handeln würden Hunderttausende von Menschen innerhalb weniger Monate extremen Hunger leiden, so der Konzern.

Bereits jetzt haben im Jemen, wo seit sieben Jahren ein Bürgerkrieg tobt, laut Angaben des Welternährungsprogramms (WFP) bis zu 19 Millionen Menschen nicht genug zu essen. Die HSA Group ruft die internationale Gemeinschaft zur Hilfe auf, um eine Katastrophe im gesamten Land zu verhindern.

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Russland könnte arme Länder in Abhängigkeit bringen

Ausgerechnet Russland könnte hier ein Lichtblick für die armen Länder sein. Denn auch Russland hatte einen Exportstopp für Weizen verhängt, stellte aber angesichts einer angeblichen Rekordernte in diesem Jahr in Aussicht, die Exporte wieder aufzunehmen. Bis zu 87 Millionen Tonnen Weizen könnte Russland in diesem Jahr ernten, sagte Putin vergangene Woche auf einer Regierungssitzung.

Zufällig oder kostenlos ist diese Hilfe für die armen Länder nicht. "Durch den Krieg könnte Russland die Dominanz des Weltgetreidemarktes an sich reißen und einige Länder in Afrika, dem Nahen Osten und Asien in eine Ernährungsabhängigkeit bringen – ganz ähnlich wie Deutschland von russischem Gas abhängig ist“, sagt Rafaël Schneider von der Welthungerhilfe im Gespräch mit t-online.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Analyse der Commerzbank
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP und Reuters
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